Der Verdacht der Beweisrelevanz

Interessanter Satz aus einem Beschlagnahmebeschluss:

Der Verdacht der Beweisrelevanz ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass einerseits auf den Datenträgern eine hochwirksame Verschlüsselung (Pretty Good Privacy bzw. TrueCrypt) aufgebracht war, die Zeugen aber andererseits die Nennung der Passwörter verweigerten bzw. diese “vergessen” hatten.

Verschlüsselung ist nichts Böses, sondern das Recht jeden Bürgers. Ebenso ist es das Recht von Zeugen, von ihren gesetzlichen Auskunftsverweigerungsrechten Gebrauch zu machen. Rechte, die in diesem Fall auch nicht ernsthaft bestritten werden.

Zwei legale Handlungen begründen also den “Verdacht der Beweisrelevanz”. Statt so rumzuschwurbeln, könnte man schreiben: Lieber Bürger, wenn du verschlüsselst, bist du für uns automatisch ein Bösewicht.

Das wäre wenigstens ehrlich.

Ganz klar, ein Trojaner

Frau J. wollte online 50 Euro an einen bestimmten Empfänger überweisen. Am Tag darauf schaute sie ihre Kontobewegungen durch und stellte fest, aus den 50 Euro sind 1.700 Euro geworden. Die Überweisung ging auch nicht an den von ihr gewünschten Empfänger, sondern an eine dritte Person. Der Betreff in der Überweisung war unverändert.

Das sind die Angaben von Frau J. Die Polizei hat das alles für bare Münze genommen. Die Beamten recherchierten im Anschluss lediglich, wem das Empfängerkonto gehört – und regten eine Durchsuchung beim Kontoinhaber an. Die Begründung dafür finde ich bemerkenswert:

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es offenbar zu einer Manipulation des Rechners der Geschädigten gekommen ist (Aufspielen eines Trojaners), um zielgerichtet Geld auf das Konto des Beschuldigten umzuleiten. Von dieser Annahme ausgehend dürfte es sich beim vorliegenden Sachverhalt nicht um einen Einzelfall handeln.

Zu Beginn des zweiten Satzes findet sich das entscheidende Wort. “Annahme”. Man könnte auch sagen: Stochern im Nebel,  Mutmaßung, Spekulation, Vermutung ins Blaue hinein. Denn obwohl Frau J. noch am gleichen Tag eine Anzeige machte, sah sich niemand bei der Polizei bemüßigt, den angeblichen Ablauf vielleicht mal zu reproduzieren. Oder sogar einen Blick auf Frau J.s Computer zu werfen, ob sich da wirklich ein Trojaner drauf findet.

Zum Glück sah auch der zuständige Staatsanwalt, wie lustlos hier ermittelt wurde. Er lehnte die Hausdurchsuchung ab, eben mit der Erwägung, dass auch Zahlendreher, technische Fehler bei der Bank oder schlichte Unfähigkeit von Frau J. im Umgang mit dem Onlinebanking nicht ausgeschlossen sind.

Einen dringenden Verdacht kann ich ebenfalls nur in eine Richtung erkennen – auf akute Arbeitsunlust bei den zuständigen Polizeibeamten.

Wankbewegungen

So manchen Autofahrer trifft es aus heiterem Himmel, wenn Polizisten vor der Haustür stehen und wissen wollen, wer in den letzten Stunden so mit dem Auto gefahren ist, das in der Einfahrt steht. Die Aktion wird gerne eingeleitet mit der Frage: “Sie wissen doch bestimmt, weshalb wir hier sind?”

Es gibt keine Situation, in der man unbefangen mit der Polizei reden sollte. Dementsprechend gehört diese dazu. Leider hilft eisernes Schweigen meist nicht über die messerscharfe Schlussfolgerung mancher Ermittlungsbeamter hinweg, wonach ein Beschuldigter Dreck am Stecken hat, weil sonst wäre er ja nicht Beschuldigter.

Als nächster Schritt (“Sie haben also keine Fahrerflucht begangen?”) wird dann der Wagen besichtigt. Sofern sich auch nur ein Kratzer an passender Stelle findet, ist die Sache klar. Leider wird dabei sehr oft nur unzureichend berücksichtigt, dass ein Fahrer nicht zwingend jede Berührung seines Fahrzeugs wahrnehmen muss.

Umso überraschter war ich neulich über einen Amtsrichter, der einen Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft nicht einfach abnickte. Es ging darum, dass mein Mandant mit seinem Lkw einen anderen Laster leicht angetitscht haben sollte. Und zwar mitten in der Nacht am Rande eines bayerischen Orts. Der andere Lkw hatte sich festgefahren. Um an dem Laster vorbeizukommen, soll mein Mandant teilweise über den Bürgersteig gefahren sein.

Für den Staatsanwalt war die Sache klar; mein Mandant sollte für acht Monate auf den Führerschein verzichten. Der Richter dagegen meinte, es könne auch mit einer Auflage von 500 Euro gut sein. Wir stimmten dem zu. Immerhin wäre damit die Gefahr gebannt gewesen, dass mein Mandant arbeitslos wird. Aber mit dem Staatsanwalt war nichts zu machen.

Nun musste ein Gutachter ran. Er sollte prüfen, ob der (angebliche) Unfall für meinen Mandanten visuell, akustisch und taktil wahrnehmbar war. Fahrerflucht ist ein Vorsatzdelikt. Man kann sich deswegen nur strafbar machen, wenn der Fahrer den Unfall tatsächlich bemerkt hat.

Der Gutachter hat die Sache nicht nur sauber aufgearbeitet. Er entlastet meinen Mandanten auch zu 100 %. Auszüge aus seinen Erwägungen:

– Visuelle Wahrnehmbarkeit: Der Kontakt mit dem Lkw S hätte vom Fahrer K allenfalls im rechten Außenspiegel wahrgenommen werden können, was jedoch zum einen gute Sichtverhältnisse und zum anderen einen Blick unmittelbar zum Anstoßzeitpunkt in den Außenspiegel vorausgesetzt hätte. Da es zum Unfallzeitpunkt dunkel war und eine Blickzuwendung unmittelbar zum Zeitpunkt der Berührung nicht nachweisbar ist, lässt sich dem Fahrer K eine visuelle Wahrnehmung nicht nachweisen.

-   Taktile Wahrnehmbarkeit: Sowohl der Kontakt an den Haltern der Rohre als auch der relativ leichte Anstoß an der Abdeckung des Endschalldämpfers sowie die Streifberührung an den Kotflügeln ist mit einem sehr geringen Energieaustausch verbunden. Hierdurch ist keine Geschwindigkeits- bzw. Verzögerungsänderung am Lkw K eingetreten, welche als kollisionmechanisch wahrnehmbar zu bezeichnen wäre, … zumal durch das Auffahren auf den Gehweg bzw. gegen die Gehwegkante Wankbewegungen in den Lkw eingeleitet wurden, die eine Differenzierung mit evtl. kollisionsbedingten Wankbewegungen nicht mehr ermöglicht hätten.

– Akustische Wahrnehmbarkeit:  Da die Fahrbahn zum Unfallzeitpunkt glatt war, ist zu erwarten, dass der Fahrer K die Differnzialsperre der Hinterachse eingeschaltet hatte. HIerdurch ist infolge gegebenenfalls durchdrehender Räder und unterschiedlicher Traktion zwischem rechtem und linken Hinterrad durchaus eine zusätzliche Geräuschentwicklung als Betriebsgeräusch zu erwarten. Unter Berücksichtigung der Betriebsgeräusche des Lkw in Verbindung damit, dass sich die Fahrerpositioni in einem Abstand zur Anstoßstelle von etwa 9 m befand, ist nicht zu erwarten, dass die Anstoßgeräusche vom Fahrer K wahrnehmbar waren.

Das ist doch mal ein sauberes Ergebnis. Nun ist die Staatsanwaltschaft am Zug. Sie kann ihren Strafbefehlsantrag zurückziehen. Oder uns noch eine Hauptverhandlung aufzwingen. In diesem Fall fahre ich ganz entspannt nach Bayern.

Den Sachverständigen schlage ich künftig immer vor. Er hat sich einen Platz in meinem Adressbuch verdient.

Schnappschüsse aus dem SB-Bereich

Preis- und Leistungsverzeichnisse der Banken sind seit jeher ein Dokument für Einfallsreichtum. Für den Einfallsreichtum, wie man für die kleinste Aktivität dem Kunden etwas berechnen kann. Unzählige Klauseln haben Gerichte schon für unwirksam erklärt. Zum Beispiel Gebühren fürs Geldabheben an der Kasse, fürs Bearbeiten von Pfändungen, die Bearbeitung von Darlehen und zuletzt für die Zusendung von Kontoauszügen.

Auch bei der Sparkasse Uelzen Lüchow-Dannenberg sind kreative Köpfe am Werk. Im Preis- und Leistungsverzeichnis findet sich folgende Position (Nr. 6 “Sonstiges”):

Erstellung von Bildern aus Kameraüberwachung im SB-Bereich im Kundeninteresse 25 Euro

Gehen wir mal davon aus, dass sich die Sparkasse Uelzen Lüchow-Dannenberg ans geltende Recht hält. Dann darf sie die Videobilder ausschließlich zur Klärung von Straftaten verwenden und die Aufnahmen nur an die Polizei herausgeben. Es gab zwar auch bei anderen Banken schon Versuche, mit der Überwachung weit harmlosere Sachverhalte zu ermitteln. Doch datenschutzrechtlich geht so was nach hinten los. Gleiches gälte für den Fall, dass dem Kunden einfach so Kamerabilder zur Verfügung gestellt werden, bloß weil er ein “Interesse” reklamiert.

Wenn die Bank aber die Polizei informiert, sind ihre Mitarbeiter Zeugen. Die Bank kann ihren Aufwand als “Zeugengeld” mit der Polizei abrechnen. Dann noch mal für dieselbe Geschichte beim Kunden die Hand aufhalten, sieht nicht nur merkwürdig aus. Es könnte sogar selbst zum Gegenstand rechtlicher Betrachtungen werden, wenn doppelt kassiert wird.

Aber darüber haben sich die Juristen der Sparkasse sicher intensiv Gedanken gemacht.

(Danke an Steffen P. für den Hinweis)

Ein Stück Papier, rot, DIN A 4

Zur richterlichen Unabhängigkeit gehört auch, wie das Urteil zu Papier gebracht wird. Die Zahl poetisch veranlagter Juristen, die ihrer Leidenschaft ausgerechnet “Im Namen des Volkes” frönen, hält sich in Grenzen. Sporadisch erblicken jedoch mehr oder weniger gut gereimte Urteile das Licht der Welt.

Zu den Klassikern gehören mittlerweile der angeblich versiffte Hocker, die Mahnung im Reimform und der besoffene Autofahrer.

Ein Amtsrichter aus Darmstadt hat nun offenbar das letzte Rechtsgebiet entdeckt, in dem gereimte Urteile die absolute Ausnahme sind. Das Strafrecht. Weil ein Angeklagter nicht zur Verhandlung erschien, erließ er knallhart einen Haftbefehl, wählte dafür aber den poetischen Ansatz:

Es besteht der Haftgrund des § 230 Abs. 2 Strafprozessordnung.

Der Angeklagte macht Verdruss,

weil er nicht kommt, doch kommen muss.

Und weil er heut ist nicht gekommen,

wird in U-Haft er genommen.

Zu diesem Zwecke nehmen wir

ein Stück Papier,

rot, DIN A 4

und sperren ihn dann sofort ein

in Staatshotel zu Preungesheim.

Ich persönlich finde so was grenzwertig. Wenn es um die Freiheit eines Menschen geht, ist Humor doch eher fehl am Platz – vor allem wenn der Witz auch noch auf Kosten des Beschuldigten gemacht wird.

Ich würde wahrscheinlich einen ganz humorlosen Befangenheitsantrag schreiben, schon um zu sehen, ob man so was vielleicht künftiger öfter lesen muss.

Link zum Beschluss (PDF)

Minister: Biokost sollte auch im Knast möglich sein

Haben Gefangene einen Anspruch auf Biokost? J–ein! Es gibt zwar keine generelle Genehmigung, aber die Forderung nach spezieller Nahrung aus ökologischem Anbau stößt beim nordrhein-westfälischen Justizminister nicht auf taube Ohren. Thomas Kutschaty (SPD) geht noch weiter: „Eine unüberbrückbare Hürde zur Beschaffung von Biokost in den Justizvollzugsanstalten sehe ich nicht“, sagte er auf Anfrage.

Der Minister folgt mit dieser Haltung weitgehend einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle (1 Ws 186/11). Dessen 1. Strafsenat hatte sich mit dem Antrag eines Untersuchungshäftlings zu befassen. Der Mann verlangte, Bio- und Reformprodukte auf eigene Kosten einkaufen zu können. Er machte geltend, nur Speisen ohne künstliche Zusatzstoffe zu essen. Diese Ernährungsweise entspreche einer ganzheitlichen, antroposophischen Weltanschauung. Die Anstaltsleitung biete aber nur Lebensmittel mit überwiegend künstlichen Zusätze.

„Gefangene sind gesund zu ernähren“, befand das Oberlandesgericht. Schließlich bekämen sie auch aus medizinischen und religiösen Gründen eine besondere Verpflegung. Die Justizvollzugsanstalt müsse also für ein „erweitertes Nahrungsmittelangebot“ sorgen, aus dem der Häftling sich zumindest bei seinen eigenen Einkäufen bedienen kann. Käme nun solch ein „nicht ungewöhnlicher“ Antrag aus NRW-Gefängnissen, müsste sich der jeweilige Anstaltskaufmann darum kümmern und „bei Machbarkeit“ die Forderung auch erfüllen.

Die normale Verpflegung eines Gefangenen kostet das Land durchschnittlich täglich 2,30 Euro. In diesem Betrag sind die unterschiedlichen Speiseangebote (beispielsweise religiös bedingte und Krankenkost) enthalten. Die Art und Weise der Gefängnisversorgung mit Lebensmitteln wird durch eine „Verpflegungsordnung“ geregelt. Darin wird auch bestimmt, dass „Lebensmittel mittlerer Art und Güte zu beschaffen“ sind, der Speiseplan aber „im Rahmen der jeweiligen Marktlage möglichst abwechslungsreich zu gestalten ist“.

Die Küche der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen bot an einem willkürlich gewählten Tag im Juni zum Beispiel als Frühstück Hamburgerwurst, Brot, Margarine,Tee. Das Essen am Mittag bestand aus Möhreneintopf mit Mettwurst und das für den Abend aus Gouda-Käse, Brot, Margarine und Tee.

Falls Biokost im jeweiligen Gefängnis nicht zum privaten Einkauf durch den Gefangenen angeboten wird, soll die Anstalt nach den Vorgaben des Justizministers im Einzelfall sorgfältig prüfen, ob sie Biokost besorgen kann. (pbd)

Rechtsschutz: Nur kritteln reicht nicht

Auch beim Rechtsschutz zählen nicht nur nackte Zahlen. Auf diese hatte eine Rechtsschutzversicherung geschielt und sich geweigert, das zu tun, wofür sie bezahlt wird – die Anwaltskosten ihres Kunden zu übernehmen. Das Spielchen machte nun der Bundesgerichtshof nicht mit und verurteilte die Rechtsschutzversicherung.

Der Versicherte wollte ein mangelhaftes Auto zurückgeben. Der Verkäufer war damit aber nicht einverstanden. Nach einigen Verhandlungen einigten sich die Kontrahenten, dass der Käufer den Wagen zurückgeben darf und 12.000 Euro angerechnet erhält, wenn er beim selben Händler einen Jahreswagen kauft. Das erste Auto hatte 15.830 Euro gekostet.

Die Rechtsschutzversicherung wollte nur 24,2 % der Anwaltskosten übernehmen. Sie berief sich auf eine Klausel, die sich in allen Rechtsschutzverträgen findet. Danach muss der Rechtsschutz bei einem Vergleich nur die Quote bezahlen, die dem Verhältnis von Obsiegen und Verlieren entspricht.

Hier konnte man aber nicht einfach die 12.000 Euro zum Kaufpreis von 15.830 Euro in Relation setzen, stellten nun die Richter am Bundesgerichtshof fest. Das werde dem tatsächlichen Erfolgsverhältnis nicht gerecht. Der Autokäufer habe zwar Vorteile, aber auch Nachteile, die aber nicht einfach ausgerechnet werden könnten.

An dieser Stelle kommt der Bundesgerichtshof dem Versicherten entgegen. Die Versicherung müsse darlegen und beweisen, dass das Verhältnis von Sieg und Niederlage nicht mit den geltend gemachten Kosten übereinstimmt. Es ist also stets Aufgabe der Rechtsschutzversicherung, eine falsche Kostenquote zu belegen. Das habe die Versicherung vorliegend nicht gekonnt, deshalb müsse sie auch zahlen.

Außerdem wichtig: Nach Auffassung der Richter ist es bei Vergleichen in Fällen, bei denen man mit Mathematik alleine nicht weiterkommt, normalerweise in Ordnung, wenn jede Seite ihre Kosten selbst trägt. Auch im entschiedenen Fall war es somit nicht zu beanstanden, dass der Autokäufer und Händler ihre eigenen Kosten übernahmen (und zwar dadurch, dass sie einfach gar nichts zu den Kosten in den Vergleich schrieben).

Das Urteil ist wichtig für jeden, der rechtsschutzversichert ist. An der Kostenquote bei Vergleichen wird nämlich gern gekrittelt. Da ist es für den Kunden doch beruhigend, wenn er weiß, dass er sich nicht entlasten, sondern dass die Versicherung ihm einen Fehler nachweisen muss und es normalerweise nicht zu beanstanden ist, wenn jeder Vergleichspartner die eigenen Kosten übernimmt.

Link zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Die E-Akte kommt

Die elektronische Akte soll auch im Strafrecht eingeführt werden. Im Bundesjustizministerium feilt eine Arbeitsgruppe derzeit an einem Gesetzentwurf für den Abschied vom Papier. Gestern veranstaltete das Ministerium in Berlin ein Symposium, um alle Aspekte der “E-Akte” zu beleuchten.

Ich war eingeladen, kurz darzulegen, wie Strafverteidiger zu der E-Akte stehen, was sie von ihr erwarten – und was sie vielleicht befürchten. Hier einige Passagen aus meinem Statement:

“Als ich meine Mitarbeiterin bat, die Einladung zu dieser Veranstaltung im Kalender zu notieren, war sie gerade am Kopierer. Den Blick auf sie verstellten zwei Umzugskartons. Die Kartons enthielten die gerade eingetroffene Akte eines Wirtschaftsstrafverfahrens.

Obwohl wir einen wahrlich modernen Kopierer nutzen, hing ein würzig-kräftiger Ozongeruch im Raum. Die Miene meiner ansonsten meist gut gelaunten Mitarbeiterin war, so wie sie immer ist, wenn sie Akten kopiert: sauertöpfisch.

Endloses Scannen und Kopieren gehört zwar zum Alltag eines Strafverteidigerbüros. Es ist und bleibt aber Strafarbeit, ebenso wie die Pakete mit umfangreichen Akten zur Post schleppen (was in überschaubaren Büros heute übrigens bevorzugt der Chef erledigen darf – weil er ja ein Auto hat und es jetzt die 24 Stunden geöffneten Packstationen gibt).

Es wird Sie deshalb kaum überraschen, dass meine Mitarbeiterin euphorisch auf die Einladung zu diesem Symposium reagierte. Eine E-Akte ist geplant? jubelte sie. Das würde ich gern noch erleben!

Meine Sekretärin ist Mitte 30, es besteht also verhaltener Grund zur Hoffnung. Nachdem ich heute erlebt habe, mit welchen Elan das Team hier im Bundesjustizministerium die Idee der E-Akte umsetzt, bin ich sogar sehr guter Hoffnung.

Ich schließe mich als Strafverteidiger der Begeisterung meiner Mitarbeiterin uneingeschränkt an. Die papierne Ermittlungsakte ist ein Relikt, welches ich als Strafverteidiger gerne hinter mir lassen würde.

I. Gründe, die aus Verteidigersicht für die E-Akte sprechen

Aus folgenden Gründe finde ich die Idee der E-Akte gut:

– PC, Büronetzwerk, Notebook und Onlinekommunikation gehören mittlerweile zur Grundausrüstung der allermeisten Strafverteidiger. Die technischen Voraussetzungen sind also da, um sich vom Papier zu verabschieden.

– Außer in kleinen Verfahren ist es ein mühseliges Unterfangen, die Papierakte in der Hauptverhandlung präsent zu haben. Immer mehr Kollegen stellen deshalb ohnehin schon eine eigene E-Akte her, indem sie die Papierakte in PDFs verwandeln oder sogar spezielle Software verwenden.

Alleine der Wegfall des schweißtreibenden Aktenschleppens ist aus Sicht eines Strafverteidigers ein dringender Grund für die Einführung der E-Akte. Denken Sie auch an den Wohlfühlfaktor, wenn man bei einem Auswärtstermin keinen Koffer mit sieben, acht, zwölf Aktenordern mehr einchecken und zum Gericht rollen muss.

– Die E-Akte ist leichter erfassbar und aufbereitbar, zum Beispiel durch Wort- und Bildersuche.

– Der eingangs beschriebene immense Kopieraufwand im Strafverteidiger-Büro entfällt weitgehend. Darüber hinaus natürlich auch weitere personalintensive Arbeiten. Etwa das Annehmen, Auspacken, Termine für Rücksendungen notieren, Eintüten, Zurückschicken und das Archivieren.

Es sprechen also gute betriebswirtschaftliche Gründe für die E-Akte. Der Einspareffekt geht jedenfalls weit über das ersparte Paketporto für die Rücksendung und die möglicherweise entfallende Aktenversendungspauschale hinaus. Über solche Vorteile freut sich jeder Freiberufler. Wir leben ja allesamt mit dem sattsam bekannten Kostendruck.

– Die E-Akte kann das Verfahren beschleunigen. Die Wartezeit auf Akteneinsicht dürfte sich tendenziell verkürzen. Die Horrorantwort “Die Akte ist versandt” auf ein Akteneinsichtsgesuch könnte sich weitgehend erübrigen. Erneute Einsichtsanträge werden schneller und unkomplizierter bedient werden können.

Es gibt auch keine Kommunikationsunfähigkeit bei Telefonaten zwischen Staatsanwalt/Richter und Verteidiger mehr, denn die Akte ist auch bei Staatsanwaltschaft / Gericht präsent (und muss auch nicht erst aus der Serviceeinheit herbeigeschafft werden).

– Es mag auch unter den Verteidigern Traditionalisten geben, welche der Papierakte nicht abschwören möchten. Auch bei der gedruckten Tageszeitung wird im Vergleich zu Onlinemedien ja auch immer das haptische Erlebnis hoch gelobt. Auch wenn diese Auffassung mehr und mehr belächelt wird, müssen Traditionalisten unter der E-Akte nicht leiden. So wie eine Vielzahl Verteidiger schon heute für sich Papierakten in E-Akten Marke Eigenbau verwandelt, können die Traditionalisten die E-Akte ja auch jederzeit wieder in Papier verwandeln – indem sie sie ausdrucken.

Zusammengefasst bin ich also uneingeschränkt pro E-Akte. Bei einer kleinen, nicht repräsentativen Rundfrage unter Kollegen hat auch keine Anwältin oder Anwalt grundsätzliche Bedenken geäußert. Einer sauber gelösten E-Akte dürfte sehr gut bei Strafverteidigern und deren Mitarbeitern ankommen. Das ist im Ergebnis meine Prognose.

II. Praktische Umsetzung der Akteneinsicht

Wenn die E-Akte uns Strafverteidigern also willkommen ist, stellt sich nur die Frage nach der praktischen Umsetzung. Ich denke, hier können die meisten Fehler gemacht werden – wie ja auch die aufschlussreiche Diskussion des heutigen Tages gezeigt hat.

Ich plädiere dafür, sich auf ein Prinzip zu besinnen, welches, wie passend, aus der Informatik stammt:

KISS Keep it simple, stupid.

Es ist genau das Gegenteil jener Regel, die manchmal unser Juristenleben zu bestimmen scheint: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

Um die oben beschriebenen positiven Effekte zu erzielen und für eine hinreichende Akzeptanz zu sorgen, muss die Akteneinsicht demnach so unkompliziert wie möglich sein.

Welche Zugangswege kommen für den Verteidiger in Frage? Ich fasse mal zusammen:

– Akteneinsicht bei Staatsanwaltschaft oder Gericht (Kiosk-Computer)
– Übersendung von körperlichen Datenträgern (DVD, USB-Stick)
– Zusendung per Mail
– Online-Zugriff über die Cloud

– Vor dem Kiosk-Computer als alleinigen Weg zur Akteneinsicht kann ich nur abraten.
Die weitaus meisten Staatsanwaltschaften und Gerichte übersenden dem Verteidiger heute die Papierakte in die Kanzlei. Die Verpflichtung, sich an ein Gerichtsterminal zu begeben und dort die Akte zu lesen bzw. die Daten per USB-Stick “abzuholen”, wäre ein Schritt zurück. Es wäre für Verteidiger weiterhin nicht praktikabel und auch nicht zumutbar.

Zur Erläuterung: Wir Verteidiger heute zumindest regional, viele von uns sogar bundesweit tätig. Extra mal von Düsseldorf nach Augsburg oder Cottbus für eine E-Akte fahren – Sie ahnen, dass dies schlichtweg nicht funktionieren kann.

Sofern uns das Gesetz also die Möglichkeit ließe, würden wir Verteidiger  schon aus Zeitgründen dem Kiosk-Verfahren die kalte Schulter zeigen und weiter eine Papierakte anfordern.

Selbst wenn man die Akte am Kioskterminal des eigenen Gerichts abholen könnte, gibt es schon genug Orte der Justiz, an denen wir Verteidiger warten müssen. Schlecht organisierte Justizvollzugsanstalten und flughafenmäßig gesicherte Gerichtseingänge, um nur mal zwei aktuelle Beispiele zu nennen. Ersparen Sie uns deshalb nach Möglichkeit das Schlangestehen vor einem Kiosk-Computer.

– Die Übersendung von DVDs oder USB-Sticks ist sicher machbar. Aber sie beinhaltet einen unschönen, überdies nicht mehr zeitgemäßen  Systembruch. Der Versand der Datenträger per Post entwertet das erstrebte “E”.

Außerdem tritt bei verschickten und inhaltlich damit auf einen Zeitpunkt fixierten Datenträgern dieselbe Problematik auf, die wir heute von Zweit- und Drittakten kennen. Die sind nie auf dem gleichen Stand – und am Ende ist die Verwirrung größer als der Nutzen.

– Letzteres Argument gilt auch für die Übersendung per Mail oder, wenn es die Sicherheit denn erfordern sollte, per DE-Mail oder vergleichbarer Angebote. Sollte etwa die Nutzung von DE-Mail verpflichtend werden, dürfte die Zahl der E-Akten-Verweigerer sicher nicht unerheblich sein.

Wie Sie wissen, haben Datenschützer erhebliche Bedenken gegen das DE-Mail-System, auch wegen der fehlenden durchgehenden Verschlüsselung. Gegen diese Bedenken werden sich viele Anwälte nicht verschließen und nach Möglichkeit eben nicht an DE-Mail teilnehmen.

– Wenn man also schon den Weg zur E-Akte geht, sollte man nicht auf halben Weg stehenbleiben, sondern zukunftssicher investieren.

Die Zukunft sollte nach meiner Meinung dem Online-Zugriff auf die Akte gehören, die nach Möglichkeit in der Cloud gespeichert ist. Wir erleben den Trend zur Cloud ja schon in allen anderen Onlinebereichen.

Wir haben heute von den weitaus meisten Experten auch gehört, dass die Cloud keineswegs unsicherer ist als lokal gespeicherte Daten. Mich haben diese Ausführungen überzeugt. Absolute Sicherheit wird es ohnehin nur um den Preis der Unbenutzbarkeit geben. Denken Sie an das Schicksal, welches der qualifizierten digitalen Signatur beschieden ist. 

Die Justiz würde einen Fehler machen, wenn sie angesichts dieses klaren Trends zur Cloud auf Übertragungslösungen wie Datenträger oder E-Mail setzt, die heute schon “old school” sind und bald wahrscheinlich nur noch milde belächelt werden.

Mir ist klar, dass die Lösung mit der Cloud vielleicht die höchsten Anforderungen an die Umsetzung stellt.

Doch denken Sie bitte daran:

Auch das von der Sensibilität vergleichbare Online-Banking der privaten Wirtschaft funktioniert (im Großen und Ganzen). Es hat sich letztlich durchgesetzt, weil es dem Endnutzer einen spürbaren Komfort verschafft und nicht eine Beschwernis durch die andere ersetzt.

Ähnlichen Komfort wie beim Online-Banking erhoffe ich mir auch für die E-Akte. Als Anwalt wünsche ich mir daher folgendes:

– einen vertretbaren Registrierungsaufwand;
– händelbare Sicherheitsvorgaben;
– ein ohne mehrtätige Schulung nutzbares Benutzermenü;
– Transparenz über Zugang bzw. Sperre von Aktenteilen.

Es ist also machbar, dass uns die E-Akte einen Nutzwert beschwert. Wenn das der Fall ist, sind wir Verteidiger gerne mit im Boot.”

NRW-Justiz hört weniger ab

In Nordrhein-Westfalen wurde im letzten Jahr weniger abgehört. Die Zahl der Ermittlungsverfahren mit Telekommunikationsüberwachung ist um fast 13 Prozent zurückgegangen. Zugleich stieg die Erfolgsquote bei der Gewinnung beweiskräftiger Erkenntnisse von 83,5 Prozent im Jahr 2009 auf jetzt rund 85 Prozent, teilte Justizminister Thomas Kutschaty heute in Düsseldorf mit.

"Bei schweren Straftaten ist die Telekommunikationsüberwachung nach wie vor ein unverzichtbares und effizientes Mittel, das die Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen mit hoher Erfolgsquote maßvoll einsetzen", erklärte der Minister. Nach seinen Angaben sank die Zahl der Überwachungen auf 458 (gegenüber 526 Verfahren im Jahr 2009).

Dies zeige, wie verantwortungsbewusst die Staatsanwaltschaften in NRW unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit diesem Ermittlungsinstrument umgingen, betonte Kutschaty. Das Verhältnis zur Gesamtzahl von 1.068.239 Ermittlungen gegen konkrete Personen sei äußerst gering. Statistisch gesehen entfalle somit auf jeweils 2.332 Ermittlungsverfahren lediglich eines mit Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen.

Einsatzschwerpunkte der Telekommunikationsüberwachung waren erneut die Verfolgung von Drogendelikten und die Organisierte Kriminalität. Allein auf diese Deliktsgruppen entfielen rund 52 Prozent der Überwachungsanordnungen. Mord und Totschlag waren in 56 Fällen (rund 3,89 Prozent) Anlass für eine Anordnung der Telekommunikationsüberwachung.

Bei den Verfahren mit der Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten (= Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden) betrage der Rückgang sogar fast 32 Prozent, so der Minister weiter (von 931 im Jahr 2009 auf jetzt 634). Der Anteil der Verfahren, in denen Verkehrsdaten erhoben wurden, liegt bei nur rund 0,06 Prozent oder nur jeweils einem von 1.685 Ermittlungsverfahren.

Ein Stundensatz zerbröselt vor Gericht

Auch bei zivilrechtlichen Streitigkeiten vereinbaren Anwälte Stundenhonorare. Dabei müssen sie sorgfältig darauf achten, am Ende auch an ihr Geld zu kommen. Schon kleine “Fehler” bei der Honorarvereinbarung können sie um ihren Stundensatz bringen. Zumindest, wenn man die Rechtslage so einschätzt wie jetzt das Amtsgericht München in einem Honorarprozess.

Darum ging es:

Ein Münchner beauftragte einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung vor dem Landgericht München I. Sowohl er als auch sein Rechtsanwalt unterschrieben eine Vereinbarung, wonach der Anwalt 220 Euro pro Stunde kriegte. Der Vertrag enthielt zu diesem Zeitpunkt eine Klausel, wonach zumindest ein Mindestbetrag zu zahlen war – nämlich in Form der Vergütung nach der normalen Gebührenordnung.

Diese Klausel wurde auf Wunsch des Mandanten gestrichen. Dieser ging nämlich davon aus, dass der Rechtsstreit schnell erledigt wird und ihm das Stundenhonorar günstiger kommt.

Tatsächlich war der Rechtsstreit doch aufwendiger. Der Anwalt brauchte deutlich mehr Stunden als geplant. Schließlich stellte der Anwalt seine Leistungen mit 9.680 Euro in Rechnung. Der Mandant bezahlte allerdings nur 4.963 Euro.

Der Anwalt berief sich auf das vereinbarte Stundenhonorar. Der Mandant entgegnete ihm, an gesetzlichen Gebühren seien nur 3.135 Euro angefallen, deshalb zahle er nicht mehr. Die Honorarvereinbarung sei unwirksam, denn in gerichtlichen Angelegenheiten dürfe kein geringeres Honorar als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden. Durch die Streichung der Klausel sei aber gerade dies geschehen.

Der Anwalt klagte sein Stundenhonorar ein. Damit blitzte er vor dem Amtsgericht München ab. 

Die zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten geschlossene Vereinbarung sei unwirksam, da sie gegen § 49 b der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verstoße. Diese Vorschrift verbiete dem Rechtsanwalt, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren, als es das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsehe, sofern keine Ausnahme in diesem Gesetz geregelt sei.

Es spiele auch keine Rolle, dass am Ende eine höhere Gebühr angefallen sei. Abzustellen sei auf den Vertragsschluss. Zu diesem Zeitpunkt sei auch ein niedrigeres Honorar noch denkbar gewesen, da der Arbeitsaufwand nicht sicher absehbar war. Nur aus diesem Grunde mache die Streichung der Klausel auch Sinn.

Am Ende kriegte der Mandant sogar noch die 1.828 Euro zurück, die er über den gesetzlichen Gebühren gezahlt hatte. Auf diesen Betrag hatte er Widerklage erhoben.

Urteil des Amtsgerichts München vom 3.Juni 2011, Aktenzeichen 223 C 21648/10

Ab in den Knast

Eine Staatsanwältin beantragt einen Haftbefehl wegen Fluchtgefahr. Es geht um behaupteten Drogenhandel, allerdings eher in geringem Umfang. Meine Mandantin ist nicht vorbestraft, sie hat Job, Wohnung und einen festen Freund. Die Begründung des Antrags ist denkbar kurz:

Bereits die gesetzliche Mindeststrafandrohung von 1 Jahr Freiheitsstrafe begründet nach der Lebenserfahrung einen besonderen Fluchtanreiz.

Die Strafverfolgerin möchte also jeden in Untersuchungshaft nehmen, bloß weil ihm möglicherweise Freiheitsstrafe ab einem Jahr Haft droht. Wenn sie damit durchkäme, hätten wir bald amerikanische Verhältnisse in unseren Haftanstalten.

Und der Staat könnte später noch mehr Geld für vernichtete Existenzen aufwenden, wenn die Leute dann freigesprochen werden, das Verfahren eingestellt oder lediglich eine Bewährungsstrafe verhängt wird. Bewährung ist ja immerhin bis zu zwei Jahren Knast möglich. Um so hoch zu kommen, muss man als Ersttäter schon einiges anstellen.

Zum Glück hat schon die Ermittlungsrichterin abgewunken:

Ein Haftgrund ist vorliegend nicht erkennbar. Allein die gesetzliche Mindeststrafandrohung von 1 Jahr kann die Fluchtgefahr nicht begründen. Die Beschuldigte ist bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten und hat einen festen Wohnsitz. Aus ist aus der Akte auch nicht erkennbar, dass sie über keine ausreichenden sozialen Bindungen verfügt.

Immerhin hat die Staatsanwaltschaft keine Beschwerde eingelegt.

Dresden in Potenz

Der Dresdner Polizeipräsident muss seinen Posten räumen. Dies ist eine handfeste Konsequenz aus der Datensammelwut seiner Beamten, die in den letzten Tagen scheibchenweise ans Licht gekommen ist. Vor allem die taz hat mit mehreren Berichten das ganze Ausmaß der Sache ans Licht gebracht. Mehr als eine eine Million Verbindungsdaten hat die Polizei bei Netzbetreibern abgefragt, ausgewertet und in vielen Fällen illegal verwendet.

Wer hat wann wo mit wem in Dresden gesprochen oder gesimst? Für die Polizei ist das rund um den 19. Februar kein Geheimnis. An dem Tag fand in Dresden eine Anti-Nazi-Demo statt. Festgehalten wurden die Handydaten aller Personen, die sich in mehreren Stadtteilen aufhielten. Es traf also keineswegs nur Demonstranten, sondern schlicht jeden Bürger – Journalisten, Politiker, Ärzte und Anwälte eingeschlossen. In einem weiteren Fall, es geht um einen Brandanschlag, sollen Handydaten aus Funkzellen mit den Kundenlisten eines Baumarktes abgeglichen worden sein.

Über die Rechtmäßigkeit so einer Funkzellenauswertung lässt sich streiten. Ich habe bereits beschrieben, was für enge Grenzen gelten. Werden diese eingehalten, ist eine Funkzellenauswertung zunächst mal legal. Der eigentliche Skandal ist also, mit welcher offensichtlichen Unverfrorenheit sich die Dresdner Polizei über das Verbot hinweggesetzt hat, die gewonnen Daten auch für andere Ermittlungen einzusetzen. Die Daten tauchten illegal in Akten wegen kleinerer Delikte auf. Dort hätten sie nie hineingeraten dürfen.

Man sieht an diesem Falll gut, wohin es führt, wenn man darauf vertraut, spätestens mit Aushändigung der Ernennungsurkunde wären Beamte immun gegen Gesetzesverstöße. Nein, die bloße Verfügbarkeit der Daten hat sie verführt; kein noch so eindeutiger Paragraf konnte sie abhalten. Das tatsächliche Maß von Vorsatz oder Fahrlässigkeit wäre sicher interessant. Es ändert aber nichts daran, dass in jedem Fall Grundrechte flächendeckend verletzt worden sind.

Immerhin, und damit habe ich eigentlich nicht gerechnet, muss nun ein Verantwortlicher gehen – auch wenn er sich schon kurzfristig anderen Führungsaufgaben bei der Polizei widmen soll.

Es wäre aber noch besser, wenn Politiker auch für sich Konsequenzen zögen. Die Einsicht wäre zum Beispiel nicht schlecht, dass ein grenzwertiges Instrumentarium immer zu Missbrauch einlädt – und welcher Eingeladene kann auf Dauer schon nein sagen, noch dazu wenn sein Tun doch “nur” zur Überführung Krimineller dient?

Bei der offensichtlichen Schwäche des Personals kann es aber nicht so weitergehen, dass immer mehr Daten aufgehäuft werden, um irgendwann mal darin stochern zu können. Die Vorratsdatenspeicherung beispielsweise ist Dresden in Potenz. Man kann ahnen, was passiert, wenn die Polizei künftig mit der bloßen Behauptung an Daten kommt, es gehe um eine besonders schwere Straftat. Schon während der kurzen Zeit, in der Vorratsdaten angesammelt wurden, gab es eine beträchtliche Quote an schlichtem Etikettenschwindel.

Später fragt ja ohnehin keiner mehr, mögen sich die Beamten damals gedacht haben. Wahrscheinlich ging ihren Dresdner Kollegen ähnliches durch den Kopf. Zum Glück hat nun jemand gefragt, nachgebohrt und die traurige Wahrheit ans Licht gebracht. Dresden ist ja zu allem Überfluss auch noch Ex-Stasi-Land. Auch die Angst, in einem ganz schmutzigen Kontext zu geraten, mag die Reaktion der Politik beflügelt haben. 

Wenn jetzt ein einzelner Kopf rollt, ist das ein Signal. Signalen sollten jedoch auch immer Taten in der Sache folgen. Es wäre jetzt eine gute Zeit, die Pläne für eine Vorratsdatenspeicherung zu begraben.