Ein Richter erklärt das Internet – und zwar gut

Das Amtsgericht Bocholt beschäftigt sich in einem aktuellen Beschluss mit zwei Fragen, die im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Besitzes von Jugend- und Kinderpornografie immer wieder eine Rolle spielen. Dabei setzt sich das Gericht recht deutlich von der überwiegenden Rechtsprechung ab.

Zunächst ging es um die Frage, wann ein Foto jugendpornografisch ist. Der mutmaßliche Täter soll zahlreiche pornografische Bilder „eines etwa 16-jährigen Mädchens“ auf seinem Rechner gespeichert haben.

Hierzu führt das Amtsgericht Bocholt aus, es sei schon nicht erkennbar, dass es sich um eine 16-Jährige handelt. Allein vom visuellen Eindruck sei eine Unterscheidung zwischen einer 16-jährigen Jugendlichen und einer 18-jährigen jungen Frau mit der nötigen Sicherheit nicht möglich. Eine Strafbarkeit komme in solchen Fällen nur in Betracht, wenn die abgebildeten Personen „ganz offensichtlich“ nicht volljährig sind, etwa dann, wenn sie fast noch kindlich wirken und eine Abgrenzung eher zum Straftatbestand der Kinderpornografie (Bilder von unter 14-Jähriger) nahe liegt.

Der Richter hält es angesichts des visuellen Eindrucks der Bilder für „nicht nachvollziehbar“, wieso die Staatsanwaltschaft von einer Frau unter 18 Jahren ausgehe. Im Zweifel, so das Gericht, müsse davon ausgegangen werden, dass die abgebildete Person nicht mehr minderjährig sei. Im entschiedenen Fall konnte nicht geklärt werden, wer auf den Fotos zu sehen ist.

Außerdem musste das Gericht die Frage beantworten, ob lediglich im Zwischenspeicher des Rechners (Cache) gespeicherte Dateien schon den Tatbestand des „Besitzes“ von Kinderpornografie erfüllen. Hier bietet es sich wirklich an, dass ich die Argumentation des Gerichts komplett zitiere. Was der Richter schreibt, ist nämlich höchst lesenswert.

Hier also der Beschluss:

Aus der Pfadbeschreibung der jeweiligen Fotos ergibt sich, dass diese unter dem Namen des Angeschuldigten/AppData/Local/Microsoft/Windows/TemporaryInternetFiles/Low/Content befunden haben. Sie befinden sich damit in einem Bereich, in dem der Nutzer nicht bewusst Daten speichern kann, sondern in dem das Betriebssystem Windows automatisch, ohne Einwirkungsmöglichkeit des normalen Nutzers Daten speichert.

Aus dem Pfad geht also zunächst einmal nur hervor, dass der Angeschuldigte oder eine dritte Person, die Zugang zu dem Rechner hatte, diese Bilder betrachtet hat und dann die Daten automatisch gespeichert wurden. Öffnet somit der Nutzer eine X-beliebige Internetseite über seinen Browser so wird diese im Hintergrund gespeichert mit dem Ziel, dass, wenn der Nutzer zu einem späteren Zeitpunkt erneut auf die Seite, hier also die inkriminierenden Bilder, zugreift, diese schneller aufgebaut werden könnten und nicht nochmal heruntergeladen werden müssten (Vergleiche Was ist Cache leeren http: …praxistipps.chip.de/was-ist-cache-leeren-einfach-erklaert_41811 Stand 23.03.2017). Die Funktion wurde in das Betriebssystem Windows Anfang der 2000er, als die Datenverbindungen langsam waren und es noch keine Flatrates gab, sondern die Kosten entsprechend dem Traffic erhoben wurden, implementiert.

Wie der Name Cache schon sagt, bedeutet dies nicht, dass der Nutzer auf diese Daten unmittelbaren Zugriff hat, sondern Cache bedeutet so viel wie „verstecken“. Er wird verwendet, da die im Cache gespeicherten Daten selbst vor dem Nutzer versteckt werden (Vergleiche: Was ist Cache a.a.O). Entsprechend hat der Nutzer auf die im Cache gespeicherten Daten zunächst einmal keinen Zugriff, denn in der normalen Verzeichnisstruktur ist der Pfad „AppData“ nicht sichtbar. Diese Daten werden nur angezeigt, wenn die Funktion „geschützte Systemdateien ausblenden“ deaktiviert wird und dafür die Funktion „versteckte Dateien und Ordner anzeigen“ aktiviert wird (Vergleiche: Verstecke Dateien anzeigen, http: …praxistipps.chip.de/versteckte-dateien-in-windows-7-anzeigen_1282, Stand 23.03.2017). Vor diesem Hintergrund ist der Besitz zweifelhaft.

Selbst wenn man dies vorliegend annehmen würde, so reicht allein der Umstand, dass in einem automatischen Verfahren kinderpornographische Inhalte auf der Festplatte des Nutzers gespeichert wurden zum Nachweis des Besitzwillens nicht aus (Vergleiche Gercke in Spindler/Schuster Rechte der elektronischen Medien, 3. Auflage 2015 § 184 b StGB Randnummer 25). § 184b ist kein Unternehmensdelikt denn § 184b Abs. 1 in Verbindung mit § 11 Abs. 3 StGB setzt ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis über die Bilder voraus mit der Möglichkeit, die Bilder sich und anderen zugänglich zu machen. Dies muss vorsätzlich geschehen, wobei der Vorsatz als direkter oder bedingter Vorsatz gegeben sein muss. Wusste der Angeklagte nicht, dass die Bilder im Cache gespeichert werden, so setzt die Strafbarkeit erst ein, sobald der Angeschuldigte erkennt oder aber billigend in Kauf genommen hat, dass er Kinderpornographie besitzt und den Besitz gleichwohl fortsetzt (OLG Oldenburg, Urteil vom 29.11.2010 – 1SS166/10 zitiert nach Beck RS 2010).

In Zeiten des Cloud Speichers, in der üblicherweise insbesondere auch Bilder privater Natur im Netz gespeichert werden, erscheint diese Funktion wie ein Anachronismus. Anders als noch vor 10 Jahren, als die Nutzer bereits im praktischen Betrieb erkennen konnten, dass Bilder im Cache gespeichert wurden, beispielsweise am schnelleren Seitenaufbau oder der Nichtbelastung des mit dem Provider vereinbarte Datenvolumens, ist dies in der heutigen Zeit aus den vorgenannten Gründen nicht mehr erkennbar. Auf das Datenvolumen braucht der Nutzer heutzutage bei einer Flatrate nicht zu achten und die Geschwindigkeit des Seitenaufbaus ist beim Highspeedinternet ebenso schnell wie beim Herunterladen von der Festplatte. Gegenteilige insbesondere ältere Entscheidungen, die von einer Kenntnis des Nutzers von der Datenspeicherung im Cache ausgehen, sind aufgrund der technischen Entwicklung überholt. Der durchschnittliche Nutzer weiß im Zweifel daher nicht mehr, dass schon beim Betrachten von Bildern Daten im sogenannten Cache gespeichert werden (Vergleiche OLG Zweibrücken MMR 2016, 831, 832 f).

Dass der Angeklagte, der von sich unwiderlegbar behauptet, von den Bildern keine Kenntnis gehabt zu haben, solche überdurchschnittlichen Kenntnisse im PC Bereich hatte, ist nicht feststellbar. Der Nachweis wird letztlich im Hauptverfahren nicht zu führen sein so dass trotz der abscheulichen Bilder aus tatsächlichen Gründen eine Verurteilung nicht zu erwarten ist.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nicht einmal feststeht, dass der Angeschuldigte bewusst die inkriminierenden Bilder betrachtet hat. Im Zeitalter von Web 2.0 ist es jedermann problemlos möglich, Bilder ins Internet zu stellen. Hierdurch ist es auch möglich, Straftäter wider Willen zu generieren. Dies ergibt sich aus folgendem Szenario: Speichert beispielsweise ein x-beliebiger Straftäter Bilder kinderpornographischen Inhalts im Internet, beispielsweise bei Dropbox oder Amazon Cloud oder vergleichbaren Clouddiensten, so hat er die Möglichkeit, einen Link zu generieren und diesen dem Angeschuldigten zu schicken. Öffnet der ahnungslose Angeschuldigte dann diesen Link, so hat er die Bilder auf seinem Rechner und damit auch im Cache, ohne dass er überhaupt die Absicht hatte, derartige Bilder zu betrachten. Es ist hierdurch möglich jede x-beliebige Person zum Besitzer von kinderpornographischen Bildern zu machen. Da es auch technisch möglich ist, einen Link zu einem Verzeichnis mit einer Vielzahl an Bildern zu generieren, können auch entsprechen viele Bilder im Cache des Nutzers sein.

So könnte ein Straftäter jede x-beliebige Person allein dadurch zum Straftäter machen, indem er einen Link mit kinderpornographischem Inhalt an diese verschickt und diese irrtümlich ohne Kenntnis vom Inhalt den Link öffnen. Die Daten sind dann im Cache gespeichert und der Nutzer hätte kaum Möglichkeiten, diese Bilder zu entfernen, es sei denn, es verfügt über entsprechende Computerkenntnisse. Denn die Funktion von Microsoft „Datenträgerbereinigung“ löscht die Daten des Cache nicht mit der erforderlichen Sicherheit. Dies ist nur manuell möglich und verlangt tiefgreifende Kenntnisse über das Betriebssystem Windows, um überhaupt die Daten zu entfernen. Ein sicheres Entfernen geht nur über Spezialprogramme wie beispielsweise CC Cleaner, wobei nicht von jedermann verlangt werden kann, derartige Programme zu installieren.

Letztendlich ist dem Angeschuldigten vorliegend vom Besitz ausgehend, nicht nachzuweisen, dass er wusste oder wissen musste, dass die hier in Rede stehenden Fotos aus seinem Rechner im Cache gespeichert werden. Hinsichtlich der hier angesprochenen technischen Zusammenhänge bedurfte es nicht der Einholung eines Sachverständigen, da das Gericht über eigene Sachkunde verfügt, die auch in einer Vielzahl von Publikationen zum Thema IT und IT Recht dokumentiert ist.

Aktenzeichen 3 Ds 540 Js 100/16 – (581/16)