Ein selbstverständliches Geschäftsmodell

Detekteien werben offen mit dem Angebot, Zielpersonen und deren Fahrzeuge per GPS zu überwachen (Beispiel 1 2 3). Schon auf dem ersten Blick fällt auf, dass die Polizei für so etwas eine richterliche Genehmigung braucht. Für die private Wirtschaft scheint die verdeckte Observation Dritter aber ein selbstverständliches, genehmigungsfreies Geschäftsmodell zu sein. Damit könnte es nun vorbei sein. Das Landgericht Lüneburg hat nämlich festgestellt, dass die kommerzielle heimliche GPS-Observation strafbar ist.

Eine Detektei hatte für einen Kunden einen GPS-Sender am Auto der ahnungslosen Zielperson angebracht. Bei einem Werkstattbesuch fiel die Wanze auf. Die Polizei beschlagnahmte den Sender, was die Detektei sich nicht gefallen ließ. Mit ihrem Widerspruch provozierte sie nun die Gerichtsentscheidung, welche diese Art der Ermittlungen ins Zwielicht rückt.

Das Landgericht Lüneburg wertet die GPS-Observation als unbefugte Verarbeitung von Daten. Dafür gibt es in harmlosen Fällen ein Bußgeld. Da die Detektive aber “gegen Entgelt” handelten, greift sogar eine Strafvorschrift – bis zu zwei Jahre Gefängnis kann es geben.

Die Richter sehen einen klaren Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nicht nur der Staat, sondern auch ein Detektiv müsse dieses Recht achten, sofern mit der Überwachung in wesentliche Teile der Lebensgestaltung eingegriffen wird.

Die Interessen des Auftraggebers oder Detektivs müssten hinter den Rechten des Betroffenen zurückstehen. Auch die Orte und Zeiten, zu denen ein Autofahrer seinen Pkw bewegt, gehören nach Auffassung des Landgerichts Lüneburg zu den schützenswerten persönlichen Informationen. Jedermann habe das Recht, Herr seiner Daten zu bleiben.

Wenn diese Entscheidung Bestand hat, müssen sich Detektive sehr gut überlegen, ob sie das Risiko einer Strafe auf sich nehmen. Sofern sie dies tun, wird es künftig extrem schwierig sein, die Observationsergebnisse in ein zivilrechtliches Verfahren einzuführen. Da sie durch eine Straftat gewonnen wurden, dürften sie unverwertbar sein.

Überdies, darauf weist der Kollege Jens Ferner hin, könnte ab sofort die Werbung mit verdeckter GPS-Observation wettbewerbswidrig sein.

Landgericht Lüneburg, Beschluss vom 28. März 2011, 26 Qs 45/11

Ein Instrument der Verdachtsgenerierung

Mit der massenhaften Abfrage von Verbindungsdaten bei einer Anti-Nazi-Demonstration hat die Dresdner Polizei die "Funkzellenauswertung” ins Gespräch gebracht. Angeblich um einzelne Straftaten aufzuklären, wurden die Verbindungs- und Bewegungsdaten aller in bestimmten Stadtteilen eingeloggten Handys abgefragt und analysiert. Gegen diese flächendeckende Maßnahme wenden sich jetzt die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder.

Hunderttausende Verbindungsdaten soll die Dresdner Polizei allein am 19. Februar 2011 gesammelt und später ausgewertet haben. Die Informationen flossen dabei nicht nur in die Verfahren ein, die eigentlich Anlass für die Funkzellenauswertung waren. Vielmehr tauchten sie später auch in anderen Ermittlungsakten auf – erst hierdurch wurde die flächendeckende Bespitzelung überhaupt erst bekannt.

Ihre Bedenken fassen die Datenschutzbeauftragten so zusammen:

Die Funkzellenabfrage ist ein verdeckter Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG). Sie richtet sich unterschiedslos gegen alle in einer Funkzelle anwesenden Mobilfunkgerätebesitzer, nicht nur –  wie etwa eine Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO –  gegen bestimmte einzelne Tatverdächtige. Sie offenbart Art und Umstände der Kommunikation von u. U. Zehntausenden von Menschen, die selbst keinen Anlass für einen staatlichen Eingriff gegeben haben. Sie schafft damit des Weiteren die Möglichkeit, diese Personen rechtswidrig wegen Nicht-Anlasstaten, etwa Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, zu verfolgen. Sie ist bezogen auf einzelne Personen ein Instrument der Verdachtsgenerierung.

Trotz des weitgehenden Eingriffs regele die Strafprozessordnung aber nicht genau, wie mit den erhobenen Daten umzugehen sei. Insbesondere sei nicht klar vorgegeben, über welche Zeiträume, zu welchen Personen und in welchen anderen Zusammenhängen die Daten weiter verwendet werden dürfen. Das sei so nicht hinnehmbar:

Das Bundesverfassungsgericht hat stets betont, dass die Erhebung von Verkehrsdaen erhebliche Rückschlüsse auf das Kommunikationsverhalten zulässt. Verkehrsdaen können das soziale Netz des Betroffenen widerspiegeln; allein aus ihnen kanndie Verbindung zu Parteien, Gewerkschaften oder Bürgerinitiativen deutlich werden. 

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordert daher den Gesetzgeber auf, den Anwendungsbereich für eine nichtindividualisierte Funkzellenabfrage einzuschränken, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu
stärkerer Beachtung zu verhelfen und  das Erforderlichkeitsprinzip zu stärken, zum Beispiel durch die Pflicht zur unverzüglichen Reduzierung der erhobenen Daten auf den für das Verfahren wirklich erforderlichen Umfang. Außerdem müssten die Löschungsvorschriften präzisiert werden.

Netzpolitik.org zum gleichen Thema

Anwälte wollen Terrorgesetze stärker prüfen

Auch nach der Verlängerung der Anti-Terror-Gesetzgebung um weitere vier Jahre sieht der Deutsche Anwaltverein (DAV) die Bundesregierung in der Pflicht, für eine grundrechtsschonende Sicherheitsarchitektur zu sorgen. Die Anwaltsvertretung fordert daher ein Expertengremium zur Evaluierung von Polizei- und Sicherheitsgesetzen. Dieses Gremium müsse dem Bundestag verantwortlich sein.

Eingriffsbefugnisse, die sich in der täglichen Praxis als nicht erforderlich, ungeeignet, ineffizient oder unverhältnismäßig erweisen, müssen nach Auffassung des Anwaltsvereins zügig zurückgenommen werden. Instrumente, deren Tauglichkeit zur Verbrechensbekämpfung noch völlig offen ist, müssten besonders kritisch betrachtet werden. Dazu zählt der DAV Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung.

„Die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden wirken weit in grundrechtsrelevante Lebensbereiche der Bürger ein. Es ist deshalb nicht nur geboten, die Grundrechtseingriffe so gering wie möglich zu halten. Sie müssen auch ständig überprüft und gegebenenfalls zurückgenommen werden“, fordert DAV-Präsident Prof. Dr. Wolfgang Ewer.

Wenn sich der Gesetzgeber schon für eine “experimentelle Gesetzgebung” entscheide, müsse es auch eine kurzfristige Möglichkeit der Rücknahme oder Nachbesserung geben, meint Ewer. „Es hat sich beispielsweise gezeigt, dass es zwischen Staaten mit (z. B. Irland) und ohne Vorratsdatenspeicherung keine Unterschiede im Kriminalitätsaufkommen und – wenn überhaupt – nur marginale Unterschiede in der Aufklärungsquote (insbesondere bei schweren Verbrechen) gibt.” Somit sei die Vorratsdatenspeicherung auf Grundlage der geltenden EU-Richtlinie sachlich überholt.

Auch die Wirksamkeit der Online-Durchsuchung ist nach Auffassung des DAV zweifelhaft. Laut Bundesregierung sind im Zuständigkeitsbereich des Generalbundesanwalts bislang in keinem Fall aus einer Online-Durchsuchung gewonnene Informationen als Beweismittel vor Gericht verwendet worden (BT-Drs. 17/6079).

Die Anforderungen an eine ausgewogene und unabhängige Evaluation zu stellen sind, hat der DAV in einem Eckpunktepapier zusammengefasst. Das Eckpunktepapier ist hier veröffentlicht.

Gericht befindet über Mardin und Martin

Wer sich einbürgern lässt, darf einen neuen Vornamen annehmen. Genau das wollte ein Kurde machen, der in Bremen das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte. Statt Mardin wollte er künftig Amir genannt werden, wobei Amir ohnehin schon sein zweiter Vorname war. Der Standesbeamte verweigerte das. Er stellte den Antragsteller vor die Wahl, sich Armin oder Martin zu nennen.

Ein ordentlicher Fehlgriff des Standesamtes, urteilte nun das Oberlandesgericht Bremen. Der Standesbeamte hatte argumentiert, der Antragsteller könne sich zwar einen neuen Namen aussuchen, dafür gebe es aber nur zwei Möglichkeiten. Entweder dürfe er die deutsche Entsprechung des ausländischen Namens auswählen. Oder, falls es diese Entsprechung nicht gebe, müsse er einen in Deutschland “üblichen” Namen wählen.

Das Oberlandesgericht stellt dazu fest, die deutsche Entsprechung von Amir sei mit Sicherheit nicht Armin. Und der kurdische Name Mardin habe auch nichts mit dem hierzulande beliebten Martin zu tun. Deshalb sei der ehemalige Kurde darin frei gewesen, einen anderen Namen anzunehmen.

Im Gesetz stehe aber nirgends, dass in diesem Fall nur ein in Deutschland üblicher Name gewählt werden darf. Aus dem Beschluss:

Auch wenn die Vorschrift … der erleichterten Integration dienen mag, lässt sich ihr eine Beschränkung bei der Auswahl auf „deutsche“ oder „in Deutschland übliche“ Vornamen nicht entnehmen. Im Übrigen lässt sich angesichts der weiten Verbreitung ausländischer Vornamen auch in deutschen Familien eine Abgrenzung von „in Deutschland üblichen“ Vornamen ohnehin nicht sinnvoll durchführen; eine solche Beschränkung gibt es auch sonst bei der Vornamenswahl nicht.

Das Standesamt musste also den Namen Amir eintragen. Negative Folgen sind bislang nicht bekannt.

Link zum Beschluss des Oberlandesgerichts Bremen

Der Überwachungs- und Ausgrenzungsstaat

Natürlich war es zu erwarten, dass sich deutsche Politiker die Ereignisse in Norwegen zu Nutze machen. Eine schnelle Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung fordert etwa Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Er meint, die Vorratsdatenspeicherung könne solche Gewalttaten verhindern. Darüber seien sich alle Experten einig, mit Ausnahme der Bundesjustizministerin.

Uhl spricht davon, Ermittler müssten “die Kommunikation bei der Planung von Anschlägen verfolgen können”. Diesen Zweck erfüllt die Vorratsdatenspeicherung allerdings nur sehr eingeschränkt, da sie überhaupt keinen Rückschluss auf den Inhalt der Kommunikation zulässt. Bei der VDS wird festgehalten, welches Telefon wann mit einem anderen verbunden und welcher Internetanschluss wann online war. Dabei handelt es sich um Verbindungsdaten, die erst mal gar nichts über den Inhalt der Kommunikation aussagen.

Es fällt nach dem Kenntnisstand von heute schwer sich vorzustellen, wie die norwegischen Ermittlungsbehörden dem Verdächtigen ausgerechnet mit Daten aus der Vorratsdatenspeicherung, die es in Norwegen seit kurzem sogar gibt, auf die Spur hätten kommen können. So lange jemand unverdächtig ist, wandern die Daten zunächst mal nur auf eine riesige Halde. 

Bei einem Tatverdacht, zum Beispiel der Vorbereitung eines Attentats, haben die Ermittlungsbehörden bei uns schon heute Möglichkeiten, die weit über die Vorratsdatenspeicherung hinausgehen. Telefone können abgehört, Internetverbindungen belauscht und E-Mails aus Postfächern kopiert werden. So was funktioniert in der Praxis schon längst. Der Lauschangriff auf die kürzlich in Düsseldorf festgenommenen angeblichen Al-Kaida-Mitglieder war zum Beispiel nach offizieller Darstellung ziemlich lückenlos.

Konsequenterweise müsste Uhl also die Präventivüberwachung an sich Unverdächtiger fordern. Und zwar in der Form, dass die Polizei sich ohne konkreten Anlass mal einfach so in Gespräche reinschalten darf, in geschlossenen Chats mitliest oder über eine Schnittstelle zu deinem und meinem E-Mail-Postfach verfügt. Das wäre Prävention im Uhlschen Sinne, damit könnte sich vielleicht auch was im Kampf gegen verquere Einzeltäter ausrichten lassen.

Warum ist Uhl dann nicht ehrlich und verlangt gleich die Möglichkeit der anlasslosen Totalüberwachung jedes Bürgers (Bundestagsabgeordnete selbstverständlich ausgenommen)? Ich habe mittlerweile so meine Zweifel, dass so was jemandem wie Uhl, der seine innenpolitischen Spielchen nicht mal bremsen kann, bis die Toten in Norwegen zu Grabe getragen sind, nicht vielleicht am Ende doch gefallen könnte. Und er es sich derzeit nur nicht zu sagen traut. 

Dafür reicht es aber momentan noch zu einer klaren Schuldzuweisung auf das Internet. Der Traum vom freien Internet werde zu einem Albtraum, lässt sich Uhl vernehmen. Welche Rolle das Internet bei der Tat in Norwegen spielt, weiß zwar noch keiner genau. Nach dem derzeitigen Stand steht lediglich fest, dass der Verdächtige sich in Foren geäußert hat. Außerdem hat er wenige Tage vor dem Tattag ein Manifest online gestellt.

Reicht das, um dem Internet die (Mit-)Schuld zu geben? Früher hätte jemand wie der Verdächtige sein Manifest an eine Tageszeitung oder ein Magazin geschickt. Auch vor der Erfindung des Internets haben Menschen miteinander über Politik schwadroniert, persönlich, aber auch unter Ausnutzung so teuflischer Kommunikationsmittel wie dem Festnetztelefon.

Die Argumentation Uhls ist also dünn und brüchig. Aber Hauptsache, es wird ein willkommenes Feindbild weiter etabliert. Zur Seite springt dem Politiker da, wie kaum anders zu erwarten, mal wieder der Funktionär einer Polizeigewerkschaft. Bernhard Witthaut, Chef der Gewerkschaft der Polizei, hält nun plötzlich eine Datei für “Auffällige” für unumgänglich. Er möchte Menschen, die auffällige Dinge ins Internet schreiben, “registrieren und identifizieren”.

Von aussondern spricht der gute Mann zwar noch nicht, aber bis dahin ist es jedenfalls nur noch ein kurzer Schritt. Ich plädiere übrigens dafür, Bernhard Witthaut gleich als ersten in die Kartei aufzunehmen, denn auf dem Boden des Grundgesetzes steht er mit solchen Forderungen jedenfalls nicht.

Das sieht übrigens auch jemand so, der liberalen Gedankengutes bisher eher unverdächtig war. Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, lehnt so eine Datei als “hanbüchenen Unfug” ab. Wörtlich:

Abgesehen davon, dass nirgends eine Rechtsgrundlage für eine solche Datei vorhanden ist, wird hier suggeriert, dass man mit technischen Mitteln entschlossene Einzeltäter frühzeitig aufspüren und unschädlich machen könnte. Die Wahrheit ist, dass das nicht möglich sein wird und wir akzeptieren müssen, dass das Ausrasten einzelner Verrückter nicht zu verhindern ist.

Wendt erkennt, woher der Wind weht. So gestattet er sich den Hinweis, bei Erfassung aller Menschen mit kruden Gedanken wäre die Datei nicht nur riesengroß, es fänden sich mit Sicherheit auch Gewerkschafter darin wieder. Wendt:

Mindestens genauso wichtig wie ein ausreichendes gesetzliches, personelles und technisches Instrumentarium für die Polizei ist eine Politik, die die Menschen nicht abstößt, sondern Demokratie und Rechtsstaat als lebenswert und gerecht erscheinen lässt.

Die Forderungen der Uhls und Witthauts führen uns genau an die Grenze und darüber hinaus, bis zu der Demokratie und Rechtsstaat noch ihren Namen verdienen – und erträglich erscheinen. Anders gesagt: Wer ohne Scheu den Überwachungs- und Ausgrenzungsstaat promotet, verhilft dem norwegischen Tatverdächtigen zu dem von ihm erhofften Triumph. Genau diesen Staat wünscht sich der Betreffende nämlich.

Die Norweger haben das anscheinend durchschaut. Bleibt nur zu hoffen, dass auch bei uns noch der Groschen fällt.

Verdeckte Ermittler arbeiten in sozialen Netzwerken

Soziale Netzwerke sind eine Fundgrube für die Ermittlungsbehörden. Längst gehört es zum Standard, dass sich Polizeibeamte bei Facebook & Co. umsehen, wenn sie die Identität von Personen, wechselseitige Bekanntschaften oder Alibis klären wollen. Doch die Polizei liest mitunter nicht nur mit, sondern ist auch selbst aktiv. So hat das Bundeskriminalamt in den letzten zwei Jahren sechs Mal “virtuelle Verdeckte Ermittler” eingesetzt. Dies bestätigte die Bundesregierung jetzt in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke.

Die virtuellen Verdeckten Ermittler werden nach den Worten der Bundesregierung für “längerfristige, gezielte Teilnahme an der Kommunikation in sozialen Netzwerken” eingesetzt. Es handelt sich also um Polizeibeamte, die unter einer Legende auftreten.

Schon im Frühjahr 2010 hatte der Spiegel über ein Konzept des Bundesinnenministeriums berichtet, das in eine ähnliche Richtung zielt. Zur Bekämpfung linker Gewalttaten wurde überlegt, ob “virtuelle Agenten” Blogs aufmachen und sich so in das linke Milieu einschleichen können.

Neben ungeklärten datenschutzrechtlichen Fragen ist beim Einsatz virtueller Verdeckter Ermittler natürlich besonders interessant, wie weit diese sich mit ihrem Alter Ego vorwagen dürfen. Ist es ihnen zum Beispiel gestattet, zu Straftaten aufzurufen, Texte mit strafbarem Inhalt zu verfassen oder Dateien mit strafbaren Inhalten weiterzugeben?

Die Bundesregierung weist in ihrer Antwort darauf hin, verdeckte Virtuelle Ermittler dürften so etwas normalerweise nicht. Allerdings gebe es gesetzliche Ausnahmen. Hierzu wollte Die Linke wissen, ob die Bundesregierung ausschließen kann, dass verdeckte Virtuelle Ermittler bereits zu Straftaten im Internet aufgerufen oder selbst Straftaten begangen haben.

Die Antwort ist vielsagend. Informationen hierzu gefährden laut Bundesregierung das Staatswohl. Deshalb wird die Antwort auf diese Fragen als “Verschlusssache – Vertraulich” eingestuft mit der Folge, dass nur berechtigte Abgeordnete sie auf der Geheimschutzsstelle des Bundestages lesen, aber die Öffentlichkeit nicht informieren dürfen.

In ihrer Antwort erklärt die Bundesregierung außerdem, Ermittler würden keine “Honigtöpfe” anlegen. Es mag richtig sein, dass Beamte selbst keine Honigtöpfe anlegen. Allerdings kommt es nach meiner Erfahrung vor, dass bestehende illegale Internetangebote gekapert werden, zum Beispiel im Rahmen der Verhaftung des Betreibers. Diese Angebote bleiben dann schon mal noch einige Zeit im Netz, um zu sehen, wer darauf zugreift.

Für mich fällt das eigentlich auch unter “Honigtopf”.

Zur Bundestagsdrucksache

Prepaidkarte darf nicht ins Minus rutschen

Wo Prepaid draufsteht, muss auch Prepaid drin sein. Das ist die Kernaussage eines aktuellen Urteils des Landgerichts Berlin. Ein Telefonanbieter scheiterte mit seiner Klage gegen einen Kunden. Dessen Prepaid-Karte war binnen zweier Tage über 14.000 Euro ins “Minus” gerutscht. Diesen Betrag verlangte die Telefonfirma vor Gericht.

Die Kosten entstanden für GPRS-Verbindungen. Der Kunde sagte, er sei nicht ins Internet gegangen. Darauf kam es gar nicht  an, denn das Landgericht Berlin nimmt den Prepaid-Anbieter beim Wort. Der verspricht in seinen Bedingungen nämlich “erhöhte Kostenkontrolle”. Der Kunde hatte den Tarif “Webshop-Aufladung 10” gewählt, bei dem verbrauchtes Guthaben jeweils einmalig um 10 Euro aufgestockt wird.

Das Gericht legt den Vertrag aus und kommt zum Ergebnis, dass Anbieter und Kunde sich auf Vorauszahlung geeinigt haben. Der Kunde könne grundsätzlich nur sein Guthaben abtelefonieren. Dürfte die Karte ins Minus rutschen, sei es nämlich vorbei mit der hierdurch erhofften (und von der Firma angepriesenen) “Kostenkontrolle”.

Der Kunde muss lediglich den einmaligen Aufladebetrag von 10 Euro zahlen. Er hatte aber auch gar nicht bestritten, für diese Summe telefoniert zu haben.

Link zum Urteil

Katja Günther, Strafverteidigerin

Mit Inkassomandaten für Abofallen ist die Münchner Rechtsanwältin Katja Günther bekannt geworden. Und auch berüchtigt. Ich habe sie ja auch mal angezeigt, nachdem sie mir in einem Mahnschreiben für einen ihrer Kunden aus der Abzockbranche “betrügerische Absicht” unterstellte. So richtig hat die Justiz bis heute nicht darauf reagiert, was vielleicht an der Vielzahl von Anzeigen liegt, die sich Katja Günther im Laufe der Jahre eingefangen haben dürfte.

Aber letztlich ist ja alles gut ausgegangen für die Juristin, zumindest was die strafrechtliche Seite angeht.

Ich weiß nicht, ob Katja Günther in eigener Sache so viel Einblick in das Strafrecht bekommen hat, dass ihr dieses Rechtsgebiet nun viel Freude zu machen scheint. Möglich scheint es jedenfalls, denn Katja Günther startet nun (neu) unter strafverteidigerin-muenchen.de durch.

Anwalts-Flatrate

Eine Bonner Rechtsanwältin bietet für “Unternehmen” die ANWALTS-FLATRATE. Das Angebot klingt wirklich nach einem Rundum-Sorglos-Paket, noch dazu zu einem sensationellen Einstiegspreis:

Dauerhafte Beratung und Vertretung unabhängig vom Streitwert und Aufwand ab 99,00 EUR/Monat (zzgl. USt).

In Puffs haben Flatrates in dieser Höhe schon zu Razzien geführt. Aber egal. Sofern das Komma beim Preis nicht versehentlich verrutscht sein sollte, bin ich versucht, mir selbst die Dienste der Kollegin zu sichern. Als Unternehmer aus der Rechtsbranche käme es mir schon gelegen, wenn mich jemand unabhängig vom Aufwand so günstig “berät”.

Die eine oder andere dicke Akte hätte ich hier jedenfalls noch auf Lager…

Allmachtsfantasien

Die Firma IBM will möglicherweise bei den Betriebsrenten tricksen. Dagegen klagen hunderte Mitarbeiter. Soweit Urteile ergangen sind, hat IBM immer verloren. Dennoch will das Unternehmen keinen “Pilotprozess” akzeptieren und erzeugt somit eine Prozessflut an den Arbeitsgerichten. Hiergegen protestiert nun wiederum das Landesarbeitsgericht Baden Württemberg mit harschen Worten.

Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, der sich in der heutigen Pressemitteilung des Stuttgarter Landesarbeitsgerichts widerspiegelt. Allerdings insbesondere einer, der ein  schlechtes Licht auf die Justiz wirft. Die rüde Art und Weise, wie das Gericht ein Unternehmen öffentlich abkanzelt, dürfte bislang einmalig sein.

So heißt es in der Pressemitteilung:

Die Leidtragenden dieser Prozesstaktik sind an erster Stelle die Betriebsrentner, die sich ihr Recht in jedem Einzelfall erstreiten müssen. Die Leidtragenden sind aber auch die anderen Parteien, deren Verfahren wegen der Betriebsrentenfälle weniger zügig bearbeitet werden können.

Besonders bedenklich ist, dass die Firma IBM nicht bereit ist, die Grundsatzentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu akzeptieren. Die Firma IBM untergräbt damit die Autorität der Rechtsprechung.

Außerdem steht das Verhalten der Firma IBM im Widerspruch zu den eigenen Ethik-Richtlinien, wonach sich jeder Unternehmensangehörige zur Einhaltung der Gesetze und der allgemein gültigen ethischen Standards verpflichtet.

Würde ein zuständiger Richter so formulieren, wäre er befangen. Und zwar mit gutem Grund. Es gibt schon keine gesetzliche Verpflichtung der IBM, sich das von den Arbeitsrichtern gewünschte Pilotverfahren einzulassen. Tatsächlich ist so ein Pilotverfahren im Arbeitsrecht gar nicht vorgesehen.

Somit ist es schlicht eine Anmaßung, wenn das Landesarbeitsgericht per Pressemitteilung IBM das Recht abspricht, Prozesse so zu führen, wie sie von der Verfahrensordnung nun mal vorgesehen sind.

Endgültig überschreitet das Gericht aber die Grenze des Erträglichen mit dem Vorwurf, IBM untergrabe die Autorität der Rechtsprechung. Abgesehen davon, dass jeder Einzelfall im Detail auch mal anders gelagert sein kann als bereits erledigte Prozesse, gibt es kein Prozesshindernis namens: “Das Bundesarbeitsgericht hat bereits anders entschieden und deshalb darfst du dich nicht verklagen lassen.”

Das Landesarbeitsgericht begibt sich damit auf das Niveau einer Bank, die einem kleinen Rentner kein Sparbuch eröffnet, weil sich das für sie nicht lohnt. Dummerweise gehört die Justiz aber nicht zur Privatwirtschaft. Vielmehr ist sie “der Staat” und genau für das eingerichtet, was sie IBM gerade hochmütig verweigern möchte – Recht zu sprechen. Und zwar in jedem Einzelfall – auch wenn das Arbeit macht und wegen der Masse den Betrieb stocken lässt.

Dass ein Gericht sich dann auch noch auf die Ethikichtlinien einer Prozesspartei beruft, schlägt dem Fass den Boden aus. Der Umstand, dass sich IBM verklagen lässt, soll ein Verstoß gegen die Gesetze sein?  Oder jedenfalls allgemeine ethische Standards verletzen? Haben sich die Verantwortlichen des Landesarbeitsgerichts überhaupt mal zehn Sekunden lang überlegt, was sie da behaupten? Und meinen sie in ihrer offenkundigen Allmachtsfantasie tatsächlich, sogar die Deutungshoheit über Moral und Anstand zu haben?

So ärgerlich eine Prozesslawine sein mag, hat sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit diesem Verdikt sehr weit ins Abseits gestellt. Es beschädigt selbst das so wichtige Vertrauen darauf, dass sich Richter mit jedem Fall, der ihnen auf den Tisch kommt, objektiv und ohne innere Vorbehalte beschäftigen. Bei IBM ist da ja eingestandenermaßen nicht der Fall.

Wer auch immer diese Attacke zu verantworten hat, sollte besser seinen Hut nehmen. An einem Gericht hat er jedenfalls nichts verloren.

Dortmunder Straßenstrich bleibt beschränkt

Der Dortmunder Straßenstrich bleibt weiter auf die Linienstraße, ohnehin ein reine Bordellstraße, beschränkt. Die 16. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen hat den Antrag einer Prostituierten abgelehnt, in ihrem angestammten Revier auf der Ravensberger Straße arbeiten zu dürfen.

Die Bezirksregierung Arnsberg hatte am 2. Mai 2011 eine Rechtsverordnung “zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands im Bereich der Stadt Dortmund” erlassen und das gesamte Stadtgebiet mit Ausnahme der Linienstraße für die Straßenprostitution gesperrt.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts gefährdet ein Straßenstrich die Jugend, jedenfalls im Bereich Ravensberger Straße. Zwar sei nicht davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche sich regelmäßig auf der Ravensberger Straße aufhalten oder bewegen. Es sei aber hinreichend belegt, dass der Straßenstrich in benachbarte Quartiere ausfranse.

Insbesondere hätten viele Prostituierte nahe des Strichs auch Wohnungen gemietet. Kinder und Jugendliche kämen an den Wohnstraßen dann mit Straßenprostitution unmittelbar in Berührung. Sie müssten nämlich die Prostituierten in ihrer „Arbeitskleidung“ auf dem Weg zur Arbeit sehen. Außerdem könnten sie Zeuge von Anbahnungskontakten und auch Preisverhandlungen werden.

Viele Kinder und Jugendliche seien möglicherweise bereits über die Medien mit dem Thema Prostitution in Berührung gekommen. Authentische Begegnungen mit Prostituierten, ihren Freiern und Zuhältern, wie sie in den an die Ravensberger Straße angrenzenden Bereichen der Nordstadt stattfänden, weisen nach Auffassung der Richter aber eine “andere Qualität” auf.

Außerdem stehe es dem Gesetzgeber frei, im Interesse des Jugendschutzes die Kommerzialisierung sexueller Handlungen von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten.

Die Antragstellerin hatte auch argumentiert, die Arbeit auf dem Straßenstrich sei sicherer als in Wohnungen. Dazu meint das Gericht, auch die in der Ravensberger Straße seinerzeit aufgestellten Verrichtungsboxen hätten den Prostituierten keinen absoluten Schutz vor Übergriffen bieten können.

Die Antragstellerin müsse auch eine niedrigere Gewinnspanne hinnehmen, wenn sie künftig zum Beispiel eine Wohnung anmiete. Dass der Arbeitsplatz Straße weniger Kosten verursache, sei kein tragfähiges Argument. Überdies hatte die Antragstellerin vorgebracht, bei einer Tätigkeit in einem Club oder Bordell werde sie nur ausgebeutet. Überzeugende Belege dafür, dass die Arbeitsbedingungen in einem Bordell so schlecht seien, präsentierte sie dem Gericht aber nicht.

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 18. Juli 2011, Aktenzeichen 16 L 529/11