Formelhafte und allgemein gehaltene Wendungen

Vor einiger Zeit habe ich über einen “Minimalbeschluss” berichtet, mit dem das Amtsgericht Bielefeld eine Firmendurchsuchung anordnete. Nachdem ich die Akte eingesehen habe, ergänzte ich die im verlinkten Beitrag wiedergegebene Begründung noch. Jetzt liegt die Entscheidung des Landgerichts Bielefeld vor. Sie lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Auszüge:

Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bielefeld … ist rechtswidrig.

Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ist begründet. Der angefochtene Beschluss genügt nicht den Anforderungen, die an eine hinreichende Konkretisierung zu stellen sind.

Die Durchsuchungsanordnung stellt eine erheblich in die Rechte des Beschuldigten eingreifende Maßnahme dar. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient unter anderem dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten. Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist.

Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten. Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist.

Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Nur dies führt zu einer angemessenen rechtsstaatlichen Begrenzung der Durchsuchung, weil oft eine fast unübersehbare Zahl von Gegenständen als – wenn auch noch so entfernte – Beweismittel für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommen. Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen werden (BVerfG, Beschluss vom 06.03.2002, 2 BvR 1619/00, zitiert nach juris},

Daran gemessen fehlt es in dem angefochtenen Beschluss an einer hinreichenden Konkretisierung der Beweismittel, nach denen gesucht werden sollte. In dem Beschluss wird hierzu ausgeführt, es werde vermutet, „dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln, in Form von sämtlichen Unterlagen, die Aufschluss über die tatsächlichen Umsätze, Gewinne, Kosten und Lohnzahlungen geben können, insbesondere Buchführungskonten, Kassenaufzeichnungen und -belege, Lohnkonten, Arbeitsverträge, Stundenaufzeichnungen, Stempelkarten, Lohnabrechnungen und -quittungen, Darlehns- und sonstige Verträge, Bankbelege, Eingangs- und Ausgangsrechnungen, Quittungen, Kontoauszüge, entsprechenden elektronisch lesbare Datenträger einschließlich der Hard- und Software führen wird".

Diese formelhafte und allgemein gehaltene Wendung der Durchsuchungsanordnung erfasst als in Betracht kommende Beweismittel letztlich sämtliche Betriebsunterlagen. Hinzu kommt, dass sich in dem Tenor des angefochtenen Beschlusses keinerlei zeitliche Eingrenzung hinsichtlich der relevanten Unterlagen findet, obgleich sich der konkrete Tatvorwurf auf falsche Angaben … in einem Zeitraum von Juli bis September 2009 bezieht. …

Aus diesen Gründen war die Darlegung der zu suchenden Beweismittel nicht dazu geeignet, Ziel und Grenzen der Durchsuchung hinreichend zu begrenzen. Vielmehr führte die zu weit gefasste Beschreibung im Ergebnis dazu, dass die Festlegung der für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommenden Beweismittel dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen wurde.

Trotz solcher “Erfolge” hat man als Verteidiger aber oft das Gefühl, gegen Wände zu rennen. So auch hier. Mir liegt schon wieder ein ganz frischer Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vor, der genau die Fehler wiederholt, welche das Landgericht ankreidet.

Ich sage es gerne immer wieder: Manche Richter werden erst dann nicht mehr auf die Worte der höheren Instanzen pfeifen, wenn rechtswidrige Beschlüsse auch praktische Konsequenzen haben. Ein Verbot etwa, die illegal gewonnen Beweise auch zu verwerten.

Landgericht Bielefeld, Beschluss vom 20. Juli 2011, 1 Qs 321/11

Regierung gibt den Bus frei

Es tut sich was im öffentlichen Personenverkehr. Die Bundesregierung hat nun ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Buslinien auch auf Fernstrecken erlaubt. Bislang dürfen Buslinien keine Ziele bedienen, die weiter als 50 Kilometer auseinander sind. Mit dieser Regelung, welche die Bahn vor Wettbewerb schützen sollte, soll Schluss sein.

Nach dem geltenden Personenbeförderungsgesetz sind neue inländische Fernbuslinien nur gestattet, wenn der Verkehr mit den vorhandenen Verkehrsmitteln nicht befriedigend bedient werden kann. Gerade bei den interessantesten Zielen, den Großstädten, konnte die Bahn stets auf ihr “ausreichendes” Angebot verweisen und sperrte so die Konkurrenz von der Straße aus.

Laut Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer bringen Fernbuslinien mehr Flexibilität und sparen den Fahrgästen auch noch Geld. Die Fahrt mit einem Fernbus sei in jedem Fall deutlich preiswerter als mit einem privaten Pkw (und, möchte man hinzufügen, sicher auch billiger als ein Ticket der Bahn).

Der Bus sei ein umweltfreundliches und klimaschonendes Verkehrsmittel. Schon bei durchschnittlicher Auslastung sinke der Kraftstoffverbrauch und der CO2-Ausstoß pro Fahrgast im Vergleich zum Pkw deutlich.

Auch neue Fernbuslinien benötigen künftig eine Genehmigung. Diese wird von der zuständigen Landesbehörde erteilt werden. Ein entsprechendes Konzessionsmodell wird derzeit schon entwickelt.

Die Gesetzesänderung muss von Bundestag und Bundesrat noch bestätigt werden. Die ersten Fernbuslinien sollen schon ab Anfang 2012 möglich sein.

E-Postbrief nicht so verbindlich wie behauptet

Die Deutsche Post AG darf nicht mehr damit werben, der von ihr angebotene E-Postbrief sei "so sicher und verbindlich wie der Brief" und er übertrage "die Vorteile des klassischen Briefes ins Internet". Das hat das Landgericht Bonn nach einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) entschieden.

Die Werbung erweckt nach Auffassung der Richter den Eindruck, dass auch rechtlich relevante Erklärungen verbindlich mit dem E-Postbrief versendet werden können. Dies sei jedoch nicht immer der Fall.

In einigen Fällen ist für eine rechtsverbindliche Erklärung die Schriftform zwingend vorgeschrieben, etwa bei der Kündigung eines Wohnungsmietvertrages. Der Brief muss dabei eigenhändig unterschrieben sein. Fehlt die Unterschrift, gilt die Erklärung als nicht abgegeben.

Das Schriftformerfordernis kann bei elektronischer Kommunikation wie dem E-Postbrief nach aktueller Rechtslage nur durch eine qualifizierte elektronische Signatur ersetzt werden. Diese Möglichkeit besteht beim E-Postbrief jedoch nicht.

Verbraucher können nach Auffassung der Verbraucherzentralen durch die falsche Annahme, elektronische Post sei so verbindlich wie ein Brief, Fristen versäumen und erhebliche Nachteile erleiden. Dem schloss sich das Landgericht Bonn nun an.

Urteil des LG Bonn vom 30.Juni 2011, Aktenzeichen 14 O 17/11

Was von Boetticher rettet

Der schleswig-holsteinische CDU-Vorsitzende und Spitzenkandidat Christian von Boetticher ist zurückgetreten, weil er eine Liebesbeziehung zu einer 16-Jährigen hatte. Strafrechtlich, sagt der 40 Jahre alte Politiker, sei ihm nichts vorzuwerfen. Kann das sein? wird sich mancher fragen. Ja, lautet die Antwort. Nach allem, was bekannt ist, hat sich der Politiker nicht strafbar gemacht. Trotzdem ist die Affäre ein guter Anlass für einen kleinen Überblick darüber, welche Altersgrenzen das Strafgesetzbuch für sexuelle Kontakte mit jungen Menschen aufstellt.

Vorab: Es geht im folgenden nur um einvernehmliche sexuelle Kontakte, bei denen Drohungen, Zwang oder gar Gewalt keine Rolle spielen.

Personen bis 14 Jahre

Sexualkontakte mit Personen bis 14 Jahren sind stets strafbar. Dies gilt auch dann, wenn das Opfer mit dem Kontakt einverstanden war oder ihn vielleicht sogar gesucht hat. Das Gesetz will die Entwicklung sexueller Selbstbestimmungsfähigkeit schützen, indem es Sex bis zum Alter von 14 Jahren stets unter Strafe stellt.

Auch 14-jährige oder ältere Jugendliche, die zum Beispiel etwas mit  Zwölf- oder 13-Jährigen anfangen, machen sich strafbar. Sind die Partner dagegen beide unter 14 Jahren alt, können beide nicht belangt werden – sie sind bis zu ihrem 14. Geburtstag strafunmündig. Das bedeutet, dass sie grundsätzlich strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können.

Personen bis 16 Jahre

Menschen ab 14 Jahren sind Sexualkontakte gestattet.

Allerdings gibt es Ausnahmen. Etwa, wenn der Partner über 21 Jahre alt ist. Wer sich ab diesem Alter mit 14- bis 16-Jährigen einlässt, kann sich strafbar machen. Allerdings ist dies nur der Fall, wenn der Betreffende “die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt”. An diese Ausnutzung stellen Gerichte übrigens keine hohen Anforderungen. Es reicht nach meiner Erfahrung schon aus, wenn der über 21-jährige Beschuldigte mit seinem tollen Auto geprotzt hat oder übertrieben seinen Charme spielen ließ.  

Das Gesetz versucht die bis zu 16-Jährigen auch dadurch zu schützen, indem es die “Schaffung von Gelegenheiten” unter Strafe stellt. Wer also zum Beispiel einem 15-Jährigen seine Wohnung für Sexualkontakte mit Dritten (das kann auch die gleichaltrige Freundin sein) zur Verfügung stellt, macht sich strafbar. Ein anderer Fall wäre die Party, bei welcher der Gastgeber es duldet, dass sich unter 16-Jährige in ein Schlafzimmer im Obergeschoss zurückziehen.

Nur Sorgeberechtigte dürfen “Gelegenheiten” verschaffen. Wenn also Eltern ihrer 15-jährigen Tochter erlauben, dass ihr Freund in der Wohnung übernachtet, ist das nicht strafbar. Ausnahme: Die Eltern verletzen dadurch “gröblich” ihre Erziehungspflicht.

Personen ab 16 Jahre

Mit Jugendlichen ab 16 Jahren sind einvernehmliche Sexualkontakte gestattet, auch wenn der Partner über 21 Jahre alt ist. Das ist genau die Regelung, die nun dem CDU-Politiker Christian von Boetticher zu Gute kommt. Über 16-Jährige hält das Strafgesetzbuch grundsätzlich für in der Lage, ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht ohne Einschränkung wahrzunehmen.

Sexuelle Kontakte gegen Entgelt bzw. in einem besonderen Näheverhältnis

“Einvernehmlich” sind Sexualkontakte allerdings dann nicht mehr, wenn Volljährige für Sex mit 14- bis 18-Jährigen zahlen. Hierbei muss nicht unbedingt Bargeld fließen. Es reicht aus, irgendwelche geldwerten Vorteile für Sex in Aussicht zu stellen – das kann auch eine Kinokarte sein.

Besondere Regelungen gelten auch für Ausbilder, Pfleger und Heimpersonal. Sie dürfen keinesfalls Sexualkontakte mit unter 16-Jährigen aufnehmen, die ihnen beruflich “anvertraut” sind. Bei 16-18-Jährigen sind solche Kontakte untersagt, wenn der Betreffende das bestehende Abhängigkeitsverhältnis ausnutzt.

Ein Zungenkuss ist kein Beischlaf

Ein Zungenkuss ist keine “dem Beschlaf ähnliche Handlung”. Mit dieser Feststellung hat der Bundesgerichtshof ein Urteil des Landgerichts Kassel korrigiert und eine mildere Strafe verhängt. Das Landgericht hatte einen Mann wegen mehrerer Fälle von Kindesmissbrauchs verurteilt. Unter anderem sprach es bei einem Zungenkuss eine Strafschärfung aus, weil es diesen als gleichwertig mit dem Geschlechtsverkehr ansah.

Zwar reicht es nach Auffassung der Karlsruher Richter für eine beischlafsähnliche Handlung aus, wenn der Täter irgendwie in den Körper des Opfers eindringt. Allerdings müsse die Handlung schon ähnlich gravierende Folgen haben wie die “normale” Penetration. Letzteres sei bei einem Zungenkuss, den das Opfer als “eklig” beschrieben hatte, jedoch nicht der Fall. Ein Zungenkuss greife nicht so gravierend in die vom Gesetz geschützte sexuelle Entwicklung eines Kindes ein wie Geschlechtsverkehr oder andere Praktiken, zum Beispiel die Penetration mit dem Finger oder Gegenständen.

Das führt aber nicht dazu, dass der Angeklagte gar nicht bestraft wird. Der Bundesgerichtshof nahm lediglich die Verschärfung raus und verhängte für den Zungenkuss sechs Monate Freiheitsstrafe.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. April 2011, 2 StR 65/11

Heirat mit Chinesin ist kein Kündigungsgrund

Eine Kündigung ist unwirksam, wenn sie wegen der Eheschließung des Arbeitnehmers mit einer Chinesin ausgesprochen wird. Die Kündigung hält nicht das notwendige „ethische Minimum“ ein und ist sittenwidrig, zumindest wenn der Arbeitgeber schon vor der Einstellung von der Beziehung wusste. Das hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschieden.

Der 47-jährige Kläger ist Ingenieur. Er war seit Mai 2006 als Leiharbeitnehmer bei der Firma eingesetzt, die auch die Bundeswehr beliefert. Seit 2007 fuhr er regelmäßig nach China zu seiner dort lebenden heutigen Ehefrau. Vorher kontaktierte er jedes Mal die Sicherheitsbeauftragte der Firma, die zu keinem Zeitpunkt Bedenken äußerte. Ende 2009 bot die Arbeitgeberin dem Mann eine Festanstellung an.

Wegen der für Dezember 2009 in China geplanten Hochzeit sollte das Arbeitsverhältnis am 1. Februar 2010 beginnen. Schon am 5. März stellte die Arbeitgeberin den abgeworbenen Ingenieur unvermittelt frei. Begründung: Er sei durch seine Ehefrau und die familiären Beziehungen zu China ein Sicherheitsrisiko. Kurz danach stellte sie einen anderen Ingenieur ein, um den Kläger zu ersetzen. Dem Betriebsrat gelang es in der Folgezeit nicht, die Freistellung rückgängig zu machen und die Kündigung zu verhindern. Im Juni, rechtzeitig bevor das Kündigungsschutzgesetz nach sechs Monaten Anstellung Anwendung fand, kam die Kündigung. Sie war nunmehr auf “betriebsbedingte Gründe” gestützt.

Das Arbeitsgericht hat in erster Instanz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass keine Gesetzesverstöße vorlägen. Die Arbeitgeberin habe subjektiv an Befürchtungen einer möglichen Industriespionage angeknüpft. Das reiche als Rechtfertigung für diese Kündigung aus.

Das sah das Landesarbeitsgericht anders. Die Kündigung sei treu- und sittenwidrig. Die Arbeitgeberin habe unter Verletzung des Grundrechtes der Eheschließungsfreiheit ihr Kündigungsrecht für eine willkürliche Vorgehensweise missbraucht. Weil sie den Kläger in Kenntnis der familiären Bedingungen gezielt abgeworben habe und sich in Bezug auf seinen Arbeitsplatz und seine Tätigkeit nichts geändert habe, sei die plötzliche Einordnung als Sicherheitsrisiko, für die keine konkreten Fakten genannt wurden, willkürlich.

Der Kläger sei nur durch eine andere Arbeitskraft ausgetauscht worden. Der Kündigungsentschluss habe schon bei der Freistellung bestanden, was der Betriebsrat auch bestätigt habe. Der angeführte betriebsbedingte Kündigungsgrund sei daher nur vorgeschoben. Die Kündigung verstoße gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“. Die Beklagte habe den Kläger willkürlich zu ihrem Spielball gemacht.

Das Arbeitsverhältnis ist schließlich vor dem Landesarbeitsgericht auf Antrag des Klägers gegen Zahlung einer Abfindung von sieben Monatsgehältern aufgelöst worden.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.06.2011, Aktenzeichen 3 Sa 95/11

Licht ausschalten kann strafbar sein

Wer beim Autofahren das Licht ausschaltet, damit die Polizei das hintere Nummernschild nicht ablesen kann, macht sich wegen Kennzeichenmissbrauchs strafbar. Das hat das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden.

Ein Jugendlicher hatte versucht, mit seinem Auto einer Polizeistreife davonzufahren. Dabei schaltete er das Licht aus, um unerkannt zu bleiben. Deshalb wurde er in erster Instanz auch wegen “Kennzeichenmissbrauchs” verurteilt. Auf diese Tat steht immerhin bis zu ein Jahr Gefängnis.

Dabei kann man sich schon fragen, ob so ein Verhalten wirklich unter den Straftatbestand fällt. Dort heißt es:

Wer in rechtswidriger Absicht … das an einem Kraftfahrzeug oder einem Kraftfahrzeuganhänger angebrachte amtliche Kennzeichen verändert, beseitigt, verdeckt oder sonst in seiner Erkennbarkeit beeinträchtigt, wird … mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr … bestraft.

Ist das Ausschalten des Lichts eine Beeinträchtigung der Erkennbarkeit? Andere Gerichte hatten durchaus schon Zweifel, ob man wegen des Bestimmtheitserfordernisses von Gesetzen die Manipulation nicht auf Veränderungen direkt am Nummernschild beschränken muss. Diese Bedenken teilt das Oberlandesgericht Stuttgart nicht und formuliert:

Das Ausschalten der Kennzeichenbeleuchtung bei Dunkelheit entspricht dem Verdecken des Kennzeichens bei Tageslicht.

Maßgeblich ist für die Richter, dass jeder in Deutschland zugelassene Wagen eine Kennzeichenbeleuchtung haben muss. Sie muss so stark sein, dass das Nummernschild auf 20 Metern abgelesen werden kann. Wer nun die gesamte Fahrzeugebeleuchtung ausschalte, um unerkannt zu entkommen, verwirkliche den Tatbestand.

Muss nun jeder eine Vorstrafe fürchten, bloß weil an seinem Auto die Kennzeichenbeleuchtung defekt ist? So weit wollen die Richter am Oberlandesgericht dann doch nicht gehen. Sie verweisen darauf, dass stets eine “rechtswidrige Absicht” erforderlich ist. Wer also nur fahrlässig einen technischen Defekt nicht behebt oder ihn vielleicht gar nicht bemerkt, muss bei einer Kontrolle keine Strafanzeige fürchten, sondern kriegt ganz normal eine Verwarnung oder ein Bußgeld.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 6. Juli 2011, Aktenzeichen 2 Ss 344/11

(via)

Wettbewerbliche Eigenart

Apple hat gestern seinem Konkurrenten Samsung des Vertrieb des Galaxy Tab 10.1 untersagen lassen. Das Landgericht Düsseldorf erließ eine einstweilige Verfügung, die für die EU mit Ausnahme der Niederlande gilt.

Nun ist die Antragsschrift von Apple aufgetaucht. Das Unternehmen beruft sich über viele Seiten hinweg auf seine innovative Geschäftspolitik und den “Kultstatus” seiner Produkte. Samsung wird dagegen als plumper Plagiator dargestellt, dem selbst nichts einfällt.

Unbestritten ist, dass Apple mit dem iPhone Mobiltelefonen ein neues Gesicht gegeben und die App-Mania ausgelöst hat. Den Tabletmarkt hat Apple mit dem iPad ebenfalls zum Leben erweckt. Aber reicht das, um die Konkurrenz von der Vermarktung ähnlicher Produkte auszuschließen – noch dazu über vermeintliche Exklusivrechte an einem Design, das sich ohnehin durch Minimalismus auszeichnet?

Immerhin liegt es ja nicht allzu fern, ein Tablet flach, rechteckig, mit wenigen Knöpfen und einer Glasscheibe oben drauf zu gestalten und es in den Farben Schwarz und Weiß anzubieten. Auch bei Fernsehern hat man beispielsweise nicht erst seit gestern das Problem, dass sich diese meist nur durch den Herstellernamen auf der Frontseite unterscheiden lassen.

Dass Apples Produkte auch heute noch immer wieder an das Design der Altmarke Braun erinnern, tut im aktuellen Streit wohl nichts zur Sache. Es belegt aber, dass Ideen in den seltensten Fällen aus dem Nichts entstehen – nicht mal in Cupertino.

Hotelportal muss Kommentare nicht prüfen

Ein Berliner Hotelbetreiber ist vor dem Kammergericht mit dem Versuch gescheitert, einem Schweizer Hotelbewertungsportal die künftige Veröffentlichung kritischer Nutzerkommentare über eines seiner Hostel gerichtlich untersagen zu lassen.

In einem Kommentar hatte eine Nutzerin geschrieben: „Für 37,50 € pro Nacht u. Kopf im DZ gabs Bettwanzen“. Eine Angestellte des Hostels habe erklärt, dies komme schon mal vor. Die verseuchten Zimmer seien erst auf mehrmalige telefonische Nachfrage geschlossen worden.

Auf Beanstandung des Hotelbesitzers hatte das Portal den Kommentar gesperrt und erklärt, der Kommentar werde nicht mehr online gestellt.

Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, der Betreiberin der Internetseite die künftige Verbreitung dieser und anderer Behauptungen im Wege einer einstweiligen Verfügung zu untersagen. Sie sei ihren Pflichten hinreichend nachgekommen, indem sie die negative Bewertung auf die nachträgliche Beschwerde hin offline gestellt habe.

Dem ist das Kammergericht im Berufungsverfahren gefolgt. Das Bewertungsportal als Teledienstanbieter sei nicht verpflichtet, Kommentare vor Veröffentlichung auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Eine Vorabprüfung sei auch nicht im Hinblick auf eine “besondere” Gefahr geboten, weil die Kommentare anonym abgegeben werden könnten.

Die Vielzahl von Bewertungen erlaube es dem Benutzer des Portals, Einzelstimmen kritisch einzuordnen und „Ausreißer“ zu erkennen. Ferner sei ein Schutz des bewerteten Tourismusunternehmens gewährleistet, weil es sich beschweren und die Kommentare vorläufig abschalten lassen könne. Ins Gewicht falle zusätzlich die in den Nutzungsbedingungen enthaltene Verpflichtung der Nutzer, keine vorsätzlich oder fahrlässig unwahren Inhalte ins Netz einzustellen.

Das Bewertungsportal sei auch nicht gehalten, vor der Veröffentlichung einer negativen Bewertung dem betroffenen Tourismusunternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu zu geben.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 15. Juli 2011, Aktenzeichen  5 U 193/10

Sehr unordentlich und verschmutzt

Ich zitiere aus einem Durchsuchungsbericht:

Die Wohnung war insgesamt sehr unordentlich und verschmutzt. Es lagen überall Sachen auf dem Boden verstreut. Die Wohnung war, insbesondere die Küche, schon längere Zeit keiner Reinigung oder Müllentsorgung mehr unterzogen worden.

Abgesehen dass man dies alles auf den von der Polizei geschossenen Fotos der Durchsuchung sehr gut selbst erkennen kann, frage ich mich, was solche Feststellungen letztlich für einen Sinn haben. Immerhin ging es hier nicht um den Verstoß gegen Hygienevorschriften, sondern um ein Internetdelikt.

Ob der Beschuldigte auf properen oder schmuddeligen 46 Quadratmetern lebt, tut da für die Wahrheitsfindung eigentlich nichts zur Sache. Dennoch sind polizeiliche Anmerkungen zur Sauberkeit in Durchsuchungsberichten eher die Regel denn die Ausnahme. Aber in gewisser Detailfreude seltsamerweise nur, wenn die Wohnung schmutzig ist.

Ein blitzsauberer Haushalt wird allenfalls ganz beiläufig erwähnt. Immerhin ein Signal dafür, was für Polizeibeamte eine erwähnenswerte Abweichung von der Norm ist. Obwohl man deshalb selbstverständlich längst noch nicht weiß, wie es bei ihnen zu Hause aussieht.

Google siegt gegen Sick

Für den Autor Bastian Sick (“Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod”) lief es zunächst gut in seinem Rechtsstreit gegen Google. Sick hatte erfolgreich wegen eines aus seiner Sicht missverständlichen Suchergebnisses bei Google geklagt, von dem er sich verunglimpft fühlte. Nun hat das Kammergericht Berlin sich aber letztlich auf die Seite von Google geschlagen. Es wies Sicks Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung endgültig zurück. In seinem Beschluss präzisiert das Kammergericht die Rechtsgrundlage für Suchmaschinen in Deutschland.

Ausgangspunkt des Streits war ein Suchtreffer, den Google anzeigte. Dieses “Snippet” verwies auf einen Artikel in der Tageszeitung Die Welt. Es las sich so, als habe Sick, der ja auch vor Publikum auftritt, einen wirklich schlechten Abend gehabt. So zeigte Google unter anderem folgenden Ausschnitt aus dem Artikel:

Showbusiness: Eklat – Bastian Sick tritt unter Buhrufen ab…

Der Beitrag in der Welt war aber eine Satire. Das war beim Lesen des Artikels auf Welt online leicht zu erkennen. Aber halt nicht für jemanden, der nur das Snippet auf der Seite von Google las. Dummerweise, zumindest aus Sicht des Autors, tauchte das Snippet aber prominent unter den ersten Suchtreffern auf, wenn man “Bastian Sick” eingab. Sick empfand das als Herabsetzung seiner Persönlichkeit und beantragte eine einstweilige Verfügung gegen Google.

Mit diesem Antrag ist er nun endgültig vor dem Kammergericht Berlin gescheitert. Dabei hat Google auch etwas Glück gehabt, denn während des Verfahrens änderte sich die Zuständigkeit am Kammergericht. Der nun mit der Sache betraute 10. Zivilsenat distanziert sich in seinem nun bekanntgewordenen Beschluss vom 25. Juli 2011 von Vorgängerrichtern des 9. Senats. Diese hatten in einer früheren Entscheidung noch gemeint, Google müsse dafür sorgen, dass die Suchergebnisse den verlinkten Inhalt richtig angeben und keine Missverständnisse auftreten.

Die nun zuständigen Richter wählen dagegen einen anderen Ansatz. Sie betonen ausdrücklich, jede Äußerung müsse auch im Rahmen “der vom Medium und der Technik vorgegebenen Verhältnisse” gesehen werden. Bei Google und anderen Suchmaschinen liege die Besonderheit darin, dass der Inhalt des Webs vollautomatisch erfasst werde.

Demgemäß gehe ein Nutzer nicht davon aus, ein angezeigtes Suchergebnis sei vollständig. Das ersehe er auch schon an den teilweise unvollständigen Sätzen. Damit sei aber auch klar, dass ein Snippet eine Website nicht inhaltlich zusammenfasst, sondern nur einen – zufälligen – Auszug hieraus wiedergibt. Wörtlich:

Eine automatisch generierte auszugsweise Vorschau enthält ein Snippet auch dann, wenn er sich nicht im Rahmen der Kernaussage der verlinkten Zielseite hält. Auch in einem solchen Fall “entfällt” der Nutzen einer Suchmaschine nicht. Denn eine Suchmaschine dient nicht der Zusammenfassung des Inhalts von Internetseiten, sondern deren Auffinden.

Insgesamt kann das Kammergericht also gar keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Autors erkennen. Damit war Google auch nicht verpflichtet, das Snippet manuell herauszunehmen, nachdem Bastian Sick sich darüber beschwert hatte.

Eine Revision ließ das Kammergericht nicht zu. Sick kann allerdings noch das Hauptsacheverfahren betreiben.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 25. Juli 2011, Aktenzeichen 10 U 59/11

Früherer Bericht im law blog

Gäfgen wird sein Geld bekommen

Wer hätte das gedacht? Ausgerechnet die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermöglicht es dem verurteilten Kindesmörder Magnus Gäfgen, in den Schlagzeilen zu bleiben. Gäfgen kann nämlich dank pfiffiger Staatsanwälte demnächst einen neuen Prozess gegen den Staat führen – und wird ihn aller Voraussicht nach sogar gewinnen.

Eine Frankfurter Oberstaatsanwältin erklärte heute, die gestern von Gäfgen vor dem Landgericht Frankfurt erstrittene Entschädigung von 3.000 Euro werde mit seinen Schulden aufgerechnet. Mit 71.000 Euro soll Gäfgen bei der Justizkasse in der Kreide stehen; hierbei handelt es sich um die Kosten des gegen ihn geführten Strafverfahrens.

Grundsätzlich ist es zulässig, dass der Staat eigene Forderungen mit Ansprüchen eines Verurteilten aufrechnet. Aber kein Grundsatz ohne Ausnahme. Für Entschädigungen, die auf einer Verletzung der Grund- und insbesondere der Menschenrechte des Betroffenen beruhen, darf der Staat diese Aufrechnung jedenfalls nicht erklären.

Dies hat der Bundesgerichtshof erst vor wenigen Wochen in aller Deutlichkeit entscheiden. In diesem Fall hatte ein Häftling wegen menschenunwürdiger Unterbringung geklagt. Er erhielt ebenfalls eine Entschädigung zugesprochen. Auch diesen Betrag wollte die Justiz mit den Verfahrenskosten verrechnen. Der Bundesgerichtshof sieht hierin einen Verstoß gegen Treu und Glauben:

Eine   Zulassung der  Pfändung   eines aus einer menschenunwürdigen       Haftunterbringung       herrührenden       Entschädigungsanspruchs zur Befriedigung offener Verfahrenskosten würde die Funktion der Genugtuung, der Sanktion und der   Prävention   ebenso   ins  Leere   laufen   lassen   wie   die   Zulassung   einer   Aufrechnung. Denn mit dem Zugriff auf die Forderung des Strafgefangenen würden deren nachteilige Wirkungen verblassen.

Der Staat würde sich, so die Richter, auf diese Weise eine    Befriedigung     der   wirtschaftlich  wertlosen      Forderung     verschaffen und gleichzeitig den mit der Zuerkennung des Entschädigungsanspruchs verfolgten Zweck umgehen.

Das Landgericht Frankfurt hat die Entschädigung schon in der mündlichen Urteilsbegründung ausdrücklich als “Strafe für das Land Hessen” bezeichnet. Auch hier wird es der Justiz also nicht möglich sein, mittels eines Tricks den mit der Strafe verbundenen Zweck zu vereiteln.

Entweder kennt die Oberstaatsanwältin die Entscheidung nicht. Oder sie ignoriert sie bewusst, um ihre Behörde entgegen der Rechtslage markig als “Retter in der Not” zu präsentieren. Der spätere Reinfall ist jedenfalls programmiert – und Gäfgen wird sich erneut im Licht der Öffentlichkeit sonnen.