“Noch kein Grund, Sie zu verdächtigen”

Mal angenommen, Sie sind demnächst in Hamburg. Sie machen eine Stadtrundfahrt, besuchen alle Sehenswürdigkeiten, fahren in verschiedenste Restaurants und betreiben nachts intensives Barhopping. Wenige Tage nach Ihrer Rückkehr stehen zwei Polizisten vor der Tür und möchten mit Ihnen “sprechen”. Wenn Sie fragen, um was es geht, werden die Beamten wahrscheinlich was von “Vorermittlungen” murmeln und fragen, ob sie nicht reinkommen können. Am Wohnzimmertisch lässt sich das doch alles viel besser besprechen.

Sie lassen die Polizisten also rein und merken gleich, dass sie aufmerksam Ihre Wohnung mustern. Während ein Beamter Ihnen beherzt folgt, bleibt der andere vor der Putzkammer, deren Tür etwas offensteht, kurz stehen, damit er besser hineinsehen kann. Sie denken: Sucht der nach einem Geldkoffer? Oder einem Zugang zum geheimen Bombenlabor? “So einen Tischgrill habe ich auch”, lacht der Polizist und kommt schließlich nach. Na bitte, Sie sind erleichtert. Es handelt sich doch nicht um eine verkappte Hausdurchsuchung.

Wenn es die Beamten geschickt anstellen, werden sie beim zweiten Kaffee jede Menge von Ihnen wissen. Sie aber immer noch nicht, um was es geht. Wo Sie arbeiten, haben Sie ja noch gern erzählt. Auch, dass Frau und Kinder derzeit woanders wohnen, Sie den Unterhalt aber pünktlich überweisen. Als die Polizisten aber nach Hamburg fragen, kommt Ihnen das doch etwas seltsam vor.

“Woher wissen Sie denn, dass ich in Hamburg war?” Auf diese Frage werden Sie keine konkrete Antwort erhalten. Höchstens den Hinweis, dass es da halt Ermittlungen gibt und Sie aufgefallen sind. Aufgefallen? Sie werden nachdenklich und überlegen, ob es eine gute Idee war, die Herren rein zu lassen.

“Ihr Mobiltelefon war in verschiedene Funkzellen eingebucht”, sagt ein Polizist. Nun geht Ihr Puls aber doch deutlich nach oben. Sie legen erstmals etwas Schärfe in Ihre Stimme: “Ist es nicht normal, dass das eigene Handy in Hamburger Funkzellen eingebucht ist, wenn man ein paar Tage Urlaub in Hamburg macht?”

Die Polizisten merken, dass Sie nun auf Verweigerungskurs gehen. Einer hebt die Hände. “Immer mit der Ruhe, es handelt sich, wie gesagt, um Vorermittlungen. Und eigentlich haben wir auch noch gar keinen Grund, Sie zu verdächtigen.” Sein Kollege sagt sogar, dass er das auch etwas fragwürdig findet, was die Hamburger Kollegen da abziehen. “Es könnte ja jeden von uns treffen. Ich könnte ja auch verdächtig, äh, ich meine natürlich, Gegenstand von Vorermittlungen sein.” Der andere ergänzt fast flehentlich: “Wir machen nur unseren Job.”

Bei Ihnen kommt nur die zweimalige Erwähnung eines Wortes an. Verdacht, hallt es in Ihrem Hinterkopf. Ein guter Grund, die Arme vor der Brust zu verschränken. “Entweder Sie sagen mir jetzt endlich, was Sache ist. Oder ich möchte mich nicht weiter unterhalten. Das ist ja wohl mein gutes Recht, oder?” Die Beamten schauen sich an. “Okay, okay”, wiegelt der eine ab, “es geht um folgendes…”

“… In Hamburg sollen reihenweise Autos in Brand gesteckt werden. Ich weiß nicht, ob die Kollegen sich auch mal auf die Lauer legen oder mehr Streife fahren. Wäre ja vielleicht eine gute Idee, so gute alte Polizeiarbeit. Jedenfalls finden sie die Täter nicht. Und deshalb haben sie jetzt die Idee gehabt, mal nachzuschauen, welche Handys so in die Hamburger Funknetze eingebucht sind. Da läuft dann eine Software drüber. Ihr Anschluss ist dabei halt aufgefallen.”

Genaues wissen die Beamten auch nicht. Oder Sie dürfen es Ihnen zumindest nicht sagen. “Wahrscheinlich waren Sie halt mal in eine Funkzelle in der Nähe eingebucht, als ein Auto ausbrannte. Oder die Hamburger Kollegen finden es komisch, dass Sie nachts um halb drei mal zu Fuß, dann wieder mit einem Auto oder Taxi unterwegs sind. Das kann man nämlich an der Geschwindigkeit erkennen, mit der die Funkzellen wechselten. Wen genau die Kollegen überprüft haben wollen, wissen wir auch nicht. Allein wir hier in Musterstadt müssen heute noch zwei Bürger besuchen.”

Sie nippen am Kaffe und erinnern sich daran, was Sie neulich über DNA-Massentests gelesen haben. Wie die Polizei in Mordfällen etliche hundert Personen mehr oder weniger auf gut Glück bittet, ihre DNA abzugeben, nur weil sie in ein bestimmtes Raster passen. Männlich, über 25, kein Asiate oder Schwarzafrikaner. Oder so ähnlich. Sie haben sogar noch geschmunzelt. Stilvoller kann man ja wohl kaum im Nebel stochern.

Natürlich, so hieß es in der Zeitung, seien die Tests freiwillig. Merkwürdig fanden Sie aber, dass die Polizei dann Leute “besucht”, die ihre Speichelprobe nicht freiwillig abgeben. Ist ja auch eine Art Zwang, haben Sie gedacht. Sie fanden es etwas scheinheilig, erst von Freiwilligkeit zu reden und Menschen, die von ihren Rechten Gebrauch machen, dann durch die Hintertür zu verdächtigen.

Sie überlegten kurz, wie Sie sich verhalten würden. Zu einem Ergebnis sind Sie nicht gekommen. Ist ja auch viel zu unwahrscheinlich, dass einem selbst so was passiert…

Während Sie die Beamten anschauen, kriegen Sie ein flaues Gefühl im Magen. Jetzt, genau in diesem Augenblick, hat es mich erwischt, denken Sie. Und dann werden Sie böse. “Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass ich als Bürger von der Polizei besucht werde, bloß weil ich ein Handy in der Jackentasche habe? Da muss es doch noch was anderes geben.” “Nein”, sagt einer der Polizisten. “So weit wir wissen, sind wir nur hier, weil Sie sich mit Ihrem angeschalteten Mobiltelefon in Hamburg aufgehalten haben.”

Sein Kollege tippt auf den Wohnzimmertisch. “Wissen Sie was, wir sind doch sowieso fertig. Ich meine, Sie sind doch kein Chaot, oder?” Er meint es vielleicht nicht so, aber Sie kriegen die Frage nun wirklich in den falschen Hals. “Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich jetzt gar nichts mehr sage.” “Haben wir”, lacht der Beamte und geht mit seinem Kollegen Richtung Wohnungstür. “Sie können davon ausgehen, dass unser Bericht nichts Negatives enthält.”

Die beiden verschwinden im Treppenhaus, und Sie denken über den letzten Satz nach. Ein Bericht? Die gesamte Befragung geht jetzt also nach Hamburg zur Auswertung und “weiteren Veranlassung”. Da steht wahrscheinlich auch drin, dass Ihre Wohnung aufgeräumt ist, Sie in Trennung leben, aber ansonsten nicht viel dafür spricht, dass Sie Autos anzünden. Allerdings stehe in Ihrem Buchregal schon linke Literatur (“erinnert werden können Werke von Böll und Solschenizyn, zudem alternative Reiseführer”).

Auch wenn nichts weiter passiert, wollen Sie jetzt zu gegebener Zeit die Hamburger Polizei fragen, welche persönlichen Daten über Sie gespeichert sind. Außerdem nehmen Sie sich fest vor, aus dem heutigen Erlebnis eine Konsequenz zu ziehen. Sie werden künftig in solchen Situationen hart bleiben und jede Mitwirkung verweigern. Sie finden nämlich, dass Sie sich nicht kontrollieren lassen müssen, so lange es keinen vernünftigen Verdacht gegen Sie gibt. Vielleicht werden Sie künftig sogar von Ihrem Recht Gebrauch machen, auch als Zeuge gar nicht mit der Polizei zu reden. Auch wenn Ihre Aussage vielleicht wichtig wäre. Aber wer sagt Ihnen, dass man Ihnen nicht aus einer Kleinigkeit einen Strick dreht? Sie werden es jedenfalls aufmerksam beobachten, dieses Gefühl des Misstrauens, das man ganz natürlich gegen jeden hegt, der einem selbst mit Misstrauen begegnet.

Dass es bald mal wieder Besuch von der Polizei gibt, ist für Sie ja auch keineswegs ausgeschlossen. War ja schön in Hamburg. Sie fahren wohl auch künftig hin. Ihr Handy werden Sie wohl eingeschaltet lassen müssen. Denn was passiert wohl, wenn Sie in Hamburg unterwegs sind und bei einer nächtlichen Kontrolle nach einem Autobrand stellt die Polizei fest, Ihr Handy ist ausgeschaltet?

Bericht zu den Überwachungsplänen der Polizei im Hamburger Abendblatt (Link über Google News, da Bezahlschranke)

Bericht in der Welt

Fürsorgliche Seiten

Staatsanwälte entdecken mitunter ihre fürsorglichen Seiten. So ist es ein beliebtes Spiel, zum Glück aber nur bei einer deutlichen Minderheit der Staatsanwälte, Verteidigern eine Besuchserlaubnis für Untersuchungsgefangene zu versagen. Mit der Begründung, der Beschuldigte habe doch schon einen (Pflicht-)Verteidiger und es sei nicht ersichtlich, dass er den Besuch des Anwalts wünscht.

Mit etwas Hartnäckigkeit und der Bereitschaft, mal ein, zwei Etagen höher zu telefonieren, kriegt man als Anwalt den Sprechschein meistens schon. Immerhin ahnen wohl auch die eifrigsten Freunde dieses zeitaufwendigen und nervenzehrenden Spektakels, dass es für einen Rechtsstaat am Ende oft recht merkwürdig aussieht, wenn ausgerechnet der Staatsanwalt bestimmt, welche Verteidiger vorgelassen werden.

Sehr interessant fand ich jetzt die Argumentation eines echten Hardliners. Der setzte sogar ein hochoffzielles Schreiben auf, mit dem er einem Anwalt den Besuch bei einem möglichen Mandanten verweigerte. Hierbei griff er zunächst zur Standardbegründung, wonach der Beschuldigte nicht um einem Besuch gebeten habe.

Meist gibt es eben diese Bitte übrigens schon. Nur findet sie wegen Telefon- und Internetverbots in der Haft sowie endloser Brieflaufzeiten, bedingt durch richterliche Postzensur, vielleicht nicht so schnell “offizielles” Gehör, wie das in so eiligen Verfahren wünschenswert wäre.

Der Staatsanwalt verwies auch darauf, beim Beschuldigten sei einen Tag zuvor ein Nokia-Handy nebst Ladegerät in der Zelle gefunden worden. Die Auswertung der Ruflisten habe ergeben, dass der Beschuldigte mit dem Anwalt, der ihn gern besuchen würde, telefoniert hat. Punkt.

Mir fehlt da jetzt ein wenig die logische Stringenz. Einschieben sollte ich, dass dem Kollegen wohl kaum ein Vorwurf zu machen ist – auch wenn das Schreiben des Staatsanwalts sehr danach klingt.

Jeder Verteidiger bekommt Anrufe von Beschuldigten aus der Untersuchungshaft. Selbst dann, wenn er noch nicht mandatiert ist. Auch in Gefängnissen arbeiten nämlich Menschen, die einen Blick für die Realitäten bewahrt haben. Vollzugsbeamte, aber insbesondere Sozialarbeiter, Psychologen und Seelsorger gestatten es immer mal wieder, dass ein Inhaftierter ihren Anschluss oder ihr Handy nutzt. Auch, um Kontakt mit einem Anwalt aufzunehmen.

Der Verteidiger musste also gar nicht wissen, dass ihn sein potenzieller Mandant über ein illegales Handy aus der Zelle anruft. Die bloße Tatsache des Anrufs belegt aber doch letztlich eher, dass der Beschuldigte Interesse daran hatte, dem Anwalt ein Mandat zu erteilen. Vielleicht hätte der Staatsanwalt da einen Tick weiter denken sollen.

Sein Vorgesetzter hat genau das übrigens gemacht. Der Anwalt beschwerte sich eine Etage höher und bekam die Besuchserlaubnis direkt vom Abteilungsleiter.

Knast als Strafe fürs Schulschwänzen

Eine hessische Mutter muss für sechs Monate ins Gefängnis. Sie hat ihren Sohn über längere Zeiträume nicht zur Schule geschickt. Das Oberlandesgericht Frankfurt bestätigte jetzt das Urteil der Vorinstanzen, die wegen der Hartnäckigkeit der Frau die gesetzliche Höchststrafe verhängten.

Die alleinerziehende Mutter hatte ihren minderjährigen schulpflichtigen Sohn im Zeitraum November 2008 bis Februar 2009 an insgesamt 37 einzelnen Tagen nicht zur Schule geschickt. Der Sohn stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Wissensstand eines Sonderschülers der 4. Klasse, obwohl er altersgemäß die 9. Klasse hätte besuchen müssen.

Schon seit 2004 hatte das Kind die meiste Zeit in der Schule gefehlt. Die Angeklagte war erst zu Geldstrafen, im September 2008 dann zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Ihr Verhalten habe sie aber nicht geändert, befand das Oberlandesgericht.

Der 2. Strafsenat will den Fall nicht als Bagatelle gewertet wissen. Die allgemeine Schulpflicht diene dem Schutz des Kindes. Sie sichere sein Recht auf Bildung und die Heranbildung zu einem verantwortlichen Staatsbürger. Dieser Schutz werde durch durch die allgemeine Schulpflicht gewährt. Insoweit sei das Erziehungsrecht der Eltern eingeschränkt.

Auch Gegner der Schulpflicht (oder Menschen mit einer Egal-Haltung) müssten deshalb aktiv dafür sorgen, dass ihre Kinder in die Schule gehen. Versagten die Eltern ihrem Kind die Teilnahme am Unterricht, liege hierin ein aktiver Verstoß gegen die Schulpflicht.

Die Mutter habe Hilfsangebote nicht angeommen. Auch der teilweise Sorgerechtsentzug habe nichts bewirkt. Deshalb sei die sechsmonatige Freiheitsstrafe, das Maximum laut Hessicher Schulordnung, durchaus angemessen.

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 18. März 2011, Aktenzeichen 2 Ss 413/10

Gericht kippt Handyklauseln

Ein Mobilfunkunternehmen darf sich in den Geschäftsbedingungen für Prepaid-Verträge nicht die Möglichkeit zu unbegrenzten Preiserhöhungen offen halten. Das hat das Landgericht Kiel nach einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen klarmobil entschieden. Außerdem kippte das Gericht auch noch weitere kundenunfreundliche Klauseln des Telefonanbieters.

Klarmobil hatte sich vorbehalten, die Preise nachträglich durch eine Mitteilung an den Kunden zu ändern. Die Klausel gebe dem Unternehmen die Möglichkeit zu einer einseitigen und unbegrenzten Preiserhöhung, monierten die Richter. In der Klausel sei weder ein Grund für mögliche Preisänderungen genannt, noch sei der Umfang der zulässigen Preiserhöhungen begrenzt. Das sei für den Kunden nicht zumutbar, die Klausel somit unzulässig.

Das Landgericht beanstandete noch mehr Kleingedrucktes.

So darf Klarmobil von seinen Kunden nach einer Kündigung nicht mehr 6 Euro für die Auszahlung eines Restguthabens verlangen. Nach Auffassung der Richter sind Mobilfunkunternehmen zur Erstattung des Restguthabens gesetzlich verpflichtet. Daher sei es unzulässig, die damit verbundenen Aufwendungen auf den Kunden abzuwälzen. Durch die Gebühr werde zum das jederzeitige Kündigungsrecht des Kunden entwertet.

Als unzulässig sahen die Richter auch die Mahnkosten von 9,95 Euro an, die Kunden pro Mahnung zahlen sollten. Die Klausel erfasse auch die erste Mahnung, die den Kunden erst in Verzug setzt. Dafür dürfen Unternehmen aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes generell keine Kosten verlangen.

Klarmobil verlangte außerdem eine Pauschale von 19,95 Euro, falls eine Lastschrift von der Bank nicht eingelöst wird. Auch diese Gebühr ist nach dem Urteil unwirksam. Die Richter gingen davon aus, dass die Pauschale allgemeinen Verwaltungsaufwand durch erhöhte Personalkosten enthält. Das sei unzulässig, jedoch habe das Unternehmen genau dies einem Kunden in einer E-Mail mitgeteilt.

LG Kiel, Urteil vom 17.03.2011, Aktenzeichen 18 O 243/10

Ein Staatsanwalt kann an der Kasse abgeholt werden

Nach der Festnahme eines Mandanten fragte ich die Polizeibeamtin nach dem zuständigen Staatsanwalt. Wäre ja möglich, dass ich mit dem was aushandeln konnte. Sie antwortete:

Es besteht schon ein Haftbefehl, deswegen führen wir den Beschuldigten morgen direkt dem Haftrichter vor.

Okay, okay. Ich wollte mich nicht unnötig ins Prozedere einmischen. Den Staatsanwalt konnte ich mit einem Anruf auch alleine rausfinden; immerhin hatte ich das Aktenzeichen. Weder der Staatsanwalt noch sein Vertreter waren noch im Büro. Umgekehrt wäre überraschender gewesen. Es war deutlich nach 17 Uhr.

Ich begab mich also am nächsten Morgen zur Vorführung am Amtsgericht. Wenige Tage später erhielt ich dann auch Akteneinsicht und las vergnügt, dass es mit der vielbeschworenen Harmonie zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei nicht immer zum Besten steht.

Der Staatsanwalt hatte einen kernigen Aktenvermerk zu Papier gebracht. Ich fasse zusammen: Erst vier Tage nach der Aktion (es lag ein Wochenende dazwischen) habe er von der Festnahme erfahren – und zwar “aus der Lokalpresse”. Niemand bei der Polizei habe es für nötig gehalten, ihn in Kenntnis zu setzen. Kein Anruf. Kein Fax. Keine Mail. Er selbst habe, nachdem er die Zeitungsmeldung gelesen habe,  trotz etlicher Versuche auch niemanden bei der Polizei erreicht. Erst die Haftrichterin habe ihm dann Klarheit verschaffen können, wie es in seinem Fall steht. Da er rein gar nichts wusste, habe er auch die Personenfahndung nicht sofort löschen lassen können, wie es Vorschrift ist.

Ich schätze mal, das läuft für die Polizistin auf einen Anschiss hinaus. Wer jetzt denkt, vielleicht hätte ich mich doch einmischen und verlauten lassen sollen, dass der Staatsanwalt als “Herr des Verfahrens” immer als erster zu informieren ist, liegt leider daneben. Ich wette eine Erwähnung in der Lokalpresse, ich hätte mir nur ein schnippisches “Glauben Sie, ich weiß nicht, wie das läuft?” eingehandelt.

Messerscharfe Schlüsse

Aus einer Anzeige:

An Hand der GPS-Daten zeigte sich, dass sich das Fahrzeug des J. nachts zur Tatzeit manchmal direkt vor Tatobjekten, manchmal in unmittelbarer Nähe zu Einbruchstandorten aufgehalten hat. Bei der Vielzahl der Fälle noch an Zufall zu glauben, wäre phantastisch. Die Häufigkeit impliziert eine Täterschaft des J.

Messerscharfe Schlüsse. Wenn man als richtig unterstellt, dass sich in Deutschland nur der Halter ans Steuer eines Wagen setzen darf und sich jeder daran hält.

Lügner

In Berlin beerdigte letzte Woche die christlich-liberale Koalition eine Erblast. Sie verabschiedete sich von Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornografie. Letztlich siegte in Berlin die Einsicht, Löschen ist besser als Sperren. Eine gewichtige Rolle spielte wohl auch die Überlegung, dass wir mit der geplanten Sperrinfrastruktur eine Technik eingesetzt hätte, der sich bislang nur Länder wie China und Iran bedienen.

An anderen, den Ministerpräsidenten der Länder nämlich, scheinen diese Erkenntnisse abzuperlen. Aber vielleicht hoffen sie auch nur, dass beim Gekungel um Staatsverträge, das tradtionell hinter verschlossenen Türen stattfindet, die Öffentlichkeit weniger genau hinschaut – obwohl die Länderchefs es seit dem Debakel um den Jugendmedienschutzsstaatsvertrag eigentlich besser wissen müssten.

Netzsperren soll es nach dem Willen der Ministerpräsidenten schon sehr bald geben. Die Politiker wollen den Deutschen den Onlinezugang zu “illegalen” Glücksspielangebeoten kappen, indem sie das Fernmeldegeheimnis einschränken. Damit sollen Provider künftig verpflichtet werden, auf Zuruf staatlicher Stellen “unerlaubte Glücksspielangebote” für das deutsche Internet zu blockieren. Diese Maßnahmen ergeben sich sich aus dem aktuellsten Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages (Stand: 4. April 2011), der mir vorliegt.

Schon an der Selbstverständlichkeit, mit der die Ministerpräsidenten Netzsperren für Glücksspielseiten verhängen wollen, zeigt sich die Ehrlichkeit der Entscheidungsträger. Nicht wenige von denen, die jetzt hinter verschlossener Tür am Glücksspielstaatsvertrag feilen, haben in der Diskussion um Stoppschilder versichert, so etwas sei überhaupt nur bei Kinderpornografie denkbar. Keinesfalls würde die Internetzensur auf andere Gebiete ausgeweitet, schon gar nicht aus sozialpolitischen (Suchtprävention)  oder fiskalischen Gründen (Sicherung der Lottereinnahmen für den Staat).

Lügner.

Nach dem aktuellsten Entwurf, der wohl auch zur Abstimmung gestellt wird, sollen die Maßnahmen wie folgt eingeführt werden:

Die zuständige Behörde des jeweiligen Landes kann … insbesondere Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses wird insoweit eingeschränkt (§ 9 Abs. 1 Ziff. 4).

Tritt diese Regelung in Kraft, erhalten Behörden erstmals in Deutschland die Möglichkeit, missliebige Seiten durch bloßen Anweisung an die Provider aus dem deutschen Internet verschwinden zu lassen.

Gut, könnte man sagen, immerhin werden betroffenen Seitenbetreiber doch erst mal Widerspruch einlegen und klagen können. Das dürfen sie, aber an der sofortigen Sperrverpflichtung ändert sich nichts. Denn, auch das steht im Entwurf, “Widerspruch und Klage gegen diese Anordnungen haben keine aufschiebende Wirkung”. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Sperren sofort wirksam werden und erst dann wieder aufgehoben werden, wenn ein Gericht sie aufhebt. Was mitunter monate-, wenn nicht jahrelang dauern kann.

Wie die Provider den “Zugang” zu Internetseiten untersagen sollen, ist im Entwurf des Vertrages nicht geregelt. Es kommen also all jene Verfahren in Betracht, die auch beim Zugangserschwerungsgesetz gegen Kinderpornografie im Gespräch waren. Die Palette reicht somit von Stoppschildern bis zur Sperrung ganzer IP-Adressenbereiche.

Offenbar sind massive Sperrungen geplant. Der federführende Staatssekretär Rainer Robra aus Sachsen-Anhalt hat nach Berichten geäußert, es könnten bis zu 90 % der in Deutschland erreichbaren Glücksspielangebote geblockt werden.

Die meisten Angebote sind in ihren Heimatländern legal. Bei uns sind sie nur unzulässig, weil sich der Staat an sein Glücksspielmonopol klammert und – offensichtlich um jeden Preis – nicht mal teilweise auf Lotterieeinnahmen verzichten will. Schon wegen der aus ausländischer Sicht absurd strengen deutschen Rechtslage ist nicht damit zu rechnen, dass ein Anbieter seine Seite freiwillig in Deutschland unzugänglich macht. Glücksspielangebote machen einen beträchtlichen Teil des Internets aus. Es dürfte sich also um abertausende Seiten handeln, welche die Behörden in Deutschland blocken wollen. Die hierfür aufzubauende Infrastruktur dürfte weitaus mächtiger und dementsprechend fehleranfälliger ausfallen, als es bei den auf Kinderpornografie beschränkten Sperren der Fall gewesen wäre.

Zum Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages gehört ein Diskussionspapier, “Eckpunkte” genannt. Überraschenderweise findet sich hierin kein Wort zu den einschneidenden Plänen. Entweder sind sich die Ministerpräsidenten also zutiefst einig über die Einführung einer Internetzensur. Nicht ganz von der Hand zu weisen dürfte aber auch die Möglichkeit sein, dass man die Öffentlichkeit nach Verabschiedung des Vertrags einfach vor vollendete Tatsachen stellen wollte.

Für die Glücksspiel-Sperren sollen künftig die Länderbehörden zuständig sein. Der Entwurf sieht lediglich die Möglichkeit vor, dass sich Länder gegenseitig zur Anordnung der Sperren ermächtigen dürfen. Ob und inwieweit davon Gebrauch gemacht wird, ist offen.

Auch dies ist ein wesentlicher Unterschied zum Zugangserschwerungesetz. Hier liefen alle Zuständigkeiten beim Bundeskriminalamt zusammen. Künftig wird es also 16 (!) Behörden geben, die in eigener Regie Internetzensur betreiben können.

Websperren sind übrigens nicht das einzige Mittel, das sich die Ministerpräsidenten ausgeguckt haben. Der Vertragsentwurf sieht auch vor, dass Banken und Kreditkartenfirmen auf Zuruf die Weiterleitung von Zahlungen verboten wird. Dies gilt ausdrücklich nicht nur für Wetteinsätze, sondern auch für Gewinne.

Weiterer Beitrag zum Thema

Keine Privatfahndung via Facebook

Per Videokamera und Steckbrief auf Facebook fahndete ein Restaurantbesitzer nach einem Brötchendieb. Der Täter konnte ermittelt werden, doch jetzt hat der Detektiv in eigener Sache selbst Ärger. Der Datenschutzbeauftragte stellt ihm ein Bußgeld in Aussicht.

Längere Zeit ärgerte sich der Düsseldorfer Gastronom, dass die morgendliche Brötchenlieferung von der Türschwelle verschwand. Schließlich, berichtet der WDR, brachte er eine Kamera an. Die filmte prompt einen mutmaßlichen Dieb (ob er tatsächlich auch früher schon Brötchen geklaut hat, ist auf jeden Fall offen). Das Video stellte der Restaurantbesitzer auf die Homepage des Lokals und auf seine Facebook-Seite.

Der Fahndungserfolg ließ nicht lange auf sich warten. Das Video wurde eifrig geklickt, und jemand lieferte auch Namen und Adresse einer Person, die darauf zu sehen sein soll.

Die Polizei soll den Gastronomen gelobt haben, doch der nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte mutmaßt gleich zwei Rechtsverstöße. Zum einen sei die Überwachung des Restauranteingangs und Bürgersteigs möglicherweise illegal. Wesentlich schwerer dürfte aber die Privatfahndung via Facebook wiegen. “"Eine solche Öffentlichkeitsfahndung ist der Polizei vorbehalten. Und selbst die braucht dafür einen Gerichtsbeschluss", zitiert der WDR den Datenschutzbeauftragten.

Den Einwand, dass viele die Privatfahndung wahrscheinlich super finden, kontert der Datenschutzbeauftragte laut WDR-Bericht gelassen. “Wie wir damit bei der Öffentlichkeit ankommen, das spielt für uns keine Rolle."

Ein Kollege zum gleichen Thema

Stellen Sie sich nicht so an

Die Polizei in Hannover berichtet von einem Fahndungserfolg. Zwölf Jahre nach der Tat konnte ein mutmaßlicher Vergewaltiger ermittelt werden. Ein DNA-Abgleich brachte die Ermittler auf die Spur des Mannes, der die Tat inzwischen gestanden haben soll.

Die Ermittlungen liefen so ab:

Ende Oktober vergangenen Jahres wurde der bis dahin unerkannte Tatverdächtige in anderer Sache rechtskräftig verurteilt, wegen gefährlicher Körperverletzung. Im Zuge dieses Ermittlungsverfahren war ihm standardmäßig eine Speichelprobe entnommen worden. Sein genetischer Fingerabdruck führte zu einem Treffer in der bundesweit geführten DNA-Analyse-Datei.

Zum Fall möchte ich nichts sagen, sondern zur Informationspolitik der Polizei. Genau genommen nur zu einem Wort in der offiziellen Meldung: Dem Beschuldigten sei standardmäßig eine Speichelprobe entnommen worden, als gegen ihn ermittelt wurde. Das “standardmäßig” taucht heute auch in etlichen Zeitungsberichten über den Fall auf, unter anderem im Hamburger Abendblatt.

Ich weiß nicht, ob die Polizei selbst an das glaubt, was sie schreibt und was die Medien dankenswerterweise nachplappern. Möglicherweise nehmen Beamte heute tatsächlich an, eine DNA-Probe vom Beschuldigten sei ebenso selbstverständlich wie Maßnahmen, die tatsächlich die Regel sind. Fingerabdrücke zum Beispiel. Oder Fotos.

Jedenfalls vertieft die Formulierung beim Leser den Eindruck, den zu vermitteln sich Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften seit geraumer Zeit bemühen. Dass es geradezu 08/15 ist, einem Verdächtigen auf der Polizeiwache das Wattestäbchen in den Rachen zu schieben und ihm eine Speichelprobe zu entnehmen.

Wer möchte dem “Standard” widersprechen? Oder sich gar auflehnen, indem er zum Beispiel mal nach dem fragt, was er tatsächlich muss und was nicht. Statt Beschuldigten nämlich die Rechtslage fair zu erklären, werden ihnen heute gerne diverse Formulare vorgelegt. Darunter auch jenes, mit denen sie sich freiwillig mit einer Speichelprobe und dem späteren Eintrag in die DNA-Kartei einverstanden erklären.

Auf die Unterschrift wird dann genau mit der Einstellung gedrängt, die sich auch aus der Verwendung des Begriffs “standardmäßig” in der Polizeimeldung ergibt. Die Unterschrift wird als bloße Formalität dargestellt, nach dem Motto: Ihre Speichelprobe kriegen wir so oder so. Machen Sie es nicht unnötig kompliziert. Stellen Sie sich nicht so an.

Ich bin täglich überrascht, wie viele Beschuldigte einknicken. (Unabhängig von der großen Zahl derer, die Papiere unterschreiben, ohne sie gelesen zu haben.) Dumm nur, dass die suggerierte Rechtslage überhaupt nicht mit der tatsächlichen übereinstimmt. Auch heute sind DNA-Proben kein Standard, sondern die gesetzliche Ausnahme.

Das ergibt sich schon daraus, dass es für die Polizei neben der schriftlichen Einwilligung des Beschuldigten nur einen Weg gibt, an eine DNA-Probe zu kommen. Das ist die richterliche Anordnung. Der Richter wiederum sagt auch nicht “Standard” und nickt jeden Antrag ab. Vielmehr muss er ins Gesetz schauen und abklopfen, ob die Voraussetzungen für einen zustimmenden Beschluss erfüllt sind.

In der Strafprozessordnung ist dann auch keineswegs festgelegt, dass DNA-Proben standardmäßig zulässig sind – und nur in Ausnahmefällen abgelehnt werden sollen. Im Gegenteil: Eine DNA-Probe bei einem Verdächtigen kommt nach richterlicher Anordnung nur in zwei Konstellationen in Frage.

Zunächst ist sie möglich, wenn die DNA mit Spurenmaterial abgeglichen werden soll. Solch fallbezogenes Material darf auch nicht einfach später in die zentrale DNA-Datenbank eingespeist werden. Bei so einer DNA-Probe hätte die Hannoveraner Polizei keinen Fahndungserfolg erzielen können – wenn sie sich selbst an Recht und Gesetz hält.

Womit wir bei der zweiten Möglichkeit wären – der Speicherung des genetischen Profils in der zentralen Datenbank. Hier muss der Richter (nicht die Polizei!) prüfen, ob tatsächliche Gründe die Vermutung zulassen, dass der Beschuldigte künftig Straftaten begehen wird. Nicht irgendwelche Straftaten übrigens. Sondern solche von “erheblicher Bedeutung” oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Mir ist schleierhaft, wie man bei solchen Hürden die DNA-Proben als “standardmäßig” bezeichnen kann. Es sei denn, man will Beschuldigte verschaukeln. Und das geltende Recht gleich ein bisschen mit.

Kölsche Nummernsuche

Ich möchte gar nicht wissen, wie viel Zeit ich in den Warteschleifen von Justizbehörden vertrödele. Das liegt daran, dass die Telefonzentralen meist hoffnungslos überlastet sind. Und zwar nicht wegen der unglaublichen Zahl von Anrufern, sondern weil viel zu wenige Mitarbeiter für die Telefonzentrale zur Verfügung stehen.

Man muss nur, wie ich das schon mal tue, höflich nachfragen, woran es denn liegt, dass Anrufer erst nach endlosem Klingeln durchkommen. Oder gar erst beim x-ten Versuch. Die meisten Damen (Telefonisten sind selten) sind ganz froh, das mal erklären zu können. Eine typische Aussage: “Wir sitzen hier zu zweit für ein Amtsgericht, ein Landgericht und eine Staatsanwaltschaft.”

Bei solchen Zuständen ist es schön, wenn Justizbehörden wenigstens die Telefonnummern ihrer Geschäftsstellen online stellen. Das Verzeichnis der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, deren Zentrale schon Jahre hoffnungslos überfordert ist, und einige andere habe ich auf dem Desktop meines Computers abgespeichert. Um die richtige Rufnummer zu finden, muss man für Düsseldorf zwar etwas Zahlenbingo spielen. Aber immer noch besser als endlose Minuten Warteschleife.

Auch die Staatsanwaltschaft Köln hat ihr Telefonverzeichnis online. Und was für eines! Ich war heute jedenfalls baff, als ich mich anhand des Aktenzeichens zur richtigen Abteilung für allgemeine Strafsachen hangelte – und dann gleich online den Nachnamen meines Mandanten las. Neben vielen anderen Namen übrigens.

“Cookies” – das blitzte als Idee auf. Habe ich mich da irgendwie registriert, und die Staatsanwaltschaft Köln bietet eine personalisierte Startseite? Sozusagen das Amazon unter den Justizbehörden? Aber wie soll das gehen, bei einem stinknormalen PDF…

Die Erklärung ist viel simpler. Verfahren werden bei der Staatsanwaltschaft Köln (auch) nach dem Alphabet aufgeteilt. Und zur Abgrenzung der Buchstaben hat man anscheinend der Einfachheit halber die Nachnamen der Beschuldigten genommen, deren Akte bei Erstellung des Verzeichnisses gerade auf dem passenden Häufchen oben oder unten lag.

Die Nachnamen der “Glücklichen” stehen jetzt also online. Jeder, der einen Blick ins Telefonverzeichnis der Staatsanwaltschaft Köln wirft, wird quasi nebenher darüber informiert, dass gegen die Betreffenden Ermittlungsverfahren laufen oder zumindest liefen. Halb so schlimm, könnte man meinen. Es gibt doch viel zu viele Meier, Müller und Schulze, um da auf eine konkrete Person schließen zu können.

Nun ja, Allerweltsnamen kommen in der umfangreichen Liste jedoch so gut wie gar nicht vor. Dafür etliche, von denen selbst das Kölner Telefonbuch keine mehrfachen Einträge zeigt. Ich habe eine kleine Stichprobe gemacht. Überdies findet sich auch eine beachtliche Zahl an Namen, die selbst in einer Millionenstadt nur einmal vorkommen dürften.

Schauen Sie doch auch mal rein, vielleicht erfahren Sie Interessantes über Nachbarn, Kollegen oder Freunde.

Stundenlang einsperren geht nur mit gutem Grund

Auf so manchen Polizeirevieren wird man die Organisationsabläufe künftig deutlich straffen müssen – sofern die dort tätigen Beamten das Bundesverfassungsgericht ernst nehmen. Aus Karlsruhe kommt nämlich eine deutliche Ansage zu Festnahmen, die schon von vornherein nur vorübergehend angelegt sind. Im nun entschiedenen Fall waren Grundstücksbesetzer, die sich ausweisen konnten und eigentlich nur fotografiert werden sollten, mehr als fünf bzw. acht Stunden eingesperrt worden. So etwas hält das Bundesverfassungsgericht für unverhältnismäßig und somit rechtswidrig.

Die vorherigen Instanzen hatten das Wegschließen der Beschwerdeführer noch gebilligt. Immerhin seien rund 100 Grundstücksbesetzer festgenommen worden. Die Dauer der erkennungsdienstlichen Behandlung sei der Vielzahl der Betroffenen geschuldet.

Dem folgt das Bundesverfassungsgericht nicht. Die Richter stören sich bereits daran, dass die Maßnahme der Polizei offiziell (auch) unter “Identitätsfeststellung” lief. Die Identitätsfeststellung sei aber bereits abgeschlossen gewesen, als die Betroffenen ihre Ausweise zeigten. Das Verfassungsgericht:

Die Beschwerdeführer hatten sich vor Ort mit Ausweispapieren ausgewiesen. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausweise gefälscht waren oder die Personen nicht mit dem Ausweisinhaber übereinstimmten, sind nicht ersichtlich. Daher ist – insbesondere im Hinblick auf das verfassungsrechtlich fundierte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen bloßer Identitätsfeststellung und weiterem Festhalten – davon auszugehen, dass es den Polizeibeamten möglich war, die Identität vor Ort hinreichend sicher festzustellen. Ein Festhalten aus reinen Praktikabilitätserwägungen vermag die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht zu begründen.

Eine eindeutige Notwendigkeit, die Betroffenen zu fotografieren, sieht das Verfassungsgericht nicht. Selbst wenn man aber unterstelle, dass Porträts für das weitere Verfahren erforderlich waren, “weil ansonsten die Erinnerung der einzelnen Polizisten als Zeugen vor Gericht aufgrund der Vielzahl an Personen ohne weitere Fotos nicht hinreichend gewährleistet gewesen wäre”, habe die Festhaltezeit von etlichen Stunden jedes zulässige Maß überschritten. Aus der Entscheidung:

Zwar kann die Masse der zu bearbeitenden Fälle eine organisatorisch nicht vermeidbare und mäßige Wartezeit sowie ein Verbringen an andere Polizeidienststellen zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen jedenfalls bei hinreichend gewichtigen Straftaten rechtfertigen. Hier sind die Beschwerdeführer jedoch erst nach mehreren Stunden im Polizeipräsidium lediglich insoweit erkennungsdienstlich erfasst worden, dass von ihnen wenige einfache Fotoaufnahmen angefertigt wurden. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen hätte es daher zur Annahme der Erforderlichkeit der mehrstündigen Ingewahrsamnahme einer genaueren Auseinandersetzung mit anderen weniger einschneidenden, aber gleich erfolgversprechenden Maßnahmen bedurft, wie etwa der Fertigung entsprechender Aufnahmen vor Ort, als die Personen einzeln zur Identitätsfeststellung herausgeführt wurden.

Entgegen der Auffassung der Polizei handele es sich im Ergebnis sehr wohl um eine Freiheitsentziehung. In diesem Fall hätte sich die Polizeibehörde aber darüber im Klaren sein müssen, dass sie gegebenenfalls einen richterlichen Beschluss benötigen.

Die Sache wurde nun an die Ausgangsgerichte zurückverwiesen. Sie müssen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts neu entscheiden.

Pressemeldung des Bundesverfassungsgerichts mit Links zu den Beschlüssen

Regierung will keine Netzsperren mehr

Es gibt auch erfreuliche Nachrichten aus Berlin: Es wird in Deutschland keine Internetsperren geben. Die Koalition hat sich heute darauf geeinigt, das derzeit ausgesetzte Zugangserschwerungsgesetz zu ändern. Künftig sollen kinderpornografische Inhalte nur gelöscht, aber nicht mit Stoppschildern versehen werden.

Hauptverfechterin der Internetsperren war die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Sie verdiente sich damit den Spitznamen “Zensursula”. Kritiker der Internetsperren hatten im wesentlichen argumentiert, dass Internetsperren kinderpornografische Inhalte nicht entfernen und somit nur “kosmetisch” wirken. Zudem seien die Sperren extrem leicht zu umgehen. Internetnutzer, die tatsächlich nach Kinderpornografie suchen, würden somit in keiner Form abgeschreckt.

Gleichwohl befürchteten Netzsperrengegner den Aufbau einer Zensur-Infrastruktur. Wenn heute Kinderpornografie gesperrt werde, könne das – ohne nennenswerten Rechtsschutz für Betroffene – auf beliebige andere Inhalte ausgedehnt werden. Die Musik- und Filmindustrie zeigte sich beispielsweise stets angetan von Sperrlisten und Stoppschildern. Dieser Wechsel auf die Zukunft dürfte nun nicht einlösbar sein.

Das Bundeskriminalamt muss mit der Absage an die Netzsperren eine Niederlage hinnehmen. Behördenchef Jörg Ziercke hat lange vehement behauptet, das Löschen im Einzelfall funktioniere nicht. Jedoch stellte sich durch Tests von Sperrlistengegnern heraus, dass sogar private Beschwerden bei Providern höchst erfolgreich sind, und zwar sowohl im In- und Ausland.

Als die Frage gestellt wurde, warum die deutsche Polizei weniger kann als Verbände, verbesserte sich auch die Erfolgsquote des BKA drastisch. "Nach aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamtes sind nach zwei Wochen 93 Prozent der kinderpornografischen Inhalte gelöscht, nach vier Wochen sind es sogar 99 Prozent", erklärte dazu heute Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Die heutige Entscheidung ist ein Sieg der Vernunft und ein Verdienst derjenigen, die beharrlich ihre guten Argumente gegen die Stereotypen der Befürworter gesetzt haben. Viele der Gegenstimmen kamen aus dem Netz. Sie waren sicher auch ursächlich dafür, dass die etablierten Medien das Thema spät aufgriffen, zum Glück aber nicht zu spät.

Die nächste Frage wird sein, ob Netzsperren womöglich noch über den Umweg Europa drohen. Es gibt ja auch noch aktuelle Planungen für eine EU-Richtlinie (“Zensilia”).