Dann besteht Anlass zur Sorge

Hamburger Polizisten haben einen Brandbrief verfasst. Die Morgenpost druckt ihn ab. Der Brief ist ganz schön lang, besteht aber nur aus vier Sätzen. Einer dieser Sätze ist so unglaublich süß, dass ich ihn auch hier gern veröffentlichen möchte:

Wenn es weder zu Nachdenklichkeit, zu Einsicht noch zu Selbstkritik – geschweige denn zu Änderungsbereitschaft – führt, wenn oberste Gerichte Entscheidungen und Handlungen der Behördenleitung und Polizeiführung mehrfach als verfassungswidrig bezeichnen (Videoüberwachung, Online-Durchsuchung, Kennzeichenlesegerät, Laufbahnverlaufsmodell) in Fortsetzung Schillscher Tradition mit einer Gewerkschaft und einem Berufsverband ein Kartell des Schweigens über Probleme der inneren Sicherheit und die Verfasstheit der Polizei besteht, in panischer Angst vor kritischer Berichterstattung der Medien kein Problem und kein Missstand intern mehr diskutiert wird und z.B. schwierige Großeinsätze aus dieser Angst heraus nicht mehr selbstkritisch nachbearbeitet werden, von Schill über Nagel bis Ahlhaus fragwürdige Machtkonzentration betrieben wird, die jede Form der kooperativen Führung zwar noch lehren lässt, sich aber nicht schämt, sie in der Polizei mit Füßen zu treten und Mitarbeiter und mittlere Vorgesetzte als widerspruchslose Befehlempfänger herabzuwürdigen, Amts- und Behördenleitung sich mehr Gedanken über die Beschaffung von Pferden, als über die Zukunftsfähigkeit der Polizei machen und nicht davor zurückschrecken, die Öffentlichkeit über die Kosten und die tatsächliche Nutzungsmöglichkeiten der Reiterstaffel zu täuschen, zu Zwecken der persönlichen Denkmalpflege ein Kriminalmuseum eingerichtet und ausgestattet werden soll, dass haushaltsrechtlich fraglich ist und mit den Sparzwängen im Haushalt nicht vereinbar ist, die Koalition die im Koalitionsvertrag vorgesehene Überprüfung der Schillschen/Nagelschen Organisationstrukturen dem parteipolitischen Machtgeschacher opfert, eine Regierungspartei die Polizei als ihr Eigentum betrachtet und behandelt und die andere Partei zwar über aber nicht mit der Polizei redet und im Übrigen keinen Anspruch auf Mitgestaltung erhebt, dann besteht Anlass zur Sorge um die Zukunftsfähigkeit der Polizei Hamburg, die Qualität der polizeilichen Arbeit und vor allem um die demokratische Werthaltung der Polizisten.

Quelle / via

Einladung zur Willkür

Die heute in der Regierung verabredete Neuregelung der Sicherungsverwahrung bezeichnet der Innenminister als „politische Lösung“. Eine juristische, gar sorgfältig am Grundgesetz orientierte kann kann es nicht sein, wenn ich folgendes Teilvorhaben lese:

Die Sicherungsverwahrung soll künftig auch für Ersttäter angeordnet werden können.

Bislang kommt die Sicherungsverwahrung frühestens ins Spiel, wenn jemand bereits mehrere Vorstrafen hat. Bei leichteren Delikten bedarf es zweier Vorstrafen, bei schweren Straftaten kann auch eine Vorstrafe reichen. Zwischen der aktuellen Tat und der letzten Verurteilung dürfen im Regelfall außerdem höchstens fünf Jahre liegen.

Eine Sicherungsverwahrung aus dem Stand heraus gibt es bislang nur für unentdeckte Serientäter, die sofort mit mehreren Verurteilungen (eine davon mindestens zu drei Jahren) einsteigen. Praktische Anwendung dieser Vorschrift: nahe null.

Wie man unschwer erkennen kann, hat der Gesetzgeber einige Hürden aufgestellt, bevor Menschen – möglicherweise lebenslang – weggesperrt werden können, nachdem sie ihre Strafe verbüßt haben. Es geht, wohlgemerkt, bei der Sicherungsverwahrung nicht um Bestrafung für begangene Taten. Sondern darum, die Gesellschaft vor als gefährlich eingestuften Verurteilten künftig zu schützen.

Dazu schauen Psychiater in die Köpfe der Betroffenen und geben eine Prognose darüber ab, ob sie gefährlich sind und künftig Straftaten begehen werden. Das ganze hat also was von Wahrsagerei, wenn auch mit wissenschaftlichem Anstrich. Wie überall im Leben, reicht die Qualität solcher Prognosen, unabhängig vom Ergebnis, von höchster, wenn auch immer noch extrem fehleranfälliger Güte bis zu grottigem Gefasel Marke AstroTV.

Schon wegen der an sich von Menschen nicht lösbaren Aufgabe, künftiges Verhalten anderer mit akzeptabler Zuverlässigkeit vorauszusagen, gibt es guten Grund, die Sicherungsverwahrung nicht zum Alltagsinstrument verkommen zu lassen. Jeder zu Unrecht Sicherungsverwahrte erlebt das schreiendste Unrecht, das ihm der Staat überhaupt antun kann – jedenfalls seit Abschaffung der Todesstrafe.

Nicht ohne Grund hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland den Vorwurf gemacht, hier ein wenig realitätsblind zu sein. Auch wenn die Sicherungsverwahrung bei uns als Prophylaxe bemäntelt wird, bleibt sie für den Betroffenen eine Strafe.

Nachdem man schon die Sicherungsverwahrung für Jugendliche eingeführt hat, will man jetzt also auch schon Gefährlichkeitsprognosen für Ersttäter wagen. Es könnte dann also bei jemanden, der erstmals vor Gericht steht, zu einer Freiheitsstrafe von, sagen wir, fünfeinhalb Jahren kommen, kombiniert mit einem faktischen Lebenslang namens „Sicherungsverwahrung“ aufgrund plausibel klingender Gefährlichkeitsprognose.

Das ist schauerlich. Zumal der nächste Schritt dann auch nicht mehr weit sein dürfte. Was ist denn mit Verdächtigen, die vielleicht nicht überführt werden konnten und einen Freispruch zweiter Klasse erhalten? Sollte da nicht auch mal ein Psychiater drüber schauen? Von da wäre es dann auch nur noch ein Hops, die Sicherungsverwahrung von der Strafverfolgung aufs Tätigkeitsfeld Gefahrenabwehr zu übertragen.

Den nächsten Gedanken kann man schon formulieren: Ist die beste Prophylaxe nicht das vorbeugende Wegschließen? Bevor überhaupt jemand zu Schaden gekommen ist, und sei es nur die Deutsche Bank? (Ja, es gibt nach geltender Rechtslage auch Sicherungsverwahrung für Vermögensdelikte.)

Ich nehme an, die Idee des Wegsperrens für Ersttäter wird aus zwei Quellen genährt. Einmal ist es der Wunsch des „Volkes“, (Sexual-)Straftäter als Monster zu sehen, für die Menschenrechte und Verfahrensregeln nicht zu gelten brauchen. Eine Sicht der Dinge, die uns ethisch ins Frühmittelalter zurückkatapultieren würde. Wem’s gefällt…

Zum anderen kommt wohl eine neue Idee der Politik ins Spiel, die in Wirklichkeit eine alte, drängende Forderung aus der Praxis ist: Danach soll die Sicherungsverwahrung aus den Gefängnissen herausgelöst und humaner gestaltet werden. Davon sollte man sich aber nicht benebeln lassen. Eingesperrt bleibt Freiheitsentzug, daran ändern auch das Türschild mit der Aufschrift „Wohngruppe“ und das Notebook mit Internetzugang nichts.

Wen das nicht erweicht, der sollte zumindest an die Missbrauchsmöglichkeiten denken. Sicherungsverwahrung für Ersttäter lädt zur Willkür ein. Nicht nur bei politisch angehauchten Verfahren. Sie wäre auch ein treffliches Mittel zur Geständniserpressung.

Ich glaube nicht daran, dass unsere Richter durchweg so gut sind, um der Versuchung eines so ungeheuerlichen Machtmittels geschlossen zu widerstehen. Man darf es ihnen deshalb nicht in die Hände geben.

Selbst schuld

Stellen Sie sich vor, Sie werden einer Straftat beschuldigt. Bei der Vernehmung auf der Wache, wohin man sie in Handschellen gebracht hat, zeigen Sie sich wenig kooperativ. Sie sagen nichts und behaupten frech, das wäre ihr gutes Recht. Der Polizeibeamte haut ihnen mit dem Telefonbuch auf den Hinterkopf. Sie schreien nicht nur vor Schmerz, sondern haben auch Angst. Deshalb sagen Sie aus und belasten sich selbst.

Später entscheidet ein Gericht, Ihr Geständnis ist verwertbar. Begründung: Natürlich hat sich der Beamte falsch verhalten. Aber statt auszusagen, hätten Sie auch nach seinem Vorgesetzten fragen und sich bei diesem beschweren können. Der Chef hätte dem brutalen Beamten wahrscheinlich sofort die Dienstmarke weggenommen.

Eine unmögliche Argumentation. Es gibt aber Richter, die in so eine Richtung denken. Sie sitzen zum Beispiel am Oberlandesgericht Düsseldorf und hatten über die Klage eines Gefangenen zu entscheiden. Der musste drei Monate mit einem anderen Inhaftierten in einer Gemeinschaftszelle in Duisburg-Hamborn ausharren. Auf 8,3 Quadratmetern; die Toilette war nur durch einen Sichtschutz abgetrennt.

Es gibt schon etliche Urteile zu der Frage, wie viel Platz einem Gefangenen zustehen muss. 4,15 Quadratmeter sind jedenfalls zu wenig.

Das sahen wohl auch die Düsseldorfer Richter. Trotzdem fanden sie einen Dreh, dem Gefangenen die an sich fällige Entschädigung zu versagen. Der Mann, so stellten sie einfach fest, ist eigentlich selbst schuld an seiner menschenunwürdigen Unterbringung.

Das Verhalten des Gefangenen belege nämlich, dass er seine Situation nicht als unerträglich empfunden habe. Er habe zwar bei einem Vollzugsbeamten um Verlegung in eine Einzelzelle gebeten. Nachdem nichts geschah (vermutlich wurde der Mann abgebügelt), hat er sich weder an die Gefängnisleitung gewandt noch eine Beschwerde bei Gericht erhoben.

Hätte er das gemacht, so die Richter am Oberlandesgericht, wäre er in eine Einzelzelle verlegt worden. Es sei nämlich davon auszugehen, dass die Anstaltsleitung auf eine entsprechende Beschwerde reagiert hätte.

Meine Erfahrung mit der Leitung von Gefängnissen ist, dass im Zweifel mit nichts zu rechnen sein sollte, was einem Gefangenen nützt. Aber davon mal abgesehen, wieso wird eine Unterbringung erst menschenunwürdig, wenn sich der Betroffene dagegen wehrt? Ist es nicht Aufgabe der Justizverwaltung, Hafträume grundsätzlich menschenwürdig zu gestalten? Sind Menschenrechtsverletzungen plötzlich keine Menschenrechtsverletzungen mehr, bloß weil das Opfer den Mund nicht aufmacht oder Eingaben schreibt? Ist Erdulden eines menschenunwürdigen Zustandes etwas, das als Billigung ausgelegt werden kann?

Wer von einem Gefangenen wie selbstverständlich energischen Protest und sogar Rechtsmittel verlangt, weiß schlicht nichts von der Realität im Knast und besonders von den Gewaltverhältnissen dort. Oder, schlimmer, er verschließt die Augen davor.

Die Na-siehst-du-selbst-schuld-Spirale lässt sich übrigens beliebig weiter drehen. Als nächstes könnte man von einem Gefangenen ja noch verlangen, dass er sich nicht nur bei der Anstaltsleitung und beim Landgericht beschwert, sondern auch mindestens bei drei Tageszeitungen und zwei Fernsehsendern.

Bin mal gespannt, ob das Argumentationsmuster des Oberlandesgerichts Düsseldorf Anhänger findet. Dann viel Spaß mit dem Rechtsstaat, falls unser Eingangsfall mal Wirklichkeit werden sollte.

(Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 25.8.2010, Aktenzeichen I 18 U 21/10)

Schweigen ist böse. Nicht.

Mit deutlichen Worten ruft das Kammergericht Berlin einen Bußgeldrichter am Amtsgericht Tiergarten zur (Strafprozess-)Ordnung. Der Richter hatte und hat möglicherweise Probleme damit, dass Betroffene von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen.

So fand sich in seinen Entscheidungen zum Beispiel die Formulierung, wonach bei einem Betroffenen sein „Versuch…, dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes zu verhindern oder zumindest zu erschweren, dass er sich zur Sache nicht einließ, … gescheitert ist“.

Hierzu das Kammergericht:

Seine Berufung auf das Schweigerecht, auf das der Tatrichter ihn zuvor hingewiesen hatte, wird damit als Mittel gewertet, dem etwas Ungehöriges anhaftet, weil es darauf abzielt, die Aufklärung des Sachverhaltes durch das Gericht zumindest zu erschweren. Diese Wertung lässt besorgen, dass der Tatrichter das dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare entstammende Recht zu schweigen, das zu den elementaren Wesensmerkmalen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört, nicht als solches ansieht, sondern als unlauter und seine Tätigkeit unnötig erschwerend begreift.

Da er zugleich die Geldbuße gegenüber der – auch bei der höheren Geschwindigkeitsüberschreitung maßgeblichen – Regelbuße des Bußgeldbescheides verdoppelte, liegt die Annahme nahe, dass er hierbei eben dieses prozessuale Verhalten des Betroffenen zu dessen Lasten berücksichtigt hat.

Dieser Fehler, so wird betont, sei den Richtern schon aus früheren Verfahren bekannt. Deshalb haben sie die Rechtsbeschwerde zugelassen und das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben.

(Link zum Beschluss des Kammergerichts)

Sportlich im Dienst

Ein law blog – Leser bekam den wahrscheinlich sportlichsten „Dienstwagen“ der Stadt Düsseldorf zu Gesicht. Sonntags auf der A 3. Es handelt sich um einen Mitsubishi Lancer Evolution. Das Auto ist nicht gerade untermotorisiert und, sozusagen, eine noch lebendige Rallye-Legende. Auch die englische Polizei setzt auf diese Fahrzeuge, wenn sie auf Autobahnen Verkehrsrowdys jagt.

Der Bolide mit dem Kennzeichen D – 939 dürfte in der Lage sein, sogar den Dienstwagen des Oberbürgermeisters abzuhängen. Das Stadtoberhaupt ist übrigens optisch durchweg bescheidener. Seine Limousine hat weder Sportfelgen noch Spoiler oder Hosenträgergurte.

Was wir Düsseldorfer allerdings trotzdem schlucken müssen, ist die für Arglose, zu denen ich eingestandermaßen auch bis vorhin zählte, wohl unvermeidliche Frage, wenn das Auto auf „Dienstfahrt“ ist: Was ist das eigentliche für eine Prolltown, in der Angestellte oder Beamte auf solche Karossen öffentliche Nummernschilder pappen dürfen?

Eine Antwort fiel mir zunächst nicht ein. Dank der Leserkommentare gibt es aber doch eine Erklärung: Die Neunerkennzeichen sind bzw. waren bis zu einem gewissen Zeitpunkt für Diplomatenfahrzeuge registriert. Das Nummernschild hat, trotz des Buchstabens „D“, nicht direkt mit der Stadt Düsseldorf zu tun, sondern gehört wohl zu einer konsularischen Vertretung.

Wieder was gelernt.

Beim Sachbearbeiter abgestellt

Polizeiarbeit ist für viele ein Synonym für hochprofessionell und effizient. Das ist natürlich grundsätzlich richtig. Allerdings kann halt auch bei allem Perfektionismus mal was daneben gehen. Das zeigen nachfolgende Vermerke:

Vermerk 1: Am xx.xx.2009 vollstreckte ich im Besein des KHK H. … in Vertretung für den krankheitsbedingt abwesenden Sachbearbeiter … den Durchsuchungsbeschluss. Die in der Wohnung beschlagnahmten … Gegenstände wurden zur hiesigen Dienststelle verbracht und im Zimmer des Sachbearbeiters abgestellt.

Nach dessen Genesung wurde bekannt, dass ein schwarzer PC des Beschuldigten nicht auffindbar sei. Daraufhin durchsuchte ich sämtliche betreffenden Dienst- und Asservatenräume sowie die Aufbewahrungsräume des LKA nach dem PC. Die Suche verlief jedoch ohne Erfolg.

Vermerk 2: Der Untersuchungsauftrag wird hiermit korrigiert: Die Auswertung des unter lfd. Nr. 1 verzeichneten PC … schwarz entfällt. Alle anderen Daten bleiben unverändert.

Vermerk 3: Könnte sich der PC schwarz möglicherweise bei der KT befinden?

Vermerk 4: Der schwarze PC konnte nicht aufgefunden werden, auch bei der KT ist dieser nicht vorhanden.

Vermerk 5: Die Auswertung von 324 CD / DVD, 52 Disketten, 2 SD-Speicherkarten sowie Micro-SD-Karte der Sony-Digitalkamera wird nächstmöglich beginnen.

Mittlerweile liegt auch der Abschlussbericht vor:

Auf keinem der ausgewerteten Datenträger befinden sich beweiserhebliche Dateien.

Momentan spricht alles für eine Einstellung wegen fehlenden Tatverdachts. Nur mein Mandant weiß, ob sich das ändern würde, sollte sein schicker schwarzer High-End-PC wieder auftauchen. Womit ich nach etlichen Monaten allerdings nicht mehr rechne.

Es musste davon ausgegangen werden

Einsatzbericht:

Aus der Wohnung konnten Stimmen verschiedener Personen vernommen werden. Da davon ausgegangen werden musste, dass Beweismittel auf Klingeln oder Klopfen an der Wohnungstür vernichtet würden, wurde die Wohnungstür durch die o.a. Beamten um 14:34 Uhr gewaltsam geöffnet und die Wohnung betreten.

Die Wohnungstür wurde dadurch beschädigt. Der Rahmen der Tür löste sich leicht vom Putz. Weiterhin wies die Papp-Wabenstruktur der Tür ein etwa 50 x 50 cm großes Loch auf. Der Metallschlosskasten war verbogen.

Ein erfolgreicher Tag. Jedenfalls für den später gerufenen Schlüsseldienst. Der durfte nämlich auf Steuerzahlerkosten alles wieder richten.

Zuverlässig und gewissenhaft

Richter tendieren dazu, Beamten zu glauben. Jedenfalls im Zweifel, wenn die Aussage des Staatsdieners gegen die eines, mitunter auch mehrerer, „normalen“ Bürgers steht. In hohem Maße genießen solches Vertrauen jene Mitarbeiter, die für Geschwindigkeitskontrollen auf unseren Straßen zuständig sind.

Da werden Einwände gern mit der Begründung abgeschmettert, der Beamte sei dem Gericht aus früheren Verfahren als zuverlässig und gewissenhaft bekannt. Die Richter am Oberlandesgericht Stuttgart haben diese Floskel offensichtlich ein paar Mal zu oft gelesen. In einem aktuellen Beschluss weisen sie darauf hin, dass das Verhalten des Beamten in „früheren Verfahren“ wenig darüber aussagt, ob er auch an seinem Arbeitsplatz zuverlässig und gewissenhaft ist:

Vermutlich beruht diese des Öfteren in Urteilen zu findende Formulierung aber allein darauf, dass das Gericht den betreffenden Zeugen (den Messbeamten) in mehreren Hauptverhandlungen gehört und seinen Angaben jeweils Glauben geschenkt hat. Dies kann richtig oder auch unrichtig gewesen sein. Ein weiter gehender Schluss auf eine personale Eigenschaft des betreffenden Zeugen, seine allgemeine Zuverlässigkeit, kann daraus nicht gezogen werden.

Das pauschale Gütesiegel für Messbeamte würde das Oberlandesgericht Stuttgart nur gelten lassen, wenn sich das Gericht zuvor in einer Reihe von Fällen, zum Beispiel in unangekündigten Stichproben, tatsächlich von der Vorgehensweise des Ordnungshüters und seinem Verhalten bei Messungen informiert hätte.

Von richterlichen Kontrollbesuchen an den städtischen Radarfallen habe ich noch nichts gehört.

Im entschiedenen Fall halfen die Erwägungen dem Betroffenen nicht, da das Urteil später doch noch konkrete Argumente enthielt, die gegen Fehler des Verantwortlichen sprachen. Sollten es Richter aber wie häufig bei der Floskel belassen, können ihnen die goldenen Worte aus Stuttgart künftig entgegengehalten werden.

(Quelle des Links)

Stadt Duisburg ./. xtranews wird verhandelt

Per einstweiliger Verfügung hat die Stadt Duisburg, vertreten durch ihren Oberbürgermeister Adolf Sauerland, der Duisburger Nachrichtenseite xtranews verboten, Dokumente zur Loveparade-Katastrophe zu veröffentlichen.

Konkret geht es um die Anlagen, welche zu einem Gutachten gehören, mit dem sich die Stadt Duisburg von ihrer möglichen Verantwortung für 21 Tote und hunderte Verletzte reinwaschen will. Das Gutachten hat die Stadt Duisburg auf ihrer Homepage veröffentlicht. Die Originaldokumente, die im Zwischenbericht erwähnt sind und aus denen sich die Schlussfolgerungen ergeben, wollte die Stadt Duisburg allerdings als „nicht öffentlich“ behandeln.

Die Papiere waren dann zuerst auf xtranews anzuschauen, was die Stadt Duisburg vom Landgericht Köln verbieten ließ. Hintergründe habe ich hier geschildert.

Auf den Widerspruch von xtranews hin hat das Landgericht Köln jetzt eine mündliche Verhandlung anberaumt. Der Termin ist erfreulich früh, nämlich am Mittwoch, 8. September 2010, 12.30 Uhr, im Sitzungssaal 0222. Das Landgericht Köln ist an der Luxemburger Straße 101.

Wir gewinnen alles

Telefonat mit einem Polizisten aus Süddeutschland, der von meinem Mandanten Fotos und Fingerabdrücke will. Aus präventiven Gründen.

Ohne Akteneinsicht werde ich meinem Mandanten raten, nicht zu Ihnen zu kommen.

Dann muss ich halt einen Bescheid erlassen.

Das können Sie machen. Dann muss ich halt Rechtsmittel einlegen.

Ich habe noch keinen Prozess verloren. Am Ende mussten alle kommen.

Das höre ich komischerweise häufiger. Neulich sogar von einem Beamten, dessen Vorladung das Verwaltungsgericht Düsseldorf an einen meiner Mandanten aufgehoben hat. Das war erst vor einem halben Jahr. Sicher hat sich Ihr Kollege nur nicht an mich erinnert…

Ja, aber ich lüge Sie nicht an. Unser Verwaltungsgericht fährt da einen harten Kurs. Wir gewinnen immer.

Gegenvorschlag: Sorgen Sie beim Staatsanwalt dafür, dass ich schnell Akteneinsicht bekomme. Wenn die Beweislage eine erkennungsdienstliche Behandlung zum jetzigen Zeitpunkt rechtfertigt, werde ich meinen Mandanten entsprechend beraten.

Mit schneller Akteneinsicht können Sie nicht rechnen. Wir müssen noch etliche Personen vernehmen.

Aber es besteht doch immer die Möglichkeit, eine Zweitakte anzulegen. Bei vielen Beschuldigten wie in unserem Fall empfiehlt sich das sogar. Ich werde ja nicht der einzige Anwalt sein, der solche Sachen vorher prüfen will.

Fast alle Beschuldigten sind der Vorladung bereits gefolgt. Die meisten haben auch Anwälte; die machen das nicht so kompliziert.

Ich mache es nicht kompliziert, sondern meine Arbeit. Ich werde meinem Mandanten nicht raten, die ED-Behandlung zu machen, so lange ich nicht weiß, ob die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Wie gesagt, wenn ich die Akte hätte, könnte ich das zügig entscheiden.

Na ja, ich schaue mal, was ich beim Staatsanwalt erreichen kann. Aber das schaffe ich vor meinem Urlaub nicht. Ich fahre Ende der Woche einen Monat weg und muss noch Haftsachen erledigen. Einen Bescheid an Ihren Mandanten kriege ich vorher wahrscheinlich sowieso nicht fertig.

Gut, dann wünsche ich schon mal gute Reise.

Auch Richter haben Gefühle

WDR 5 sendet morgen um 11 Uhr eine interessantes Feature: Die Sendung „Im Namen des Volkes – Gefühlsdramen im Strafprozess“ stellt Richter aufsehenerregender Strafprozesse in den Vordergrund. Aus der Ankündigung:

Richter sind unabhängig und dem Gesetz unterworfen, sind objektiv und sachlich, so das gängige Bild. Doch in Wahrheit erreicht das Verhandeln von Straftaten und Verbrechen bei allen Prozessbeteiligten gelegentlich die Grenze des emotional Tragbaren. Täter, Opfer, Staatsanwälte, Verteidiger und Richter sind emotional in hohem Maße involviert.

Heiner Dahl hat spektakuläre Strafprozesse untersucht und gefragt: Wie viel am Ideal des objektiven, unparteiischen, emotionsfreien Strafverfahrens ist Realität, wie viel ist Fiktion? Mit welchen Strategien versuchen Richter, ihre Emotionen zu bewältigen? Und wie wirkt sich dies auf die Urteilsfindung aus?

Einzelheiten und Wiederholungstermine auf WDR.de.

Gegen die Stadt Duisburg

Während sie Aufklärung predigte, hat die Stadt Duisburg die Veröffentlichung von Dokumenten zur Loveparade-Katastrophe gerichtlich verbieten lassen.

Es handelt sich nicht um irgendwelche Dokumente, welche das kleine, in Duisburg verankerte Nachrichtenportal xtranews ins Netz stellte. Sondern um die Anlagen zu einem Gutachten, mit dem sich die Stadt Duisburg und insbesondere ihr Oberbürgermeister Adolf Sauerland von der Verantwortung für 21 Tote und viele Verletzte reinwaschen möchte. Also genau jene Unterlagen, die man kennen müsste, um zu prüfen, ob die beauftragten Anwälte seriös arbeiten und die Dokumente neutral bewerten – oder ob sie ein Gefälligkeitsgutachten abliefern.

Ein Grund zur Skepsis ergibt sich schon daraus, dass die Stadt Duisburg nicht auf Juristen zurückgriff, mit denen sie bislang nicht im Geschäft war. Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland keine qualifizierten Rechtsexperten gäbe, die bislang keine Gebührenrechnung ans Duisburger Rathaus gerichtet hätten.

Mit Heuking Kühn Lüer Wojtek beauftragte die Stadt ausgerechnet eine Anwaltskanzlei, die seit jeher gute Geschäfte mit Rechtsberatungsaufträgen aus Duisburg macht. Möglicherweise waren Heuking Kühn Lüer Wojtek sogar erst die Auserwählten, nachdem sich die Zusammenarbeit mit einer anderen Kanzlei nicht wie von Adolf Sauerland gewünscht entwickelte.

Überdies kam man noch nicht mal auf den Gedanken, wenigstens Juristen aus der Kanzlei Heuking heranzuziehen, die vielleicht an einem außerhalb NRWs gelegenen Standort des Anwaltsbüros arbeiten und wenigstens selbst keine großartigen Berührungspunkte mit der Stadt Duisburg hatten.

Nein, die Gutachterin sollte nach dem Willen der Stadt Duisburg auch noch eine Anwältin sein, die im Ruhrgebiet eine bekannte Größe für die Beratung von Firmen und Kommunen ist und deren Name durchaus schon im Zusammenhang mit handfesten Skandalen zu lesen war. Auch Projekte mit Bezug zum Duisburger Rathaus hat die Juristin bereits betreut.

Ich hatte hier schon meine Meinung zu diesem Verhalten gesagt. Mittlerweile hat das Thema auch in der bundesweiten Presse große Resonanz gefunden. Die von der Stadt Duisburg angeheuerten PR-Berater haben wohl schon wieder das Handtuch geworfen. Vom zuletzt groß herausgestellten PR-Berater, dem Ex-Focus-Mann Franz-Josef Steinkühler, wird berichtet, er habe gegen ein juristisches Vorgehen gegen xtranews votiert. Leider hat er wohl weder hier noch bei anderen wichtigen Punkten das nötige Gehör gefunden.

Angesichts dieser Umstände halte ich es für begrüßenswert, dass sich die Redaktion von xtranews entschieden hat, gegen den Maulkorb aus dem Duisburger Rathaus vorzugehen. Überdies ist nun auch die Entscheidung gefallen, dass ich gemeinsam mit meinem Kollegen Dominik Boecker aus Köln den Prozess gegen die Stadt Duisburg führen werde.

Wir haben Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt. Das Landgericht Köln wird nun einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumen. Dann wird sich zeigen, ob die von der Stadt Duisburg genannten Rechtsgründe tragfähig sind. Wir sind zuversichtlich, dass das Gericht seine Entscheidung, die ja nur auf den Angaben der Stadt Duisburg beruht und die, wie in Eilverfahren üblich, schnell fallen musste, nach weiterer Prüfung revidiert.

Nach den uns vorliegenden Informationen ist es keineswegs so, dass das Landgericht Köln die einstweilige Verfügung sofort erlassen hat. Die Anwälte der Stadt Duisburg mussten mehrere Anläufe unternehmen, um Bedenken des Landgerichts Köln zu entkräften.

Ausschlaggebend für den Erlass der einstweiligen Verfügung war nach vorläufiger Wertung wohl die nachgeschobene Behauptung, bei dem von xtranews veröffentlichten PDF mit den Anlagen handele es sich um eine urheberrechtlich geschützte Datenbank (!).

Interessant in diesem Zusammenhang dürfte sein, dass für diese „Datenbank“ nicht die Stadt Duisburg Urheberrechte geltend macht. Sondern die bereits erwähnte Rechtsanwältin und einer ihrer Kollegen, mit dem sie das Gutachten ausgearbeitet hat. Zur Begründung wird angeführt, die Juristen hätten Stunden damit verbracht, die relevanten Dokumente herauszusuchen und diese zusammenzustellen. Das sei nicht nur anstrengend gewesen, sondern habe auch zu einer „Datenbank“ im Sinne des Urheberrechts geführt.

Wer sich jetzt fragt, warum dann nicht die Anwälte selbst geklagt haben, kann eine Antwort erhalten. Die Juristin und ihr Kollege haben der Stadt Duisburg ihre sämtlichen und vermeintlichen Rechte an dem PDF mit den gesammelten Anlagen abgetreten.

Aufgrund dieser Abtretung übernimmt die Stadt Duisburg nun eine Rolle, wie man sie sonst von Filmstudios und Plattenfirmen kennt. Die Kommune macht Urheberrechte Dritter geltend, ebenso wie Sony Music und Universal Film. In unserem Fall sind die Künstler aber nicht Lena oder Bushido, sondern die eigenen Rechtsanwälte. Damit alles schön beisammen bleibt, lässt sich die Stadt Duisburg auch im Verfahren gegen xtranews von der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek vertreten.

Ich will nicht verhehlen, dass mich die Lektüre der Antragsschrift ein wenig fassungslos zurückgelassen hat. Das Datenbank-Argument ist aus unserer vorläufigen Bewertung problemlos zu pulverisieren. Zusammen mit der Abtretung der angeblichen Rechte der arbeitsamen Anwälte an die Stadt Duisburg sehe ich ein Verhalten, das gute Chancen hat, in der Bundesliga juristischer Winkel- und Klimmzüge einen Spitzenplatz zu belegen.

Nachtrag: Die Dokumente haben mittlerweile auch ihren Weg auf WikiLeaks gefunden.

Der kurze Weg zum Superkriminellen

In der Anklageschrift klang es schon an. Im Rechtsgespräch während der Hauptverhandlung wurde es noch mal deutlich: Mein Mandant ist ein ganz schlimmer Mensch – aus Sicht der Staatsanwaltschaft. Nach Auffassung der Ankläger hatte sich mein Mandant nicht nur eines Computerdelikts strafbar gemacht. Nein, er hatte auch mit „erhöhter krimineller Energie“ gehandelt und war „extrem konspirativ“ vorgegangen.

Mit einer Anklage zum Strafrichter, wo solche Dinge normalerweise landen, war es also nicht getan. Die Sache musste vor das Schöffengericht. Welches normalerweise erst bei einer Straferwartung von zwei Jahren Gefängnis ins Spiel kommt. Dort endet bereits der bewährungsfähige Bereich.

Also keine sonderlich gute Ausgangsposition für einen Menschen, der bis ins Rentenalter nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist.

Was waren die Gründe für den Staatsanwalt, von erhöhter krimineller Energie und konspirativem Vorgehen zu sprechen?

Nun, es war festgestellt worden, dass mein Mandant auf seinem Rechner TOR nutzen kann. Außerdem hatte er Truecrypt installiert. Zudem fand sich auf der Festplatte zu allem Überfluss noch ein extrem gefährliches Spurenverwischungs-Tool namens CCleaner (man beachte die Donwload-Charts Platzierung für das Programm bei Chip Online).

Das nur als Info an alle, die im Falle eines Falles als „normale“ Verdächtige behandelt werden wollen.