Kunstfreiheit: Das Ding ohne Schranken

Die Bundeskanzlerin hat ja heute nichts besseres zu tun, als dem türkischen Präsidenten Erdogan mit Kurzgutachten zur Frage auszuhelfen, ob Jan Böhmermanns Spottgedicht denn von den Grenzen der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt war. Es passiert ja sonst auch gerade nichts in der Welt.

Die Kunstfreiheit hat die Kanzlerin, wenn man den Berichten glauben darf, bei ihrer Betrachtung leider vergessen. Dabei ist Satire ja leider Gottes allzu oft auch Kunst, und diese wiederum ist nach aktueller Fassung des Grundgesetzes immer noch nicht von ausdrücklichen Gesetzesschranken eingehegt. Ganz im Gegensatz zur erwähnten Presse- und Meinungsfreiheit.

Aber mit dieser lässlichen Sünde fällt es auch gleich bedeutend leichter, dem angepissten Herrn Erdogan etwas nach dem Mund zu reden. Würde mich nicht wundern, wenn das den empfindsamen Präsidenten anstachelt, die Kanzlerin noch etwas mehr in die Bredouille zu bringen.

Dazu müssten Herr Erdogan oder seine Helfer mal ins Strafgesetzbuch schauen. Das enthält in § 103 StGB nämlich eine besondere Vorschrift, die für ihre Zwecke passen könnte wie die Faust aufs Auge. Demnach wird die Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes nämlich deutlich härter bestraft als die von „normalen“ Menschen. Während es sonst schon mal mit Geldstrafe abgeht, stehen hier saftige Strafen im Raum. Im Fall der „verleumderischen Beleidigung“ sind es bis zu fünf Jahre Knast. Für ein Verbaldelikt.

Das Ganze würde jedoch nur funktionieren, wenn Erdogan in Deutschland das macht, was er zu Hause ständig macht. Nämlich Strafanträge stellen. Dann wäre in der Tat die Bundesregierung am Zug. Sie müsste nämlich entscheiden, ob sie – bei Vorliegen einiger anderer Voraussetzungen – eine „Ermächtigung“ zur Strafverfolgung erteilt (§ 104a StGB). Ohne grünes Licht von Merkel würde also nichts laufen.

Das wäre wirklich ein interessanter Lackmustest zur Frage, wie weit sich die Bundesregierung erdoganisieren lassen würde. Nach den heutigen Worten der Kanzlerin würde ich da für nichts die Hand ins Feuer legen. Der Herr Böhmermann müsste sich trotzdem nicht großartig sorgen. Das Urteil sprächen am Ende Richter, die von der Kunstfreiheit schon mal etwas mehr gehört haben dürften und die Herrn Erdogan weniger verpflichtet sein dürften als unsere Kanzlerin.

Nachtrag: Weil es in den Kommentaren zu diesem Beitrag anders dargestellt wird: Der § 103 StGB gilt bei Staatsoberhäuptern auch dann, wenn sie sich nicht in Deutschland aufhalten. Nur bei anderen Regierungsmitgliedern ist es erforderlich, dass sie sich zum Zeitpunkt der Beleidigung in Deutschland befinden.

Nachtrag 2: Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass Jan Böhmermann sich strafbar gemacht haben könnte