„Wir haben eine Zigarettenkippe gesichert“

Eher unappetitlich verhielt sich in letzter Zeit ein Besucher von bayerischen Kirchen und Friedhofskapellen. Bereits drei Mal entdeckten Kirchenmitarbeiter im Landkreis Lichtenfels (Bayern) Exkremente in Gotteshäusern. Die Hinterlassenschaft fand sich unter anderem im Beichtstuhl. Sie konnte schnell als menschlich eingestuft werden. Die örtliche Polizei ging daraufhin CSI-mäßig an die Arbeit – unter anderem sollte die DNA-Analyse bei der Tätersuche helfen.

„Wir haben eine Zigarettenkippe mit DNA gesichert und prüfen nun, ob die eindeutig zu dem Haufen dazugehört“, wird der Wachleiter von der Presse zitiert. Allerdings müsse man sich gedulden, denn DNA-Analysen in gewichtigeren Fällen, Mord etwa, hätten Vorrang.

Der Fall ist etwas skurril, aber er zeigt, wie die DNA-Analyse mittlerweile im Polizeialltag angekommen ist. Für mich eine gute Gelegenheit, noch einmal auf einen weitgehend unbekannten Fakt hinzuweisen: Die Strafprozessordnung kennt keine Bagatellgrenze für die Verwertung von DNA-Proben.

Die Technik kann also auch in ganz kleinen und kleinsten Fällen zum Einsatz kommen. Was jedenfalls für all jene unangenehm sein kann, deren DNA-Profil in der zentralen Datenbank des Bundeskriminalamtes hinterlegt ist. Waren diese Personen zur falschen Zeit am falschen Ort, können sie auch bei kleinsten Delikten erst mal unter Verdacht auch wegen kleinster Delikte geraten. Denn jedes hinterlegte Profil wird natürlich tagtäglich tausende Male für alle laufenden Fälle durch das Raster gejagt.

Es gibt also gute Gründe, die eigene DNA eher nicht herauszugeben. Mittlerweile ist es gesetzlich erlaubt, dass man als Betroffener freiwillig der Probe zustimmt. Das muss man aber nicht, und zwar auf keinen Fall. Auch eine Begründung für die Weigerung braucht man nicht. Die Probe muss dann ein Richter anordnen. Die juristischen Hürden hierfür sind ganz enorm und keineswegs nur Formsache.

Der bayerische Fall scheint jedenfalls erfolgreich abgeschlossen worden zu sein. Es gibt einen Tatverdächtigen. Eine andere Frage ist natürlich, was am Ende als Straftat übrig bleibt. Der Hausfriedensbruch, über den die Presse spekuliert, dürfte jedenfalls auf wackeligen Beinen stehen. Wenn die Kirche offen war, durfte der Mann sie ja betreten. Aber da gibt es ja noch kirchliches Sonderstrafrecht, nämlich die Störung der Religionsausübung (§ 167 StGB). An allen anderen Orten würde es wohl (nur) bei einer Ordnungswidrigkeit verbleiben, auch bekannt als grober Unfug bzw. Belästigung der Allgemeinheit (§ 118 OWiG).

Bericht 1 / Bericht 2

Die Dänen sind lockerer

Zum gestrigen Beitrag über die ACAB-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch ein ganz aktueller Schnappschuss, den mir Mattias S. aus dem Urlaub auf Bornholm geschickt hat:

Ich kann mir nicht helfen, aber die Galerie könnte nicht nur mit Kunst, sondern auch mit Werbemitteln (Stofftaschen z.B.) richtig Geld verdienen.

ACAB: Parade mit Stoffbeutel

Mit der Strafbarkeit der berühmten Abkürzung „ACAB“ auf T-Shirts, Jacken und Plakaten befassen sich mittlerweile Dutzende Gerichtsurteile. Nun bereichert das Bundesverfassungsgericht die Liste mit einem Beschluss, in dem es um einen mit ACAB bedruckten Stoffbeutel ging.

Ein wenig liest sich die Entscheidung wie eine Gebrauchsanweisung an die Einsatzkräfte der Polizei, sofern diese sich beleidigt fühlen wollen. An sich, so das Gericht, sei die ACAB-Parole nicht strafbar, auch nicht im öffentlichen Raum. So reiche es nicht aus, wenn sich der Betroffene trotz Aufforderung weigert, den Beutel wegzustecken. Ebenso wenig könnten sich die anwesenden Polizisten automatisch beleidigt fühlen, bloß weil sie Polizisten sind.

Aber: Laut dem Strafurteil war der Angeklagte „nachgerade paradierend“ vor den Kräften auf und ab gegangen, die eine Demonstration abschirmten. Er habe den Beutel „ostentativ“ gezeigt. Das wiederum, so das Verfassungsgericht, könne belegen, dass sich der Angeklagte bewusst in die Nähe der konkreten Beamten begeben und sich „individualisiert“ auf sie bezogen hat. Das reiche aus, damit sich die einzelnen Polizisten beleidigt fühlen können.

Na ja, damit ist nun klar, was auf jeden Fall in einer ACAB-Anzeige drin zu stehen hat.

Unter dem großen ACAB auf dem Stoffbeutel stand übrigens eine Erklärung: „All cats are beautiful.“ Geholfen hat es dem Angeklagten nicht. Das Verfassungsgericht geht hierauf mit keinem Wort ein (Aktenzeichen 1 BvR 2832/15).

Überall dieses Misstrauen

Die neue NRW-Landesregierung schafft die Kennzeichnungspflicht für Polizisten wieder ab, die es erst seit Ende des letzten Jahres gibt. Die Kennzeichnungspflicht sei „ein Ausdruck von Misstrauen gegenüber den Beamten“. Die Polizei brauche „Rückhalt statt Stigmatisierung“.

Das ist schon eine sehr schräge Argumentation, zumal Innenminister Herbert Reul wohl argumentativ noch draufgesattelt hat: 2016 sei die Zahl der Übergriffe auf Beamte deutlich gestiegen. Darf man das also so verstehen, dass Polizisten im Einsatz besser vor Übergriffen geschützt sind, wenn sie anonym bleiben? Was ja für schwarze Schafe in Uniform durchaus die angenehme Folge hat, dass Dienstaufsichtsbeschwerden und eventuelle Strafanzeigen ins Leere laufen, weil sich die Verantwortlichen im Kollektiv verbergen?

Abgesehen davon ist es natürlich höchst lobenswert, wenn die neue Landesregierung dieses ständige Misstrauen thematisiert, das in unserer Gesellschaft mittlerweile herrscht. Sie könnte sich auch mal dem staatlichen Misstrauen widmen, das jedem Bürger Tag für Tag entgegenschlägt. Zum Beispiel wenn seine Verbindungsdaten nach derzeit geltendem Recht auf Vorrat gespeichert werden, wenn er künftig zur DNA-Abgabe gezwungen wird, um damit Verwandte zu belasten. Oder wenn bald mit staatlicher Schnüffel-Schadsoftware Festplatten und Mobiltelefone von jedem von uns ausgespäht werden dürfen, und das ohne großartige Eingriffsvoraussetzungen.

Man könnte auch mal die vor wenigen Wochen in Kraft getretene Gewinnabschöpfung in der Strafprozessordnung hinterfragen, welche die Unschuldsvermutung komplett außer Kraft setzt. Und nicht zuletzt die drastisch verschärften Regeln für „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“, die fast schon jedes Wortgefecht mit Polizeibeamten zum Fall für den Staatsanwalt machen.

Aber letztlich ist es natürlich auch schon wieder vielsagend, an welcher Stelle die Politik Handlungsbedarf sieht.

Bericht in den Ruhr Nachrichten

Gerichte entlohnen falschen Anwalt

Jedenfalls teilweise erfolgreich war ein junger Brandenburger mit einer bemerkenswerten Masche. Der 24-Jährige zockte nicht nur Mitbürger und Firmen ab, sondern die Justizkasse. Rund 5.000 Euro soll er sich erschwindelt haben. Dazu gab er sich als Anwalt aus und reichte bei Amtsgerichten falsche Abrechnungen ein.

Es ging um Beratungshilfe. Dabei besteht die Möglichkeit, dass Anwälte den Antrag für die Mandanten stellen, die sie beraten haben. Nach der Bewilligung wird die Vergütung auch direkt an den Anwalt gezahlt. Allerdings ist die Quote der Gerichte, die dem angeblichen Anwalt auf den Leim gingen, durchaus überschaubar. 275 Anträge soll er eingereicht haben, erfolgreich waren nur 20.

Der 24-Jährige muss sich jetzt vor dem Landgericht Berlin wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Titelmissbrauch verantworten. Er sitzt derzeit schon eine fünfjährige Haftstrafe wegen anderer Hochstapeleien ab.

Bericht in der Legal Tribune Online

Fußkrank beim Hindernislauf

Ein Beamter im Land Brandenburg muss sich aus dem Polizeidienst verabschieden. Er hatte sich wegen einer Fußverletzung krankschreiben lassen. Zur gleichen Zeit lief er aber einen 16 Kilometer langen Hindernislauf – und brüstete sich auf Facebook mit seinem sportlichen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht Cottbus listet genau auf, wie schwer der Hindernislauf gewesen ist. Die Teilnehmer mussten Sandkuhlen, Tunnel, natürliche Hindernisse, Stolperfallen, Strohballen, schlammiges Wasser, Schlammgruben und einiges andere überwinden. Durch seine angebliche Fußverletzung kann der Polizist nicht sonderlich eingeschränkt gewesen sein. Er schaffte immerhin Platz 127 von 649.

Damit gab der Beamte nicht nur auf Facebook an. Er schrieb auch gleich noch dazu, dass er Polizist ist. Das alles stieß dem Dienstherrn so sauer auf, dass er dem Beamten auf Probe die Kündigung schickte. Zu Recht, befindet das Verwaltungsgericht im Eilverfahren. Hier handele es sich um den Missbrauch einer Krankschreibung, der ein „besonders außergewöhnliches Maß“ erreiche (Aktenzeichen 5 L 110/17).

Zwei Nachtschränke

Die Polizei suchte in der Wohnung meines Mandanten nach Belegen für eine Steuerhinterziehung. Das blieb leider ergebnislos. Aber die Beamten schauten unglaublich sorgfältig in alle Ecken – und Schubladen. So fiel ihnen in einem Nachtschränkchen eine krümelartige Substanz in die Hände, welche mit einer Kombination aus kriminalistischem Spürsinn und Lebenserfahrung unschwer als Marihuana zu identifizieren war.

Nur ein paar Gramm, aber hey, immerhin hatte man jetzt ein höchst verfolgenswertes Delikt. So wurde pflichtgemäß ein Strafverfahren eingeleitet. Ich war eigentlich guter Dinge, dass ich die Angelegenheit durch einen Anruf bei der Staatsanwältin erledigen konnte. Aber leider hatte sich die Zuständigkeit geändert. Am Telefon war eine mir bislang unbekannte Dame, offenbar neu im Geschäft. Sie sagte mir unverblümt, dass sie sich nicht sonderlich für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigengebrauch interessiert, sondern persönlich für eine harte Linie bei weichen Drogen ist.

Die Staatsanwältin klagte meinen Mandanten also an. Dass mein Mandant die Wohnung gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin bewohnt, spielte für die Strafverfolgerin keine Rolle. Ich kann mir das nur so erklären, dass bei ihr Männer immer schuld sind, während die Frau im Haus selbstverständlich von rein gar nichts weiß.

Tja, kann man so sehen. Reicht aber halt nicht vor Gericht. Da sowohl mein Mandant als auch die Lebenspartnerin so schlau waren, konsequent alle Angaben zur Sache zu verweigern, stellte sich die Frage: Woraus soll sich denn nun ergiben, dass mein Mandant das Marihuana besessen hat – und nicht möglicherweise doch seine Partnerin?

Nachdem ich darauf hingewiesen hatte, gab der Amtsrichter, der über die Zulassung der Anklage entscheiden musste, die Akte zurück an die Polizei. Mit der Frage, ob die Beamten geprüft haben, „welchem der beiden Bewohner der linke der beiden Nachtschränke zuzuordnen ist“. In diesem Schränkchen war das Marihuana nämlich gefunden worden.

Die Antwort des Beamten, der die Möbel durchsucht hatte, fiel erwartungsgemäß aus. Er habe alles in Augenschein genommen. Er erinnere sich sogar, dass in einem Nachtschrank eher Männer- und im anderen eher Frauensachen waren. Nur welcher der beiden Schränke der linke war, daran hatte er beim besten Willen keine Erinnerung.

Daraufhin zog die Frau Staatsanwältin ihre Anklage zurück und stellte das Ermittlungsverfahren ein. Für meinen Mandanten hat das immerhin den Vorteil, dass er einen gewissen Teil der Anwaltskosten vom Staat erstattet erhält. Hätte die Staatsanwältin gleich die nötige Konsequenz gezogen und wegen Geringfügigkeit eingestellt, wäre ich als Anwalt finanziell gesehen noch reines Privatvergnügen gewesen.

Polizeichef fliegt bei der Polizei

Der ehemalige Polizeichef von Rosenheim verliert seinen Beamtenstatus. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hält den 56-Jährigen nicht für tragbar. Der Polizeibeamte soll bei Einsätzen brutal gegen Festgenommene vorgegangen sein. Das Landgericht Traunstein verurteilte ihn im November 2012 wegen Körperverletzung im Amt. Ein Urteil, das der Bundesgerichtshof billigte.

Der Polizist soll insbesondere auf dem Rosenheimer Herbstfest 2011 einen Jugendlichen geohrfeigt, mit den Knien gestoßen und mit dem Kopf gegen eine Wand geschleudert haben. Das Gericht sieht in der Tat keinen einmaligen Ausrutscher. Vielmehr sei sein Verhalten allgemein durch „ein gewisses Maß an Brutalität gekennzeichnet“ gewesen.

Der heutige Polizeichef von Rosenheim hat sich für seinen Vorgänger öffentlich entschuldigt. Dieser habe das Vertrauen der regionalen Bevölkerung in die Arbeit der Polizei erheblich beschädigt.

Bericht des Bayerischen Rundfunks

„Die Anklage wird zurückgenommen“

Für rege Diskussionen sorgte vor kurzem dieser Beitrag. Es ging um eine strafrechtliche Anklage, die in wesentlichen Teilen auf einer „Hochrechnung“ beruht. Das habe ich als überaus fragwürdig empfunden und bei Gericht beantragt, die Anklage so nicht zuzulassen.

Ich gehe davon aus, dass der eine oder andere Leser sich für das Ergebnis interessiert. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Anklage binnen weniger Tage zurückgenommen und eine komplett neue Anklageschrift eingereicht. Diese Anklageschrift trägt meiner Kritik in vollem Umfang Rechnung. Das verbessert die juristische Ausgangssituation im gerichtlichen Verfahren für den Mandanten natürlich erheblich.

Zwischenziel erreicht.

Raub klingt doch gleich spannender…

Auch wenn es angeblich überall an Personal fehlt: Die Pressestellen bei Polizei und Staatsanwaltschaften sind in den letzten Jahren fast überall personell aufgestockt worden. Natürlich auch wegen der verstärkten Präsenz vieler Dienststellen auf Facebook & Twitter.

Locker und flockig soll also mitunter formuliert werden. Das entbindet Behörden aber nicht von ihrer Verpflichtung zur Sachlichkeit. Nehmen wir – abseits der großen Bühne – mal das Beispiel einer aktuellen Pressemitteilung der Bundespolizei Kaiserslautern. Deren Überschrift lautet:

Güterzug ausgeraubt – Bundespolizei sucht Zeugen

Aus dem Text ergibt sich einiges. Aber rein gar nichts in der Richtung, dass es sich um einen Raub gehandelt haben könnte. Nur Personen kann man berauben. Nicht aber einen Güterzug, der einsam auf einem Bahnhof abgestellt ist. Was im Text geschildert wird, ist ein Diebstahl.

Aber Raub in der Titelzeile, das klingt natürlich besser und erhöht sicher auch die Chance, dass die Pressemitteilung medial aufgegriffen wird. Nur ist es sehr unfair gegenüber möglichen Beschuldigten. So wenig Verständnis man auch für deren Tat haben kann, als Räuber müssen sich sich trotzdem nicht bezeichnen lassen. Richtig blöd wird das Ganze spätestens dann, wenn Pressemitteilung und eventuelle Berichte in die Ermittlungsakte geheftet werden und so später das Verfahren mit beeinflussen.

„Schlimmer als Freisler“ – das endet natürlich vor Gericht

Schlimmer als Roland Freisler – so was lässt sich natürlich kein Richter gerne sagen. In München ist tatsächlich so ein Vergleich in einem Strafprozess gefallen und löste mehrere Verfahren aus. Nun hatte das Oberlandesgericht das letzte Wort. Es sprach den Angeklagten vom Vorwurf der Beleidigung frei.

In einem Verfahren hatte ein Rechtsanwalt an die Adresse des 2. Strafsenats des OLG München folgendes geschrieben:

Der Unterschied zwischen Ihnen und Roland Freisler liegt in Folgendem: Während Roland Freisler im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte „Rechtsstaat“ und „Legitimität“ aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die Sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können.

Denn in Wahrheit begehen Sie – zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal – genauso schlicht Unrecht, wie es auch Roland Freisler getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein Roland Freisler begangen hat: Bei Roland Freisler kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber – zumindest in dem vorliegenden Justizskandal – zuwider.

Das Verfahren wegen Beleidigung drehte mehrere Runden durch die Instanzen. Drei Mal wurde der Angeklagte verurteilt, am Ende stellte ein anderer Strafsenat des OLG München aber fest: Solche Äußerungen sind nicht nett, aber in einem Prozess noch von der Meinungsfreiheit gedeckt.

In der geradezu mustergültigen Begründung zieht das Oberlandesgericht so gut wie alles heran, was das Bundesverfassungsgericht jemals wegweisend zur Meinungsfreiheit in Deutschland gesagt hat. Das Urteil und die Einzelheiten der Begründung kann man hier nachlesen. Ich möchte lediglich folgenden Hinweis des Gerichts zitieren:

(Richter müssen bedenken), dass ihre Entscheidungen für die Betroffenen häufig einschneidend sind und daher zu Reaktionen führen können, die sich trotz gegenteiliger Formulierung letzten Endes gar nicht gegen ihre Person oder Ehre, sondern vielmehr gegen die getroffene Entscheidung selbst und die Rechtslage als solche richten.

Das sollte auf Seiten beleidigter Gerichtspersonen doch das eine oder andere Mütchen kühlen.

Unter Kollegen

Die Geschichte ist folgende: Ein Autofahrer fährt auf der Autobahn in alkoholisiertem Zustand einen Motorradfahrer tot. Der Unfallverursacher flüchtet zu Fuß und versteckt sich in einem Industriegebiet. Er telefoniert mit zwei anderen Männern. Einer holt ihn mit seinem Auto ab und bringt ihn zunächst bei sich unter. Mit dem anderen Bekannten telefoniert der Unfallfahrer mehrfach. Sein Gesprächspartner verspricht ihm Unterstützung, unter anderem die Abholung nahe des Unfallortes. Die Polizei wurde nicht eingeschaltet.

Die Staatsanwaltschaft wertete das Verhalten der beiden Männer als Beihilfe zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort und als versuchte Strafvereitelung. Das Amtsgericht Freiburg sah das ganz anders. Es sprach die beiden Männer kurzerhand frei. Begründung: Die Unfallflucht sei im Wald bereits beendet gewesen, so dass eine Beihilfe nicht möglich sei. Und für eine Strafvereitelung habe den Angeklagten der Vorsatz gefehlt; sie hätten den Unfallfahrer „ausschließlich psychisch stabilisieren“ wollen.

Sicherlich ein bemerkenswertes Urteil. Aber ich hatte ja oben gesagt, die Polizei wurde nicht eingeschaltet. Das ist nicht ganz richtig. Tatsächlich sind alle drei Männer Polizeibeamte und Arbeitskollegen. Nur hielt sich in dieser Nacht ihr dienstlicher Eifer an der Aufklärung von Straftaten offenkundig in deutlichen Grenzen.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat das Urteil nun korrigiert. Ihrem Kollegen am Amtsgericht attestieren die Richter nicht nur eine oberflächliche Beweisaufnahme, sondern auch eine falsche Anwendung des Gesetzes. Eine Unfallflucht sei erst beendet, wenn das Sich-Entfernen von der Unfallstelle erfolgreich gewesen ist. So lange sich der Unfallfahrer im nahen Wald versteckte, hatte sich der Flüchtende aber noch nicht endgültig in Sicherheit gebracht.

Für eine Strafvereitelung, so die Richter, bedürfe es zwar eines Tatvorsatzes. Allerdings reiche es hierfür schon aus, dass der Täter die Folgen seiner Unterstützungshandlung als sicher voraussetzt. Die Polizeibeamten hätten aber sehr gut gewusst, dass es die Aufklärung der Trunkenheit als Unfallursache vereitelt, wenn sie den Kollegen so lange Unterschlupf gewähren, bis der Blutalkoholgehalt zur Tatzeit nicht mehr bestimmt werden kann.

Ein anderer Richter am Amtsgericht Freiburg muss jetzt über den Fall neu entscheiden (Aktenzeichen 2 Rv 10 Ss 581/16).

Foto-Beweis

Ich berichte ja meist von den unerfreulichen Dingen, die Mandanten widerfahren, wenn die Polizei ihre Wohnung durchsucht.

Es geht auch anders.

Zum Beispiel in einem aktuellen Fall. Es war noch recht früh, als Beamte bei meinem Mandanten an der Türe klopften. So früh, dass die Ehefrau meines Mandanten noch im Schlafzimmer ruhte. Das wiederum führte bei den Beamten zu erhöhter Rücksichtnahme.

Die Polizisten erlaubten meinem Mandanten, dass er mit dem Handy leise ins Schlafzimmer geht und einen Schnappschuss vom Raum macht. Wenn auf dem Bild kein Computer zu sehen sei, erklärten sie, könne auf die Durchsuchung des Schlafzimmers verzichtet werden.

Das Foto bewies offensichtlich: keine Desktop-Computer im Schlafzimmer. Die Polizisten haben den Raum dann auch tatsächlich nicht betreten. Die Ehefrau kriegte von der Durchsuchung nichts mit. Ich bin echt auf die Akteneinsicht gespannt, weil ich wissen will, wie sich dieses Vorgehen im Einsatzbericht niedergeschlagen hat. Ich gehe allerdings davon aus, es bleibt schlicht unerwähnt.

Wer sein Autoradio leiser drehen will, muss künftig anhalten

Nach einigen anderen netten Neuregelungen (Staatstrojaner, Regulierung sozialer Netzwerke, Aussagepflicht für Zeugen bei der Polizei, Ausweitung der DNA-Analyse, um nur einige zu nennen) hat die Große Koalition auf der Zielgeraden noch einen echten Knüller im Gepäck. Das Handyverbot am Steuer soll drastisch ausgeweitet werden.

In der Pipeline ist folgende Neufassung des § 23 StVO, die noch vor den Wahlen Gesetz werden soll:

(1a) Wer ein Fahrzeug führt, darf ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn hierfür das Gerät nicht aufgenommen und nicht gehalten wird und entweder

a) nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder

b) zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitiger Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist, die einen Zeitraum von einer Sekunde nicht überschreitet.

Geräte in Sinne des Satzes 1 sind auch Geräte der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. …

Danach ist künftig jedes elektronische Gerät am Steuer tabu, wenn es in die Hand genommen wird. Das mag man ja noch nachvollziehen können, wenn man partout keinen Unterschied zwischen Handy und Diktiergerät oder Handy und Elektrorasierer sieht. Allerdings kommt eine ganz neue Dimension dazu, die zum Beispiel auch das Autoradio oder das (eingebaute) Navi umfasst. Auch diese Geräte dürfen künftig nicht mehr bedient oder sonstwie benutzt werden, wenn man dabei – kurz gesagt – länger als eine Sekunde auf das Gerät schaut.

Das bedeutet etwa konkret, dass es künftig verboten ist, am Autoradio die Lautstärke zu regulieren oder den Sender zu wechseln. Auch das eingebaute Navi darf nicht mehr eingestellt werden oder gar durch einen Blick auf das Navi-Display „genutzt“ werden. Das alles unter der bemerkenswerten Prämisse, dass die sogenannte „Blickzuwendung“ länger als eine Sekunde dauert.

Über einen solchen Regulierungswahn kann ich nur staunen. Hier wird der Willkür Tür und Tor geöffnet. Wie soll ein Polizeibeamter denn ernsthaft feststellen können, wie lange ein Autofahrer an einem Knöpfchen gedreht oder auf das Navi seine Autos geschaut hat? Das Ganze kann man eigentlich nur ertragen, wenn man Rechtsanwalt ist. Auch die Neuregelung ist halt ein Arbeitsbeschaffungsprogramm nicht nur für die Polizei, sondern auch für meine Branche. Und am Ende wird wieder tränenreich bedauert, dass die Gerichte nichts Wichtiges mehr erledigt bekommen.

Zu dem Thema auch die Blogs von Detlef Burhoff (mit Link zu den Gesetzesvorhaben) und Rechtsanwalt Bischoff.

Nachtrag: Die Bundesregierung hat den Antrag ohne Angaben von Gründen zurückgezogen.