Lasst uns nur zappeln

Wir erleben momentan die größte kollektive, massive Grundrechtsbeschränkung in der Geschichte der Bundesrepublik: eine komplette Ausgangssperre von Mitternacht bis 5 Uhr morgens in allen Kreisen, deren 7-Tages-Inzidenz bei über 100 liegt. Was so gut wie überall der Fall ist.

Seit ziemlich genau einer Woche dürfen wir nachts nicht raus, die Bild-Zeitung nennt das ein Einsperr-Gesetz. Ich würde dem nicht widersprechen. Mir geht es aber nicht um eine Diskussion über Sinn und Unsinn der Maßnahme. Sondern um den Umstand, dass schon vor Inkrafttreten der Vorschrift Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht waren. Eine Woche nach Inkrafttreten des Gesetzes sollen es mittlerweile rund 300 Verfassungsbeschwerden sein.

Ich persönlich gehöre zu der sicher riesigen Zahl von Juristen und Nichtjuristen, die auch schon schon mal angefangen hatten, eine Beschwerde zu formulieren. Und es dann ließen. Immerhin sind unter den 300 Beschwerdeführern viele gute Leute. Eher unwahrscheinlich, dass man die argumentativ übertrumpfen kann.

Egal ob man für oder gegen die Ausgangssperre ist – juristisch brennt die Luft. Denn wie auch immer sich Karlsruhe positioniert, wird die Entscheidung exemplarischer als vieles andere zeigen, wie weit der Staat in unserem Land mittlerweile an grundlegende Rechte gehen kann. Oder anders gesagt: was die Grundrechte überhaupt noch Wert sind.

Und was hört man vom Gericht?

Bislang nichts.

In den Medien wird ein Sprecher zitiert, der reichlich nichtssagend verkündet, eine (Eil-)Entscheidung sei nicht absehbar. Auf der Internetseite des Gerichts kein Wort dazu, ob da was kommt und wann.

Ich finde das befremdlich. Zwar ist im Bundesverfassungsgerichtsgesetz nirgends geregelt, wie lange sich der Erste Senat mit einer Entscheidung Zeit lassen kann. Es gibt noch nicht mal einen Anspruch darauf, dass ein Antrag auf Einstweilige Anordnung überhaupt beschieden wird. Formal steht es dem Gericht also absolut frei, alle jene, die nägelkauend nach Karlsruhe blicken, einfach mal zu ignorieren.

Sonderlich schlau finde ich das Verhalten allerdings nicht. Auch das Verfassungsgericht ist, trotz seiner herausgehobenen Stellung, ein Dienstleister aller Bürger. Nach immerhin einer Woche Ausgangssperre, welche die Freiheit jedes einzelnen massiv beschneidet, würde sich niemand beim Gericht etwas damit vertun, wenigstens mal ein Signal zu senden. Ob da was kommt. Und vielleicht sogar wann.

Alles andere erinnert mich leider fatal an das, was wir in letzter Zeit oft genug erlebt haben. Nämlich eine Kommunikation mit dem Bürger, die sich am Grundsatz „Ihr da oben, wir da unten“ orientiert. Das Verfassungsgericht passt sich hier momentan sehr gut an, indem es die spürbare Nervosität und Zermürbtheit der Bürger ignoriert und uns – völlig ohne Not – zappeln und zweifeln lässt.

Sehr schade.