Im Mordfall Peggy K. gibt es nun zwar einen Verdächtigen, gegen den wegen Mordes ermittelt wird. Trotzdem bleibt der Mann in Freiheit, weil die Staatsanwaltschaft keinen dringenden Tatverdacht sieht.
Der dringende Tatverdacht ist aber Voraussetzung für einen Haftbefehl. Angesichts der Umstände spricht also vieles dafür, dass die Ermittler dem Mann derzeit eher glauben (müssen), dass er Peggy nicht getötet, sondern dass er lediglich die Leiche des Kindes vergraben hat. Strafbar wäre auch dies gewesen. Nur sind 17 Jahre nach Peggys Verschwinden so gut wie alle in Fragen kommenden Delikte (zum Beispiel Störung der Totenruhe) verjährt. Verfolgt werden könnten im hier interessierenden juristischen Spektrum noch Totschlag und einige Sexualdelikte, zum Beispiel die Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 StGB), die alle frühestens 20 Jahre nach einer Tat verjähren. Außerdem natürlich Mord, bei dem die Verjährung ja abgeschafft wurde. Gleiches gilt für eine mögliche Beihilfe, aber von einer gemeinschaftlichen Tat scheinen die Ermittler ja eher nicht auszugehen.
Laut den Behörde benennt der jetzt ermittelte Verdächtige sogar die Person, von der er Peggys Körper übernommen haben will. Preisgegeben wird der Name dieser Person nicht. Es ist auch keine Rede davon, dass der Betreffende ernsthaft im Fokus von Ermittlungen stünde. Entweder bindet der jetzt Ermittelte den Behörden einen Bären auf. Oder, das scheint mir viel naheliegender, diese Person ist Ulvi K, der schon einmal wegen des Mordes an Peggy verurteilt wurde.
Nachdem Ulvi K. aber sein – sicherlich mehr als fragwürdiges – Geständnis widerrufen hatte, wurde er in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen. Rechtskräftig. Was aber ist, wenn sich jetzt herausstellt, dass Ulvi K. doch der Täter ist?
Trifft das zu, wird er trotzdem nicht mehr bestraft werden können. Das liegt am Grundsatz, wonach niemand zwei Mal wegen derselben Straftat vor Gericht gestellt werden kann. Steht so im Grundgesetz, Art. 103 GG. Von diesem Grundsatz gibt es nur eng begrenzte Ausnahmen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten überhaupt zulässig machen.
Am besten erschließt sich die Problematik (oder der rechtsstaatliche Segen), wenn man zunächst einen Blick auf die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten wirft. Hier lässt § 359 StPO eine Wiederaufnahme zu, „wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die … die Freisprechung des Angeklagten … zu begründen geeignet sind“.
Genau dieser Wiederaufnahmegrund fehlt aber in § 362 StPO, welcher die Wiederaufnahme zuungunsten des meist freigesprochenen Angeklagten regelt. Kurz gesagt: Neue Beweismittel – etwa ein bisher nicht bekannter Zeuge oder auch ein Mittäter, der erst spät sein Schweigen bricht – können nicht zu einer Neuauflage des Prozesses führen. Sollte das aus rechtsstaatlicher Sicht seinerzeit sicherlich falsche Urteil gegen Ulvi K. dummerweise „richtig“ und die spätere Korrektur vom Ergebnis her gesehen „falsch“ gewesen sein, gäbe es jetzt keinerlei Möglichkeit mehr, Ulvi K. als Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Nur Ulvi K. selbst könnte daran noch etwas ändert – wenn er die Tat gesteht und das auch noch glaubwürdig (§ 362 Nr. 4 StPO). Ob ein Gericht in dieser Konstellation allerdings einem erneuten Geständnis K.s überhaupt glauben und eine Verurteilung hierauf stützen könnte, wäre dann die große Frage.