An sich klingt das Gesetz streng: Ohne den Angeklagten darf grundsätzlich nicht verhandelt werden (§ 230 StPO). Wobei die Betonung, wie so häufig in der Juristerei, auf grundsätzlich liegt.
Deshalb hier ein Überblick über die die wichtigsten Ausnahmen:
Die erste Ausnahme betrifft das Strafbefehlsverfahren. Ein Strafbefehl ist eine Art schriftliches Urteil. Hiergegen kann der Betroffene Einspruch einlegen, dann muss die Sache an sich ganz normal vor Gericht verhandelt werden. Dennoch ist in diesem Fall der Angeklagte berechtigt, nicht an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Er muss nur einen Verteidiger mit schriftlicher Vollmacht schicken (§ 420 StPO).
Schon diese Konstellation ist nicht so wahnsinnig bekannt. Wir erinnern uns zum Beispiel an den Fall Gina-Lisa Lohfink. Diese setzte sich gegen einen Strafbefehl zur Wehr – und nahm nach Möglichkeit brav an jedem der zahlreichen Hauptverhandlungstermine teil. Das wirkte deshalb etwas bizarr, weil die Betroffene selbst öfter mal erklärte, wie sehr die Verhandlungstermine und der Medienrummel sie belasten. Das Gericht hatte ihr persönliches Erscheinen gar nicht angeordnet, weshalb Gina-Lisa Lohfink hätte zu Hause bleiben dürfen.
Das persönliche Erscheinen des Angeklagten kann das Gericht allerdings ohne weitere Begründung auch im Strafbefehlsverfahren anordnen (§ 236 StPO). Ist das passiert und kommt der Angeklagte trotzdem nicht, kann dann doch wieder seine Vorführung oder gar Verhaftung angeordnet werden.
Deshalb ist es für uns Verteidiger immer sehr wichtig, den Mandanten zu fragen, was er für eine Ladung erhalten hat. Oft wird bei einem Einspruch gegen den Strafbefehl das persönliche Erscheinen nur in der Ladung für den Angeklagten angeordnet und dies in der Ladung für den Verteidiger nicht erwähnt. Dann ist es natürlich blöd, wenn der Anwalt seinem Mandanten gesagt hat, er muss nicht kommen.
Viele Richter ordnen das persönliche Erscheinen heute auch standardmäßig an, wenn gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt wurde. Dann hat es sich mit dem Wegbleiben erledigt.
Die zweite wichtige Ausnahme gibt es, wenn über eine Berufung verhandelt wird. Hat nur der Angeklagte Berufung eingelegt, kann er sich ebenfalls durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vollmacht vertreten lassen (§ 329 StPO). Früher war das anders. Bis zum Jahr 2015 konnte das Berufungsgericht die Berufung des Angeklagten einfach so verwerfen, wenn der Angeklagte unentschuldigt fehlte. Diese Praxis hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet. Die Argumentation des Gerichts: Wegen des Verschlechterungsverbots (§ 331 StPO) kann der Angeklagte seine Situation mit der Berufung nur verbessern. Seine bloße Abwesenheit ist kein sachlicher Grund, ihm diese Möglichkeit zu nehmen.
Allerdings muss das Gericht über eine Berufung des Angeklagten nicht in dessen Abwesenheit entscheiden. Hält das Gericht die Anwesenheit des Angeklagten für nötig, muss es sich vertagen und den Angeklagten zum nächsten Termin förmlich laden. Kommt der Angeklagte dann nicht, kann seine Berufung ohne Sachprüfung verworfen werden. Diese Regelung ist in sich etwas widersprüchlich, denn auch im zweiten Anlauf kann sich der Angeklagte durch seine Abwesenheit ja nur selbst schaden. Deshalb wird wohl derzeit auch erneut gegen die Neufassung des Gesetzes geklagt.
Auch wenn die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat, muss man als Angeklagter nicht unbedingt erscheinen. Auch in diesem Fall reicht es, wenn ein Verteidiger mit schriftlicher Vollmacht kommt. Stellt sich allerdings raus, dass die Anwesenheit des Angeklagte erforderlich ist, kann das Gericht seine Vorführung oder Verhaftung anordnen. In diesem Fall besteht nicht die Pflicht wie bei einer Berufung des Angeklagten, diesen zu einer Fortsetzung schriftlich zu laden.
Bei Berufungen der Staatsanwaltschaft muss man also sehr vorsichtig sein, wenn nicht auf der Straße einkassiert werden oder sich gar hinter Gittern wiederfinden will. Im Zweifel heißt das: besser hingehen.