„Aus diesem Gerichtssaal“

Die Medienrevolution ist im Gange. Selbst in Gerichtssälen tut sich schier ungeheuerliches: „Mir wurde gerade mitgeteilt, dass jemand aus diesem Gerichtssaal live über einen Ticker ins Internet berichtet. Wer ist das?“ fragte gestern der Vorsitzende im Koblenzer Rockerprozess. Für dieses dringende Anliegen fiel der Vorsitzende sogar dem Staatsanwalt ins Wort, der gerade die Anklage verlas.

Redakteur Lars Wienand von der Rhein-Zeitung gab sich zu erkennen und zeigte wohl auch sein Arbeitsgerät: ein iPad. Sehr geschickt gewählt, denn damit fällt das Argument, die Tastenanschläge seien so laut, wohl eher weg. Die Bewährungsprobe des Tablets dauerte allerdings nur kurz. Denn der Richter, so berichtet die Rhein-Zeitung, habe sich die Live-Tickerei unmissverständlich verbeten.

Eine Begründung hat das Gericht nicht gegeben. Möglicherweise könnte sie auch schwerfallen, denn das Gesetz verbietet nur Ton- und Filmaufnahmen aus der Verhandlung. Notizen sind auch im Publikum erlaubt. Selbst wenn manche Richter das Mitschreiben „normalen“ Besuchern immer wieder gern verbieten, hat sich das nach meiner Kenntnis noch keiner gegenüber einem Pressevertreter getraut.

Bleibt also die Frage, was das Live-Tickern gegenüber dem Mitschreiben so störend macht, dass es untersagt werden muss. Die Rhein-Zeitung nennt als mögliches Risiko, eventuell noch nicht vernommene Zeugen könnten sich (zu) schnell darüber informieren, was im Gerichtssaal vor sich geht. Nun ja, am ersten Prozesstag waren noch gar keine Zeugen geladen.

Außerdem müsste Berichterstattern dann ja eigentlich auch verboten werden, in Verhandlungspausen Online-Berichte zu verfassen. Oder nach interessanten Stellen einfach mal den Saal zu verlassen und sich schreibend auf der Bank vor der Türe zu erholen.

Spätestens wenn Reporter – möglichst geschlossen – mit ihren Devices vor dem Vorsitzenden und seinen Häschern aufs stille Örtchen flüchteten, wäre der Kleinkrieg wahrscheinlich zu Gunsten der „Live“-Berichterstatter entschieden. Früher hätte sich Didi Hallervorden die Filmrechte für so was gesichert.

Mit autokratischen Verboten, die sich daraus rechtfertigen, dass nichts sein darf, was es bisher nicht auch schon gab, werden Richter künftig wohl also nicht weiterkommen. Dazu dürfte die Revolution einen Tick zu heftig sein.

Rechtsanwalt Henning Krieg zum gleichen Thema

Kühle Kleinlichkeit

Ich bin Jahrgang 1964. Das Medikament Contergan wurde bis zum Herbst 1961 verkauft – und mitunter von ahnungslosen Frauen sogar noch nach diesem Zeitpunkt eingenommen. Ich habe die Opfer dieses Medikaments als Kind gesehen und zwei sogar gekannt; sie gingen einige Jahre mit mir aufs Gymnasium. Contergan-Geschädigte gehören zu den wenigen Bildern, die ich problemlos aus meiner Kindheit aufrufen kann. Vielleicht liegt das an der schon früh gespürten Erleichterung, selbst nicht von diesem Schicksal getroffen worden zu sein.

Leider hat das Bundessozialgericht nun dazu beigetragen, dass ich im Zusammenhang mit diesen Erinnerungen ziemlich wütend geworden bin. Die Richter bestimmten nämlich in einem Beschluss, dass die Eltern eines verstorbenen Contergan-Opfers das angesparte Vermögen ihres Kindes an die Sozialhilfe zurückzahlen müssen. Im entschiedenen Fall geht es um 28.000 Euro.

Die meisten Contergan-Opfer erhielten nach jahrelangen Auseinandersetzungen Schadensersatz und eine monatliche Rente. In einem Gesetz war bestimmt worden, dass diese Zahlungen nicht mit der Sozialhilfe verrechnet werden dürfen. Das war ja auch sinnvoll, denn die Zahlungen waren als dauerhafter Ausgleich für die körperlichen und seelischen Schäden gedacht. Sie sollten nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts dienen müssen.

Das Bundessozialgericht hat nun entschieden, dass den Erben eines Contergan-Opfers dieses Privileg nicht zukommt. Die Richter legen die Vorschrift, welche das möglicherweise angesparte Geld aus den Entschädigungszahlungen vor dem Zugriff der Sozialhilfe schützt, eng aus. Danach gilt die Regelung nur für die Betroffenen selbst, nicht aber für ihre Erben. Im entschiedenen Fall sind das die Eltern. Diese müssen, so das Bundessozialgericht, maximal bis zum Wert des Nachlasses jene Sozialhilfe zurückzahlen, die man von ihrer Tochter nicht verlangen konnte.

Es wäre sicher kein ungangbarer Weg gewesen, die Vorschrift anders auszulegen. Es bedurfte letztlich auch nur einer „besonderen Härte“, um von der Rückforderung gegenüber den Eltern abzusehen.

Nicht nur das behindert geborene Kind, auch das Leben der Eltern wird wegen Contergan ein anderes gewesen sein – bestimmt kein besseres. Dessen ungeachtet erklären die Bundesrichter lapidar, es liege keine „besondere Härte“ vor. Begründet wird dies auch damit, die im Alter von 42 Jahren Verstorbene sei ja seit 1968 in einem Heim untergebracht gewesen. Ihre Eltern hätten sie nur ab und zu, zum Beispiel an den Wochenenden und im Urlaub, gepflegt. Nur eine eigenhändige Versorgung „rund um die Uhr“, so das Bundessozialgericht in kühler Kleinlichkeit, könne eine besondere Härte ergeben.

Etwas Mitgefühl täte manchmal auch Juristen gut.

Wikipedia: Contergan-Skandal

Vereitelt oder gefährdet

So ein Strafbefehl soll dem Betroffenen ja mitteilen, was für eine Straftat er begangen haben soll. Mitunter benötigt man hierfür ein Aufbaustudium Bürokratendeutsch. Im Fall meines Mandanten stand im Strafbefehl:

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Sie, am 25.06.2010 in Düsseldorf die Herkunft eines Gegenstandes, der aus einer in Satz 2 genannten rechtswidrigen Tat herrührt, verschleiert zu haben und die Ermittlung der Herkunft, das Auffinden, den Verfall, die Einziehung oder die Sicherstellung des Gegenstandes vereitelt oder gefährdet zu haben. Dabei haben Sie leichtfertig nicht erkannt, dass der Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt.

Meine Arbeit war im wesentlichen getan, nachdem ich dem Mandanten erklärt habe, was ihm zur Last gelegt wird: fahrlässige Geldwäsche. Aber dann habe ich doch noch einen Punkt gefunden, der die Sache doch nicht so selbstverständlich scheinen lässt. Es steht nämlich keineswegs fest, dass die Vortat, deren Erlös mein Mandant über sein Konto transferiert haben soll, tatsächlich ein gewerbsmäßiger Betrug gewesen ist. Bei „normalem“ Betrug ist Geldwäsche nämlich nicht möglich.

Der Mandant wird den Strafbefehl also doch nicht akzeptieren. Was er bei etwas leichter verständlichem Juristendeutsch vermutlich gemacht hätte.

Belehrung – wer braucht so was?

Vielleicht ist es Zufall, aber ganz glaube ich nicht daran. Jedenfalls häufen sich bei mir die Fälle, in denen die Polizei schon bei Ermittlungen im Bereich kleiner bis mittlerer Kriminalität Beschuldigte möglichst frühzeitig erkennungsdienstlich behandeln will. Da wird dann schon mit der Vorladung zur Vernehmung kurzerhand angeordnet, dass Fingerabdrücke abgenommen und Fotos gemacht werden. Das geschieht auch bei Leuten, die bislang noch nie in Erscheinung getreten sind.

An Beiläufigkeit nicht zu überbieten ist zum Beispiel diese „Bemerkung“, die – ohne weiteren Text – in in einer ganz normalen Vorladung versteckt ist:

In diesem Fall trifft es eine junge, verheiratete Frau. Keine Vorstrafen. Beim Sachverhalt muss man sich schon fragen, wo überhaupt der Anfangsverdacht liegen soll. Aber das scheint keine Rolle zu spielen. In der Logik der Polizei reicht schon die Beschuldigteneigenschaft offenbar für die Vermutung aus, die Betroffene werde auch in Zukunft Straftaten im Eigentumsberei(ch) begehen.

Bemerkenswert finde ich an diesem Vorgehen, dass es noch nicht mal formal einigermaßen in Ordnung ist. Nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz muss der Beschuldigte vor Erlass eines Verwaltungsakts angehört werden. Dazu gehört auch die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung. Zumindest, wenn es wie hier um die vorbeugende Tätigkeit der Polizei geht.

Überdies fehlt die gesetzlich vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung. Die nicht nur eine Formalie ist. Denn die Klage oder (je nach Bundesland) schon der simple Widerspruch haben aufschiebende Wirkung. Das heißt, vor einer Entscheidung der nächsthöheren Behörde oder des Gerichts kann die Anordnung nicht durchgesetzt werden.

Ich bin mir sicher, die Betroffene wäre bei ihrem Besuch auf der Polizeiwache beiläufig von den Amtspersonen „überzeugt“ worden, dass Fotos und Lichtbilder eine Art Standardmaßnahme sind und sie rein gar nichts dagegen machen kann. Wenn sich die verantwortliche Polizistin und eine Vielzahl ihrer Kollegen an die Vorschriften hielten, wären viele Betroffenen sicher skeptischer und würden häufiger auf ihrem Recht bestehen.

Wenn die Daten mal aufgenommen sind, bleiben sie übrigens in den Polizeicomputern. Mit einiger Sicherheit bis zum St.-Nimmerleinstag – wenn man sie nicht mühsam wieder rausklagt.

Ob sich die Polizei überlegt, welches Bild es vermittelt, wenn sich Beamte nicht mal in einfachsten Sachen selbst an Recht und Gesetz halten? Und ja, wie solche Anordnungen richtig aussehen, lernt man auf der Polizeischule.

Ultimate Warrior reloaded

Wer den Ultimate Warrior liebte, der wird in Phil Davison vielleicht einen würdigen Nachfolger erblicken. Phil Davison ist Amerikaner, Republikaner und bis auf ein 260-Dollar-Mandat in einer Gemeindevertretung derzeit arbeitslos.

Umso furioser versuchte der 39-Jährige, sich bei einer Parteiversammlung um das Amt des Kämmerers (Treasurer) von Stark County in den USA zu bewerben. Sein Auftritt hat zwar nichts bewirkt, denn er wurde nicht gewählt. Jetzt ist Phil Davison dafür aber auf Youtube berühmt und die amerikanische Presse überschlägt sich – wenn auch nicht immer vor Begeisterung.

Was Phil allerdings noch vom Ultimate Warrior lernen könnte: Es ist besser, nicht immer zum Manuskript rennen zu müssen.

Anwalt: Schweigepflicht geht vor Datenschutz

Das Kammergericht in Berlin hat eine wichtige Entscheidung zum Datenschutz für Rechtsanwälte getroffen:

„Aus der Kontrollpflicht der Datenschutzbehörde ergibt sich keine gesetzliche Befugnis (oder gar Verpflichtung) des Rechtsanwalts zur Weitergabe mandatsbezogener Informationen an den Datenschutzbeauftragten.“

Der Berliner Datenschutzbeauftragte hatte gegen einen Anwalt ein Bußgeld von 3.000 Euro verhängt. Der Jurist hatte in einem Strafverfahren zwei Briefe zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht, die ein Zeuge, der mit dem Angeklagten in einem Nachbarschaftsstreit lag, an seine Hausverwaltung geschrieben hatte. Trotz mehrfacher Aufforderung durch den Berliner Beauftragten für Datenschutz verweigerte der Rechtsanwalt unter Berufung auf seine anwaltliche Verschwiegenheitspflicht die Auskunft, wie er in den Besitz der Briefe gekommen war.

Nach Auffassung des Kammergerichts geht die anwaltliche Schweigepflicht eventuellen Datenschutzgesetzen vor. Der Anwalt kann deshalb nicht aufgrund anderer Normen gezwungen werden, Informationen preiszugeben, die an sich seiner Schweigepflicht unterliegen.

Mitteilung der Rechtsanwaltskammer Berlin

Beweismittel wider Willen

Nicht nur die räumliche und möglicherweise persönliche Nähe des Vorsitzenden Richters im Fall Kachelmann zum Vater des mutmaßlichen Opfers sollen zu einem Befangenheitsantrag geführt haben. Die Anwälte Kachelmanns wehren sich wohl auch gegen das Vorhaben des Richters, Kachelmann während der Hauptverhandlung von einem Arzt „beobachten“ zu lassen (Bericht).

Grundsätzlich ist das Gericht berechtigt, einen Angeklagten untersuchen zu lassen. Normalerweise erstreckt sich die Untersuchung aber auf die Frage nach der Schuld- und Verhandlungsfähigkeit. Bei Kachelmann soll der Sachverständige laut den Berichten etwas anderes bewerten – Kachelmanns Glaubhaftigkeit. Damit will sich das Gericht womöglich in der absehbaren Situation „Aussage gegen Aussage“ eine Bewertungsgrundlage verschaffen.

Das ist aus verschiedenen Gründen problematisch.

Kachelmann hat bereits erklärt, an einem Gutachten nicht mitzuwirken. Das ist sein gutes Recht. Er kann sich verweigern, wie jeder andere Angeklagte auch. Das Gericht kann Kachelmann nicht zwingen, mit dem Sachverständigen zu sprechen. Kachelmann muss auch keine Tests oder sonstige Untersuchungen über sich ergehen lassen.

Was also bleibt dem Sachverständigen? Er kann Kachelmann lediglich beobachten, so lange dieser – wie angekündigt – schweigt.

Ist so eine Beobachtung überhaupt sinnvoll?

Ich vermute mal, dass auch der beste Psychiater die Glaubhaftigkeit eines Menschen nicht bewerten kann, wenn er nur dessen Verhalten im Verhandlungssaal und vielleicht mal zufällig in der Gerichtskantine wahrnehmen kann. Bei Kachelmann könnte er sich natürlich auch noch unzählige Fernsehaufnahmen ansehen. Aber das würde den Prozess wahrscheinlich im Chaos versinken lassen, schon was die Gegenwehr von Kachelmanns Anwälten angeht.

Es ist also höchst zweifelhaft, ob dieser Gutachtenauftrag „Überwachung Kachelmann“ überhaupt ein geeignetes Mittel ist. Zumal Kachelmann ja schon Berufs wegen sein Verhalten in der Öffentlichkeit besser steuern kann als „normale“ Menschen. Was also soll da rauskommen, wenn der Sachverständige den Showprofi Kachelmann während der Verhandlung im Auge behält?

Dem absehbaren Nullnutzen solch eines Gutachtens gegenüber steht der Druck, der durch die Anwesenheit des Sachverständigen nun auf Kachelmann und seinen Anwälten lastet. Kachelmann weiß, dass jede seiner Gesten und jeder Blick möglicherweise ein Indiz sein kann, auf dessen Grundlage er mit wissenschaftlichem Anspruch als unglaubhaft bewertet wird. Das ist nicht nur eine unangenehme Situation, sondern beeinträchtigt auch das Lager des Angeklagten.

Selbst wenn man so ein Gutachten grundsätzlich noch für zulässig halten wollte, wo liegen die Grenzen in der konkreten Situation? Darf der Sachverständige zum Beispiel beobachten und bewerten, wie oft Kachelmann mit welchem seiner Anwälte flüstert? Darf er festhalten, von wem die Gesprächsinitiative ausgeht? Darf er eine beschwichtigende Handbewegung des Anwalts und ein sorgenvolles Gesicht Kachelmanns miteinander in Relation setzen – und daraus Schlüsse ziehen?

Gerade die letzten Fragen zeigen, was das für eine unerträgliche Situation für Kachelmann und seine Verteidiger sein muss. Sie sind nicht nur Partei in diesem Strafprozess, sondern auch Objekte eines wissenschaftlichen Gutachters mit „Spezialauftrag“. Wie man da im Rahmen des Möglichen „frei“ agieren können soll, ist mir ein Rätsel. Diese Freiheit ist allerdings Teil des fairen Verfahrens, auf das jeder Angeklagte einen Anspruch hat. Kachelmann und seine Anwälte werden dagegen zur Show genötigt. Das gibt dem Begriff Schauprozess eine ganz neue Bedeutung.

Das Ganze gewinnt einen Spin, wenn man folgendes bedenkt: Der Angeklagte unterliegt keiner Wahrheitspflicht. Er darf lügen. Durch die Positionierung eines Gutachters setzt das Gericht Kachelmann über das normale Maß hinaus unter Druck, von diesem Recht keinen Gebrauch zu machen. Es zwingt Kachelmann quasi dazu, entweder nichts zu sagen – oder die Wahrheit. Letzteres, um nicht beim Sachverständigen „durchzufallen“. Dadurch untergräbt das Gericht den Spielraum deutlich, den ein Angeklagter nach der Strafprozessordnung nun mal hat.

Das geschieht auch dadurch, dass Kachelmann zum Beweismittel gegen sich selbst wird. Und zwar gezwungenermaßen. Egal, wie er sich verhält und was er sagt – sein Verhalten wird im Rahmen des Sachverständigengutachtens später zum Teil der Beweisaufnahme. Es gibt aber den ehernen Grundsatz, dass der Angeklagte nicht an seiner eigenen Überführung mitwirken muss. Aber gerade für den Fall, dass Kachelmann mal was sagen sollte, wäre möglicherweise genau das der Fall. Er würde – unabhängig vom Inhalt seiner Worte – Beweismittel gegen sich selbst schaffen. Diese würden nämlich möglicherweise die – als Beweis verwertbare – Erkenntnis des Sachverständigen stützen, dass Kachelmann nicht glaubhaft ist.

Hieran sieht man auch, worin der Unterschied zu den erwähnten „normalen“ Gutachten liegt. Bei der Frage nach der Verhandlungsfähigkeit geht es darum, ob der Angeklagte ein Gerichtsverfahren durchsteht. Auch das Gutachten über die Schuldfähigkeit ist von der möglichen Tat weitgehend losgelöst. Es erstreckt sich auf die Frage, ob der Angeklagte Unrecht einsehen konnte – sofern er die Tat überhaupt begangen hat. Die Frage nach der Glaubhaftigkeit des Angeklagten erstreckt sich aber auf die Tat. Der Sachverständige prüft gegen den Willen des Angeklagten, ob dieser unglaubhaft ist und somit als Täter in Frage kommt.

Ein möglicher Einwand ist natürlich, dass das Gericht das Beweisergebnis umfassend würdigen muss. Es ist in diesem Rahmen auch seine ureigenste Aufgabe, Aussagen als glaubhaft oder unglaubhaft einzustufen. Somit steht Kachelmann, wie jeder Angeklagte, natürlich auch immer unter Beobachtung des Gerichts. Die Richter sollen gerade aus der Hauptverhandlung einen Eindruck über die Glaubhaftigkeit von Zeugen und des Angeklagten gewinnen. Sie können auf diese Eindrücke aber auch ihre Entscheidung stützen.

Diese Meinungsbildung des Gerichts schöpft aber aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Ein Gutachten wäre dagegen Teil der Beweiserhebung. Es wäre klassisches Beweismittel und somit eine tatsächliche Grundlage, auf die das Gericht seine Auffassung – ergänzend – stützen kann (und insoweit auch weniger Verantwortung für das eigene Ergebnis übernehmen muss).

Kachelmann wird im Ergebnis zum Beweismittel gegen sich selbst instrumentalisiert. Ich halte das für unzulässig – und gefährlich.

Um Geld ist es nicht gegangen

Das Bundeskriminalamt und Politiker werden nicht müde, den angeblichen Millionen- oder gar Milliardenmarkt für Kinderpornografie zu beschwören. Angeblich wird mit dem gefilmten Missbrauch von Kindern unglaublich viel Geld verdient.

Im Beitrag „Die Legende von der Kinderpornoindustrie“ hatte ich schon einmal dargestellt, wie selten es in Ermittlungsverfahren wegen Kinderpornografie Hinweise darauf gibt, dass jemand mit dem Material Geld verdient.

Heute begann in Darmstadt ein Prozess, in dem es gegen die mutmaßlichen Köpfe eines veritablen Kinderporno-Rings geht. Sie sollen Adminstratoren in einem Netzwerk gewesen sein, das über Jahre einschlägiges Material vertrieben hat. Das gesamte System soll konspirativ angelegt gewesen sein. Sogar vor Google habe man sich abgeschottet, erklärte der zuständige Staatsanwalt laut Spiegel online der staunenden Gerichtsöffentlichkeit. Die Server seien auch nur durch direkte Adresseingabe erreichbar gewesen.

Neue Mitglieder hätten sich als zuverlässig beweisen müssen, indem sie selbst Material besteuerten. Je mehr der jeweilige Nutzer selbst auf den Servern ablegte, desto freier habe er sich an dem vorhandenen Material bedienen können.

Trotz der offenbar ausgefeilten Organisation stehe aber eines fest:

Um Geld sei es allerdings nicht gegangen.

Welche Überraschung.

Im hiesigen Bezirk

Die Überweisung war gefälscht, aber die Bank hat es nicht gemerkt. Das Konto des Opfers war um 1.700 Euro geplündert. An sich sollten ja jetzt hektische Ermittlungen nach dem Täter einsetzen. Stattdessen beginnt ein fröhliches Ping Pong zwischen Behörden.

Am 9. September 2009 schreibt Staatsanwaltschaft 1 an Staatsanwaltschaft 2:

Der gefälschte Überweisungsträger kann in jeder Filiale Deutschlands eingereicht worden sein; der Ort der Täuschungshandlung des Gebrauchmachens gem. § 267 StGB ist daher unklar. Jedenfalls ist der Schaden bei der P-Bank AG selbst oder auf dem Konto des Anzeigenerstatters eingetreten.

… unter Hinweis auf den vorstehenden Vermerk mit der Bitte um Übernahme übersandt.

Am 30. September antwortet Staatsanwaltschaft 2:

… unter Ablehnung der Übernahme zurück übersandt. Der Tatort kann nicht bestimmt werden, so dass sich die Zuständigkeit nach dem Wohnort des Geschädigten richtet.

Darauf schreibt am 14. Oktober Staatsanwaltschaft 1:

… erneut mit der Bitte um Übernahme des Verfahrens übersandt. Auch wenn der Ort nicht nachvollzogen werden kann, an dem der Überweisungsträger gefälscht und/oder eingereicht wurde, so steht als Tatort jedoch zumindest der Ort fest, an dem ein tatbestandlicher Erfolg, nämlich der Vermögensschaden eingetreten ist. Dies ist nach hiesiger Auffassung jedoch – zumindest auch – der Sitz der kontoführenden Bank. Die Tatortzuständigkeit dürfte damit im dortigen Bezirk gegeben sein.

Staatsanwaltschaft 2 erwidert am 27. Oktober:

… erneut unter Ablehnung der Übernahme übersandt. Im hiesigen Bezirk ist kein Tatort. Der Geschädigte wohnt in L. Geschädigte ist nicht die P-Bank, sondern der Kontoinhaber, von dessen Konto die Abbuchung erfolgte. … unter keinem denkbaren Aspekt eine Zuständigkeit gegeben.

Letztlich hat die Staatsanwaltschaft 1 nachgegeben und sich für zuständig erklärt. Wer den Überweisungsträger gefälscht hat, konnte nun aber nicht (mehr) ermittelt werden.

Der Humor der Steuerfahnder

Witzischkeit kennt ja bekanntlich kaum Grenzen. Bislang habe ich allerdings vermutet, dass zumindest die Finanzbehörden auf der anderen Seite liegen. Weit gefehlt. Ausgerechnet die Steuerfahndung in Nordrhein-Westfalen bemüht sich um Lockerheit – zumindest in ihrem Internetauftritt.

Auf der Startseite sehen wir den Leiter der Münsteraner Steuerfahndung höchstpersönlich, wie er Einlass in ein properes Mittelstands-Häuschen begehrt. Text zum Bild:

Wir machen auch Hausbesuche

Harald Küper, Leiter der Steuerfahndung in Münster, sitzt nicht nur hinter dem Schreibtisch. Er besucht auch die Bürger, für die Steuergerechtigkeit nur ein Fremdwort ist.

Es trifft also nur die Bösewichte. Da sind wir aber beruhigt.

In der Tat hatte ich in meiner 16-jährigen Tätigkeit als Strafverteidiger bislang keinen einzigen Fall, in dem die Steuerfahndung Hausbesuche gemacht, Konten gepfändet und manchmal sogar auf Haftbefehle hingewirkt hat, und sich am Ende der Verdacht doch als Luftnummer erwiesen hat.

Dementsprechend ist auch noch nie passiert, dass – gerne auch durch anonyme Anzeigen – durch erst den nimmermüden Kampf für Steuergerechtigkeit und anschließende sang- und klanglose Verfahrenseinstellungen bürgerliche Existenzen den Bach runtergingen.

(Ich versuche ja auch nur, witzisch zu sein.)

via

Gartenzwerg-Fraktion

Einem unserer Mandanten, der ein Haus mit Garten gemietet hat, wird fehlender Ordnungssinn zur Last gelegt. Der Garten sei ungepflegt und passe nicht in die Nachbarschaft. So was geht dann sogar vor Gericht.

Zum Glück scheint die zuständige Amtsrichterin nicht der Gartenzwerg-Fraktion anzugehören, denn sie stellt in einem Hinweisbeschluss fachkundig fest:

… ist im Garten Bambus und japanischer Knöterich (vom Vermieter) gepflanzt worden. Hierbei handelt es sich um überaus schnell wachsende und über das Wurzelwerk sich ausbreitende Pflanzen. Es ist dem Mieter nicht zuzumuten, werden diese Pflanzen nicht fachgerecht angepflanzt, nämlich mit Wurzelsperren, den Wildwuchs zu bekämpfen.

Der Vermieter hat natürlich auch ein ganzes Fotoalbum vorgelegt, um das Chaos zu belegen. Doch die Bilder machten nur wenig Eindruck. Die Richterin:

Im Übrigen haben sich die Beklagten verpflichtet, den Garten in einem „ordentlichen Zustand“ zu halten. Die Meinungen dahingehend, was ein ordentlicher Zustand ist, gehen auseinander. Eine Pflichtverletzung ist jedenfalls nicht zu erkennen.

Bleibt nur die Frage, was für Gartenexperten das Landgericht in der Berufung aufzubieten hat.

Das Autokennzeichen im Internet

Ermittlungsverfahren wegen verbotener Inhalte stößt meistens die „anlassunabhängige Internetüberwachung“ an. Beim Bundeskriminalamt und in einigen Landeskriminalämtern surfen Tag und Nacht Beamte durchs Netz.

Zu ihren Hauptaufgaben gehört der Scan von Tauschbörsen. Es genügt schon, wenn wegen einer illegalen Datei der Up- oder Download durch einen Internetnutzer festgestellt wird. Bei Kinderpornografie ist die Hausdurchsuchung dann unausweichlich – beim Inhaber des Anschlusses. Dessen Hardware geht dann mit und wird ausgewertet.

Nicht immer wird dann allerdings auch etwas gefunden. Normalerweise führt das zur Verfahrenseinstellung. Eine Staatsanwältin sah das nun aber anders. Zwar hatte ein gründliches Gutachten über die Hardware meines Mandanten ergeben, dass dieser nullkommanichts Verbotenes gepeichert hatte. Trotzdem teilte mir die Strafverfolgerin folgendes mit:

Es bleibt das Verbreiten der Videodatei „Unschöner Titel“ vom 10. April 2009.

Das war die Datei, die dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen im edonkey-Netzwerk aufgefallen war. Die festgehaltene IP-Adresse führte zum Anschluss meines Mandanten.

Für mich war das Anlass zu einer kleinen Klarstellung:

Mein Mandant bestreitet, dass er die Datei über seinen Internetanschluss verbreitet hat.

Es liegen keine Beweise vor, die einen hinreichenden Tatverdacht gegen meinen Mandanten begründen.

Als Beweismittel steht nur die technische Feststellung zur Verfügung, dass die genannte Datei über eine bestimmte IP-Adresse in eine Tauschbörse eingespeist worden sein soll.

Diese IP-Adresse mag zwar meinem Mandanten zugeordnet gewesen sein. Jedoch führt die IP-Adresse regelmäßig nur zum Anschlussinhaber, nicht zum tatsächliche Nutzer des Computers.

Die IP-Adresse ist allenfalls vergleichbar mit dem Nummernschild an einem Auto. Kennt man das Nummernschild, lässt sich der Halter des Fahrzeugs ermitteln. Der Halter ist aber nicht unbedingt identisch mit dem Fahrer.

Wie beim Auto gibt es auch bei der IP-Adresse keine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Anschlussinhaber auch der Nutzer des jeweiligen Computers war. Der Computer kann auch durch andere Personen benutzt worden sein.

Mein Mandant hat Freunde und Familie. Alle gehen über seinen Anschluss ins Internet. Wer ihn besuchte, durfte auf Wunsch auch das seinerzeit eingerichtete WLAN-Netzwerk benutzen oder sein Notebook über Kabel mit dem Internetanschluss meines Mandanten verbinden.

Zeitweise hat mein Mandant das WLAN in seiner Wohnung auch offen gelassen, weil bei Nachbarn noch kein Internet gelegt war. Es entzieht sich der Kenntnis meines Mandanten, wer und in welchem Umfang bei den Nachbarn, deren Familie oder Besuchern über das WLAN meines Mandanten im Internet war.

Letztlich kann mein Mandant auch nicht ausschließen, dass ein Außenstehender sich Zugang zu seinem Drahtlosnetzwerk verschafft hat. Diese Vorgehensweise ist ja gerade auch typisch für Leute, die solche Dinge im Netz tauschen. Sie hacken sich gerne in fremde WLANs, weil sie dann praktisch nicht ermittelbar sind.

Gegen den angeblichen Tausch der Datei spricht auch der Umstand, dass bei meinem Mandanten keinerlei einschlägiges Material gefunden wurde.

Die Botschaft ist angekommen. Das Verfahren wurde nun doch eingestellt, und zwar mangels Tatverdachts.