17 Monate Gerichtsverfahren sind (manchmal) zu lang

Schimmel, Mäuse, verdorbenes Essen: Lebensmittelkontrolleure stießen in einer hessischen Catering-Firma auf zahlreiche Missstände. Darauf dürfen die Behörden auch öffentlich hinweisen. Aber ist das auch noch 17 Monate nach der Kontrolle zulässig? So lange wartete das Amt nämlich mit der Warnung, weil die Firma gegen die Veröffentlichung klagte. Der Fall ging bis vor das Bundesverfassungsgericht.

Die Lebensmittelaufsicht hatte wegen der Klage die Veröffentlichung zurückgestellt. Allerdings sieht das Gesetz vor, dass die Warnungen „unverzüglich“ erfolgen müssen. Die Frage war nun, ob die Prozessdauer mitgerechnet wird oder nicht. Dabei geht das Verfassungsgericht natürlich davon aus, dass Gerichtsverfahren einige Zeit dauern. Aber dass bis zum Urteil in der 2. Instanz in so einer Sache, wo das Tempo sogar im Gesetz steht, 17 Monate vergehen, hält das Gericht nicht mehr für vertretbar. Das Gesetz verlange eine schnelle Veröffentlichung, damit Verbraucher aktuell informiert sind und Unternehmen motiviert werden, sich an die Regeln zu halten. Nach 17 Monaten sage so eine Warnung aber nichts mehr über den aktuellen Zustand des Betriebs. Die Meldung erscheine dann eher wie eine nachträgliche Bestrafung für die Firma, die letztlich nur das Ansehen und den Umsatz des Betriebs schädigt. Eine Rolle spielte natürlich auch, dass die betroffene Firma die Gerichtsverfahren selbst nicht verzögert hat.

Die Warnungen selbst sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Das Bundesverfassungsgericht hatte nämlich eine einstweilige Anordnung erlassen und die Bekanntmachung untersagt, offenbar weil die Frage von grundsätzlicher Bedeutung erschien. Die Richter in Karlsruhe ließen sich dann auch selbst Zeit – ziemlich genau ein Jahr dauerte es bis zu ihrer Entscheidung. Der Prozess ist aber noch nicht nicht zu Ende. Die Sache wurde zu erneuter Entscheidung zurückverwiesen (Aktenzeichen 1 BvR 1949/24).

Lehrerin ist über 15 Jahre krank, will aber nicht zum Amtsarzt

Eine Lehrerin in Nordrhein-Westfalen hat seit 2009 keinen Klassenraum mehr von innen gesehen. Sie ist mittlerweile mehr als 15 Jahre krankgeschrieben, und die Landesverwaltung hat das anscheinend nicht sonderlich gestört. Erst im April 2025 ordnete der Dienstherr nun eine amtsärztliche Untersuchung an, um eine mögliche Rückkehr der Lehrerin in den Dienst zu prüfen. Doch die Betroffene fand das weniger gut, sie zog vor Gericht.

Nach so langer Zeit sei ihr eine Untersuchung nicht mehr zumutbar, argumentierte die Beamtin. Das Oberverwaltungsgericht Münster sieht dies jedoch anders. Unabhängig von der Frage, wieso die Frau überhaupt 15 Jahre ohne Überprüfung als dienstunfähig galt, verwirke der Dienstherr durch bloße Untätigkeit keine Rechte. Vielmehr sei es heute umso wichtiger zu prüfen, ob die Frau jemals wieder unterrichten kann. Auch die Untersuchung bei einem Psychiater hält das Gericht für zulässig. Die Beamtin habe selbst Atteste eines Zentrums für Neurologie und Psychiatrie vorgelegt. Somit sei es kein unzulässiger Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht, die Untersuchung auch auf psychische Fragen zu erstrecken (Aktenzeichen 6 B 724/25).

Die Demokratie lässt sich nicht retten, indem man sie abschafft

In Ludwigshafen am Rhein hat der Wahlausschuss, ein Gremium lokaler Politiker, den AfD-Landtagsabgeordneten Joachim Paul von der Kandidatur zur Oberbürgermeisterwahl ausgeschlossen. Begründung: Zweifel an seiner Verfassungstreue. Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat diese Entscheidung gestern bestätigt und Pauls Eilantrag abgelehnt. Die Frage lautet: Was ist das Demokratieprinzip noch wert, wenn Kandidaten vorher nach politischer Opportunität ausgesiebt wurden?

Zunächst einmal ist der Wahlausschuss selbst hochproblematisch. Er setzt sich ausschließlich aus Politikern zusammen – Vertretern etablierter Parteien, die direkt oder indirekt Konkurrenz zu Paul darstellen. Hier entscheidet die Konkurrenz über ihre eigene Konkurrenz, was einen eklatanten Interessenkonflikt darstellt. So argumentiert etwa der Cicero-Magazin, dass der Ausschluss Pauls eine neue Phase im „Kampf für ‚unsere Demokratie'“ markiert, in der der Verfassungsschutz instrumentalisiert wird, um politische Gegner zu diskreditieren. Interne Dokumente, aus denen Cicero zitiert, deuten sogar darauf hin, dass die amtierende Oberbürgermeisterin aktiv beim Verfassungsschutz nach belastendem Material gefragt hat. Denunziation als Teil des demokratischen Prozesses. Wem dabei nicht unwohl wird, dem ist fast nicht zu helfen.

Noch kritischer ist die Rolle des Verwaltungsgerichts. Es hat Pauls Eilantrag abgewiesen mit der Begründung, dass eine Prüfung der Verfassungstreue so kurz vor der Wahl nicht machbar sei. Das Gericht stützt sich dabei rein auf die „Bedenken“ des Wahlausschusses und des Verfassungsschutzes, ohne konkrete Beweise zu fordern oder die Vorwürfe substanziell zu überprüfen. Dabei ist die vom Verfassungsschutz gelieferte Auftragsarbeit nicht mehr als die Zusammenstellung über das, was man zu Paul im Internet finden kann. Das Papier erhebt noch nicht mal den Anspruch auf Vollständigkeit. Das Verwaltungsgericht hätte an dieser Stelle problemlos einhaken und das Spektakel mit der Klarstellung beenden können, dass allenfalls Fakten zählen, die in ihrer Gesamtschau zwingend sind.

Stattdessen erlaubt das Verwaltungsgericht die Aufhebung des Demokratieprinzips und die Einschränkung des passiven Wahlrechts auf bloße, einseitige und eingestandermaßen unvollständige Vermutungen hin. Es priorisiert administrative Hürden und „Zweifel“ zu Lasten des Wählerwillens. Man muss es leider offen sagen: Solche Entscheidungen erinnern an autoritäre Praktiken in anderen Ländern, bei denen der Staat – oder besser: seine politischen Akteure – die Opposition vorab eliminiert und sich noch nicht einmal dafür schämt. In Ludwigshafen zeigt sich, was vom Prinzip der Volkssouveränität übrig zu bleiben droht, wenn der Ausschluss unliebsamer Kandidaten Schule macht.

Wir riskieren mittlerweile sehenden Auges, dass Wahlen zu einer Farce werden, in der nur „genehme“ Kandidaten antreten dürfen. Die Wähler verdienen mehr Respekt – und eine echte Wahl. Und für alle, die mittlerweile an jeder Ecke die „Faschisten“ sehen: Die Demokratie lässt sich nicht dadurch retten, dass man sie abschafft.

Jura in Leipzig ab sofort gendergerecht

Nach jahrelanger Diskussion sind die Würfelinnen gefallen: Jurastudenten studieren künftig nicht mehr an der Ju­ris­ten­fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Leip­zig, so der althergebrachte Name. Der Fachbereich nennt sich künftig Ju­ris­ti­sche Fa­kul­tät.

Der Hauptgrund für die Änderung ist der Wunsch der Universitätsführung nach einer geschlechtsneutralen Formulierung. Statt „Juristen“, was wohl als das generische Maskulinum anzusehen ist, weil Frauen unstreitig an der Fakultät studieren dürfen und seit Jahren sogar die Männer überwiegen, orientiert sich der neue Name laut offizieller Mitteilung am „fachlichen Kern“: dem Recht.

Die Entpersönlichung soll also irgendwie inklusiver wirken und den aktuellen Sprachgebrauch widerspiegeln – wer auch immer den ermittelt. Dekanin Katharina Beckemper, die erste Frau an der Spitze der fast 600 Jahre alten Institution, betont, der neue Name verbinde historische Tradition mit moderner Gleichstellung. Auch die Gleichstellungsbeauftragte Carolin Heinzel sieht die Umbenennung als „überfälliges Signal“, mahnt aber, dass echte Gleichstellung mehr braucht als nur Worte.

Die Umbenennung ist übrigens demokratisch vorbildlich vorbereitet worden. So gab es 2021 eine offizielle Umfrage zur Namensänderung. Bei dieser stimmten 42 % der Fakultätsangehörigen für die Namensänderung. Eine klare Minderheit von 58 % war dagegen

Sohn des Generalstaatsanwalts wird Staatsanwalt – trotz mauer Noten

In Schleswig-Holstein sorgt eine Personalie für Wirbel: Der Sohn des Generalstaatsanwalts Ralf Peter Anders wurde trotz fehlender Prädikatsexamina in den höheren Justizdienst des Landes aufgenommen. Das führt zu Diskussionen, nicht nur in Fachkreisen.

Normalerweise braucht man in Schleswig-Holstein für eine Stelle als Staatsanwalt oder Richter mindestens neun Punkte in beiden juristischen Staatsexamina, also ein sogenanntes Doppelprädikat. Das steht so zumindest auf der Website des Landes. Doch der Sohn des seit 2024 amtierenden Generalstaatsanwalts wurde zum 1. August eingestellt – mit nur 7,01 Punkten im ersten und 7,1 Punkten im zweiten Examen. Zusammen macht das knapp über 14 Punkte, was deutlich unter den üblichen Anforderungen liegt. Das Justizministerium bestätigte die Einstellung, schwieg aber zu den Noten mit Verweis auf Persönlichkeitsrechte. Aus der Staatsanwaltschaft kam Kritik, berichtet beck-online: Anonyme Stimmen werfen dem Ministerium „vorauseilenden Gehorsam“ vor und fragen, ob Bewerber ohne prominente Familienverbindung überhaupt eine Chance auf ein Vorstellungsgespräch gehabt hätten.

Das Justizministerium wiegelt ab. Prädikatsexamina seien nicht das einzige Kriterium. Laut Pressesprecher Christian Kohl spielen auch berufliche Vorerfahrungen, Zusatzqualifikationen wie eine Promotion oder gute Stationszeugnisse eine Rolle. Die Examensnoten seien nur ein Ausgangspunkt, die Summe der Punkte kein festes Kriterium. Das klingt nach einer flexiblen Auslegung. Es macht aber die Angaben auf der Webseite des Landes reichlich verwirrend, die weiter von mindestens neun Punkten sprechen. Offenbar wurde im Fall des Generalstaatsanwalt-Sohnes von dieser Prädikatsregel abgewichen, vermutlich – oder aus Sicht der Verantwortlichen hoffentlich – wegen solch überwältigender Zusatzqualifikationen. Genauere Angaben dazu gibt es aber nicht.

beck-online hat beim Ministerium die zurückliegende Einstellungspraxis abgefragt. Von 2016 wurden demnach bis heute 414 Personen in den höheren Justizdienst aufgenommen, darunter viele ohne Doppelprädikat. 271 hatten im ersten Examen mindestens neun Punkte, 224 im zweiten. 142 bzw. 189 Personen wurden mit „befriedigend“ eingestellt. Für den Zeitraum Juli 2024 bis Juli 2025 gibt das Ministerium an, dass keine der 27 Neueinstellungen eine Gesamtpunktzahl von 14 Punkten oder weniger hatten.

Der schleswig-holsteinische Richter Dirk Meisterjahn kritisiert auf Instagram öffentlich, dass die irreführenden Angaben auf der Landeswebsite Bewerber benachteiligen. Wer sich auf die offiziellen Infos verlässt, könnte denken, mit weniger als Doppelprädikat habe man keine Chance – und sich gar nicht erst bewerben. Es bleibt bis zum Beleg des Gegenteils zumindest der Eindruck, dass familiäre Verbindungen möglicherweise mehr zählen als Noten.

Die Sache ist sicherlich noch nicht ausgestanden.

Hinweis: Der ursprüngliche Artikel wird hiermit wegen eines inhaltlichen Fehlers leicht geändert neu veröffentlicht. Vielen Dank an das schleswig-holsteinische Justizministerium für die Aufklärung.

Karikatur: wulkan

US-Regierung: Meinungsfreiheit ist in Deutschland gefährdet

Der aktuelle Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums wirft Deutschland vor, bei der Meinungsfreiheit nicht immer sauber zu arbeiten. Konkret genannt werden Fälle, in denen Beleidigungen oder kritische Posts in sozialen Medien strafrechtlich verfolgt wurden – etwa das Meme gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser, das einem Journalisten eine Bewährungsstrafe einbrachte. Der jährliche Bericht mit dem Titel „2024 Country Reports on Human Rights Practices“ sieht eine potenzielle Gefahr für die freie Meinungsäußerung, weil solche Verfahren abschreckend wirken.

In Deutschland ist die Meinungsfreiheit durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt, aber es gibt Grenzen, etwa bei Beleidigung oder Volksverhetzung. Das US-Außenministerium kritisiert, dass die Durchsetzung dieser Gesetze mitunter zu weit geht und die Meinungsfreiheit einschränkt. Besonders die Verfolgung von Online-Äußerungen steht im Fokus.
US-Außenminister Marco Rubio fordert Deutschland auf, sensibler zu agieren und die Balance zwischen Schutz vor Beleidigungen und freier Meinungsäußerung besser zu wahren. Ähnlich hat sich auch schon der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance geäußert. Auch Frankreich und Großbritannien kommen in dem Bericht nicht gut weg. Der Bericht attestiert Deutschland erstmals ausdrücklich „erhebliche Menschenrechtsprobleme“.

Hakenkreuz-Politiker wird nicht bestraft

Bis vor kurzem war Daniel Born Vizepräsident des Landtags in Baden-Württemberg. Dann wurde der Politiker dabei erwischt, wie er bei einer geheimen Abstimmung neben den Namen eines AfD-Kandidaten ein Hakenkreuz auf den Stimmzettel malte. Nun steht fest: Der SPD-Politiker wird für sein Verhalten nicht bestraft. Die Staatsanwaltschaft sieht keinen Tatverdacht und stellt das Strafverfahren ein.

Ich habe den Fall schon nach Bekanntwerden juristisch bewertet und Folgendes geschrieben:

Allerdings verlangt § 86a StGB als Tathandlung ein „Verbreiten“. Der Besitz eines Hakenkreuzes, zum Beispiel in einem Buch, ist nicht strafbar. Selbst zum Beispiel ein Besucher in der eigenen Wohnung das Hakenkreuz im Buch betrachtet. Verbreiten setzt vielmehr voraus, dass der Inhalt an einen „größeren, für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis“ gelangt oder gelangen soll. Die Zahl Landtagsmitarbeiter oder Abgeordneten, die Stimmzettel auszählen, dürfte doch eher überschaubar sein. Das wird für ein Verbreiten eher nicht reichen. Somit bleibt nur eine weitere Möglichkeit: dass der Täter eine Weitergabe durch die betreffenden Personen wünscht oder sogar ausdrücklich anstößt. Auf so viel Zuspruch konnte der Politiker aber sicherlich nicht vertrauen.

Auch die Staatsanwaltschaft verweist darauf, dass das vom Gesetz geforderte Verbreiten nicht vorliegt, weil das in Frage kommende Publikum – also die Stimmzähler – sicherlich kein größerer Personenkreis ist. Born will sein Landtagsmandat übrigens behalten. Es gab zuletzt auch Stimmen aus seiner ehemaligen Fraktion, dass jeder eine zweite Chance verdient.

Einjähriges Kind klagt erfolgreich auf Einreise nach Deutschland

Ein jordanisches Kleinkind darf nach Deutschland einreisen, um zu seinen Eltern zurückzukehren. Der Fall sorgte für Schlagzeilen, weil die Familie nach einem Urlaub in Jordanien getrennt wurde – dem einjährigen Jungen wurde die Einreise verweigert, obwohl seine Eltern und Geschwister in Deutschland leben und zurückkommen durften. Das Gericht in Karlsruhe gab dem Eilantrag des Kindes – vertreten durch Anwälte – statt und erließ eine einstweilige Verfügung.

Hintergrund des Falls: Die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und drei Kindern, lebt regulär in Deutschland. Nach einem Urlaub in Jordanien durften alle außer dem jüngsten Kind, einem einjährigen Jungen, zurückkehren – obwohl die Behörden Sicherheitsbedenken wegen einer möglichen extremistischen Betätigung der Mutter hatten. Die Begründung der Behörden war, dass das Kind als einziges Familienmitglied keine Aufenthaltsgenehmigung habe. Die Eltern wehrten sich dagegen, weil sie als Familie zusammenbleiben wollten. Sie argumentierten, dass die Trennung unverhältnismäßig sei und ihre Rechte verletze, insbesondere das Recht auf Familieneinheit, das im Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist.

Das Bundesverfassungsgericht beruft sich in seiner Entscheidung vorrangig auf das Kindeswohl. Der Junge werde von seinen Eltern getrennt, das könne zu unabsehbaren Schäden führen und seine Grundrechte verletzten. Den Ansatz der Behörden, auf die Einhaltung der ausländerrechtlichen Vorschriften zu achten, sei in diesem nachrangig. Die Verwaltungsgerichte hatten in den vorherigen Instanzen die Einreise übrigens verweigert. Das Kind kann sein Aufenthaltsrecht jetzt von Deutschland aus versuchen, sein Aufenthaltsrecht juristisch durchsetzen (Aktenzeichen 2 BvR 885/25).

Zwölffacher Heizkostenzuschuss – das muss auffallen

Eine Frau aus dem Landkreis Lüneburg hat jahrelang Heizkostenzuschüsse vom Jobcenter bekommen, weil sie auf Grundsicherung angewiesen war. Normalerweise reichte sie ihre Heizölrechnungen ein und bekam dann den Zuschuss ausgezahlt. Im Frühjahr 2019 passierte aber ein Fehler. Statt einer Einmalzahlung basierend auf der Jahresabrechnung überwies das Jobcenter ihr monatlich 480 Euro – und das über mehrere Monate hinweg. Am Ende belief sich die Überzahlung auf 3.600 Euro. Das Jobcenter forderte das Geld zurück, und die Frau wehrte sich dagegen vor Gericht.

Das Sozialgericht Lüneburg gab der Klägerin zunächst sogar recht und urteilte, das Jobcenter dürfe seine Bescheide nicht einfach mehr oder weniger ständig für „vorläufig“ erklären, um Überzahlungen später zurückfordern zu können. Das sei ein Missbrauch des Rechts. Die Frau argumentierte, sie sei keine Juristin und habe den Fehler nicht bemerken können. Sie habe einfach vertraut, dass die Zahlungen korrekt seien. Doch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle sieht es in der Berufung anders.

Der Kern des Urteils dreht sich darum, dass die Frau hätte erkennen müssen, dass sie nicht jeden Monat 480 Euro Heizkostenzuschuss bekommen sollte. Das Gericht betont, dass alle Bewilligungen vorläufig waren, was in den Bescheiden auch so stand. Selbst als Laie habe man die Pflicht, solche Papiere zu lesen und die wichtigsten Infos zu checken. Hier war auch einer Nichtjuristin klar, dass die monatlichen Zahlungen viel zu hoch ausfielen – schließlich ging es um Heizkosten, die nicht jeden Monat in gleicher Höhe anfallen und auch die Abrechnungen früher sich aufs Jahr bezogen. Wer das nicht merkt und nicht nachhakt, kann sich laut dem Gericht später nicht auf Vertrauensschutz berufen.

Das Jobcenter durfte die Überzahlung also zurückfordern, weil kein Vertrauensschutz entstanden ist. Daran ändere auch die Vorläufigkeit der Bescheide nichts. Wenn ein Jobcenterkunde Wert auf endgültige Bescheide lege, müsse er dies halt einklagen. Somit liegt die Verantwortung für krasse Berechnungsfehler zwar weiter beim Amt, ein Empfänger hat aber kein Recht, davon dauerhaft zu profitieren (Aktenzeichen L 11 AS 597/23).

Neues zum „Salz-Pfeffer-Verhältnis“

Ein Berliner Restaurant wollte schlechte Online-Bewertungen gerichtlich verbieten lassen – und ist gescheitert. Das Landgericht Berlin II lehnt den Antrag auf einstweilige Verfügung ab. Warum? Zum einen war der Streitwert von 5.000 Euro, den die Restaurantbetreiberin angesetzt hatte, nicht nachvollziehbar. Zum anderen wurde das vorgeschriebene Meldeverfahren der Plattform nicht genutzt.

Die Gastronomin störte sich an negativen Bewertungen wie „Salz-Pfeffer-Verhältnis hat nicht gepasst“ und wollte, dass die Plattform solche Bewertungen unterbindet. Doch das Gericht sah keinen hohen wirtschaftlichen Schaden, der einem Streitwert über 5.000 Euro entspricht. Bewertungen gehören laut der Entscheidung zum Alltag, und einzelne Kritiken beeinträchtigen ein Unternehmen nicht maßgeblich. Daher wäre hier das Amtsgericht zuständig gewesen.

Viel wichtiger für Nicht-Juristen: Das Gericht betonte, dass die Klägerin das Melde- und Abhilfeverfahren der Plattform nach dem Digital Services Act (DSA) hätte nutzen müssen. Eine formlose Beschwerde reicht nicht mehr aus. Seit dem DSA müssen Betroffene die Plattform gezielt über deren offizielles Meldeformular informieren. Das Formular ist meist über ein Drei-Punkte-Menü zu finden.

Ohne ordentliche Meldung fehlt der Plattform die „Kenntnis“ von einem möglichen Verstoß. Ohne Kenntnis jedoch keine Pflicht zur Entfernung – und damit auch keine Grundlage für eine Klage. Fazit: Wer unliebsame Bewertungen loswerden will, muss erst die internen Beschwerdewege der Plattform nutzen. Sonst steht man vor Gericht eventuell mit leeren Händen da (Aktenzeichen 27 O 262/25).

Bundesgerichtshof ordnet Nacktbilder juristisch ein

Juristen müssen viel definieren – und das Definierte dann auslegen. Der Bundesgerichtshof hatte nun die Aufgabe zu erklären, ob es bei möglicherweise strafbaren Intimfotos oder -videos einen Unterschied zwischen den Formulierungen „gegen Anblick“ und „gegen Einblick“ gibt und worin dieser besteht.

Der Fall dreht sich um eine Frau, die ihrem damaligen Freund Nacktbilder von sich selbst geschickt hatte, aufgenommen in der eigenen Wohnung. Nach der Trennung hat der Ex die Fotos an zwei Bekannte der Frau weitergeleitet. Das Landgericht Krefeld hat ihn deswegen – neben einer Vergewaltigung – auch wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs verurteilt, und zwar nach zwei Paragrafen: § 201a StGB (der schützt vor unbefugter Nutzung von Bildern aus dem privaten Rückzugsbereich) und § 184k StGB (der sogenannte Upskirting-Paragraf, der intime Aufnahmen trotz Kleidung oder anderer Barrieren verbietet).

Der Mann hat Revision eingelegt, und der BGH gibt ihm in puncto § 184k StGB recht: Dieser Paragraf greift hier nicht, weil die intimen Körperteile auf den Fotos nicht durch Kleidung oder Ähnliches „gegen Anblick“ geschützt waren. Die Frau war ja aus freien Stücken in ihrer Wohnung nackt. § 184k ist laut dem Gericht speziell für Fälle gedacht, wo jemand heimlich unter den Rock fotografiert oder ähnliche Tricks anwendet, um verdeckte Bereiche abzulichten. Das ergibt sich aus dem Sinn der Regelung, die vor allem vor solchen heimlichen Übergriffen in der Öffentlichkeit schützen soll.

Stattdessen passt hier § 201a StGB. Dieser schützt den „gegen Einblick abgeschirmten Rückzugsbereich“ – also die eigene Wohnung oder ähnliche private Orte. Die Fotos waren ursprünglich freiwillig gemacht und geschickt worden, aber die Weitergabe ohne Erlaubnis verletzt genau diesen Schutz (Aktenzeichen 3 StR 40/25).

Gericht lässt Phishing-Opfer haften

Ein Ehepaar verliert 41.000 Euro durch einen Phishing-Betrug – und die kontoführende Bank zuckt mit den Schultern. Das Oberlandesgericht Oldenburg segnet dies in einem aktuellen Urteil ab.

Eine Frau wollte ihre PushTAN-Registrierung erneuern. Dazu hatte sie ein Anrufer gebracht, angeblich von der Bank. Das Telefon zeigte eine täuschend echte Nummer an, dank Call-ID-Spoofing. Der Anruf brachte die Frau dazu, einen angeblichen „Sicherheitsvorgang“ in der Banking-App freizugeben. Ergebnis: Das Geld war weg, überwiesen an Betrüger. Das Ehepaar forderte Rückerstattung gemäß § 675u BGB, der Zahlungsdienstleister an sich zur Erstattung unbefugter Abbuchungen verpflichtet.

Das Landgericht Osnabrück gab den Kunden recht, doch das Oberlandesgericht Oldenburg machte die Entscheidung rückgängig. Wer einem angeblichen Bankmitarbeiter blind vertraut und eine TAN freigibt, ohne misstrauisch zu werden, handele grob fahrlässig. Die Haftung der Bank ist nämlich gesetzlich ausgeschlossen, wenn der Kunde den Schaden durch grob fahrlässig mitverursacht. Aber gegen Fahrlässigkeit sprachen eigentlich folgende Umstände: Die Anrufer hatten die Telefonnummer der Bank vorgetäuscht, der Freigabeauftrag in der App war vage formuliert. Das spielt laut dem Gericht keine Rolle. In Zeiten allgegenwärtiger Phishing-Warnungen hätte die Kundin stutzig werden müssen. Die allgemeine Bekanntheit von Phishing-Angriffen erfordere besonders große Vorsicht.

Aktenzeichen 8 U 103/23

Schwabenkrimi

Die Kleinstadt Spaichingen in Baden-Württemberg freut sich über unerwartete Medienöffentlichkeit. Krimi- und Jurapodcasts bringen sich schon in Stellung. Eine 51-jährige Frau steht im Verdacht, etwa 40 Liter Regenwasser aus der Regentonne ihres Nachbarn gestohlen zu haben. Die Polizei Konstanz ermittelt ganz offiziell wegen Diebstahls geringwertiger Sachen gemäß § 248a StGB sowie wegen Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB).

Die Tat soll sich am 25. Juli 2025 gegen 04:00 Uhr morgens zugetragen haben und wurde durch einen Facebook-Post der örtlichen Polizei publik. Laut dem Bericht schlich die Frau zweimal in der Nacht auf das Grundstück ihres 38-jährigen Nachbarn, um mit zwei Gießkannen insgesamt etwa 40 Liter Regenwasser aus dessen Regentonne zu entnehmen. Überwachungskameras zeichneten die Tat auf, wobei die Frau beim zweiten Versuch versuchte, sich hinter einem Müllcontainer zu verstecken, als ein Auto vorbeifuhr, vermutlich um nicht entdeckt zu werden. Der Nachbar, der sein Haus renoviert und nach eigenen Angaben derzeit keinen Wasseranschluss hat, zeigte die Frau an, da er auf das gesammelte Regenwasser angewiesen ist. Ihn ärgert nach eigenen Angaben besonders, dass die Frau auf ihrem Grundstück eine eigene Regentonne hat.

Juristisch ordnet die Polizei den Fall korrekt ein. Regenwasser, das in einem Behälter wie einer Regentonne auf dem Grundstück gesammelt wird, gilt als Privateigentum des Besitzers. Die unbefugte Entnahme ist ein Diebstahl. Hinzu kommt der Vorwurf des Hausfriedensbruchs. Der geschätzte Wert des entwendeten Wassers liegt nach Polizeiangaben bei etwa 15 Cent. Das scheint mir, selbst bei den heutigen Wasserpreisen, als sehr hoch gegriffen. Aber in jedem Fall reden wir höchstens über einen Diebstahl geringwertiger Sachen. In den Kommentaren zu dem Facebook-Post findet sich deshalb auch Kritik, dass die Polizei sich überhaupt so intensiv mit so einem Fall beschäftigt. „Lebenslänglich mit Sicherungsverwahrung“, schlägt ein Leser vor.

Ich würde eher erwarten, dass selbst bei hinreichendem Tatverdacht eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit möglich ist (§ 153 StPO). Die Beteiligten sind wahrscheinlich ohnehin schon genug damit bestraft, dass sie es auch künftig miteinander aushalten müssen.

Karikatur: wulkan

Ludwigshafen: Blaupause für den stillen Putsch?

In Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) wurde der AfD-Kandidat nicht für die Oberbürgermeisterwahl zugelassen. Die AfD hat bei der Bundestagswahl 24,3 Prozent der Stimmen geholt – und steht jetzt ohne Kandidaten da. Der Bewerber Joachim Paul wurde durch ein Kompromat des Verfassungsschutzes diskreditiert und vom Wahlausschuss wegen angeblichere Zweifel an seiner Verfassungstreue abgelehnt. Ist Ludwigshafen also ein Wundermittel gegen die Bedrohung von rechts? Ist das Votum der sogenannten Wahlausschüsse gar die Blaupause für den stillen Putsch in Bund, Ländern und Kommunen, der „unsere Demokratie“ wieder in die Pole Position bringt – und 25 % der Wähler zum Schweigen? Ein Überblick.

Ludwigshafen euphorisiert, das kann man festhalten. Ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung kann etwa vor Begeisterung darüber kaum an sich halten, dass die rheinland-pfälzische Gemeindeordnung von einem Bürgermeisterkandidaten ausdrücklich Verfassungstreue fordert. Das sei genau die Regelung, die man brauche, um „Hetzer“ erst gar nicht in Amt und Würden kommen zu lassen, schreibt dieser am 8. August in sein Blatt. Und setzt dann einen gezielten Punch ins Gesicht jedes mündigen Bürgers. Der Paragraf, so der Autor, „schützt die Demokratie auch vor der Fahrlässigkeit von Bürgern, die in ihrer Nebennebennebentätigkeit als Wähler nicht umreißen, wen sie womöglich in Ämter hieven“. Also freie Wahlen gerne, aber bitte nur, so lange sie nicht frei sind.

Kleines Problem, zumindest aus Sicht solcher Musterdemokraten: Die Lex Ludwigshafen oder vergleichbare Regelungen gibt es nur in wenigen Fällen. Gerade auf Landes- und insbesondere Bundesebene existiert sie in dieser Form nicht. Für den Bundestag, dem wichtigsten Parlament der Republik, gibt es zum Beispiel keine Gesinnungsprüfung. Nur wem aufgrund eines Strafurteils das passive Wahlrecht entzogen wurde, darf nicht antreten. Es bedarf in jedem Fall einer gerichtlichen Entscheidung. Die Wahlausschüsse für die Bundestagswahl prüfen demgemäß nur formale Voraussetzungen. Dazu gehören das Mindestalter von 18 Jahren und die deutsche Staatsbürgerschaft.

Nächste Ebene, die Landtagswahlen. Für die Länderparlamente gibt es in der Regel keine Vorschriften, die eine Verfassungstreue-Erklärung oder -Überprüfung für Kandidaten verlangen oder erlauben. Die Wählbarkeit hängt von allgemeinen Kriterien wie Alter und Wohnsitz ab, und Abgeordnete unterliegen gerade nicht beamtenrechtlichen Pflichten. Weitergehende Prüfungen sind nach derzeitiger Rechtslage ausgeschlossen. Mit einer Ausnahme. Art. 32 Abs. 1 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen schließt Personen aus, die die staatsbürgerliche Freiheit unterdrücken oder Gewalt gegen Volk, Land oder Verfassung anwenden wollen. Über einen Ausschluss bei Landtagswahlen kann aber nur der Verfassungsgerichtshof des Landes entscheiden, nicht irgendein Wahlausschuss.

Auf Bundes- und Landesebene wird es also nichts werden mit dem Ausschluss einzelner Kandidaten. Auf kommunaler Ebene ist die Lage zersplittert. Folgende Länder verlangen von Kandidaten ausdrücklich Verfassungstreue: Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. Aber das gilt in der Regel nur für Kandidaten, die sich um beamtenenähliche Ämter bewerben. Also etwa den Posten als Oberbürgermeister oder Landrat. Keine Landesregelung fordert für Stadtrats- oder Kreistagskandidaten eine Verfassungsprüfung. Die Zusammensetzung der Parlamente kann also kaum manipuliert werden.

Von daher lässt sich die Eingangsfrage recht klar beantworten: Ludwigshafen liefert keine Blaupause, um die AfD über die Ablehnung einzelner Kandidaten aus den Parlamenten zu werfen.