Bremen: Wählen wie in einer Bananenrepublik

Bremen hat gewählt, aber auf das endgültige Ergebnis müssen die Bürger warten. Frühestens am Mittwoch soll ein vorläufiges amtliches Endergebnis vorliegen. Schuld ist nach offiziellen Angaben das geänderte Wahlrecht, das komplizierte Stimmzettel hervorgebracht hat. Möglicherweise liegt es aber aber auch an einer zweifelhaften, für mich in Deutschland völlig neuen Auswertungsmethode der Stimmzettel. Ausgezählt wird in Bremen nämlich nicht mehr im Wahllokal, sondern an einem zentralen Ort. Ob das der Demokratie förderlich ist, darf bezweifelt werden.

Der Bremer Landeswahlleiter beschreibt die Änderungen:

Die Wahlurnen werden nach Schließung der Wahllokale (18:00 Uhr) mit Lastwagen zu einem zentralen Ort in der Stadt Bremen bzw. in der Stadt Bremerhaven gebracht, wo die Auszählungen erfolgen sollen.

Das klingt erst mal harmlos. Doch dann fällt es einem vielleicht auf. Kennt man die Praxis “Erst Transportieren, dann Auszählen” nicht aus Bananenrepubliken und Diktaturen? Dort ist die zentrale Auszählung deswegen so beliebt, weil der Transport der Urnen vom Bürger gar nicht, aber auch von bestellten Wahlvorständen nur eingeschränkt überwacht werden kann. Auf dem (nächtlichen) Weg vom Wahllokal zur zentralen Auszählungsstelle kann, dafür braucht es nicht übermäßiger Phantasie, so einiges passieren.

Ich sage nicht, dass die Bremer Wahlen manipuliert wurden. Aber eine Stadtrundfahrt ausgefüllter, aber ungezählter Wahlzettel schafft eine unnötige Lücke, die ausgenützt werden kann. Gelegenheit schafft Diebe – und irgendwann natürlich auch Wahlfälscher.

Genau deshalb gilt die unmittelbare Stimmauszählung im Wahllokal nicht nur als gute Idee, sondern zählt auch zu den anerkannten Grundsätzen für eine transparente Wahl. Denn eines kommt hinzu: Nur bei direkter Auszählung vor Ort behält neben dem Wahlvorstand eine zweite wichtige Kontrollinstanz das Geschehen im Blick. Es ist der wahlberechtigte Bürger selbst.

Jeder Stimmberechtigte hat bei Wahlen in Deutschland das Recht, der Stimmauszählung beizuwohnen. Das ist sicherlich nicht vielen bekannt, aber ich kenne einige Leute, die immer kurz vor Schließung des Wahllokals ihre Stimme abgeben, um dem Wahlvorstand und seinen Helfern dann bei der Auszählung über die Schulter zu schauen. Wer das macht, ist kein Pedant oder Verschwörungstheoretiker, sondern legitimer Wahlbeobachter. Bei den Vereinten Nationen kann man sich um so eine Stelle sogar bewerben, wenn man mit der meist wohl eher kühlen Atmosphäre in jenen Gastländern klarkommt, die etwas zu verbergen haben.

Der Transport der Wahlurnen an einen “zentralen Ort” öffnet somit nicht nur eine Möglichkeit zur Manipulation. Er nimmt interessierten Bürgern auch die Möglichkeit, an Ort und Stelle von ihrem Recht auf Wahlbeobachtung Gebrauch zu machen, von dem wir alle profitieren. Oder anders gesagt: Wer kann sich in Bremen nun schon drei Tage Urlaub nehmen, um den Stimmzählern am “zentralen Auszählungsort” auf die Finger zu sehen?

Hoffentlich hat das Bremer Konzept außerhalb der Landesgrenze keine Zukunft. Unsicherheit nährt zwangsläufig Zweifel. Der Schaden für die Demokratie kann somit größer sein als der Nutzen einer bequemen Auszählung.

Ein Akt der deutschen Behörden

Damit es später keine Missverständnisse gibt: Ein deutscher Staatsanwalt ist nicht verpflichtet, Server zu beschlagnahmen – bloß weil ausländische  Ermittlungsbehörden das von ihm verlangen. Es gibt da keinen Automatismus wie zum Beispiel beim Europäischen Haftbefehl.

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hatte also in eigener Regie und anhand der deutschen Gesetze zu prüfen, ob sie vom Bundeskriminalamt, wie heute geschehen, die Server der Piratenpartei vom Netz nehmen, einpacken und / oder spiegeln lässt.

Netzpolitik.org schreibt zu den HIntergründen:

Einem Bericht von “DRadio Wissen” nach haben Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) auf einem der Server “strafrechtlich relevantes Material” gefunden mit dem zu “Hackerangriffen” aufgerufen worden sei. Die ganze Sache dreht sich dabei um ein sog. “Piratenpad”, eine von der Piratenpartei betriebene Etherpad-Instanz bei der kollaborativ an Texten gearbeitet und gechattet werden kann und die für jedermann offen zur Verfügung steht.

Aufruf zu Hackerangriffen. Also etwas, das täglich tausendfach im Netz passiert. Ein Thema, mit dem man praktisch jedes technikaffine Forum lahmlegen könnte. Und das wohl auch in schöner Regelmäßigkeit tut. Das ist schon schlimm genug, aber bei der Piratenpartei handelt es sich nicht um einen x-beliebigen Webmaster, der sich vielleicht gerade mal auf Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Haftungsprivilegien nach dem Telekommunikationsgesetz berufen kann.

Die Piratenpartei genießt noch etwa mehr Schutz, nämlich den des Artikel. 21 Grundgesetz. Die juristischen Kommentare zu dieser Vorschrift sind ellenlang. Wer sie nachliest, wird feststellen, die Parteien sind nach einhelliger Auffassung der “Transmissionsriemen” für die politische Willensbildung. Er wird weiter zur Kenntnis nehmen, dass die Parteien deswegen vor Repression durch die Exekutive nach Möglichkeit zu verschonen sind. Weil das der Demokratie schadet.

Damit sind wir genau bei dem Punkt, auf den es so oft hinausläuft. Kann die Abschaltung der Server der Piratenpartei, noch dazu wenige Tage vor der Wahl eines Landesparlaments, verhältnismäßig sein? Können von Dritten auf einer von der Piratenpartei eingestellte Dokumente die faktische Lähmung dieses demokratischen Organs rechtfertigen?

Hätte es nicht ausgereicht, die Spitze der Piratenpartei oder die verantwortlichen Admins als Zeugen zu befragen? Immerhin hat der Bundesvorstand der Piratenpartei auch heute sofort erklärt, er werde im Rahmen seiner gesetzlichen Pflichten mit den Ermittlungsbehörden kooperieren. Dem Vernehmen nach sind sogar Passworte herausgegeben worden. Das spricht dafür, dass es durchaus mildere Mittel gegeben hätte, dem französischen Ermittlungsersuchen zu entsprechen.

Die Art und Weise, wie die Staatsanwaltschaft Darmstadt hier vorgegangen ist, wird noch eingehend zu hinterfragen sein. Die Ausrede, wir mussten doch wegen der Franzosen, wird jedenfalls nicht ziehen.

Update: Spiegel online berichtet, möglicherweise sei über die frei zugänglichen Kollaborationsseiten – ähnlich wie Google Docs – der Piratenpartei eine Cyberattacke auf französische Atomkraftwerke geplant worden. Vor diesem Hintergrund wird die Durchsuchung für mich noch unverständlicher. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Verantwortlichen der Piratenpartei bei so einem Verdacht nicht mit den Ermittlungsbehörden kooperiert hätten. Update zum Update: Zur Qualität der Spiegelmeldung siehe hier.

Das.Geht.Nicht.

Die Computerkriminalität ist im letzten Jahr gestiegen, wenn man der Polizeilichen Kriminalstatistik glauben will. Wörtlich heißt es in dem heute vorgestellten Report:

Die Computerkriminalität ist im Jahr 2010 um 12,6 Prozent auf 84.377 Fälle angestiegen. Dies ist überwiegend auf eine Steigerung der Fallzahlen beim Ausspähen, Abfangen von Daten einschließlich Vorbereitungshandlungen (+32,2 Prozent auf 15.190 Fälle) und beim Computerbetrug (+18,9 Prozent auf 27.292 Fälle) zurückzuführen.

Bei Delikten, die unter Nutzung des Internets begangen werden, hat das Bundesinnenministerium einen Anstieg von 8,1 % ermittelt. Nach einer Berechnung von Spiegel online teilen sich die Internetdelikte wie folgt auf: Betrugsfälle 46 %, Ausspähen und Abfangen von Daten 25 %, Betrug mit Zugangsberechtigungen 13 %. Den Rest bis auf nahezu 100 % entfällt auf Fälschungsdelikte und Computersabotage.

Es bedarf keiner großen Phantasie, dass die weitaus meisten Taten in den überhaupt von der Statistik erfassten Kategorien das virtuelle Äquivalent von Delikten sind, wie sie auch im wirklichen Leben alltäglich sind. Oder will ernsthaft jemand behaupten, mit Hilfe eines Computers bei ebay abzocken ist per se schlimmer als bei Karstadt mopsen?

Auch im Netz haben wir es also vorwiegend mit einfacher bis mittlerer Kriminalität zu tun. Von daher wundert es schon, wenn der Bundesinnenminister auch die Vorstellung der Kriminalstatistik 2011 dazu nutzt, die Werbetrommel für die Vorratsdatenspeicherung zu rühren:

Die nahezu ungebremsten Möglichkeiten, die das Internet eröffnet, schaffen spiegelbildlich auch mehr Anreize und Möglichkeiten zu ihrer missbräuchlichen Nutzung. Es muss alles getan werden, um daraus resultierende Schutzlücken – wie zum Beispiel die derzeit fehlende Mindestspeicherfrist von Kommunikationsverbindungsdaten – so schnell wie möglich zu schließen.

Das. Geht. Nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung klipp und klar gesagt, eine Vorratsdatenspeicherung ist höchstens dann verhältnismäßig, wenn Abruf und Nutzung der Daten auf “schwere Straftaten” beschränkt sind. Man kann munter rumdefinieren oder sich auf den Kopf stellen, aber mit keiner dieser Methoden wird man Klickbetrug, Cybermobbing oder Urheberrechtsdelikte auf die Stufe von Terrorismus und Mord katapultieren.

Deshalb sind die Worte des Innenministers nur ein erneutes Eingeständnis, dass die Politik sich bei ihrem mächtigen Verlangen nach der Vorratsdatenspeicherung nicht mit der Verfassung arrangieren möchte. Sondern dass sie meint, die Verfassung müsse sich nach ihren sicherheitspolitischen Wünschen richten.

So eine Grundeinstellung finde ich fast auch ein wenig kriminell.

Links 625

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Berliner Studenten: Jeder Dritte kann sich Prostitution als Job vorstellen

„20 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion gibt es noch immer keine demokratischen Wahlen, im Grunde wird gewählt wie in Kasachstan, der Elfenbeinküste oder beim Weissrussen Alexander Lukaschenko“

Ultimativer Cyber-Spürhund

Das Programm GeoTime ist als mächtige Schnüffelsoftware konzipiert. Aus einem Bericht der taz:

Das Sicherheitsprogramm, das bislang vom US-Militär eingesetzt wird, ist der ultimative Cyber-Spürhund: Mit ihm können alle kommunikativen Aktivitäten einer Person im Internet, am Handy, mit dem Navigationssystem, sowie finanzielle Transaktionen und das Einloggen in IP-Netzwerke festgehalten werden. Daraus erstellt die Software dreidimensionale Grafiken für hochkomplexe Datenprofile von Verdächtigen und ihren angeblichen Handlangern.

Die Londoner Polizei prüft derzeit das Programm. In England mehren sich deswegen Befürchtungen, die Bürger würden künftig auch online vollständig überwacht – nachdem sie schon im wirklichen Leben kaum noch einen Schritt außerhalb von Videokameras machen können.

GeoTime könnte allerdings nicht nur ein britisches Problem sein. Der Hersteller brüstet sich auch mit Geschäftskontakten nach Deutschland. Das Bayerische Landeskriminalamt hat, wenn man der Referenzliste glauben darf, GeoTime bereits erworben.

Basics

Muss der Stiefvater als Zeuge aussagen, wenn sein Stiefsohn Beschuldigter ist? Wie fast immer gibt das Gesetz eine Antwort auf diese Frage nur um die Ecke. In § 52 Strafprozessordnung steht jedenfalls auf dem ersten Blick nichts von Stiefeltern und Stiefkindern drin:

Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1. der Verlobte des Beschuldigten oder die Person, mit der der Beschuldigte ein Versprechen eingegangen ist, eine Lebenspartnerschaft zu begründen;

2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;

2a. der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;

3. wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

In einem Fall, den ich erst in der Berufung übernommen habe, haben es die Steuerfahndung und das Amtsgericht dann auch gleich falsch gemacht. Der Stiefvater des Beschuldigten wurde vernommen und zwar mit der klaren Ansage, dass er kein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Dementsprechend wurde er auch nur über sein Recht belehrt, auf Fragen zu schweigen, wenn er sich damit möglicherweise selbst belasten könnte. Weil er direkt nichts mit der Sache zu tun hatte, sagte er munter aus.

Erst der letzte Richter am Landgericht hat es, von sich aus, richtig gemacht und den Stiefvater über sein Zeugnisverweigerungsrecht aufgeklärt. Das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmt nämlich in § 1590:

Die Verwandten eines Ehegatten sind mit dem anderen Ehegatten verschwägert. Die Linie und der Grad der Schwägerschaft bestimmen sich nach der Linie und dem Grade der sie vermittelnden Verwandtschaft.

Stiefeltern und Kinder sind also miteinander verschwägert. Damit greift aus dem oben zitierten Paragrafen der Strafprozessordnung Ziff. 3 ein. Der Stiefvater durfte komplett schweigen.

In meinem Fall hat das durchaus Folgen. Nachdem er nun erstmals richtig belehrt wurde und nichts sagen wollte, dürfen die früheren Aussagen des Stiefvaters nicht mehr berücksichtigt werden. Das mag jetzt keine gravierenden Folgen haben. Trotzdem ist der Fall ein schönes Beispiel dafür, dass auch Amtspersonen mitunter nicht mal die Basics auf die Reihe kriegen.

“Sie sind Scheiße”

Einer der unbequemsten Gerichtsreporter Deutschlands, Rolf Schälike (Zeitungsporträt), war im Knast. Fünf Tage saß er “freiwillig” im Hamburger Gefängnis, weil er sich weigerte, ein Ordnungsgeld in einem seiner vielen Prozesse zu bezahlen. Ich habe Rolf Schälike um einen Erfahrungsbericht gebeten. Hier seine Eindrücke:

Von Rolf Schälike

Eigentlich wollte ich in meiner fünftätigen Kunst- und Protestaktion in der Justizvollzugsanstalt Hamburg Holstenglacis den Missbrauch der Pressegerichte – in meinem konkreten Fall durch den strafrechtlich im April dieses Jahres zu einem Jahr und neun Monaten verurteilten Börsenmanipulator Markus Frick – protestieren.

Ich wollte während meiner Haft hungern und hatte schon am Freitag zu Hause und im Gericht nichts gegessen. Ich wollte hungern auf meine Art: ca. 400 kcal/Tag zu mir nehmen, um es leichter zu haben und keine gesundheitlichen Schäden auftreten zu lassen.

2005 hatte ich über die Osterfeiertage sehr gute Erfahrungen am Holstenglacis gemacht. Das Personal war nett. Es gab im Prinzip nichts zu beanstanden. Meine damals mitgebrachten Bücher erhielt ich auf Antrag noch in den ersten Stunden der Haft. Ich musste zwar auch damals gegen die Wegnahme der Bücher eine Beschwerde schreiben, aber dieser wurde sofort stattgegeben. Kugelschreiber und Papier hatte ich ebenfalls im Überschuss im Haftraum.

Um diesmal die Haftanstalt nicht vor eine überraschende Entscheidung bei meinem Haftantritt zu stellen, vereinbarte mein Hamburger Anwalt (er ist ein Strafverteidiger), dass ich drei eingeschweißte Bücher von der Buchhandlung Weiland mitbringen darf und ausgehändigt bekomme. Dass ich Papier, Kugelschreiber, Zeitungen und Zeitschriften mitbringen kann, stand im Merkblatt des Berliner Gerichts.

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Rolf Schälike klingelt an der Gefängnistür (Foto: privat)

Es fing alles besser an als damals 2005. Ich brauchte mich nicht vor jeder Tür an die Wand stellen, stand sogar manchmal hinter dem Bediensteten. Die erste negative Überraschung ließ jedoch nicht lange auf sich warten.

Im Kontrollraum, wo man sich nackt ausziehen muss, kam mir durch die beiden Bediensteten – der eine ein bulliger großer Typ, der andere kleiner, kräftig – Hass und Wut entgegen. Es hieß nur: Halten Sie den Mund, Bleiben Sie, wo Sie sind. Der Anwalt geht uns nichts an.

Eine Vereinbahrung mit der Anstaltsleitung kennen wir nicht. Wir haben Anweisung von der Revision. Mir ließen sie nur die Sachen, die ich an und in den Taschen zufällig hatte (aber auch nicht alles). Von den vielen Kugelschreibern ließen sie mir nur einen. Die Bücher und das Schreibpapier blieben in meinen Handkoffer. Ich hatte keine Wechselwäsche, nicht für die Nacht, keine Zahnbürste. Vom Papier nur die paar Zettel vom Zettelblock (11×10 cm).

In der Zelle angekommen – es war gegen 14 Uhr am Freitag – hieß es, Beschwerden und Anträge werden erst Montag angenommen. Das hätte ich alles ertragen, blieb noch bei meinem Plan zu hungern. Deswegen habe ich auf den Empfang des Essens in einer Schüssel verzichtet. Ich wollte die Kontrolle behalten, wie viel Essen in den Haftraum kommt. Ich wollte sicher sein, dass es nicht später heißt, ich habe nicht gehungert.

Unerwartet eskalierte das Ganze. Ich erhielt überhaupt kein Essen und das bis einschließlich Frühstück am Dienstag. Ich trank nur kaltes Wasser aus dem Hahn. Nur einmal heißen Tee, der mir nicht bekam. Die Bediensteten bestanden darauf, dass ich die Schüssel nehme und bestraften mich über drei Tage mit vollständigem Essensentzug. Sogar die Bitte nach einer Scheibe Brot wurde abgeschlagen, weil ich nicht bereit war, die Schüssel zu nehmen. Das hatte ich nicht einmal in Stasi-U-Haft über zehneinhalb Monate in Dresden erlebt.

Am Montag wurde ich zur Registratur und zum Arzt geführt.

Vorab öffnete ein nett erscheinender riesiger Beamte meine Zelle und fragte mich freundlich, weshalb ich die Schüssel nicht nehme. Ich sagte, ich brauche nicht das ganze Essen. Sie hätten Vorschriften, dass das Essen nur mit der Schüssel ausgegeben wird. Die Hygiene erfordere das.

Ich sagte, das wenige, was ich möchte, passt in den Messbecher. Der Bedienstete: Das ist nicht vorgesehen, es muss die Schüssel sein. Ich sagte, ich kann es mir nicht vorstellen, dass ich deswegen mit Essensentzug  bestraft werde. Sie müssen sich an die Vorschriften halten. Ich kenne diese, war meine Antwort. Können sie nicht kennen. Doch, ich war schon 2005 hier und kenne sie deshalb.

Sie sind ein Klugscheißer und Besserwisser, sagte der Bedienstete. Ich erwiderte, sie haben mich eben beleidigt. Er sagte, sie sind Scheiße, ein Stück Scheiße kann man nicht beleidigen. Die Tür wurde zugemacht.

In der Registratur – neben mir stand der große bullige Bedienstete – erzählte ich der netten Beamtin, dass ich schon vier Tage nichts zu essen bekomme, keine Hausordnung besitze, nichts zu lesen habe und keine Klamotten für die Nacht und überhaupt zum Wechsel habe, obwohl alles mitgebracht.

Das wurde ruhig aufgenommen.

Dann sagte ich, dass ich 10,5 Monate in der Stasi-U-Haft saß, und das was ich hier erlebe, ich dort in all diesen Monaten nicht erlebt habe. Brot gab es zum Beispiel immer. Sie fragte mich, wo ich saß. In Dresden für Buchweitergabe. Ich fragte, darf ich überhaupt telefonieren. Sie sagte, dass dürfen Sie natürlich, müssen es beantragen.

Dann beantrage ich das hier sofort, oben werden meine Anträge nicht entgegengenommen. Ich nahm meine Zettel und schrieb einen Antrag. Das wollte der bullige Bedienstete verhindern. Die Registraturbeamtin sagte, sie könne diesen Antrag nicht annehmen, werde ihn wegschmeißen, ich solle diesen den Bediensteten abgeben. Ich sagte, die nehmen keine Anträge an, schieben diese mir wieder zurück in die Zelle. Es gibt Antragsformulare, sagte sie. Ich sagte, ich habe keine erhalten, in der Zelle liegen keine. Meinen Antrag ließ ich auf dem Tisch liegen.

Der bullige Bedienstete fragte zwischendurch, ob ich denn nicht den Deckel erhalten habe. Ich sagte, einen Deckel mit irgendwelchen Papiere habe ich nicht erhalten. In der Zelle lagen überhaupt keine Papiere. Doch, den Deckel haben Sie erhalten.

Dann ging es raus in das Wartezimmer. Der bullige Beamte wütend. Er zeige auf das Bettzeugpaket im Gang und fragte, haben Sie diese Decke erhalten? Ich sagte, ja, natürlich. Sie haben eben gesagt, sie hätten keine Decke erhalten. Sie haben gelogen, sie sind ein Lügner. Ich sagte, ich verstand Deckel, und einen solchen habe ich nicht erhalten. Weshalb werde ich beleidigt, fragte ich, unter anderem mit dem Ausdruck ich wäre Scheiße.

Sie lügen, das hat niemand zu Ihnen gesagt. Er brüllte und schob mich in das kleine Wartezimmer, in dem noch drei weitere Gefangene warteten. Ich fragte diese, ob bei denen in der Zelle die Hausordnung liege. Sie bejahten alle drei und sagten, es lägen auch Auftragsformulare und anderes in der Zelle.

Dann ging es zum Arzt. Die Ärztin fragte, wie es mir gehe. Ich sagte gut, bis auf die Tatsache, dass ich bis heute nichts zu essen bekam. Sie müssen schon die Schüssel reichen, sagte die Ärztin. Ich sagte, ich möchte hungern, aber etwas zu mir nehmen, das ist besser, das wissen Sie als Ärztin. Wenn Sie hungern, schaden Sie nur Ihrer Gesundheit, war ihre Antwort.

Eine Totalverweigerung des Essens habe ich nicht vor, bekomme trotzdem nichts. Daraufhin maß sie mein Blutdruck. Dieser war 180 (oder 195) zu 80. Sie erschrak. Ich sagte macht nichts, ich habe normalerweise 140/80. Es liegt wohl an der Aufregung, sagte die Ärztin, ich kann Ihnen Vitamintabletten geben. Wenn Sie etwas spüren, Kopfschmerzen zum Beispiel, melden Sie sich sofort bei mir.

Ich sagte, ich kenne mein Leben lang keine Kopfschmerzen, habe auch keine, vielleicht ein paar schwache. Ich nehme auch weder Vitamintabletten noch irgendwelche Medikamente. Mein Körper muss es schaffen. Leise fragte sie, ob ich den Abteilungsleiter sprechen möchte. Ich bejahte, selbstverständlich.

Dann ging es hoch in die Zelle. Der bullige Beamte war über die Stasierinnerung empört. Es folgte ein kurzes Wortgefecht. Wütend knallte er die Zellentür mit aller Kraft zu.

Dann wurde ich zum Telefon geholt, meine Tochter hätte angerufen, sie denkt ich komme Dienstag raus. Ich möchte zurückrufen. Ich habe dann meine Frau anrufen können, mitgeteilt, dass ich erst am Mittwoch um 13:00 entlassen werde, dass es mir gut geht, ich aber ganz schön getriezt werde. Sie möchte bitte meinen Anwalt bitten, mich unbedingt zu besuchen, denn ich habe nichts erhalten, was er mit der Anstaltsleitung vereinbart hatte.

Weder zum darauffolgenden Mittag, noch Abendbrot und dem Frühstück am Dienstag erhielt ich etwas zum essen, obwohl ich konkret um Brot bat und fragte, was es neben der Hauptmahlzeit gibt. Ich verlangte immer wieder die Hausordnung. Gedulden Sie sich etwas, war die Standardantwort der Bediensteten.

Montagabend wurde mir der Einkaufzettel in die Zelle gegeben und gesagt, morgen geht es zum Kaufmann.

Dienstag früh waren wir dann alle beim Kaufmann. Es war ein Gefängnistrakt, ihn dem es Aufschluss und Umschluss gab. Davon erfuhr ich aber erst am Dienstag nach Erhalt der Hausordnung. Im Gang hing ein "schwarzes" Brett mit Informationen für die Gefangene. Die Gefangenen können sich in den Gängen frei bewegen.

Beim Kaufmann kaufte ich eine Ananas- und Maisdose sowie Knäckebrot und Apfelsaft, einen Schreibblock, Briefumschläge, Briefmarken, 3 Zeitungen, einen Kugelschreiber, Tempotaschentücher und eine Plastiktüte.

Nun hatte ich genug Essen bis zum Mittwoch.

Am Dienstag zum Mittag erhielt ich dann eine Banane, obwohl die Schüssel auf dem Boden im Gang liegen blieb. Beim Abendbrot erhielt ich Salat. Die Schüssel blieb auf dem Boden.

Am Dienstag wurde ich nochmal zur Ärztin geholt. Mein Blutdruck war 160/40. Vitamintabletten nahm ich wieder nicht. Ich sagte jedoch, das sich Krämpfe in der Hand habe und um Magnesiumtabletten bitte. Ja, sagte die Ärztin, Magnesiumtabletten würde ich ihnen auch geben und gab mir an die 10 Stück. Wie muss ich diese einnehmen? Jeden Tag eine, sagte die Ärztin. Ich nahm die Tablette mit meinem Apfelsaft ein. Die Krämpfe verschwanden langsam aber sicher.

Am Mittwoch, meinem letzten Tag in der Haft, wollte ich mich frühmorgens mit den kleinen Frühstücksteilen wie Butter (Margarine), Marmelade etc. eindecken und den Bediensteten sagen, dass ich zum Mittag die Schüssel nehme und alles ordentlich mache. Dazu kam es nicht. Zum Frühstück erhielt ich nichts. Konnte meine Absicht gar nicht äußern. Ich solle mit gefälligst die Schuhe anziehen und die Schüssel aufheben.

Zum Mittag fragte ich, ob sie mir wieder das Essen vollständig verweigern. Wollen Sie essen? Ich sagt, ja. Sie gaben mir das eingeschweißte warmes Essen mit den Worten, wenn man Hunger hat gibt man auf. Die Schüssel blieb auf dem Boden stehen. Das warme eingeschweißte Essen liegt bei mir nun zu Hause im Kühlschrank. Das erste Mal aß ich zu Hause um 19:00 eine Mandarine.

Zwangweise entwickelte sich meine Kunst- und Protestaktion somit nicht nur gegen den Rechtsmissbrauch durch Kriminelle, sondern auch zum Protest gegen die Justizvollzugsanstalt Holstenglacis.

Buskeismus.de, die Internetseite von Rolf Schälike

Auch juristisch soll die Sonne scheinen

Während die Menschen sich um die Auswirkungen und Folgen der Atomenergie sorgen und immer mehr auf die Sonnenseite der Stromproduktion setzen, bieten die meisten Hersteller von Photovoltaik-Anlage ihren Kunden fragwürdige Garantieversprechen. Das behauptet Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres erzeugten private Solaranlagen hierzu­lande so viel Strom, wie für die Versorgung aller Haushalte in München und Köln erforderlich ist. Doch das Recht der Käufer solcher Anlagen sieht die Verbraucherzentrale rüde verletzt.

Dabei sieht Müller nicht einmal eine bewusste Täuschung: „Die Umstellung auf Solarenergie ist politisch gewollt. Der Markt bommt. Darin tummeln sich internationale Konzerne. Und die haben sich wohl keine Gedanken über die juristische Situation in Deutschland gemacht“.

Denn die großmundigen Garantiebedingungen gelten offenbar meist pauschal für ganz Europa, halten aber der Kontrolle der Verbraucherschützer hier nicht stand. Fünf der Modul-Branchen-Marktführer sind jetzt wegen ihres Kleingedruckten abgemahnt worden. „Bei den Marktriesen Yingli Green Energy, Trina Solar, Solar World, Bosch Solar und Mitsubishi Electric Europe werden alle Abwicklungskosten auf den Verbraucher abgewälzt”, monieren die Verbraucherschützer.

Die Kosten für die Prüfung durch einen Fachmann vor Ort gehören dazu, die für den Ausbau, Transport und die Prü­fung durch ein Institut hat der Kunde zu tragen, so beschreibt Müller das Ergebnis der Prüfungen und fasst zusammen: "Angesichts der zu erwartenden hohen Kosten hierfür verkommt das Garantieversprechen zur Nullnummer. Immerhin sollen Photovoltaik-Module nach den Versprechungen der Hersteller bis zu 30 Jahren maximalen Ertrag aus der Sonnenenergie einfahren.

Die Verbraucherzentrale will nicht warten, bis es tatsächlich massenhaft zu Garantiefällen kommt. Vielmehr will sie schon jetzt für klare Regeln sorgen, damit der einzelne Käufer, der ja mitunter viel Geld ausgibt, auf die Einhaltung deutscher Verbraucherrechte bauen kann.

Rührig zeigt sich die Verbraucherzentrale insgesamt. Das zeigt ihr Bericht für das vergangene Jahr. Mehr als 1,27 Millionen Mal (ein Plus von 8,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr) suchten Bürgerinnen und Bürger persönlich, schriftlich, tele­fonisch oder bei Veranstaltungen Kontakt, über 4,7 Millionen Internetbe­sucher wurden gezählt und fast 200.000 verkaufte Ratgeber. Die Verbraucherschützer bilanzieren „ein Dauerhoch“. (pbd)

Sharehoster muss das Internet im Auge haben

Sharehoster sind verpflichtet, “gängige Linksammlungen” im Internet zu überprüfen. Sie müssen schauen, ob dort Links zu urheberrechtlich geschützten Inhalten gepostet sind, die auf den Servern des Sharehosters liegen. Das hat das Landgericht Hamburg in einem Eilverfahren zu Gunsten der GEMA entschieden.

Sharehoster bieten durchgehend keinen Katalog oder eine Suchfunktion an. Hiermit wollen sie gerade verhindern, als “Mitstörer” für die Verbreitung von Musik, Filmen und Hörbüchern verantwortlich gemacht zu werden, die Nutzer auf ihren Servern ablegen. Die Information über den “richtigen “ Link finden interessierte User dagegen oft in Foren, Blogs und Suchmaschinen. Diese Angebote werden aber von Dritten betrieben.

Das Landgericht Hamburg zieht aus dieser “Symbiose” nun weitreichende Schlussfolgerungen. Danach muss der Sharehoster tatsächlich diese dritten Seiten darauf überprüfen, ob dort Links zu urheberrechtliche geschützten Inhalten auf seinen Servern veröffentlicht werden. Da er aber keinen Einfluss auf die Veröffentlichungen in den Foren, Blogs und Suchmaschinen hat, muss der Sharehoster in der Konsequenz die bei ihm hinterlegten Inhalte löschen.

Spätestens nach entsprechenden Hinweisen der Rechteinhaber müsse der Anbieter die Linksammlungen überprüfen, befand das Landgericht Hamburg. Das sei ein effektives Mittel, um Rechtsverletzungen von vornherein zu verhindern oder jedenfalls zu unterbinden. Unzumutbar sei die Prüfung nur dann, wenn der finanzielle Aufwand außer Verhältnis zu den Erlösen stünde. Dazu habe der verklagte Sharehoster aber keine überzeugenden Zahlen geliefert.

Wort- und Hashfilter, wie sie der Sharehoster schon jetzt einsetze, seien leicht zu umgehen. Ein neu installiertes Filtersystem überzeugte die Richter nicht.

Landgericht Hamburg, Beschluss vom 2. März 2011, Aktenzeichen 308 O 458/10

Freies Geleit

Mit Auslandszeugen ist das so eine Sache, auch wenn sie in der globalisierten Welt natürlich immer wichtiger werden. Oft haben sie schlicht keine Lust, Ladungen deutscher Gerichte zu befolgen. Manchmal gibt es aber auch handfestere Gründe, der deutschen Justiz die kalte Schulter zu zeigen. Zum Beispiel die Furcht, wegen in Deutschland laufender Ermittlungen am Flughafen oder gar vor dem Gerichtssaal verhaftet zu werden.

Gegen derartige Sorgen lässt sich sogar was machen. Gerichte können Zeugen, die sich im Ausland aufhalten, “freies Geleit” zusichern. Das ist in § 295 Strafprozessordnung gesetzlich ausdrücklich geregelt:

Das Gericht kann einem abwesenden Beschuldigten sicheres Geleit erteilen; es kann diese Erteilung an Bedingungen knüpfen. Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersuchungshaft, jedoch nur wegen der Straftat, für die es erteilt ist.

Von dieser Möglichkeit machte heute ein Landgericht Gebrauch, als ich die Ladung einer im Ausland lebenden Zeugin beantragte. Gegen die Frau wird zwar ermittelt. Aber es handelt sich eigentlich um eine Sache, bei der man nun nicht unbedingt gleich an Untersuchungshaft denken muss, ja eigentlich gar nicht darf.

Gut möglich also, dass bei dieser Zeugin das mit Brief und Siegel gewährte freie Geleit eine gewisse Fehlvorstellung darüber weckt, was ihr noch in Deutschland blühen könnte. Nach meinem Gefühl hat sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie kommt, damit locker halbiert. Mal sehen, ob ich sie dennoch motivieren kann.

Iserlohn: Polizei fragt Handynummern ab

In der Nacht zum vorletzten Samstag wurde in Lüdenscheid ein 21-Jähriger überfahren. Er starb. Der beteiligte Autofahrer floh von der Unfallstelle. Die Polizei sucht ihn nun mit Hochdruck – und greift dabei zu bemerkenswerten Fahndungsmaßnahmen.

Exakt eine Woche nach dem Unfall sperrte ein Großaufgebot die Straße, an der die Unfallstelle liegt und kontrollierte über mehrere Stunden jedes Fahrzeug, das vorbei kam. Zeitweise stauten sich die Autos auf zwei Kilometer Länge, berichtet Der Westen.

Dass sich die Beamten alle Autos auf Unfallschäden ansahen, ist sicher nachvollziehbar. Auch wenn in erster Linie wohl nach einem “hellen Pkw, vermutlich der Mittelklasse, mit Fließheck, als Kombi oder in Zwischenform mit breiter, dunkler, seitlicher Rammschutzleiste, die sich mit der Stoßstange fortsetzt”, gesucht wird.

Wirklich ungewöhnlich ist aber das, was eine andere Lokalzeitung berichtet.  Danach mussten alle Kontrollierten ihre Handynummern angeben. Die Anschlüsse sollen nun darauf überprüft werden, ob das Handy möglicherweise um die Unfallzeit in eine Funkzelle in der Nähe des Unglücksortes eingeloggt war. Möglicherweise wird auch nach anderen Verbindungsdaten gesucht, die einen Bezug zum Unfall haben können. 

Im Bericht wird erwähnt, es gebe für die Maßnahme einen richterlichen Beschluss. Für die erwähnte Aktion scheint mir das kaum denkbar, denn auch ein Richter kann niemanden dazu zwingen, der Polizei die eigene Handynummer zu nennen. Das liegt schon daran, dass niemand mit der Polizei reden muss, sei er nun Zeuge oder Beschuldigter. Eine Auskunftspflicht ist schlicht nicht im Gesetz enthalten. Auch ein Richter kann sie nicht anordnen.

Bleibt also die Möglichkeit, dass der Beschluss die Beschlagnahme eventuell mitgeführter Telefone für den Fall anordnet, dass die Befragten bei der Kontrolle ihre Handynummer(n) nicht angeben. Dann müsste außerdem erlaubt werden, die Handys zu überprüfen und gespeicherte Inhalte – dazu gehört auch die Telefonnummer der SIM-Karte – auszulesen. Eine Maßnahme, die kaum in der Strafprozessordnung zu verorten ist. Die hat nämlich was gegen Stochern im Nebeln und Schüsse ins Blaue.  

Unverhältnismäßig wäre die Aktion ohnehin. Ein Richter kann vielleicht Bürger nicht dazu zwingen, der Polizei auf Zuruf ihre Handynummer zu offenbaren. Er hat aber die Möglichkeit, die Daten der Funkzellen auswerten zu lassen, die sich in der Nähe des Unfallortes befinden. Dann geben die Provider Auskunft darüber, welche Mobiltelefone zur fraglichen Zeit in dem betreffenden Bereich eingebucht waren.

Der Bericht deutet an, die Polizei habe es möglicherweise auf Geodaten abgesehen, die das Handy selbst speichert. Das wäre dann der erste mir bekannte Fall, in dem die deutschen Ermittlungsbehörden aus der Geodatenaffäre ums iPhone praktisch Kapital zu schlagen suchen. Allerdings werden die Geodaten von Apple & Co. ja nicht an die Provider übertragen, so dass die Polizei das Gerät selbst haben müsste und mit der Rufnummer nicht weiterkäme. 

Wie auch immer, mir erschließt sich nicht, wieso die Polizei des Märkischen Kreises bei einer derartigen Großkontrolle eine Woche nach dem Unfall unbedingt an die Rufnummern vorbeikommender Autofahrer kommen will. Und was die in dem Bericht erwähnte Auswertung der Verbindungsdaten bringen soll – außer juristischen Problemen mit Autoinsassen, die sich so was nicht gefallen lassen.

Nachtrag: Die Polizeibehörde des Märkischen Kreises hat mir nun mitgeteilt, dass kein Autofahrer zur Angabe der Telefonnummern gezwungen wurde. Vielmehr seien alle Kontrollierten nach der Handynummer gefragt worden, um ihre spätere “Erreichbarkeit” sicherzustellen. Alle Angaben seien freiwillig erfolgt. 

Fest steht somit, dass die Handynummern der Befragten jedenfalls für die Ermittlungen in diesem Fall gespeichert werden. Somit stehen sie, zumindest theoretisch, auch für Ermittlungen zur Verfügung, die über bloße Nachfragen bei Kontrollierten hinausgehen. Ein Kommentator hat ja bereits darauf hingewiesen, dass durch die Kontrolle jedenfalls nun nicht oder falsch registrierte Prepaid-Handys einer Person zugeordnet werden können, sofern diese in die Kontrolle geriet und ihr Telefon auch am Unfalltag in der Funkzellenauswertung auftaucht.

Wer bei der Kontrolle seine Handynummer angegeben hat, kann nach meiner Einschätzung verlangen, dass die Daten gelöscht werden.

Ermittlungsrichter 1.0

Untersuchungsrichter in Nordrhein-Westfalen sind ohne moderne Technik, und am Personal hapert es auch. Dabei müssen die gut 190 Eilrichter bei den Amtsgerichten schnell und korrekt darüber entscheiden, ob ein Beschuldigter in Untersuchungshaft geschickt, seine Wohnung durchsucht wird oder Blutproben entnommen werden.

Trotz dieser hohen Anforderungen sind die Richter offenbar von den Errungenschaften der Informationstechnologie ausgeschlossen. Sie haben keine dienstlichen Smartphones, noch nicht mal Notebooks mit UMTS-Anschluss. Zumindest diese “Essentials” fordert jetzt der Landesverband des Deutschen Richterbundes (DRB) als Standardausrüstung.

Die Eilrichter müssten ggf. auch auswärts online sein, recherchieren und kommunizieren können, begründete DRB-Sprecher Christan Happe auf dem 2. Amtsrichtertag in Mülheim die Wunschliste. Die Interessenvertretung beklagt auch, dass Untersuchungsrichter kein ausreichendes Hilfspersonal für ihren hektischen Job haben. Happe: „Den Eilrichtern fehlt so gut wie jede personelle Unterstützung bei der Arbeit.”

Es gebe überdies Kollegen, die seien von 9 bis 21 Uhr im Dienst. Hier müsse auch das Thema bezahlte Überstunden besprochen werden. Happe: „Für Bereitschaftsdienste bekommen beispielsweise Ärzte längst einen finanziellen Ausgleich“. (pbd)

Knastbesuch: NRW erlaubt Anwälten Notebook

Ermittlungsakten füllen mitunter Umzugskartons. Beweismittel wie Videos liegen ohnehin nur als Datei vor. Wer als Verteidiger mit seinem inhaftierten Mandanten die Unterlagen durchgehen will, steht vor ziemlichen Hürden. Er kann kistenweise Akten in den Knast schleppen (lassen). Und zu solch absurden Maßnahmen greifen wie Videos ausdrucken. Oder er nimmt einfach sein Notebook mit…

Erstaunlicherweise war es bis vor kurzem in Nordrhein-Westfalen wesentlich unproblematischer, zur Besprechung mit 50 Kilogramm Papier in der Justizvollzugsanstalt aufzulaufen als mit einem Laptop. Elektronische Geräte, noch dazu welche mit Einwahlmöglichkeit ins Internet, waren den Anstaltsleitungen ein Graus – und somit erst mal verboten.

Notebooks im Knast gingen allenfalls, wenn ein Richter dies im Einzelfall genehmigte. Das war immer mit riesigem Begründungaufwand verbunden, und oft genug wurden auch sachlich gerechtfertigte Anträge unter Hinweis auf die “Anstaltssicherheit” abgebügelt. 

Das hat sich nun geändert. Ab sofort dürfen Verteidiger in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich ein Notebook mit in den Knast nehmen und es bei der Besprechung mit dem Mandanten nutzen. Rechtsgrundlage für diese Kehrtwende ist ein Erlass des Justizministers Thomas Kutschaty (4434 IV.172), der das Prozedere überraschend unbürokratisch gestaltet. Vielleicht liegt das daran, dass Kutschaty selbst Rechtsanwalt ist. 

Der Anwalt muss beim Betreten des Gefängnisses lediglich ein Formular unterschreiben, in dem er versichert, auf seinem Computer seien “die für das Mandantengespräch erforderlichen Unterlagen eingespeichert”. Außerdem muss er sich einverstanden erklären, dass der Computer in der hauseigenen Anlage “auf Fremdkörper” durchleuchtet wird. Auf eigenes Risiko, natürlich.

Was ich wirklich gut finde, ist die pragmatische Lösung beim heikelsten Punkt. Die Justiz kann nämlich nicht mehr verlangen, dass der Computer nicht drahtlos online gehen kann, sei es über WLAN oder UMTS. Der Anwalt muss lediglich zusagen, dass er innerhalb der Anstalt keine Internetverbindung herstellen wird.

Damit ist natürlich ein gehöriger Vertrauensvorschuss für Anwälte verbunden. Ich kann nur hoffen, dass gewisse Verteidiger das Sprechzimmer nicht zum Internetcafé für ihre Mandanten umgestalten. Sonst könnte es mit den neu gewonnen Privilegien auch schnell wieder vorüber sein.