Kurzer Prozess

Ich kritisiere berufsbedingt gerne die Zustände im deutschen Justizsystem, aber wenn man ab und zu mal über den Tellerrand hinausblickt, kann man sich auch mal glücklich schätzen, dass man in Deutschland lebt – und, wenn es sich schon nicht vermeiden lässt, hier vor Gericht steht.

Und nicht zum Beispiel in Russland. Es geht um den Oppositionellen Alexei Nawalny. Dieser wurde nach seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er wegen des Gifgasanschlags auf ihn behandelt wurde, noch am Flughafen verhaftet.

So etwas könnte zwar auch in Deutschland passieren, wenn gegen die einreisende Person ein Haftbefehl vorliegt oder sie zur Fahndung ausgeschrieben ist. Was dann aber passierte, übersteigt dann allerdings unser Verständnis vom Rechtstaat.

Noch auf der Polizeistation wurde Nawalny ein Eilprozess gemacht. Hintergrund ist, dass er durch seinen Aufenthalt in Deutschland gegen Meldepflichten im Rahmen von Bewährungsauflagen verstoßen haben soll. Immerhin haben seine Anwälte wohl noch eine Mitteilung erhalten, dass der Prozess stattfindet. Vorbereiten konnte sich in der kurzen Zeit aber natürlich niemand. Nawalny wurde dann wegen des Verstoßes zu 30 Tagen Haft verurteilt.

Ausnahmegerichte sind nach Art. 101 Abs. 1 S. 1 GG in Deutschland verboten. Unabhängig davon verstößt so ein Schnellprozess aber gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Außerdem hätte hierzulande zumindest ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund in Betracht gezogen werden müssen, da Nawalny sich ja aus guten Gründen in Deutschland aufhielt. Allerdings wissen wir nicht, ob das russische Gericht sich nicht auch mit diesen Fragen beschäftigt hat.

Russland ist der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten. Nawalny hat deshalb die Möglichkeit, seinen Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen – wenn der Rechtsweg in seinem Heimatland ausgeschöpft ist.

Bericht in der Legal Tribune Online

RA Dr. André Bohn