Eine Zahl durch zwei teilen – eine Herkulesaufgabe für die Strafjustiz

Kannst du eine Zahl durch zwei teilen? Herzlichen Glückwunsch, denn Staatsanwälte und Rechtspfleger können es anscheinend nicht. Wobei nicht ich das unterstelle. Sondern vielmehr ihr Arbeitgeber, die Justiz. Konkret geht es um die Reform der Ersatzfreiheitsstrafe. Ersatzfreiheitsstrafen bezeichnen den Zeitraum, für den man ins Gefängnis muss, wenn man eine Geldstrafe nicht bezahlen kann. Der Maßstab soll halbiert werden. Künftig bedeutet nicht mehr ein Tagessatz nicht bezahlter Geldstrafe einen Tag Haft. Sondern nur einen halben Tag. Oder anders ausgedrückt: Zwei nicht bezahlte Tagessätze führen künftig zu einem Tag Haft. Eine nicht bezahlte Geldstrafe wird also um 50 % preiswerter – wenn man sie auf einer Gefängnispritsche absitzt.

Von diesem Rabatt sollten vor allem Schwarzfahrer und andere „Kleinkriminelle“ profitieren. Außerdem die chronisch überfüllten Gefängnisse. Der Starttermin für den 1. Oktober stand schon verbindlich fest. Nun wurde das Gesetz auf die Schnelle geändert. Nicht inhaltlich. Vielmehr ist der Starttermin erst vier Monate später, am 1. Februar 2024.

Der Grund ist wirklich hörenswert. Justizintern will man nämlich festgestellt haben, dass die Computersysteme das Teilen durch zwei nicht beherrschen. Und man das der Software bis zum 1. Oktober nicht beibringen kann. Wobei das Gesetz bereits am 22. Juni beschlossen wurde. Es waren also volle drei Monate Zeit. Aber drei Monate reichen nach offizieller Darstellung eben nicht, um die doch eher simple Rechenoperation in die IT zu implentieren der Bundesländer zu implementieren.

Wörtlich heißt es im Vorschlag zur Gesetzesänderung, die nur in dem zeitlichen Aufschub bestehen soll: „Die erforderlichen Anpassungen müssen zunächst im Länderverbund fachlich abgestimmt und im Anschluss durch den externen Dienstleister programmiert werden. … Nach der Umsetzung durch den Dienstleister müssten diese getestet werden, bevor diese auch in der Praxis im Echtbetrieb zur Verfügung stehen.“ Außerdem, so heißt es, müsse das „zugehörige Vollstreckungsschreibwerk“ angepasst werden. Damit sind wahrscheinlich die nach wie vor beliebten Formulare auf Papier gemeint.

Auch wenn es so klingt, darf eine Entscheidung im Rahmen der Strafvollstreckung nicht von einem Computer getroffen werden. Das muss ein Mensch machen, der zuständige Staatsanwalt oder Rechtspfleger. Traut man denen die Halbierung einer simplen Zahl mit höchsten drei Stellen nicht zu? Jedes computergestützte Formular in der Justiz hat mindestens ein Freitextfeld. Könnte man das Endergebnis der Rechenoperation dort nicht einfügen?

Was zu Recht nach einer Bürokratieposse klingt, ist für Betroffene weniger lustig. Im langjährigen Mittel verbüßen jeden Tag etwas über 4.000 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe in deutschen Knästen. Für die Betroffenen, die nun in den Monaten Oktober bis Februar zum Haftantritt geladen werden, bedeutet dies die doppelte Haftzeit. Als zu Recht empörter Betroffener könnte man das Ganze als eine Art staatlich organisierter Freiheitsberaubung empfinden. Aus Sicht des naturgemäß zurückhaltenden Fachjuristen gehört die zeitliche Verschiebung eines Gesetzes zu den Kompetenzen des Gesetzgebers. Da wird man wohl nichts machen können, außer einem Antrag auf Strafaufschub bis zum 1. Februar nächsten Jahres. Für dessen Zurückweisung gibt es aber garantiert tadellos funktionierende Textbausteine.

Bericht in der Legal Tribune Online