Falsche Belehrung, vielen Dank

Man kann schon auf merkwürdige Art und Weise, vor allem aber völlig überraschend von der eigenen Vergangenheit eingeholt werden. So ging es einem Mandanten, der vor rund 45 Jahren mit knapp sieben Jahren in eine Pflegefamilie kam und dort rund vier Jahre untergebracht war.

Der damalige Pflegevater, heute hochbetagt, geriet vor Kurzem in den Verdacht von Sexualstraftaten. Was die Kriminalpolizei veranlasste, sehr eingehend in dessen Vergangenheit zu forschen. Wobei dann auch der Name meines Mandanten bekannt wurde. Logischerweise wollten die Ermittler von meinem Mandanten wissen, ob der Pflegevater sich seinerzeit etwas zuschulden kommen ließ.

Juristisch interessant war die Frage, ob und inwieweit mein Mandant überhaupt aussagen muss. Zu meiner Überraschung belehrten die Beamten meinen Mandanten zu Beginn der Vernehmung, er habe als Pflegekind ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO. Er sei insoweit gleichgestellt mit leiblichen Kindern. Was bedeute, dass der Mandant rein gar nichts sagen müsse. Außerdem hätte er auch jederzeit die Möglichkeit, auf weitere Fragen nicht mehr zu antworten, selbst wenn er die Vernehmung freiwillig begonnen hat.

Das war eine schöne Sache, denn diese Kenntnis gab meinem Mandanten die nötige Sicherheit. Auf der einen Seite wollte er natürlich schon etwas sagen, nämlich, dass er keine negativen Erinnerungen an seine Zeit in der Pflegefamilie hat. Auf der anderen Seite wollte sich der Mandant aber auch nicht „unter Druck“ setzen lassen, etwa, wenn er alte Familienbilder hätte ansehen und kommentieren müssen.

Die durchaus einfühlende Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht kam uns also entgegen. Was allerdings nichts daran ändert, dass sie falsch war. Pflegekinder haben kein Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber ihren Pflegeeltern, selbst wenn sie ganz offiziell vom Jugendamt untergebracht sind und teilweise viele Jahre in der Familie leben. Eine Gleichstellung ist zwar immer mal wieder gefordert worden, das Gesetz wurde aber bis heute nicht ergänzt.

Für mich war es eine der seltenen Situationen, in der ich einer inhaltlich falschen Zeugenbelehrung nicht entgegentreten musste. Vielmehr habe ich schön den Mund gehalten…