Wo bleibt die Staatsanwältin?

Man kann Staatsanwaltschaften ja viel vorwerfen – aber pünktlich ist das Personal schon. Jedenfalls bei Gericht. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mit dem Gericht und anderen Beteiligten mal auf einen Staatsanwalt warten musste – die um ein paar Minuten verlängerte Kaffeepause vielleicht ausgenommen.

Aber irgendwann ist immer das erste Mal. Heute war es so weit. Richter, Schöffen, Protokollführer, Angeklagter, ich als Verteidiger. Alle da. Nur die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nicht. Immerhin hatte der Protokollführer des Gerichts eine Liste der zum Dienst eingeteilten Strafverfolger. Er konnte also – nach Ablauf des akademischen Viertels – gleich mal bei der Behörde anrufen.

Witzigerweise war es die Staatsanwaltschaft, die den Prozess überhaupt wollte. Mein Mandant war in erster Instanz freigesprochen worden. Gegen das Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt.

Da könnte man natürlich fragen, ob nicht gleiches Recht für alle gelten sollte. Die Berufung eines Angeklagten verwirft das Gericht nämlich normalerweise, wenn er nicht pünktlich zum Termin erscheint und sich nicht ausreichend entschuldigt hat. Aber Gleichbehandlung gibt es in diesem Punkt nicht. Die Strafprozessordnung sieht nur vor, dass die Berufung eines säumigen Angeklagten verworfen werden kann. Im Falle des fehlenden Staatsanwalts ist das nicht möglich.

Nach einer dreiviertel Stunde stürmte die zuständige Staatsanwältin dann in den Gerichtssaal. Sie hatte sich, sagte sie, an der offiziellen Terminsliste ihrer Behörde orientiert. Dort war unser Termin eine Stunde später eingetragen. “Ich saß noch im Büro”, lachte sie. “Und dachte, dann arbeite ich vor dieser Sache noch gemütlich ein paar Akten weg.”

Immerhin: Nach der Beweisaufnahme hat die Staatsanwältin die Berufung zurückgenommen. Das hatte sicher direkt nichts mit ihrer Verspätung zu tun. Vielmehr war nach einigen Zeugenaussagen klar, dass der frühere Freispruch in Ordnung ging. Angesichts dieses erfreulichen Ergebnisses war das morgendliche Warten dann auch halb so schlimm.

Auch Flüchtige dürfen telefonieren

Wer auf der Flucht ist, kann sich später nicht beschweren, dass ihn gerichtliche Schreiben nicht erreicht haben. Ein Angeklagter hatte bei Gericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, weil er die schriftliche Begründung eines gegen ihn ergangenen Urteils nach eigenen Angaben nicht erhalten hatte. Nach den Feststellungen des Gericht war er allerdings flüchtig, als ihm das Urteil zugeschickt werden sollte.

Die eigentliche Zustellung war ohnehin an seinen Verteidiger erfolgt, weil dieser dem Gericht eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hatte. Das Gericht wollte dem Angeklagten allerdings – wozu es grundsätzlich verpflichtet ist – formlos eine Abschrift zukommen lassen. Die Übersendung per Post scheiterte jedoch daran, dass  der Angeklagte aus der Jugendhaftanstalt geflüchtet war. Logischerweise hatte er dem Gericht keine neue Anschrift mitgeteilt.

Das Dilemma wäre wohl gar nicht entstanden, wenn sich der Angeklagte zumindest mal bei seinem Anwalt gemeldet hätte. Oder dem Anwalt eine Kontaktmöglichkeit gegeben hätte, sofern sich was in seinem Fall ereignet. Der Anwalt hätte ihm dann sagen können, dass Post für ihn gekommen ist.

Wenn ein Verteidiger mit einem flüchtigen Mandanten spricht, ist das absolut legal. Der Verteidiger ist nicht verpflichtet, die Behörden zu informieren, wenn sein Mandant mit ihm Kontakt aufnimmt. Er muss auch keine “Spuren” für die Ermittler dokumentieren, etwa im Display angezeigte Rufnummern. Im Gegenteil: Ein Verteidiger beginge sogar Parteiverrat, wenn er den Aufenthaltsort seines Mandanten von sich aus preisgibt, zumindest so lange dieser nicht damit einverstanden ist.

Dabei hat ein Anwalt noch nicht mal eine großartige Sonderrolle. Auch sonst ist kein Bürger verpflichtet, flüchtige Personen zu melden. Gemeldet werden muss nur, wenn schwere Straftaten drohen, nicht wenn sie möglicherweise schon begangen wurden. Wer allerdings nur weiß, wo sich ein Gesuchter aufhält, muss nichts melden. Auch nicht auf Nachfrage, da – worauf ich ja gerne hinweise – ohnehin kein Zeuge mit der Polizei sprechen muss. Auch wenn Polizeibeamte gern das Gegenteil behaupten.

Strafbar ist es allerdings, wenn man gewissen Grenzen überschreitet. Wer einem Gefangen etwa bei sich wohnen lässt, ihm sein Auto leiht oder mit Geld unterstützt, riskiert Strafverfolgung. Zum Beispiel wegen Strafvereitelung. Diese Grenze gilt übrigens auch für Strafverteidiger. Deshalb habe ich es neulich auch mal abgelehnt, einen stattlichen Betrag per Western Union an ein sonniges Plätzchen zu überweisen.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 22. Februar 2013, Aktenzeichen  (4) 161 Ss 38/13 (41/13)

Rechtsanwalt Detlef Burhoff zum gleichen Thema

Informatiker wollen keine Bestandsdatenauskunft

Der Präsidiumsarbeitskreis „Datenschutz und IT-Sicherheit“ der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) betrachtet die geplante Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) mit großer Sorge. Die Gesellschaft für Informatik ist ein Fachverband, in der vorwiegend Informatiker aus Forschung und Lehre, Wirtschaft und Verwaltung zusammengeschlossen sind. Sollte die Novellierung, auch als Bestandsdatenauskunft bekannt, wie geplant umgesetzt werden, führt sie laut GI zu einer beträchtlichen Erweiterung der Befugnisse der Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden, die über die Telefonie hinaus weit in das Internet hineinreicht. Am 18. April berät der Innenausschuss des Bundesrates erneut über die Änderungen des TKG und die Neuregelung der Bestandsdatenauskunft.

„Der Grundgedanke des Telekommunikationsgeheimnisses liegt bislang darin, den Austausch von Informationen so zu schützen, als ob er von Angesicht zu Angesicht stattfinden würde, d. h. die Nachrichten von Unbefugten nicht zur Kenntnis genommen werden können“, sagte Hartmut Pohl, Sprecher des Arbeitskreises.

Die geplante Neuregelung würde den Behörden allerdings internetweite Zugriffsmöglichkeiten gestatten, die deutlich über das bisher für den engeren Bereich der Telekommunikation Zulässige hinausgehen. Dies lässt sich, so die Gesellschaft für Informatik, an einigen Punkten verdeutlichen:

Der Begriff der Telekommunikation soll erstmals so sehr ausgedehnt werden, dass er sich nicht mehr nur auf die herkömmliche Telefonie bezieht, sondern auf jeden interaktiven Datenaustausch im Internet. Damit sollen Aktivitäten im Internet durch das Telekommunikationsgesetz erfasst werden. In Bezug auf Bestandsdaten bedeutet dies, dass Telekommunikationsanbieter nicht nur die Daten aus den Verträgen mit ihren Kunden sowie PINs und PUKs für SIM-Karten (Handys, Smartphones) herausgeben müssen, sondern auch gespeicherte Zugangsdaten (Passwörter) für E-Mail- oder Cloud-Accounts.

Über solche Accounts finden sich allerdings häufig auch Zugangsdaten zu Facebook, LinkedIn, Xing oder Twitter. Falls ein Telekommunikationsanbieter Zugangsdaten zu Smartphones seiner Kunden gespeichert hat – etwa für automatisierte BackUp- oder Update-Dienste – müssen auch solche Zugriffsdaten herausgegeben werden. Damit kann praktisch auf alle vom Nutzer im Internet gespeicherten Daten zugegriffen werden, ohne dass im TKG eine klare Grenze definiert wird.

Darüber hinaus sollen Telekommunikationsunternehmen in Vorbereitung auf Auskunftsersuchen berechtigt und verpflichtet werden, Verkehrsdaten auszuwerten. Da eine Auswertung auch die Speicherung impliziert, bleibt bei der Formulierung unklar, inwieweit und wie lange Verkehrsdaten gespeichert und abrufbar gemacht werden müssen.

Möglicherweise handelt es sich bei dieser Neuregelung um eine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür. Auch bleibt völlig offen, was mit „sämtliche unternehmensinternen Datenquellen zu berücksichtigen“ gemeint ist.

Diese weitgehende automatisierte Offenbarungspflicht aller im Netz oder in einer Cloud stattfindenden Aktivitäten ist nicht nur der Ermittlung bei Schwerkriminalität vorbehalten, sondern auch für einfache Ordnungswidrigkeiten vorgesehen. Gleichzeitig wird teilweise auf einen richterlichen Vorbehalt verzichtet und den Dienstanbietern verboten, ihre Kunden über Datenweitergabe an diverse Ermittlungsbehörden zu informieren.

Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden müssten natürlich die Möglichkeit haben, unter engen Voraussetzungen und nur in Ausnahmefällen auf diese Telekommunikationsdaten zuzugreifen, so Pohl. „Mit den geplanten Änderungen wird das Telekommunikationsgeheimnis allerdings nicht nur im Kern ausgehöhlt, sondern auch das Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (sog. Computergrundrecht) massiv verletzt“, sagte Pohl. Der Arbeitskreis fordert daher die Bundesländer auf, am 3. Mai im Bundesrat gegen das geplante Gesetz zu stimmen.

Freiwillige Vorratsdatenspeicherung

Was wir von intelligenten Strom- und Wasserzählern schon kennen, soll demnächst auch beim Autofahren Einzug halten. Es geht um die konkrete Erfassung des Fahrverhaltens. Wer sich möglicherweise auf so was einlässt, soll nach Vorstellungen von Autoversicherungen Preisvorteile genießen. Laut Spiegel online will Telefonanbieter (O2) eine entsprechende Technik an Versicherungskonzerne verkaufen.

Auch wenn Rabatte auf dem ersten Blick verlockend sind, würden das geplante Angebot zu einer faktischen Dauerüberwachung von Autofahrern führen. Es soll nämlich per Mobilfunk erfasst werden, wer wie lange in welchem Tempo fährt, bremst und  lange nachts unterwegs ist. Über ein Punktesystem soll das Fahrverhalten der Kunden bewertet werden und so “individuelle” Tarife ermöglichen. Über eine App, so die Pläne von Telefonica, sollen Autofahrer auch eine direkte Rückmeldung zu ihrem Fahrverhalten bekommen.

Das System ist schlechterdings kaum denkbar, ohne dass riesige Datenmengen über Autofahrer angehäuft werden. Insbesondere kann das Fahrverhalten- beim Tempo angefangen – ja nur konkret bewertet werden, wenn die Versicherung genau weiß, wo sich das Auto befindet. Es dürfte also schlechterdings ausgeschlossen sein, dass eben keine umfassenden Bewegungsprofile entstehen – auch wenn Telefonica das Gegenteil behauptet.

Zudem stellen sich weitere Fragen. Wer stimmt einer Nutzung der erhobenen Daten zu? Praktisch kann das ja nur der Halter des Fahrzeuges machen, sofern nicht gleich nur dann losfährt, wenn sich der einzelne Fahrer online legitimimert. Andere Fahrer des Wagens würden also möglicherweise gegen ihren Willen erfasst. Außerdem hätten neben den Versicherungen auch der Halter gegebenenfalls die Möglichkeit, Ziele jedes Fahrers nachzuverfolgen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar spricht deshalb schon von “freiwilliger Vorratsdatenspeicherung”. Das ist sicher nicht übertrieben. Denn lückenlose Bewegungsprofile wären dann per Knopfdruck erhältlich. Wobei einem klar sein muss, dass solche Daten letztlich auch Behörden zur Verfügung stehen.

Hotelbuchung: “Gelbe Seiten” müssen klarer werben

Auch wenn das gedruckte Telefonbuch eher ein Auslaufmodell ist, genießen Seiten wie “Das Örtliche” oder die “Gelben Seiten” im Internet großes Renommee. Sie sind jeden Monat gut für Millionen Klicks. Bei der Vermarktung ihrer Werbeflächen muss die Telekom jetzt allerdings einen Rückschlag hinnehmen.

Das Landgericht Frankfurt am Main untersagte der Telekom, die Adresseinträge einzelner Hotels direkt mit dem Buchungsportal HRS zu verlinken. Die Werbetochter des Konzerns hatte die jeweiligen Buttons mit “online buchen” beziehungsweise “Hotelbuchung” betitelt. Die Anfragenden landeten aber nicht bei den Hotels, sondern bei HRS.

Nach Auffassung des Landgerichts Frankfurt täuscht dies den Verbraucher. Wer bei einer Internetrecherche im Örtlichen oder den Gelben Seiten nach Hoteleinträgen suche, erwarte beim Button “online buchen” oder “Hotelbuchung” direkt auf der Buchungsseite des Hotels zu landen – und nicht bei einem Buchungsportal. Der durchschnittliche Nutzer des “Örtlichen” oder der “Gelben Seiten” erkenne nach der Weiterleitung auch nicht sofort, dass er ein Buchungsportal vor sich hat. Deshalb müsse er klar und deutlich aufgeklärt werden, so die Richter in ihrem Urteil vom 20. Februar 2013.

Frühes Schaffen ist nun juristisch bewältigt

Das Urteil gegen den bekannten Abofallenbetreiber und Abmahner Michael B. ist rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof verwarf jetzt die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Osnabrück. Dort war B. zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte Firmen, Kommunen und Parteien in den Jahren 2004 und 2005 wegen angeblich unerwünscht zugesandter e-cards abgemahnt. Es ging also um eine relativ frühe Phase des Schaffens von Michael B.

Neben Michael B. saß auch der in Abmahnkreisen bekannte Anwalt Bernhard S. auf der Anklagebank. Er beteiligte sich laut Landgericht Osnabrück an B.s Betrügereien, indem er in dessen Auftrag die Abmahnungen verschickte. Beide hatten dabei wider besseres Wissen behauptet, B. habe über den Service der Abgemahnten unverlangt e-cards erhalten. Tatsächlich hatten B. und S. die e-cards selbst verschickt.

Die verlangten Abmahngebühren von jeweils 592,90 Euro teilten sich B. und S. in 38 Fällen. Außerdem klagten sie erfolgreich Vertragsstrafen ein, da viele Empfänger Unterlassungserklärungen abgegeben hatten. Alleine die CDU hat nach Angaben des Landgerichts Osnabrück 15.000 Euro als Vertragsstrafe gezahlt. Auch wegen des hohen Schadens müssen B. und S. noch gerichtliche Auflagen von 120.000 und 12.000 Euro erfüllen.

Wegen der Abofallen ist B. später vom Landgericht Frankfurt noch zu einer weiteren Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Die Revision gegen dieses Urteil ist noch nicht entschieden.

Wem hilft Totalkontrolle?

Natürlich zögern Politiker bei uns nicht, die Anschläge in Boston für ihre sicherheitspolitischen Ziele zu instrumentalisieren. Noch sind die Hintergründe nicht klar, doch schon werden größere Befugnisse für die Behörden gefordert, inlusive der in ihrer bisherigen Form verfassungswidrigen Vorratsdatenspeicherung.

Derartige Ereignisse sind eben ein willkommener Anlass, um den Bürger vor eine vermeintliche Wahl zu stellen. Willst du mehr oder gar größtmögliche Sicherheit, musst du Einschränkungen deiner Freiheit eben akzeptieren. Was ist, so wird suggeriert, schon ein Mehr an Überwachung und Kontrolle, wenn man sich dafür einen ruhigen Schlaf für sich und die Kinder erkauft?

Dabei bleiben Wahrheiten aber auf der Strecke. Zum Beispiel, dass selbst ausufernde Sicherheitsgesetze verheerende Anschläge nicht verhindern können. Selbst eine Totalkontrolle des Lebens Terrorunverdächtiger, also faktisch von uns allen, würde jene wenigen Entschlossenen nicht von ihren Plänen abhalten. Stattdessen würden wir faktisch gerade nur denen in die Hände arbeiten, die Anschläge begehen.

Sehr zutreffend weist beispielsweise Bruce Schneier in einem Statement zu Boston in einem sehr lesenswerten Text darauf hin, dass die Selbstaufgabe der Freiheit ein Hauptziel der Akteure ist:

Terrorism isn’t primarily a crime against people or property. It’s a crime against our minds, using the deaths of innocents and destruction of property as accomplices. When we react from fear, when we change our laws and policies to make our country less open, the terrorists succeed, even if their attacks fail. But when we refuse to be terrorized, when we’re indomitable in the face of terror, the terrorists fail, even if their attacks succeed.

Das sollte man durchaus mal sehen, wenn man nach immer mehr „Sicherheit“ ruft. Ohne eine vernünftige Balance mit der Freiheit haben wir den Kampf gegen Terroristen schon von vornherein verloren.

Überleben als Schuldner

Pfändungen tun oft sehr weh. Der Zugriff auf das Schuldnervermögen ist nicht nur bei Banken möglich, sondern zum Beispiel auch beim Arbeitgeber. Das sorgt natürlich dort für gewissen Unmut, und auch der finanzielle Spielraum des Schuldners wird erheblich eingeschränkt.

Der Münchner Rechtsanwalt John Mieler erklärt in seinem Blog verständlich „Überlebensstrategien bei Gehaltspfändung“. Für Betroffene, die sich im Gestrüpp der Vorschriften nicht auskennen, auf jeden Fall lesenswert.

Auch Richter sind Schnäppchenjäger

Schnäppchenjäger lieben Resterampen. Aber auch wenn die Preise dort meist wirklich niedrig sind (die Qualität der verkauften Ware mitunter auch), sind auch Billigheimern bei der Werbung Grenzen gesetzt. Wenn sie auf schreiend bunten Plakaten mit früheren “Statt”-Preisen werben und den Eindruck mächtiger Preisnachlässe vermitteln, müssen sie zumindest klar sagen, welcher frühere Preis tatsächlich gemeint ist. Das hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden und die Reklame eines Restposten-Verkäufers als wettbewerbswidrig eingestuft.

Die effektvolle Nennung eines “Statt”-Preises weckt nach Auffassung der Richter bei Verbrauchern unterschiedliche Vorstellungen. Die einen nehmen an, der Preis liege entsprechend unter dem Niveau des Einzelhandels. Die anderen denken, die Resterampe habe ihre eigenen Kampfpreise nochmals reduziert.

Die Richter schreiben im Urteil ausdrücklich, sie hätten genug eigene “Sachkunde”, um so eine Preispraxis aus Sicht eines Verbrauchers zu bewerten. Sie halten die Angabe für missverständlich und fordern deshalb, dass die Kunden aufgeklärt werden. Das hätte zur Konsequenz, dass auf jedem Plakat künftig die Bezugsgröße der Werbung angegeben wird. Der Verkäufer muss also zumindest mit einem Sternchentext erklären, auf welches frühere Angebot sich der “Statt”-Preis bezieht.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 24. Januar 2013, Aktenzeichen 4 U 186/13

Weiteres Urteil: Der Slogan „Sie bekommen die Ware geschenkt, wenn es am … regnet“ ist kein unerlaubtes Glücksspiel

NSU-Prozess: Gericht muss Plätze für ausländische Medien schaffen

Auch wenn im Prozess gegen Wettermoderator Jörg Kachelmann einiges schief lief – mit seiner Akkreditierungspolitik für ausländische Medien hatte das Landgericht Mannheim den richtigen Riecher. Die Strafkammer garantierte ein festes Kontingent an Presseplätzen für ausländische Berichterstatter, vorrangig aus Kachelmanns Heimatland Schweiz. So wurde von Anfang an jeder Eindruck vermieden, dass bestimmte Medien bevorzugt beziehungsweise nicht erwünscht sind.

Daran hätte sich das Oberlandesgericht München, das nun den NSU-Prozess zu führen hat, besser ein Beispiel genommen. Denn seine vermeintlich alternativlose und entsprechend aggressiv verteidigte Akkreditierungspolitik des gnadenlosen “First come, first serve” hatte nun vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand. Das Verfassungsgericht verfügte heute per einstweiliger Anordnung, dass eine ausreichende Zahl von Reporterplätzen – mindestens drei – für ausländische Medien zusätzlich zur Verfügung gestellt werden müssen. Konkret bedeutet dies, dass türkische Zeitungen zum Zug kommen dürften, denn die Mehrzahl der mutmaßlichen NSU-Opfer war türkischstämmig.

Das Gericht räumt zwar ein, dass die Frage nach der Platzvergabe in solchen Verfahren weitgehend ungeklärt ist. Es gebe zum Verfahren zahlreich Probleme, die rechtlich ungeklärt seien. Jedoch sehen die Verfassungsrichter eine klare Chance ausländischer Medien, letztlich vor Gericht zu gewinnen. Im Wege einer “Folgeabwägung” sei es deshalb zulässig und erforderlich, die Hauptsache durch eine einstweilige Verfügung faktisch vorwegzunehmen. Denn von einem nachträglichen Pressekontingent hätten die türkischen Medien nichts.

Wie das Gericht die mindestens drei zusätzlichen Plätze schafft, wollten die Verfassungsrichter nicht regeln. Sie betonen vielmehr, dass dem Gerichtsvorsitzenden ein weiter Spielraum zukommt, wie er ausländischen Medien Zugang gewährt. Die Mindestzahl von drei Reporterstühlen ist für das Oberlandesgericht München allerdings verbindlich.

Klar ist, dass es bei der Presseakkreditierung niemals umfassende Gerechtigkeit gibt. Mit seiner starren Haltung, nur nach dem Prioritätsprinzip zu entscheiden, hat das Oberlandesgericht München aber schlicht das Mindestmaß an Fingerspitzengefühl vermissen lassen. Dass sich die so selbstgewissen Richter in München nun schon vorab in Sachfragen verrennen, kann sich als schwere Hypothek erweisen. Noch vor dem Start so ernsthaft zu straucheln, ist jedenfalls eine Leistung.