Manchmal ist das Eis sehr dünn, auf dem die Gewaltenteilung in Deutschland (aka: Rechtsstaat) wandelt. Was als Routineermittlung wegen Graffitis begann, entwickelt sich zu einem Lehrstück über die Grenzen richterlicher Befugnisse – mit einem bemerkenswerten Interessenkonflikt als Beigeschmack.
Im Januar 2025 wurden an einer Schützenhalle in Menden-Hüingsen Schmierereien entdeckt – darunter „Merz aufs Maul“. Verdächtigt wurde die 17-jährige Juso-Ortsvorsitzende Nela K. Am 1. April durchsuchten Polizeibeamte auf Anordnung des Amtsgerichts Arnsberg ihre Wohnung und beschlagnahmten Laptop, Handy und Notizbücher. Das vorgesetzte Landgericht Arnsberg erklärte die Durchsuchung nun für rechtswidrig.
Das eigentliche Problem liegt in einem verfahrensrechtlichen Detail. Nach Recherchen des WDR-Magazins Westpol fehlt in den Akten ein formeller Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlasse des Durchsuchungsbeschlusses. Die Polizei Hagen hatte die Durchsuchung lediglich angeregt, der zuständige Ermittlungsrichter soll gegenüber dem Landgericht eingeräumt haben, keinen Kontakt in dieser Sache zur Staatsanwaltschaft gehabt zu haben. Das Landgericht bewertet dieses Vorgehen als „rechtsstaatlich bedenklich“. Zu Recht, denn die Strafprozessordnung kennt klare Regeln: Der Ermittlungsrichter soll als neutraler Dritter zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem stehen, nicht selbst die Ermittlungsrichtung bestimmen. Durchsuchungen ohne ordnungsgemäßen staatsanwaltschaftlichen Antrag höhlen das System der Checks and Balances aus.
Weitere Brisanz erhält der Fall durch einen Umstand, der wie aus einem schlechten Krimi wirkt: Der Beschluss kam vom Amtsgericht Arnsberg, das von Friedrich Merz‘ Ehefrau Charlotte geleitet wird. Unterzeichnet hatte den Beschluss ein Richter auf Probe. Charlotte Merz erklärte, sie habe von dem Verfahren keine Kenntnis gehabt. Rechtlich mag das ausreichen, doch die Optik bleibt problematisch. Richter auf Probe befinden sich in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis – ihre Übernahme ins feste Beamtenverhältnis hängt maßgeblich von der Bewertung durch Vorgesetzte ab.
Überdies war die Beweislage ohnehin dünn: Eine Zeugin hatte die angeblichen Täter zwar gesehen, aber niemanden erkannt. Später gab es noch einen anonymen Zettel, der dazu aufforderte, bei dem späteren Opfer der Durchsuchung nachzuschauen. Man solle diese Person „ins Visier“ nehmen. Eine erste Stellungnahme der Staatsanwaltschaft klingt ebenfalls dubios. Die Behörde weist darauf hin, in Eilfällen könne auch die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss beantragen. Das ist zwar denkbar, klingt aber wenig überzeugend, denn im konkreten Fall soll zwischen der Tat und dem Beschluss rund ein Monat gelegen haben.