Anstand und Recht: Muss ich meinen Bruder anzeigen?

Sollte man seinen Bruder anzeigen, wenn der einer Straftat verdächtig ist? Oder muss man es sogar? Ihr kennt die Frage. Sie wird aus aktuellem Anlass gerade heiß diskutiert, vor allem auf X. Hier eine Antwort.

Moral, Anstand, Werte: Darüber werde ich nichts schreiben. Nicht mein Fachgebiet. Ich sage euch aber gerne, was die Gesetze dazu sagen.

Ist es verboten, seinen Bruder anzuzeigen?

Verboten ist es nicht, so lange man den Bruder nicht falsch verdächtigst. Das wäre eine Straftat, dies aber auch gegenüber jeder anderen Person.

Muss ich gegen meinen Bruder aussagen?

Nein. Das Gesetz regelt ausdrücklich, dass du in Bezug auf deinen Bruder nichts sagen musst. Du hast ein komplettes Aussageverweigerungsrecht. Dieses musst du auch nicht begründen. Niemand kann dich zwingen, eine belastende Aussage gegen deinen Bruder zu machen.

Muss ich meinen Bruder entlasten, wenn ich weiß, dass er es nicht war?

Auch hierzu bist du nicht verpflichtet. Das umfassende Zeugnisverweigerungsrecht bei Angehörigen gilt auch in diesem Fall. Grund ist der besondere innere Konflikt, wenn man in Verfahren gegen Angehörige hineingezogen wird. Bei Angehörigen gilt immer die Regel: Nichts sagen ist dein gutes Recht.

Ich habe gegen meinen Bruder bei der Polizei ausgesagt. Muss ich nun auch vor Gericht gegen ihn aussagen?

Nein, du kannst zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Aussage verweigern. Auch das musst du nicht begründen. Wenn du bislang nicht von einem Richter vernommen worden bist, kann es sogar sein, dass deine erste Aussage gegen deinen Bruder nicht gegen ihn verwendet werden kann.

Gibt es Fälle, in denen ich meinen Bruder anzeigen muss?

Wenn dein Bruder die Tat bereits begangen hat, musst du ihn nicht anzeigen. Es gibt keine Anzeigepflicht. Man kann, aber man muss nicht. Das gilt übrigens für jedermann, unabhängig ob verwandt oder nicht.

Mein Bruder plant eine Straftat, und ich weiß davon

Hier wird es kompliziert. Es gibt einen Katalog von Straftaten, deren Planung jeder grundsätzlich anzeigen muss. Es handelt sich ausschließlich um schwere Straftaten, beispielsweise Mord, Raub, Freiheitsberaubung. Voraussetzung ist aber, dass man von der Planung glaubhaft erfahren hat. Also nicht nur Gerüchte. Oder Mutmaßungen. Außerdem macht man sich nur strafbar, wenn sich die geplante Straftat in diesem Augenblick noch verhindern ließe.

Wenn sich die Anzeige wegen der geplanten Tat gegen deinen Bruder richten müsste, gibt es von diesem Grundsatz wieder Ausnahmen. Deine Anzeigepflicht entfällt, wenn du dich redlich darum bemühst, deinen Bruder von der Tat abzuhalten. Oder wenn du dich darum bemühst, dass seine Tat erfolglos bleibt. Beispiel: Du holst das Opfer kurz vor der geplanten Tat ab und versteckst es. Auch hier gibt es wieder eine Ausnahme: Deine Anzeigepflicht gegenüber deinem Bruder entfällt nicht durch deine Bemühungen, wenn es sich um Mord, Totschlag, Völkermord, Geiselnahme und ähnlich schwere Delikte handelt.

Für den Alltagsgebrauch kann man mitnehmen: Wenn man von einer Planung erfährt, kann man tätig werden. Man muss es aber nicht. Nur bei besonders schweren Straftaten gibt es Anzeigepflichten.

Darf ich die Tat meines Bruders auf mich nehmen, ohne andere mit zu belasten?

Ja.

Ich soll meinem Bruder helfen, die Spuren seiner Tat zu verwischen

Strafvereitelung ist grundsätzlich strafbar. Aber auch hier nimmt das Gesetz wieder Rücksicht auf Angehörige. Wer einem engen Verwandten hilft, einer Bestrafung zu entgehen, darf nicht belangt werden. Beispiele: Du beseitigst Tatspuren; du überlässt deinem Bruder dein Auto zur Flucht; du versteckst ihn.

Fazit

Blut ist dicker als Wasser. Diese nicht ganz neue Erkenntnis nimmt der Gesetzgeber ernst, auch heute noch.

* Bruder, das gilt entsprechend für folgende nahestehende Personen: Ehegatten (auch geschieden), Eltern, Geschwister, Großeltern, Urgroßeltern, eigene Kinder, Enkel und Urenkel, Schwager.