Ggf. polizeilich vorführen

Die Polizei lädt eine Zeugin zur Vernehmung vor. Die Zeugin kommt nicht. Der zuständige Polizeibeamte schreibt einen Vermerk. Dann schickt er die Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft, „zur weiteren Veranlassung“.

Jemand mit einer sehr krakeligen Unterschrift findet es bei der Staatsanwaltschaft weniger gut, dass die Zeugin nicht kommt. Offenbar erwartet er sich wichtige Angaben von ihr. Unter der Überschrift „Vfg.“ (Verfügung) wird die Akte postwendend an die Polizei zurückbeordert. Verbunden mit folgender Anweisung:

… die Zeugin ggf. polizeilich vorzuführen und dort zur Sache zu vernehmen.

Das dürfte den zuständigen Polizeibeamten verdutzt haben. Er schreibt einen Vermerk, wonach er mit dem „Herrn Dezernenten bei der StA“ telefoniert hat. Mit folgendem Ergebnis:

Die Verfügung ist nach Rücksprache als gegenstandslos zu betrachten.

Ich nehme an, der Polizist hat höflich gefragt, auf welcher Grundlage er die Zeugin einsacken und „dort“, d.h. auf dem Kriminalkommissariat, zur Sache vernehmen soll. Wo es eine gesetzliche Pflicht für Zeugen, mit der Polizei sprechen oder gar auf der Wache zu erscheinen, doch gar nicht gibt.

Der Staatsanwalt würde wahrscheinlich sagen, jeder hat mal einen schlechten Tag. Oder er wollte die Polizei halt mal testen. Spaß muss schließlich sein.

Schwarzsurfen in offenem WLAN nicht strafbar

Das „Schwarzsurfen“ in unverschlüsselt betriebenen fremden WLAN-Funknetzwerken ist nicht strafbar. Dies hat das Landgericht Wuppertal in einem Beschluss festgestellt.

Anlass für die Entscheidung war eine sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wuppertal gegen einen Nichteröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 03.08.2010. Die Staatsanwaltschaft hatte vor dem Amtsgericht die Eröffnung
der Hauptverhandlung gegen einen Angeschuldigten beantragt, dem sie vorwarf, mit seinem Laptop einen Ort in Wuppertal aufgesucht zu haben, an dem er sich in ein offenes und über einen WLAN-Router unverschlüsselt betriebenes fremdes Funknetzwerk
eingewählt haben soll.

Das Amtsgericht hatte eine Strafbarkeit dieses Verhaltens verneint. Die 5. große Strafkammer des Landgerichts hat diese rechtliche Bewertung nun bestätigt. Eine Strafbarkeit gemäß §§ 89 Satz 1, 148 Abs. 1 Nr. 1 Telekommunikationsgesetz (TKG) hält die Kammer nicht für gegeben, da der Einwählende nicht zwischen anderen Kommunikationspartnern vertraulich ausgetauschte Nachrichten wahrnehme, die § 89
Satz 1 TKG unterfielen, sondern der Einwählende selbst Teilnehmer eines Kommunikationsvorgangs werde.

Das Verhalten erfülle auch nicht den Tatbestand des unbefugten Abrufens oder Sich-
Verschaffens personenbezogener Daten gemäß §§ 43 Abs. 2 Nr. 3, 44 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Weder bei dem Einwählen in das unverschlüsselt betriebene Funknetzwerk noch der anschließend hierüber erfolgenden Nutzung des Internetzugangs würden personenbezogene Daten im Sinne von § 3 Abs. 1 BDSG
abgerufen.

Auch Straftatbestände des Strafgesetzbuchs hält die Kammer nicht für erfüllt. Eine Strafbarkeit wegen eines Ausspähens von Daten gemäß § 202a StGB, wegen eines Abfangens von Daten gemäß § 202b StGB, wegen eines versuchten Computerbetruges gemäß §§ 263a Abs. 1 und 2, 263 Abs. 2, 22 StGB sowie wegen eines Erschleichens von Leistungen gemäß § 265a StGB sei nicht gegeben.

Landgericht Wuppertal, Beschluss vom 19. Oktober 2010, 25 Qs 177/10

Anständige Arbeit für Kölner Richter

Zwischen der Ambahnindustrie und dem Landgericht Köln gibt es eine innige Beziehung. Die Abmahnanwälte stellen fast alle Anträge an das Landgericht Köln, wenn sie einen Provider zur Offenlegung verpflichten wollen, zu welchem Anschluss eine des Filesharings verdächtige IP-Adresse gehört. Das Landgericht Köln hat sich diese Spitzenstellung dadurch verdient, dass es Anträge ohne Erbarmen durchwinkt. Die zu hunderten, ja womöglich tausenden ergehenden Beschlüsse gleichen sich in der Begründung bis aufs Komma. Die zuständigen Richter dürften anständige Fallzahlen haben – und damit einen sehr bequemen Job.

Bei anderen Gerichten haben es die Abmahner auch versucht. Doch dort hält man sich aber etwas genauer ans Gesetz. Zulässig ist der Auskunftsbeschluss nämlich nur, wenn eine gewerbliche Urheberrechtsverletzung dargelegt wird. Nach den Kölner Richtern ist das regelmäßig schon der Fall, wenn das fragliche Lied oder der fragliche Film noch irgendwo im Handel angeboten wird. Andere Landgerichte haben die Abmahnindustrie abblitzen lassen, wenn diese die Gewerblichkeit nicht belegen konnten. Wie praktisch, dass der „fliegende Gerichtsstand“ für Internetdelikte das Landgericht Köln auch für Rechteinhaber zuständig macht, die in Hamburg, Berlin oder Leipzig sitzen.

Anschlussinhaber, die durch solche Beschlüsse „enttarnt“ wurden und Abmahnschreiben erhielten, nahmen das nicht immer kampflos hin. Aber nach Meinung des Landgerichts Köln hatten sie noch nicht einmal ein Beschwerderecht dagegen, dass ihr Provider zur Auskunft gegenüber der Musik- und Filmindustrie verpflichtet wird. Das Landgericht Köln versäumte es auch nie, auf dieses angeblich fehlende Beschwerderecht in seinen Beschlüssen hinzuweisen.

Ganz so einfach dürfte die Sache künftig nicht mehr sein. Das Oberlandesgericht Köln hat nämlich jetzt ein Beschwerderecht des Anschlussinhabers bejaht. Dieser könne sich sehr wohl mit dem Argument wehren, es liege jedenfalls keine „gewerbliche“ Urheberrechtsverletzung vor. Beschwerde eingelegt hatte ein Anschlussinhaber, der Titel aus einem bereits vor anderthalb Jahren erschienenen Album in eine Tauschbörse eingestellt haben soll. Hier, so das Oberlandesgericht, müsse die Musikindustrie besondere Umstände darlegen, die ein gewerbliches Ausmaß belegen. Das sei im entschiedenen Fall nicht ausreichend geschehen.

Gut möglich, dass sich mancher Zivilrichter in Köln demnächst wieder mit anspruchsvolleren Fällen beschäftigen muss. Zunächst aber wird wohl der Bundesgerichtshof das letzte Wort sprechen. Dort können sich jetzt nämlich noch die Rechteinhaber beschweren.

Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 05.10.2010, 6 W 82/10)

Mannheimer Wagenburg

Der zweite Befangenheitsantrag gegen Jörg Kachelmanns Richter ist gescheitert (Bericht). Die Begründung klingt lapidar: Die Belehrung über das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Strafprozessordnung müsse erst erfolgen, wenn der Zeuge Dinge gefragt werde, bei denen er sich der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetze; den Zeitpunkt der Belehrung bestimme der Vorsitzende des Gerichts.

Das ist brav aus dem Standardkommentar Meyer-Goßner abgeschrieben. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Gerade wenn man die am Montag nachgeschobene Begründung des Gerichts berücksichtigt, man habe das mutmaßliche Opfer doch zunächst nur zu ihrer Person und ihrem Werdegang befragen wollen. Die von der Verteidigung beantragte Belehrung sei für einen späteren Zeitpunkt geplant gewesen. Wobei das Gericht wohl einräumte, dies alles nicht hinreichend kommuniziert zu haben.

Nicht nur das. In Wirklichkeit ließ sich die Kammer auf ein mehrstündiges Hickhack mit der Verteidigung ein. In den Presseberichten aus letzter Woche wird diese Kontroverse eher so dargestellt, als habe das Gericht die Belehrung überhaupt nicht für nötig gehalten – und dies auch so gesagt. Auch das publizierte Argument des Gerichts, der Angeklagte sei bei einer unterbliebenen „Belehrung“ gar nicht beschwert und habe deshalb keinesfalls ein Recht, Fehler des Gerichts überhaupt zu rügen, spricht eine andere Sprache.

Selbst wenn man dem Vorsitzenden das Recht zugesteht, den Zeitpunkt der Belehrung zu bestimmen, ist er darin nicht völlig frei. Vielmehr hat er sachgerecht zu entscheiden. Das mutmaßliche Opfer steht im Verdacht zu lügen. Jörg Kachelmann wurde vom Oberlandesgericht gerade mit dem Hinweis aus der Untersuchungshaft entlassen, die Frau habe die Unwahrheit gesagt und dies auch eingeräumt. Die falschen Angaben bezögen sich nicht nur auf Randaspekte, sondern auf „Scharnierstellen“ des möglichen Hergangs.

In so einer Situation kann auch schon die Vernehmung zur Person und zum Lebenslauf die Gefahr bergen, dass die Zeugin falsch aussagt – und sich damit selbst strafbar macht oder zumindest der Verdacht entsteht, sie könnte falsch aussagen oder Kachelmann falsch verdächtigen. Immerhin liegt es im Fall der Lüge ja nicht ganz fern, dass die Zeugin sich dann auch was in ihrem Lebenslauf zurechtbiegt oder ihre persönlichen Verhältnisse (Beruf, Wohnung, Verhältnis zu den Eltern) geschmeidig anpasst. Zumal die Beziehung zu Kachelmann sich über elf Jahre erstreckt haben soll.

Das Gericht hätte also nicht mit der Belehrung warten dürfen. Im erwähnten Strafprozess-Kommentar wird übrigens auch an mehreren Stellen darauf hingewiesen, die Belehrung sollte keinesfalls zu spät erfolgen. Dass nicht gleich zu Vernehmungsbeginn belehrt wird, hält der Kommentar übrigens nur bei „nicht offensichtlich Tatbeteiligten“ für richtig.

Überlegenswert wäre eher, ob das Gericht durch seine Richtigstellung und die nachgeholte Belehrung die Besorgnis Befangenheit ausgeräumt hat. Das kann durchaus möglich sein. Der Bundesgerichtshof hat zum Beispiel entschieden, dass die Besorgnis der Befangenheit entfallen kann, wenn sich ein Richter für eine unbedachte Äußerung entschuldigt.

Allerdings hat die Mannheimer Strafkammer am Montag nicht Farbe bekannt und einen Fehler eingeräumt. Sie hat herumgeeiert und die Sache schöngeredet. Vielleicht hätte Kachelmann an diesem Punkt einen weiteren Befangenheitsantrag stellen sollen mit der Begründung, die unredliche Argumentation des Gerichts nähre weitere Zweifel.

Immerhin ist nun klar, im Landgericht Mannheim herrscht Wagenburgmentalität. Nichts wird diese Strafkammer daran hindern, ein Urteil über Jörg Kachelmann zu fällen.

Horizont erweitert, Unterhalt verspielt

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat einer getrennt lebenden Ehefrau Unterhalt verweigert, weil sie sich auf der Internetseite poppen.de angemeldet und ein Profil von sich angelegt hat. Begründung:

Ein etwaiger Anspruch der Antragstellerin auf Trennungsunterhalt … ist wegen eines schwerwiegenden, ausschließlich bei ihr liegenden Fehlverhaltens dadurch ausgeschlossen, dass sie ihr Profil noch während ihres Zusammenlebens mit dem Antragsgegner auf der Internetseite www.p…de eingestellt hat.

Hierin ist ein schwerwiegendes Fehlverhalten zulasten des Antragsgegners zu sehen… . Der Einwand der Antragstellerin, es handele sich bei der betreffenden Internetseite um einen „völlig normalen Chatroom, den viele Erwachsene auch dazu nutzen, beispielsweise über Autos oder über andere Dinge zu kommunizieren“, überzeugt nicht.

Der Domain-Name sowie der Einführungstext auf der Startseite („P…de – 100% kostenlose Sexkontakte. Interessiert Ihr Euch für Swingerclubs, gemeinsame Saunabesuche oder wollt einfach Euren sexuellen Horizont erweitern? Ihr mögt Rollenspiele, vielleicht sogar bizarre Spielarten, seid Swinger, sucht nach Sexkontakten oder einem Seitensprung? Herzlich willkommen bei der Community für mehr, als das konventionelle Miteinander!“) sprechen für sich.

OLG Oldenburg: Beschluss vom 17.11.2009 – 3 WF 209/09

Das Handy und seine Verwandten

Wenn man als Richter verurteilen will, kriegt man das auch hin. So zum Beispiel das Amtsgericht Sonthofen. Das Gericht hat mit folgender Erkenntnis ein Bußgeld gegen einen Autofahrer wegen „Telefonierens“ am Steuer bestätigt hat:

Auch handelt es sich bei dem sog. „Walki-Talki“ um ein Mobilfunkgerät.

Mit dieser Begründung möchte das Gericht erklären, dass ein Funkgerät, welches der Autofahrer in die Hand genommen hatte, im Prinzip das Gleiche ist wie ein Handy. Zur Absicherung kommt dann auch gleich der Hinweis auf den Sinn des Gesetzes. § 23 Absatz 3 Straßenverkehrsordnung wolle Verhalten bestrafen, das vom Straßenverkehr ablenkt.

Dabei hätte es sich durchaus gelohnt, die Vorschrift vorher zu lesen. Darin ist nämlich gerade nicht von Mobilfunkgerät oder Mobilfunktelefonen die Rede. Sondern von Mobil- oder Autotelefonen. Wobei diese Formulierung sehr stark dafür spricht, dass der Gesetzgeber eben gerade keine Funkgeräte erfassen wollte. Ebenso wenig übrigens Gespräche mit dem Beifahrer, das Einstellen des Autoradios oder eine Elektrorasur.

Dass sogar der Wortlaut des Gesetzes verdreht wird, um eine Entscheidung zu rechtfertigen, hat man dann allerdings auch eher selten.

(AG Sonthofen vom o1.o9.2010, 144 JS 5270/10; via)

Beamtete Steinewerfer?

„Ich weiß, dass wir bei brisanten Großdemos verdeckt agierende Beamte, die als taktische Provokateure, als vermummte Steinewerfer fungieren, unter die Demonstranten schleusen. Sie werfen auf Befehl Steine oder Flaschen in Richtung der Polizei, damit die dann mit der Räumung beginnen kann.“

So zitiert das Hamburger Abendblatt einen Polizisten, der bei den Stuttgarter Auseinandersetzungen dabei war. Die Äußerung ist Teil einer Geschichte, in der mehrere Beamte, teiweise anonym, zu Wort kommen. Alle äußern sich kritisch über die Vorkommnisse in Stuttgart und die Situation bei der Polizei.

Bei Aussagen wie dieser bleibt nur die Hoffnung, der Polizist flunkert aus persönlicher Verärgerung. Oder die journalistische Sorgfalt trat hinter das Verlangen nach einer möglichst knackigen Formulierung zurück.

Stimmt es dagegen, stellt sich die Frage: Wer ordnet so was an und bis in welche Etage der Entscheidungshierarchie wird es gedeckt? Fast noch wichtiger wäre aber eine Antwort darauf, wieso nicht direkt beteiligte Polizeibeamte von solchen Praktiken wissen und trotzdem nicht dagegen aufstehen. Das sollte man von Staatsbürgern in Uniform durchaus verlangen dürfen.

Wenn die Angst und der Druck in den eigenen Reihen, möglicherweise aber auch die Abstumpfung für eine Unterscheidung von Recht und Unrecht, tatsächlich so groß sein sollten, dass sich selbst bei solchen Sachverhalten keine Aufrechten mehr finden, dann ist viel mehr verloren als ich bisher vermutete.

Aber noch bleibt ja die Hoffnung, dass alles so nicht stimmt.

(Der Artikel im Abendblatt ist über Google (Suche: „Wir werden von der Politik verheizt“ – Polizisten erzählen“) aufrufbar, steht aber ansonsten hinter einer Paywall. Deshalb ein alternativer Link zur taz.)

Links 559

GEZ-Eintreibern darf Hausverbot erteilt werden

Warum die Deutschen aufmüpfig werden

„Es macht offensichtlich keinen Sinn, immer wieder identische redundante Informationen zu produzieren“

Wieso der Fortschritt Winnetou wenig gebracht hat

Gefängnis Plötzensee: Ein Drittel sitzt wegen Schwarzfahrens

Playstation: Sony mahnt Besteller von USB-Adaptern ab

Cyber-Grooming: Juristen gegen härtere Strafen

Karriere mit Kopftuch

„Wie die meisten Christen sparen sich auch viele Muslime ihre Gebete für unruhige Flüge und Elfmeterschießen auf“

Ausreichende Rechtsgrundlage

Manche Polizisten akzeptieren es einfach nicht, wenn ein Beschuldigter von seinen Rechten Gebrauch macht. Zum Beispiel dem Recht, nicht mit der Polizei zu reden. Oder gar dem Recht, Vorladungen ohne Begründung keine Folge zu leisten. Da wird dann schon mal mehrmals täglich angerufen, an der Haustür geklingelt oder gemailt („bitte rufen Sie mich dringend zurück“).

Ein Mandant reagierte hierauf nun so:

Da ich keinen Grund sehe, mit Ihnen Gespräche zu führen, werde ich Sie auch nicht zurückrufen. Ich fühle mich mittlerweile erheblich von Ihnen belästigt. Deshalb fordere ich Sie auf, mich nicht mehr anzurufen. Weitere Versuche werde ich sofort abbrechen.

Sollten Sie eine ausreichende Rechtsgrundlage für eine Vorladung finden, der ich Folge zu leisten habe, bitte ich Sie diese schriftlich zu senden.

Klingt harsch, ist aber der Vorgeschichte, einer Art vom Steuerzahler bezahlten Stalkings, durchaus angemessen.

Kachelmanns Richter knicken ein

Im Prozess gegen Jörg Kachelmann hat sich das Gericht eines Besseren besonnen. Die Hauptzeugin, die der Fernsehmoderator vergewaltigt haben soll, wurde heute vor ihrer Vernehmung doch über ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Strafprozessordnung belehrt. Das berichte die Welt.

Zunächst hatte es das Gericht nicht für nötig gehalten, die Frau zu belehren, dass sie nicht auf Fragen antworten muss, wenn sie damit Gefahr läuft, sich selbst zu belasten. Und das, obwohl es in der Strafvorschrift recht unmissverständlich heißt:

Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

Als das Gericht die Zeugin nicht von sich aus belehrte, beantragten die Verteidiger Kachelmanns die Belehrung. Weil das Gericht dies selbst dann noch für unnötig hielt, lehnte Kachelmann die Mannheimer Strafkammer als befangen ab.

An dem Befangenheitsantrag hält Kachelmann auch weiter fest. Die Welt zitiert seinen Verteidiger Reinhard Birkenstock:

Der Umstand, dass das Gericht unter dem Druck des Befangenheitsverfahrens das jetzt tut, was es schon am vergangenen Mittwoch hätte tun müssen, gibt keinen Grund, die Einschätzung zu ändern.

Das ist nachvollziehbar. Der nunmehrige Rückzieher lässt die Besorgnis der Befangenheit sogar noch etwas deutlicher erscheinen. Zumal der Vorsitzende Richter nach anderen Medienberichten heute sogar nachgeschoben hat, eigentlich habe man die Belehrung ja sowieso geplant – aber erst vor dem Teil der Aussage, in dem die Frau zum angeblichen Tathergang aussagt. Allerdings erfolgte die Belehrung heute dann doch schon, bevor die Frau überhaupt etwas aussagte.

Ich glaube nicht an ein Missverständnis. Sondern eher daran, dass die Richter in den letzten Tagen erkannt haben, dass ihre Voreingenommenheit mit den Belehrungsspielchen endgültig dokumentiert ist. Deshalb dürfte es sich bei den heutigen Beschwichtigungen um den Versuch handeln zu retten, was zu retten ist. Bereits letzte Woche hatte ich mich ja darauf festgelegt, dass dieser Befangenheitsantrag den Prozess platzen lassen wird.

Wappendisclaimer

Die Staatsanwaltschaft Flensburg hat, wie für Landesbehörden üblich, im Briefkopf das Wappen Schleswig-Holsteins. Auf dem justizüblichen Umweltpapier und mit dem Laserdruck vom Arbeitsplatzgerät wirken weder das Nesselblatt noch die nach innen gewandten, bewehrten, übereinander schreitenden Löwen sonderlich imposant.

Trotz des optisch eher dürftigen Vorbilds scheint die Staatsanwaltschaft schlechte Erfahrungen mit Wappendieben gemacht zu haben. Denn wo im Fuß des Briefbogens sonst Hinweise auf Buslinien oder Parkplätze zu finden sind, steht in der Flensburger Behördenpost ein Wappendisclaimer:

Das Landeswappen ist gesetzlich geschützt.

Diesen doch sehr originellen, mir bislang völlig unbekannten Hinweis konnte ich nicht ungegoogelt lassen. Ich stieß schnell auf die Landesverordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Hoheitszeichen des Landes Schleswig-Holstein (Hoheitszeichenverordnung – HoheitsVO) vom 10. Dezember 2009. Diese legt fest, dass die Verwendung des Landeswappens genehmigt werden muss, sofern sie nicht künstlerischen, kunstgewerblichen oder heraldisch-wissenschaftlichen Zwecken sowie für Zwecken des Unterrichts und der staatsbürgerlichen Bildung dient.

Wieder was gelernt.

Taxifahrer müssen keine Karten akzeptieren

Es gibt keine gesetzliche Pflicht für Taxifahrer, ihren Kunden bargeldlose Zahlung zu ermöglichen. Mit dieser Begründung sprach das Oberlandesgericht Hamburg einen Taxifahrer frei. Der Fahrer hatte am Flughafen eine Reisende nicht mitgenommen, die nur mit Karte zahlen wollte.

Zwar sind am Hamburger Flughafen nur noch Taxen zugelassen, die ihren Kunden bargeldlose Zahlung ermöglichen. Im entschiedenen Fall war das Lesegerät im Taxi aber kaputt; der Taxifahrer war aber trotzdem am Terminal vorgefahren.

Das Amtsgericht hatte die Sache noch anders gesehen und dem Taxifahrer eine Geldbuße von 150 Euro auferlegt. Zu Unrecht, befanden die Richter am Oberlandesgericht. Weder im Personenbeförderungsgesetz noch in anderen Vorschriften gebe es eine Pflicht für Taxifahrer, Kredit- und EC-Karten anzunehmen. Die Regelung mit dem Hamburger Flughafen sei weder ein Gesetz noch eine Verordnung. Wegen des Grundsatzes „Keine Strafe ohne Gesetz“ könne ein Bußgeld auf die Regeln des Flughafens nicht gestützt werden.

Interessant am Rande: Lehnt ein Taxifahrer die Fahrt aus anderen Gründen ab, hält das Oberlandesgericht Hamburg eine Regelbuße von 300,00 Euro durchaus für angemessen. Zu diesen Fällen gehört insbesondere, dass dem Fahrer das Ziel zu nahe ist.

OLG Hamburg, Beschluss vom 26. August 2010, 2 – 32/10 (RB)

Links 558

German leader tells immigrants to fit in

‚Merkel: Multiculturalism in Germany has utterly failed‘

Merkel: Multiculturele samenleving is volkomen mislukt

ميركل: النموذج المتعدد الثقافات في المانيا „فشل تماما

Le modèle multiculturel a échoué, dit Merkel

Multicultural Germany turning against Muslims

Merkel asegura que la Alemania multicultural ha fracasado

Xenophobia Is The New Superpower Heroin(e)

Multiculturalism not a happy policy in Germany

Hindus tell Germany & Angela Merkel not to stigmatize entire community of “outsiders”

Merkel says non-German speakers are „not welcome“

Merkel’den tarihi itiraf

Speak German or leave

Nurse, Pastor, Father, Husband: Germany and multi-culturalism

The penny has dropped in Germany

Does multiculturalism work?

Maligning Multiculturalism in Middle Europe

Volksverhetzung wird alltagstauglich

Man könnte sich fragen, ob man es nicht besser so macht wie in Amerika. Lasst die Leute reden, skandieren und (ins Internet) schreiben, was sie wollen. Denn die Meinungsfreiheit ist uns so wichtig, dass wir lieber die böswilligste Äußerung tolerieren – anstatt sie durch Strafverfolgung aufzuwerten und dabei im schlimmsten Fall noch Märtyrer zu schaffen.

Dahinter steckt auch das Bild des mündigen, aufgeklärten Bürgers. Der sollte nun mal in der Lage sein, die übelsten Beleidigungen und politische Hetze zu erkennen. Strafrechtlich verfolgen lassen sich ohnehin nur die krassesten, offensichtlichsten Ausfälle. Jedenfalls so lange man es mit der Gedanken- und Meinungsfreiheit ansonsten einigermaßen ernst nimmt.

Wir gehen den anderen Weg. Nicht nur, aber insbesondere dank des Volksverhetzungsparagrafen existieren bei uns Gedankenverbrechen. Wer zum Beispiel, um den häufigsten Anwendungsfall der Vorschrift zu nennen, der Meinung ist, der Holocaust habe nicht oder nicht im Maße stattgefunden, wie es einmütig von Historikern dargestellt wird, und dies öffentlich kundtut, macht sich wegen Volksverhetzung strafbar.

Die deutschen Gerichte haben natürlich erkannt, dass gerade die Interpretation historischer Quellen eigentlich ein typischer Fall der Meinungsfreiheit ist. Sie haben sich deshalb dafür entschieden, den Holocaust zur feststehenden historischen Tatsache zu erklären. Ihn zu leugnen oder zu relativieren ist demnach keine Meinung, sondern eine falsche Tatsachenbehauptung – womit man die Sache leichter als Angriff gegen die Menschenwürde der Betroffenen werten und als Volksverhetzung einordnen kann.

In Bezug auf den Holocaust mag das Konstrukt halten, weil die Tatsache dieses historischen Ereignisses nun mal – aus gutem Grund – Konsens ist. Aber das Gefühl, es treffe schon die richtigen, ändert nichts daran wie fragil die Behelfsbrücke mit der historischen Tatsache ist. Man braucht nur platte, aber ebenfalls unbestrittene Wahrheiten aus der Vergangenheit heranzuziehen:

– Die Erde war mal eindeutig eine Scheibe und alle Planeten drehten sich um die Erde.

– Frauen waren so minderbemittelt, dass man sie nicht wählen lassen konnte.

Das entsprach dem damaligen Weltbild, und dieses Weltbild wurde auch geprägt von den Wissenschaftlern und Experten der jeweiligen Zeit. Diese Generationen waren übrigens wie wir der Meinung, sie lebten in der modernsten Moderne, die überhaupt denkbar ist. Demnach könne der Erkenntnisgewinn ihrer Nachkommen nur noch marginal sein. Sie wären überrascht gewesen. Wir wären es auch.

Schon vom Ausgangspunkt her ist der Volksverhetzungsparagraf also eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit. Das fordert wenigstens Vorsicht. Denn Konsens dürfte auch sein, dass die Meinungsfreiheit für eine wirklich demokratische Gesellschaft so wichtig ist wie der Fisch fürs Sushi. Alleine der Umstand, dass abweichende und zugespitzt formulierte Ansichten strafrechtlich geahndet werden können, presst die Debatte in den Rahmen des politisch Korrekten. Wenn man sieht, wie reflexartig heute „Volksverhetzung“ in Richtung jeder Äußerung aus einer politisch oder religiös gefärbten Ecke geschrien und wie dann die persönliche Hetzjagd auf die Äußernden eröffnet wird, kann man sich schon Sorgen um die Meinungsfreiheit machen.

Wie dieser Rahmen des politisch Korrekten uns gedanklich bereits einengt, zeigt beispielsweise eine Äußerung von Horst Seehofer. Der bayerische Ministerpräsident rechtfertigt seine neuesten Parolen gegen Menschen bestimmter Nationalität, Herkunft und Religion damit, er wolle damit die „rechten Spinner“ verhindern und die politischen Verführer aus den Parlamenten fernhalten (Quelle). Damit wolle er nichts Böses, sondern auf die Sorgen der Bevölkerung eingehen.

Ist es aber sinnvoll, rechte Spinner dadurch zu verhindern, dass ich mich, obwohl natürlich aufrechter Demokrat und Lobredner des Grundgesetzes, als rechter Spinner aufführe in der Hoffnung, das Volk werde mich wählen, weil es rechte Spinner gut findet? Bleibt eigentlich nur die Hoffnung, Horst Seehofer blickt am Ende noch durch, welche Rolle er gerade spielt.

Was also vom Wählerauftrag vermeintlich legitimiert gesagt wird, darf jedenfalls noch als unbedenklich gelten – so lange es unter dem Label „CSU“ daherkommt. Käme einiges von dem, was derzeit Politiker unserer, mit einigen Bauchschmerzen noch so zu nennenden Volksparteien sagen, aus anderem Mund, ergäbe für empfindsame Staatsanwälte durchaus ein Anfangsverdacht. Denkt man das weiter, ergibt sich die Legalität einer politischen Meinung künftig nicht mehr anhand der Meinung, sondern aus der Person des Äußernden und seiner Verankerung im politischen Mainstream.

Wäre ich selbst politisch nicht so langweilig disponiert und hätte Lust, mich auch als Spinner zu outen, würde ich ausrufen: „Ihr und eure Pseudo-Meinungsfreiheit.“

Aber es soll ja alles noch schlimmer werden. Die Bundesregierung plant ein Gesetz, das den Volksverhetzungsparagrafen in seinen Grundfesten ändert. Bislang mussten sich Äußerungen gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe oder Teile der Bevölkerung insgesamt richten.

Nun soll es ausreichen, wenn sich die Äussage auf einen „Einzelnen“ bezieht. (Text des Entwurfs).

Das könnte dem Gedankenverbrechen ganz neuen Aufschwung verleihen. Man braucht sich nur Urteile zur Volksverhetzung anzusehen. Glücklicherweise sind wenigstens die Gerichte, mit Ausnahme der Holocaust-Leugnung, meist sehr zögerlich mit Verurteilungen wegen dieses Delikts. Das spürbare Unbehagen, jemanden wegen seiner Überzeugung zu bestrafen, wird sehr häufig in den Urteilsgründen sachgerecht so einsortiert, es fehle der grundlegende Angriff auf die Menschenwürde oder der Angriff habe sich nicht erkennbar gegen eine abgrenzbare Gruppe gerichtet.

Letzteres Kriterium fällt nunmehr weg. Alles, was bisher als Beleidigung oder Bedrohung Einzelner ohnehin schon strafbar ist, kann künftig als Volksverhetzung bis zu 5 (in Worten: fünf) Jahre Haft einbringen, wenn die Attacke – ja, wir reden nur über Worte oder Zeichnungen – sich nicht nur auf die Person des Betroffenen erstreckt, sondern auch seine rassische, nationale, ethnische Herkunft oder seine Zugehörigkeit zu einem anderen abgrenzbaren Teil der Bevölkerung einbezieht. Wenn man weiß, wie gern Juristen Worte auslegen, lässt sich erahnen, wie leicht das passieren kann.

Die Volksverhetzung ist schon jetzt mit Meinungsfreiheit kaum in Einklang zu kriegen. Nun soll die Strafvorschrift also auch noch für das Alltagsgeschäft tauglich gemacht werden. Potenzielle Täter sind künftig nicht mehr nur Menschen, die ihre Weltanschauung kommunizieren wollen und sich bewusst entsprechend artikulieren. Sondern jeder, der sich im Rahmen einer sozialen Interaktion dazu hinreißen lässt, sich unkorrekt zu äußern. Tatorte sind nicht mehr die politische Arena, sondern Schulhof, Straßenbahn und Werkshalle.

Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was mit diesem Gesetz gemacht werden könnte, wenn sich in Berlin zu den Spinnerdarstellern die richtigen Spinner gesellen.