Wer nichts zu verbergen hat…

Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten. Diese vermeintliche Wahrheit greift zu kurz – wenn es um unsere (Grund-)Rechte geht. Überwachung und Kontrolle wirken nämlich nicht nur, wenn jemand tatsächlich als “Verdächtiger” ermittelt wird.

Schon die realistische Befürchtung, wegen etwas auffallen zu können, beschneidet die Rechte des einzelnen spürbar. Wer befürchten muss, wegen eines Verhaltens in ein behördliches Raster zu geraten, wird dieses Verhalten künftig tunlich unterlassen – obwohl genau dieses Verhalten gegen gar kein Gesetz verstößt.

Das ist der sogenannte “Chilling Effect”, den wir spätestens seit der Vorratsdatenspeicherung kennen (und den auch das Bundesverfassungsgericht ernst nimmt). Wenn ich zum Beispiel – und sei es auch noch so entfernt – damit rechnen kann, dass ein Gespräch mit einem Bekannten Komplikationen auslösen kann, weil dieser “Youssuf” heißt, dann rufe ich ihn halt im Zweifel nicht mehr an. Auch wenn Youssuf der liebste Mensch der Welt ist. Aber was weiß ich von seinem in England lebenden Cousin?

Einschüchterung durch Kontrolle – dieser kalte Hauch weht auch durch einen Beschluss, welchen das Oberverwaltungsgericht Lüneburg erlassen hat. Darin erklären es die Richter für zulässig, dass die Polizei die Personalien von Menschen aufnimmt, die rein gar nichts verbrochen haben. Außer, dass sie erlaubterweise Polizisten im Einsatz fotografiert haben, etwa bei Demonstrationen.

Ausgangspunkt war eine Initiative, die sich dagegen wehrt, dass die Polizei in vielen Städten ständig Demonstrationen filmt – obwohl dies häufig rechtswidrig geschieht. Die Betroffenen filmten daraufhin schlicht zurück, was bei der Polizei erwartungsgemäß schlecht ankam. Die Beamten nahmen deshalb die Personalien der Fotografin und eines Begleiters auf.

Nun ist es juristisch mittlerweile klar, dass Polizisten sich im Einsatz filmen lassen müssen. Es gibt keine speziellen Fotografierverbote gegenüber Beamten. Ganz im Gegenteil. Polizisten im Dienst treten als Mitarbeiter des Staates auf, sie repräsentieren die öffentliche Gewalt, und ihr Handeln unterliegt einer entsprechend strengeren Kontrolle – auch durch die Kameras von Menschen, die sich nicht auf die Pressefreiheit berufen können.

Gleichwohl ist es im Regelfall nicht erlaubt, Porträts von Polizisten im Einsatz zu veröffentlichen, diese etwa ins Internet zu stellen. Das untersagen entsprechende Regelungen des Kunsturheberrechtsgesetzes. Im Grundsatz ist das nachvollziehbar – auch Beamte geben ihre Persönlichkeitsrechte nicht an der Spindtüre ab.

Die Richter am OVG Lüneburg halten die Feststellung der Personalien von Menschen, die Polizisten fotografieren, für zulässig. Es bestehe nämlich die Möglichkeit, dass Nahaufnahmen von Beamten veröffentlicht werden. Schon diese “Gefahr” reiche aus, damit die Beamten sich den Ausweis zeigen lassen und die Daten notieren dürfen.

Darin liegt das Gericht aber falsch. Rechtsanwalt Thomas Stadler hat bereits begründet, warum es durchaus Situationen geben kann, in denen die Veröffentlichung solcher Bilder zulässig ist.

Davon unabhängig finde ich es bemerkenswert, wie wenig das Oberverwaltungsgericht Lüneburg auf die Rechte des einzelnen gibt. Für die Richter ist es lediglich eine “vorgeschaltete” und damit völlig harmlose Maßnahme, wenn ein Bürger gegen seinen Willen seine Identität festhalten ( = speichern) lassen muss, obwohl er gar nichts Verbotenes getan hat.

Es wäre schon sinnvoll, wenn sich das Gericht auch mal über den eingangs erwähnten Chilling Effect Gedanken machen würde. So harmlos kommt es nämlich beim Bürger nicht an, wenn er sich erfassen lassen muss für ein Verhalten, an dem grundsätzlich erst mal nichts auszusetzen ist. Der eine oder andere wird herzlich gern darauf verzichten, künftig eben dieses Recht in Anspruch zu nehmen, auf Demonstrationen zurück zu filmen, wenn er allein deswegen in einer Datenbank landen kann.

Aber womöglich ist es ja genau das, was die Richter letztlich wollen. Daraus wiederum kann man als Bürger dann auch seine Schlüsse ziehen – derzeit (hoffentlich) noch ohne Erfassung (Beschluss vom 19. Juni 2013, Aktenzeichen 11 LA 1/13).

Aus welchen Gründen auch immer

Wenn die Polizei bei einer Straftat gar nicht oder nur schlampig ermittelt, darf dies nicht zu Lasten des Opfers gehen. Mit dieser Begründung verpflichtet das Sozialgericht Düsseldorf das Land NRW, dem mutmaßlichen Opfer eines tätlichen Angriffs eine Rente zu zahlen.

Der Mann hatte angegeben, er sei morgens in einem Kölner Bordell mit einem Baseballschläger attackiert worden, vermutlich von einem Türsteher. Tatsächlich musste er auf die Intensivstation, dort wurden schwere Schädelverletzungen festgestellt, unter anderem ein Basisbruch. Ein Zeuge bestätigte den Vorfall und beschrieb auch den möglichen Täter.

Die Polizei blieb aber merkwürdig untätig. Zwar besuchte ein Kriminalkommissar das Opfer im Krankenhaus, dann tat sich aber erst mal gar nichts. Grund dafür soll eine Anweisung des zuständigen Kriminalkommissariats gewesen sein, den Fall “nicht sofort zu bearbeiten”.

Ungefähr drei Tage später rief dann immerhin mal ein Polizist in dem Bordell an. Dort bestätigte man ihm, einen “Vorfall” habe es nicht gegeben. Tagelang tat sich nichts, und auch danach blockte die Polizei jede Ermittlung ab – obwohl ein Staatsanwalt mehr Aktivität verlangt hatte.

Die Beamten bemühten sich nicht, mögliche Videoaufnahmen des Vorfalls zu bekommen. Sie suchten auch nicht nach dem Taxifahrer, der das Opfer ins Krankenhaus gebracht haben soll. Ebenso wenig kamen sie auf den Gedanken oder setzten ihn jedenfalls nicht um, die Türsteher des Etablissements zu befragen oder nach anderen Zeugen zu forschen.

Für das Sozialgericht ist das Verhalten der Polizei schlicht nicht nachvollziehbar. Es habe konkrete Hinweise auf eine schwere Gewalttat, möglicherweise sogar auf eine versuchte Tötung gegeben. Dennoch sei der Vorfall als nicht dringend eingestuft worden – obwohl die Polizei zu der fraglichen Zeit noch nicht mal durch andere Einsätze gebunden gewesen sei. Bei so einem Verdacht müsse die Polizei sofort an den Tatort fahren und ermitteln.

Tatsächlich hat die Polizei sogar in der Folgezeit schlicht nicht weiter ermittelt. So kritisiert das Sozialgericht, selbst die Handlungsaufforderungen durch die Staatsanwaltschaft seien ignoriert worden; konkret ist nach Auffassung des Sozialgerichts rein gar nichts passiert.

Für den Betroffenen hat das alles nicht nur die unangenehme Folge, dass der mögliche Täter bis heute unbekannt ist. Die Rentenbehörde verweigerte ihm auch eine Opferentschädigung in Form einer Rente. Und zwar mit der lapidaren Begründung, er habe den Angriff ja nicht nachweisen können.

Das geht nach Auffassung des Sozialgerichts jedoch nicht. Wenn die Polizei – aus welchen Gründen auch immer – so krass versage, verbleibe die Beweislast für eine Straftat nicht beim Opfer. Vielmehr müsse bei so schlampigen Ermittlungen dem Betroffenen geglaubt werden. Er habe wegen seiner Verletzung ja auch selbst kaum eine Möglichkeit gehabt, eventuelle Beweise zu sichern (Urteil vom 13. Juni 2013, Aktenzeichen S 35 VG 21/10).

Die nicht erläuterte Kündigungsfrist

An die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Der Kündigende muss nicht unbedingt den exakten Zeitpunkt angeben, an dem das Arbeitsverhältnis nach seiner Auffassung endet.

Mit dieser Begründung wies das Bundesarbeitsgericht nun die Klage einer Frau ab, die lange Jahre in einem Unternehmen beschäftigt war. Der Insolvenzverwalter hatte ihr gekündigt, und zwar “zum nächstmöglichen Zeitpunkt“. Danach erläuterte der Insolvenzverwalter etwas umständlich, die an sich geltende Kündigungsfrist verkürze sich wegen der gesetzlichen Sonderregeln in Pleitefällen auf höchstens drei Monate, wobei er offenließ, ob es auch weniger als drei Monate sein könnten.  Einen konkreten Endtermin nannte er überhaupt nicht. 

Die Mitarbeiterin wollte die Kündigung so nicht akzeptieren, da die Erklärung zu unbestimmt sei. Während die Vorinstanzen der Frau noch recht gaben, wollte das Bundesarbeitsgericht die Anforderungen an eine Kündigung nicht überspannen. Es genüge, so die Richter, dass der Arbeitnehmer den Endzeitpunkt seines Arbeitsverhältnisses “unschwer” ermitteln kann – auch wenn er dafür in Gesetze oder Tarifverträge schauen muss.

Auf der sicheren Seite ist man als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer auf jeden Fall, wenn man in die Kündigung den berechneten Endtermin reinschreibt oder ganz klar angibt, welche Kündigungsfrist maßgeblich ist (Urteil vom Urteil vom 20. Juni 2013, Aktenzeichen 6 AZR 805/11).

Autobahn-Schüsse: Polizei fasst Verdächtigen

Die Polizei hat nach eigener Einschätzung eine rätselhafte Serie von Schüssen auf deutschen Autobahnen aufgeklärt. Ein Lkw-Fahrer soll seit Juli 2008 in mehr als 700 Fällen Autotransporte und andere Fahrzeuge beschossen haben.

Nach einer groß angelegten Fahndung wurde gestern ein 57-jähriger Mann an seinem Wohnort in Nordrhein-Westfalen festgenommen. Der Berufskraftfahrer soll für eine Spedition gearbeitet haben und beim Zugriff der Polizei gerade zu einer Tour aufgebrochen sein.

Die Schüsse des Verdächtigen haben nicht nur Sachschäden verursacht. So wurde, vermutlich durch einen Querschläger, eine Pkw-Fahrerin getroffen und schwer verletzt. Zuletzt rüstete der Verdächtige auf Kaliber 9 mm auf. Das erhöhte laut den Fahndern die Verletzungsgefahr ganz enorm.

Ein öffentlicher Fahndungsauruf und die Gründung einer länderübergreifenden Einsatzgruppe könnten nun Erfolg gehabt haben. Soweit bislang bekannt, setzten die Beamten verdeckte Kennzeichenlesegeräte ein und überprüften Handydaten auf den möglichen Tatstrecken.

Hierbei dürften riesige Datenmengen angefallen sein, denn oft war nach Angaben der Polizei gar nicht mehr feststellbar, wo die Schüsse abgegeben wurden. Die Schäden wurden meist erst bemerkt, wenn die Autotransporter ihr Ziel erreichten. Ob Mautdaten verwendet wurden, ist eine weitere Frage. An sich ist das nämlich strikt verboten.

Das Amtsgericht Würzburg hat gegen den Verdächtigen Haftbefehl erlassen. Laut BKA sind bei ihm Waffen sichergestellt worden. Medien berichten außerdem, der 57-Jährige lege gerade ein Geständnis ab.

Früherer Bericht im law blog

Persönlicher Termin

Die Polizei war da. Mein Mandant aber nicht zu Hause. Bei der Ehefrau hinterließ der Beamte die Bitte, mein Mandant möge sich melden. Das tat er auch. Per Mail. Er wolle sich nicht äußern, schrieb mein Mandant.

Er fügte hinzu, er möchte auf jeden Fall erst mal wissen, um was es eigentlich geht. Je nach Auskunft werde er dann entscheiden, ob er vielleicht doch was sagen will. Ins Blaue hinein wolle er jedenfalls keine Angaben machen.

Ins Detail gehen wollte aber wiederum der Polizist nicht. Er schrieb, der Fall sei eher kompliziert, aber der Mandant müsse sich nicht sorgen: “Sie kommen nur als Zeuge in Betracht.” Als Zeuge habe mein Mandant aber “gewissen Mitwirkungspflichten”. Diese Pflichten, so heißt es in der Mail, wolle er meinem Mandanten in einem persönlichen Termin erläutern.

Die Erläuterung wäre notgedrungen kurz ausgefallen, wenn die Polizei sich an die Spielregeln hält. Es gibt in Strafverfahren nämlich keine Mitwirkungspflichten von Zeugen gegenüber der Polizei – jedenfalls soweit es um Aussagen geht. Da ein Zeuge ohnehin nichts sagen muss, braucht er auch nicht auf einer Polizeiwache zu erscheinen. Und ebenso darf er einem Polizeibeamten, der zu ihm kommt, höflich die Tür vor der Nase schließen – auch wenn es in Krimis regelmäßig anders dargestellt wird. Von daher müsste die altbekannte Vorladung übrigens auch eher “Einladung” heißen.

Für mich klingt das alles so, als sei man vielleicht doch nicht ganz sicher, ob mein Mandant was mit dem Vorfall zu tun hat. Die Hoffnung liegt wahrscheinlich darin, dass er sich selbst um Kopf und Kragen redet. Oder dass er im Eifer des Gefechts doch ausplaudert, wer der Bösewicht sein könnte. Sofern der Mandant es weiß. Was ich nicht weiß.

Na ja, ich habe mich jetzt für den Betroffenen mal bei der Polizei gemeldet. Soll der Beamte mir im Zweifel erklären, was es mit den ominösen “Mitwirkungspflichten” auf sich hat. Wenn er mich überzeugt, dass da was dran ist, werde ich natürlich Abbitte leisten und brav mit meinem Mandanten auf der Wache erscheinen.

Verstoßen

Unser tägliches Juristendeutsch gib uns heute. Diesmal die Notiz eines Staatsanwalts:

Die Akte war zeitweise in Verstoß geraten und konnte nunmehr wieder aufgefunden werden.

500 Euro von PayPal – schön wär’s

Für reichlich Freude bei deutschen PayPal-Kunden sorgte in den letzten Stunden eine E-Mail. PayPal teilte darin mit, der Kunde habe 500 Euro gewonnen. Auch wenn die Mail wohl echt ist, werden die Empfänger vergebens auf ihr Geld warten. Denn laut PayPal handelte es sich um einen technischen Fehler.

Dabei ist die Mail echt – so viel steht schon fest, denn PayPal hat den Versand mittlerweile eingeräumt.  PayPal veranstaltet derzeit auch wirklich ein Gewinnspiel. Wer innerhalb des Aktionszeitraum via PayPal zahlt, nimmt automatisch an der Verlosung der Geldgewinne teil. Dennoch ist es laut PayPal für die Gewinnauszahlung noch viel zu früh. Denn laut der Firma hat die Auslosung noch gar nicht stattgefunden. Die (Massen-)Mail mit der frohen Botschaft sei versehentlich verschickt worden.

Auch wenn PayPals Mitteilung nachvollziehbar klingt und die Zahlungsverweigerung verständlich ist, ganz so einfach wird ein Rückzieher es für das Unternehmen möglicherweise nicht sein. Es gibt nämlich einen Paragrafen, der Gewinnzusagen für verbindlich erklärt und dem Empfänger einen klagbaren Anspruch auf das Geld gibt. Dabei kommt es an sich nur darauf an, ob der Adressat die Mitteilung ernst nehmen durfte. Und das ist bei der Mail durchaus der Fall.

Allerdings muss eine Firma nicht an die Gewinnzusage gebunden sein, wenn sie diese nachweislich gar nicht versenden wollte, etwa weil ein Mitarbeiter den falschen Verteiler angeklickt hat. Solche Fälle gibt es ja auch häufig, wenn Versandhäuser falsche Preise auszeichnen, Produktbilder oder –beschreibungen vertauschen. Das sind dann juristisch gesehen Irrtümer. Sie berechtigen das Unternehmen im Regelfall zumindest zur Anfechtung. Ist diese erfolgreich, löst sich vermeintliche Anspruch in Luft auf.

Ob und wie Paypal die Anfechtung erklärt, wird sich zeigen. Eine öffentliche Entschuldigung reicht jedenfalls nicht aus, vielmehr muss PayPal jeden betroffenen Kunden direkt anschreiben. Und zwar, so fordert es das Gesetz, “unverzüglich”. Was im vorliegenden Fall eine Frist von einer, maximal zwei Wochen bedeutet.

Wer es unbedingt möchte, kann natürlich auf jeden Fall den Gewinn einfordern und notfalls sogar klagen. Eine Rechtsschutzversicherung ist da allerdings hilfreich. Der Rechtsschutz muss nach diversen Gerichtsurteilen auch Kostenschutz für Klagen wegen Gewinnzusagen erteilen.

Verschwundene Golfschuhe

Wenn ein Päckchen auf dem Postweg verloren geht, muss der Versender nicht unbedingt auf dem Schaden sitzenbleiben. Das Amtsgericht München bezweifelt etwa, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Post wirksam in Verträge einbezogen sind.

Nach ihrem Kleingedruckten haftet die Post nur für verlorene Päckchen, wenn sie per Einschreiben, Einschreiben Einwurf, Eigenhändig, Rückschein oder Nachnahme gesandt worden sind. Auf diese Regelungen berief sich die Post, als eine Kundin den Verlust eines Pakets mit gebrauchten Golfschuhen reklamierte, die sie für 41,56 Euro verkauft hatte. Das Päckchen mit den Golfschuhen traf aber nie beim Empfänger ein.

Die Kundin wandte ein, die Post habe sie nicht über die Bedingungen informiert. Das überzeugte das Amtsgericht München. Es genüge nicht, dass in der Postfiliale ein Aushang angebracht sei, bei dem unter „Produkte und Preise auf einen Blick“ im Kleingedruckten unter anderem vermerkt sei: „Näheres regeln unsere AGB sowie eine Übersicht, die Sie in den Postfilialen einsehen können“.

Diese Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, klein gedruckt und in einem Aushang über Produkte und Preise versteckt, sei überraschend. Das hat juristisch zur Folge, dass die Klauseln nicht wirksam in den Vertrag einbezogen wurden. Ob die Übersicht mit den Bedingungen tatsächlich in der Filiale vorrätig war, spiele keine Rolle (Urteil vom 23. April 2013, Aktenzeichen 262 C 22888/12).

Splitting auch für eingetragene Lebenspartner

Die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften und “normalen” Ehen beim Ehegattensplitting ist verfassungswidrig. Die entsprechenden Vorschriften des Einkommensteuergesetzes verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es fehlt an hinreichend gewichtigen Sachgründen für die Ungleichbehandlung. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem heute veröffentlichten Beschluss entschieden.

Die Rechtslage muss rückwirkend ab der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes zum 1. August 2001 geändert werden. Übergangsweise sind die bestehenden Regelungen zum Ehegattensplitting auch auf eingetragene Lebenspartnerschaften anzuwenden. Das bedeutet für eine Vielzahl eingetragener Lebenspartner erhebliche Steuernachzahlungen.

Das Gericht weist darauf hin, der Schutz der traditionellen von Ehe und Familie rechtfertige es nicht, eingetragene Lebenspartner schlechter zu behandeln. Der Gesetzgeber habe von vornherein eine weitgehende Angleichung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gewollt. Wenn diese Gleichbehandlung durchgesetzt werde, schränke das den Schutz der traditionellen Ehe nicht ein, sondern verbessere lediglich die Stellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartner. Nach Auffassung der Richter gibt es keinen Grundsatz, wonach die traditionelle Ehe stets „besser“ zu behandeln ist.

Auch im Steuerrecht stünden gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern damit alle Vorteile zu. Ausdrücklich weisen die Richter darauf hin, auch kinderlose Ehepartner hätten seit jeher Anspruch auf das Splitting. Somit könne auch nicht argumentiert werden, das Splitting solle Anreize zum Kinderkriegen schaffen.

Zwei von acht Verfassungsrichtern widersprachen der Mehrheitsentscheidung (Aktenzeichen 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07).

Unverlangt zugesandt

Wer einen versehentlich und unaufgefordert zugesandten Online-Gutschein einlöst, macht sich nicht strafbar. Das hat das Landgericht Gießen entschieden. Nach Auffassung der Richter gib es keinen Straftatbestand, der die Einlösung eines solchen Gutscheins verbietet.

Die Geschichte ist alltäglich. Eine Kundin kaufte bei einem Online-Versender einen Gutschein über 30 Euro. Den Gutschein ließ sie von der Firma direkt an die Beschenkte schicken. Allerdings gab sie die E-Mail-Adresse falsch ein, so dass der Gutschein an einen Unbekannten ging. Dieser löste den Gutschein ein und ließ sich für einen Einkauf 30 Euro gutschreiben. Die Kundin erstattete deswegen Strafanzeige.

Das Versandhaus weigerte sich, der Polizei die Daten des Gutscheinempfängers herauszugeben. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung des Unternehmens. Sie wollte die Daten des Bestellers sicherstellen lassen.

Das Amts- und Landgericht Gießen lehnten die Durchsuchung jedoch ab. Eine Untreue liege nicht vor, der Empfänger habe nämlich keine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Versandhaus oder der Käuferin des Gutscheins. Ein Betrug sein nicht gegeben, weil kein Mensch getäuscht worden sei. Auch einen Computerbetrug verneinen die Richter, denn die Eingabe der Daten sei nicht “unbefugt” erfolgt.

Die Bewertung des Gerichts gilt aber nur für den Fall, dass wirklich ein Versehen vorliegt. Wer sich auf andere Weise “aktiv” Gutscheine besorgt, kann sich gegebenenfalls strafbar machen (Beschluss vom 29. Mai 2013, Aktenzeichen 7 Qs 88/13).

Wechselkennzeichen

Das JURION Strafrecht Blog berichtet über eine mögliche Praxis der Polizei, von der ich bislang nichts gehört habe. Danach schraubt die rheinland-pfälzische Polizei an ihre Autos für die Tempo- und Abstandsmessungen unterschiedliche Kennzeichen aus anderen Bundesländern. Obwohl der Wagen dauerhaft in Mainz zugelassen ist und das Behördenkennzeichen MZ- 34997 lautet, sollen die Beamten “falsche” Kennzeichen nutzen, wahrscheinlich um potenzielle Verkehrssünder in Sicherheit zu wiegen.

Eine Anwältin will das in zwei Fällen selbst mitgekriegt haben. Ihre Mandanten wurden jeweils von einem schwarzen 5-er BMW verfolgt. Das Fahrzeug soll ein niedersächsisches Kennzeichen gehabt haben (SHG für Stadthagen). Die Juristin beantragte Akteneinsicht und war erstaunt, dass das Auto tatsächlich ein Mainzer Behördenkennzeichen hat und nicht in Stadthagen zugelassen ist. Jedenfalls ergibt es sich so das aus dem Eichschein für die Messanlage ProViDa 2000, die in den Wagen eingebaut ist. Diesen Eichschein hat die Ordnungsbehörde in dem konkreten Verfahren geschickt, wozu sie ja auch verpflichtet ist.

Den Mandanten der Anwältin sollen die Messbeamten gesagt haben, sie hätten mehrere Kennzeichen, mit denen sie herumfahren. Die Richtigkeit der Schilderung unterstellt, frage ich mich wie der Kollege Detlef Burhoff, ob man als Verteidiger in einer Bußgeldsache daraus Gewinn schlagen kann. Allerdings fällt auch mir kein vielversprechender Ansatz ein, um die mögliche Nutzung eines “falschen” Kennzeichens bußgeldrechtlich zu thematisieren. Die Messung ist eine ganz normale Beweisermittlung, für die es keine festen Regeln gibt. Eine Täuschung im Sinne der Strafprozessordnung liegt jedenfalls nicht vor, da ja nicht direkt unlauter auf den Betroffenen eingewirkt wird.

Fragwürdiger ist, wie so eine Praxis eventuell mit der Zulassungs- und Kennzeichenpflicht für Kraftfahrzeuge zu vereinbaren ist. Auch versicherungsrechtlich muss so was natürlich gelöst werden Mit einem “falschen” Kennzeichen könnte ein Unfallgegner der Polizei ja möglicherweise kaum was anfangen. Es stellen sich also schon einige Fragen, die man mal der Polizei stellen könnte. Aber das wird die Anwältin sicher auch machen. In ihren beiden Fällen stehen bald die Verhandlungen an.

Krawattenpflicht

In letzter Zeit bin ich mutiert – zum Krawattenmuffel. Der Langbinder erscheint mir nicht nur unbequem, sondern schlichtweg überflüssig. Damit bin ich selbst in typischen “Business”-Kreisen nicht alleine, wie der Blick in eine beliebige Lufthansa-Maschine oder ein Erste-Klasse-Abteil der Bundesbahn belegt.

Die Krawatte ist nach meinem Empfinden schlicht ein Auslaufmodell. Deshalb nehme ich mir mitunter auch die Freiheit, selbst bei Gericht ohne Krawatte zu erscheinen. In all den Monaten seit meiner weitgehenden Abkehr von diesem Textilstück blieb das bislang ohne erkennbare Reaktion eines Gerichts. Ich habe an den unterschiedlichsten Orten der Republik verhandelt. Das geschah meist in angenehmer Atmosphäre, aber es ging durchaus auch heiß her. Dass ich  meinen Beitrag zum Verfahren jeweils krawattenlos lieferte, blieb unbeanstandet. Sogar in Bayern.

Heute habe ich mir aber doch eine Nachfrage eingehandelt, ob ich denn meine Krawatte vergessen hätte. Verbunden mit dem Hinweis, eine Krawatte sei “Brauch” beim betreffenden Gericht. Ein Anwalt könne, so ging es weiter, notfalls sogar von der Verhandlung ausgeschlossen werden, wenn er sich ohne Krawatte am Verfahren beteiligen möchte. 

Richtig, es gibt hin und wieder tatsächlich Streit um Anwälte ohne Krawatte. Das führt stets zu putzigen Gerichtsbeschlüssen, die dann in der NJW und auf allen Jurablogs genüsslich durchgekaut werden. Die Entscheidungen reichen von knallhart bis liberal. Aber immer, und darauf lege ich echt keinen Wert, wird der Streit auf dem Rücken der Mandanten ausgetragen. Mir liegt nichts ferner, als mich in so einer banalen Frage nach vorne zu spielen. Wenn das Gericht Wert auf Krawatte legt, habe ich damit auch kein Problem. Ich hab genau für diesen Zweck eine im Koffer, und ich werde sie halt nutzen.

Dass die Krawatte aber auch nur einen Hauch zur Rechtsfindung beiträgt, bezweifle ich allerdings. Wenn das Gericht das anders sieht und Schlimmes befürchtet, kann ich damit leben.