Haftbefehle lesen sich immer wichtig, und sie haben natürlich einschneidende Wirkungen. Wenn ich allerdings, was ja meine Aufgabe als Verteidiger ist, das Ganze mal hinterfrage, stellt sich oft heraus: Hier ist oft weniger bewundernswerte richterliche Inspiration am Werk, sondern der schöpferische Akt erstreckt sich auf einige tiefe Griffe in die Kiste mit den Textbausteinen.
Jüngstes Beispiel ist ein Haftbefehl, in dem der Richter weit ausholt, um meinem Mandanten den Haftgrund der Wiederholungsgefahr ans Bein zu binden. Sogar die berüchtigte, weil sachlich kaum angreifbare kriminalistische Erfahrung wird bemüht.
Nun ist es aber so, dass der Gesetzgeber den extrem vagen Haftgrund der Wiederholungsgefahr auf die notwendigsten Fälle beschränken wollte. Aus guten Gründen, ich sage nur Nazizeit. Deshalb sieht das Gesetz ausdrücklich vor, dass andere Haftgründe Vorrang haben, die der Gesetzgeber wohl als etwas handfester einstufte. Ob zu Recht oder Unrecht, das lasse ich mal offen.
Vorrangige Haftgründe sind zum Beispiel Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr. Wenn Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr besteht und eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls nicht in Frage kommt, kann neben der Fluchtgefahr keine Wiederholungsgefahr bejaht werden. Steht so ausdrücklich im Gesetz (§ 112a Absatz 2 StPO).
Umso erstaunter war ich, als ich in der gesonderten Anordnung der Haftauflagen (§ 119 StPO) dann folgendes lesen durfte: Beim Beschuldigten bestehe Fluchtgefahr, denn es sei eine sehr hohe Straferwartung gegeben. Außerdem liege Verdunkelungsgefahr vor, weil eine Beeinflussung von Zeugen durch Zwang oder Druck zu erwarten sei.
Zwei Formulare, zwei konträre Wertungen. Das alles liest sich jedenfalls nicht so, als hätte sich der Richter beim Zusammenklicken der Texte besonders viele Gedanken gemacht. Vielleicht hilft das ja dem Beschuldigten. Denn das Beschwerdegericht kann die Haftgründe nicht so ohne weiteres nach eigenen Vorstellungen neu auswürfeln, wenn es seinen Job ernst nimmt. Das Ganze könnte also noch interessant werden…