Die Bedeutung von „schlechthin“

Der Wettbewerb auf dem Anwaltsmarkt ist, dem Vernehmen nach, hart. Da muss man sich was einfallen lassen. Zum Beispiel einen schönen, nachts sogar erleuchteten Schriftzug am Kanzleisitz. So was wie

Das Haus der Anwälte.

Klingt nicht übel, dachte sich wohl eine Kanzlei mit zwei Anwälten im Gerichtsbezirk Osnabrück. Ein dritter Jurist sollte zum Jahresende ebenfalls in das „Haus der Anwälte“ ziehen. Vorher hatte er in der größten Kanzlei am Ort gearbeitet, die acht Anwälte beschäftigt. Seine bisherigen Kollegen tragen ihm den Wechsel womöglich etwas nach. Denn sie suchten gleich mal Streit mit dem „Haus der Anwälte“. Sie mahnten ihre Kollegen ab und bekamen jetzt recht.

Das Landgericht Osnabrück hält den Slogan „Das Haus der Anwälte“ für wettbewerbswidrig, weil er beim Publikum einen falschen Eindruck erwecke:

Die Verwendung des Begriffs … wird von nicht unerheblichen Teilen der Verkehrskreise als Hinweis auf eine bestimmte Vielfalt und Qualität der in diesem Gebäude angebotenen Rechtsberatung verstanden.

Maßgeblich stellt das Gericht auf das im Slogan enthaltenes Wörtchen „Das“ ab:

Wenngleich der bestimmte Artikel in der Inschrift nicht mit einem Superlativ wie „das beste“, „das erste“ oder „das einzige“ oder mit einem anderen Eigenschaftswort empfehlenden Charakters verbunden ist, so schwingt in der Bezeichnung „Das Haus der Anwälte“ doch die Bedeutung von „schlechthin“ mit.

Zwei Anwälte seien für diesen Anspruch aber zu wenig:

Dieser … Erwartung wird die Kanzlei … nicht gerecht. Die Kammer vermag auch nicht zu erkennen, dass sich insoweit durch den Einzug der Einzelkanzlei von Rechtsanwalt Dr. „„„ in das Gebäude etwas Wesenliches ändert.

Ob die siegreiche „Groß“kanzlei jetzt den Slogan an ihrem Büro anbringt, ist nicht bekannt.

Link zur Entscheidung

Kinder werden ja bloß „angehört“

Die Ratinger Polizei hat ermittelt und herausgefunden, wer im Jungenklo einer Grundschule gezündelt hat. Langweilig? Nicht unbedingt, wenn man sich das Vorgehen der Polizei ansieht:

Im Zuge der sofort nach dem Ende der Löscharbeiten begonnenen polizeilichen Ermittlungen zur Brandursache, ergab sich sehr schnell ein konkreter Tatverdacht gegen einen siebenjährigen Schüler aus Ratingen, der als letzter Benutzer der Jungentoilette vor Brandentdeckung gesehen worden war.

Hierzu ist ja noch wenig zu sagen. Über den weiteren Verlauf dagegen schon etwas mehr:

In einer Befragung durch Schulleitung und Polizei verwickelte sich der Junge zunächst in Widersprüche, bevor er die Brandlegung schließlich ohne Nennung eines Motivs einräumte.

Gut, kann man sagen, sollen sie das Kind ruhig in die Mangel nehmen. Er ist noch keine 14 Jahre alt und damit strafunmündig. Deshalb wird das Verfahren sowieso eingestellt. Wegen seiner Strafunmündigkeit gilt der Jugendliche formal auch nicht als Beschuldigter, weshalb er – streng genommen – nicht über die Rechte eines Beschuldigten belehrt werden muss. Zu diesen Recht gehört etwa das umfassende Schweigerecht und die Möglichkeit, einen Anwalt zu konsultieren.

Kurz gesagt: Man kann dem Jungen nichts, deshalb hat er auch keine strafprozessualen Möglichkeiten.

Was mich aber nachdenklich stimmt, ist folgender Satz:

Der siebenjährige Grundschüler wurde nach seiner Anhörung an die Mutter übergeben, welche man dabei über die polizeilichen Ermittlungsergebnisse aufklärte.

Entweder ist niemand auf den Gedanken gekommen, dass man einen Siebenjährigen zu solchen Dingen vielleicht besser in Anwesenheit eines Erziehungsberechtigten befragt. Vor allem, wenn es um Widersprüche geht. Und um Geständnisse, die noch nicht mal die Angabe eines Motivs enthalten. Oder man hat daran gedacht, es aber im Interesse eines schnellen Erfolges aus „taktischen“ Gründen sein gelassen.

Ich tippe auf letzteres. Polizeibeamte neigen nach meiner Erfahrung dazu, Eltern außen vor zu lassen. Es gibt zwar Regeln in den Polizeidienstverordnungen, die eine möglichst frühe Information an die Eltern Minderjähriger vorsehen. Aber die Vorschriften sind von Land zu Land unterschiedlich. Vor allem aber haben sie keine Außenwirkung, das heißt als Betroffener kann man sich nicht unmittelbar berufen.

Dementsprechend wird immer erst mal gern „angehört“ und das Geständnis niedergeschrieben. Erst dann erfolgt der Anruf bei Mama und Papa. Dem Kindeswohl dürfte so was kaum zuträglich sein. Immerhin empfinden ja selbst Erwachsene die Konfrontation mit der Polizei als Ausnahmesituation.

Es kann überdies kaum richtig sein, dass ein tatverdächtiges Kind formal als Nichtbeschuldigter angehört wird, dann aber noch nicht einmal die Rechte haben soll, die sogar einem Zeugen zustehen – nämlich überhaupt nicht mit der Polizei zu reden.

Es ist auch schwer nachvollziehbar, wieso ein Beschuldigter das Recht auf einen Anwalt hat (und hierüber belehrt werden muss), die Vernehmung eines Kindes aber nicht so lange warten kann, bis zumindest ein Elternteil anwesend ist.

Ich meine deshalb, Kinder sollten grundsätzlich nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis ihrer Eltern als Quasi-Beschuldigte „angehört“ werden dürfen. Denn nur die Eltern können absehen und entscheiden, ob es vielleicht nicht sinnvoller ist, einfach gar nichts zu sagen und nach Hause zu gehen.

Kein sittlicher Schaden

Der Einsatzbefehl für die Polizei kam an einem Sonntagmorgen im Hochsommer, es war gegen fünf Uhr:

In der vor Ort befindlichen Parkanlage soll ein Pärchen den Geschlechtsverkehr vollziehen. Der Mitteiler soll das Paar angesprochen haben, allerdings ließen sich die beiden nicht stören.

Bei Eintreffen konnten tatsächlich die beiden Beschuldigten angetroffen werden. Als die beiden erkannten, dass die Polizei eingetroffen war, unterbrachen sie den Akt. Weder der Mitteiler noch sonstige Zeugen waren nach den vollzogenen Maßnahmen noch vor Ort.

Die erwähnte vollzogene Maßnahme ist übrigens nicht das Geturtel im Gras, sondern ein von der Polizei sogleich ausgesprochener Platzverweis. Dabei ließen es die Beamten jedoch nicht bewenden. Sie schrieben eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und setzten so ein Ermittlungsverfahren in Gang.

Der zuständige Staatsanwalt und ich diskutierten später über die Auslegung des Paragrafen. Strafbar macht man sich bei Sex in der Öffentlichkeit nämlich nur, wenn man „absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt“. Man muss also damit rechnen oder es zumindest in Kauf nehmen, beobachtet (oder vielleicht auch nur gehört) zu werden. Außerdem bedarf es eines Außenstehenden, der sich über die Darbietung ärgert. Wobei der Ärger schon etwas heftiger sein muss.

Schon über den Vorsatz der Mandanten hätte sich streiten lassen. Immerhin lagen sie nicht auf einer Wiese, sondern unter einem Baum. Die Stelle war vom Fußweg auch nicht ohne weiteres einsehbar, denn dazwischen stehen Büsche. In aller Frühe am Sonntagmorgen kann man sich da durchaus alleine fühlen. Zumal die von der Polizei gewählte Bezeichnung „Park“ euphemistisch ist. Es handelt sich um einen breiten, begehbaren Grünstreifen zwischen Wohngebiet und Schnellstraße.

Aber all diese Fragen müssen nicht geklärt werden. Der einzige Zeuge, der wohl gerade seinen Hund Gassi führte, wurde nämlich später noch mal vernommen und gab einige Details zu Protokoll. So will er die Polizei nur gerufen haben, weil er es entfernt für möglich hielt, dass es sich nicht um einvernehmlichen Sex handelte.

Der Anblick sei für ihn auch nicht erbaulich gewesen. Aber:

Einen sittlichen Schaden habe ich dadurch nicht erlitten.

Letztlich waren wir uns also einig, dass es wohl am „Ärgernis“ im Sinne des Gesetzes fehlt. (Und auch darin, dass sich alle Seiten die Hauptverhandlung in Anwesenheit der Boulevardpresse ersparen sollten.)

Verfahren eingestellt. Ich muss jetzt noch eine Rechnung schreiben. Deren Endbetrag liegt deutlich über dem, was ein schönes Hotelzimmer gekostet hätte.

Schema F

Mit Menschen, die den Kopf in den Sand stecken, habe ich oft zu tun. Ein Mandant fällt etwas aus dem Rahmen, denn die Eigenart scheint ihn nur partiell zu betreffen. Aber auch damit hat er sich nun genug Ärger eingehandelt. Dabei lief alles zunächst ganz gut…

Nachdem er Freiheitsstrafen zum Teil abgesessen hatte, durfte mein Mandant in eine Drogentherapie gehen. Die Vollstreckung des Strafrestes wurde erst mal zurückgestellt. Bei erfolgreicher Therapie wäre ihm die Zeit in der Klinik auf die Freiheitsstrafe angerechnet worden. Er hätte nicht ins Gefängnis zurück gemusst.

Die Therapie lief auch Monate gut, nur Ende des Jahres gab es Krach. Mein Mandant ging, die Klinik hielt ihn nicht. Am 3. Januar meldete er sich wieder unter seiner alten Adresse an. Am gleichen Tag saß er schon bei der Drogenberatung. Ziel: Vermittlung eines neuen Therapieplatzes. Drei weitere Gespräche folgten. Auch der Antrag auf Kostenübernahme wurde gestellt.

Normalerweise ist es kein Beinbruch, wenn der erste Therapieversuch nicht klappt. Oft passen Klinikkonzept und Patient nicht zusammen. Überdies wissen auch die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, dass echtes Aufhören mitunter einiger Anläufe bedarf. Sehr wahrscheinlich also, dass meinem Mandanten keine Steine in den Weg gelegt worden wären.

Hätte er nur auch mal die Staatsanwaltschaft informiert. Doch dort ging nur die obligatorische Mitteilung der Klinik ein, dass die Therapie abgebrochen wurde. Mangels anderer Informationen lief es dann nach Schema F. Widerruf der Aussetzung. Haftbefehl. Ende letzter Woche wurde mein Mandant nun bei einer Kontrolle erwischt und gleich ins Gefängnis gebracht. Dort erfuhr er dann, dass seine Reststrafe, immerhin fast ein Jahr, bereits im Januar wieder in Kraft gesetzt wurde. Dementsprechend soll er nun wieder direkt zurück in den Strafvollzug.

Mal schauen, ob sich das vermeiden lässt. Mein Mandant hat immerhin Verwandte, die ihrerseits den Kopf nicht in den Sand stecken – und mal wieder für die Anwaltsgebühren gerade stehen.

Guuuuuuuuuuuten Taaaaaaaaaaag

Preisangaben für kostenpflichtige Anrufe müssen nicht nur verständlich, sondern auch kurz sein. Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Köln die Abschaltung der Servicerufnummer 11861 bestätigt. Die Betreiber brauchten 1:47 Minuten, um den Anrufern zu sagen, dass der Anruf knapp zwei Euro pro Minute kostet.

Die Bahn hatte unter der Nummer früher Reiseinformationen gegeben und ins Kundenzentrum durchgestellt. Die Bahn bietet heute jedoch 0180er-Nummern und gab den Anschluss deshalb frei. Zuletzt nutzte ihn ein privater Auskunfts- und Weitervermittlungsdienst. Das Unternehmen soll Anrufer fast zwei Minuten hingehalten haben, bevor es die tatsächlichen Kosten ansagte. Dies beanstandete die Bundesnetzagentur und schaltete den Anschluss ab.

Das Verwaltungsgericht Köln sah ebenfalls den Missbrauch. So eine lange Ansage sei nicht mehr im Sinne des Gesetzes; sie verursache unzulässige Kosten für die Anrufer.

Verwaltungsgericht Köln, Beschluss vom 14. Februar 2011, Aktenzeichen 1 L 1908/10

„Freiwillig“ in Theorie und Praxis

Mit einem Massengentest will die Polizei in Bad Vilbel nach der Mutter eines getöteten Säuglings suchen. Der Hessische Rundfunk berichtet über das vorläufige Ergebnis:

Von insgesamt 1.500 geladenen Frauen gaben an den vergangenen beiden Wochenenden 900 Speichelproben ab. 400 weitere Frauen im Alter von 25 bis 35 Jahren waren nach Angaben der Polizei entschuldigt. 200 erschienen ohne Angabe von Gründen nicht zu der Massenuntersuchung. Sie sollen jetzt von Polizisten aufgesucht und zu ihrem Fernbleiben befragt werden.

So ist das eben – die „Freiwilligkeit“ solcher Tests steht in der Praxis nur noch auf dem Papier.

Zwar ist niemand verpflichtet, auf die Einladung der Polizei zu reagieren und eine Speichelprobe abzugeben. Somit kann es auch keiner der Eingeladenen angekreidet werden, dass sie sich nicht „entschuldigt“ hat. Für was soll sie sich auch entschuldigen? Dass sie von ihren Rechten Gebrauch macht?

Aber nun stehen halt Polizeibeamte vor der Tür und wollen mit den Betroffenen über die Gründe sprechen, warum sie nicht zum Gentest erschienen sind. Die Wahrnehmung eines glasklaren Rechtes, nämlich die Behörden beim Wort (hier: „freiwillig“) zu nehmen, begründet also eine Art Anfangsverdacht.

Was ist, wenn eine Frau nun bei einem Besuch kein Interesse hat, mit den Polizisten zu reden? Oder sie gar herein zu bitten? Was auch wiederum simple Rechte sind, die ihr ohne Frage zustehen. Dann droht mit einiger Sicherheit die nächste Eskalationssstufe. Super angenenehme Rückfragen bei den Nachbarn („Können Sie sich erklären, warum Frau Meyer nicht mit uns sprechen will?“), Recherchen in Datenbanken und am Ende womöglich ein richterlicher Beschluss, mit dem die Speichelprobe im Einzelfall erzwungen wird.

Aber gerade das hat wenigstens einen kleinen Vorteil. Ab diesem Moment ist das Prozedere nämlich nicht mehr so verlogen wie zuvor.

„Sie haben ein Preisausschreiben gemacht“

„Sie haben bei einem Preisausschreiben mitgemacht.“ Das ist nach wie vor einer der Lieblingssätze, mit denen unerbetene Werbeanrufe gerechtfertigt werden. Ein bei einem Gewinnspiel gesetztes Häkchen, wonach man mit Werbeanrufen einverstanden ist, reicht aber nicht aus. Selbst bei einer zusätzlich angeforderten Bestätigung (Double-opt-in) bleiben die Anrufe unzulässig. Dies hat der Bundesgerichtshof jetzt noch einmal klargestellt.

Verklagt worden war die AOK. Sie hatte sich bei Gewinnspielen die Telefonnummern der Teilnehmer geben lassen. Durch Markieren eines Feldes hätten die Teilnehmer sich mit Telefonwerbung einverstanden erklärt. Die AOK will darauf hin noch einmal eine „Check-Mail“ mit einem Bestätigungslink versandt haben, den die Teilnehmer klicken mussten.

Der Bundesgerichtshof stellt zunächst klar, dass nach deutschem Recht alle unaufgeforderten Werbeanrufe unlauter sind, weil sie die Angerufenen unzumutbar belästigen. Der Anrufer müsse eindeutig belegen, dass sich der Angerufene vorher und ausdrücklich mit Werbeanrufen einverstanden erklärt hat.

Das von der AOK verwendete Double-opt-in halten die Richter für „von vornherein“ ungeeignet. Zwar könne bei Vorlage der angeforderten elektronischen Bestätigung angenommen werden, dass die Einwilligung tatsächlich von der angegebenen E-Mail-Adresse stammt. Damit sei aber nicht sichergestellt, dass es sich bei der genannten Telefonnummer tatsächlich um einen Anschluss des Absenders der Bestätigungs-E-Mail handelt.

Fremde Telefonnummern könnten von Dritten sowohl „versehentlich oder vorsätzlich“ eingetragen werden. werden. Das Verfahren stelle somit keineswegs sicher, dass die später angerufene Telefonnummer auch vom tatsächlichen Inhaber des Anschlusses für Werbeanrufe freigegeben wurde. Die Anbieter müssen also über das Double-opt-in hinaus prüfen, ob tatsächlich der Anschlussinhaber sein Einverständnis erklärt. Wie das gehen soll, sagt der Bundesgerichtshof nicht.

Außerdem genügt es nach Auffassung der Richter nie, wenn sich der Anbieter nur generell auf die Einhaltung eines gewissen Verfahrens beruft. Er müsse vielmehr die konkrete
Einverständniserklärung des Angerufenen vorlegen können. Eine Speicherung sei ohne weiteres zumutbar.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Februar 2011 – I ZR 164/09 – Telefonaktion II

Schufa darf Insolvenzdaten speichern

Auch wenn jemand das Insolvenzverfahren durchlaufen und Restschuldbefreiung erhalten hat, muss er bei der Schufa keine „weiße Weste“ haben. Vielmehr darf die Schufa weitere drei Jahre speichern, dass der Betroffene ein erfolgreiches Insolvenzverfahren hinter sich hat. So hat es das Amtsgericht Wiesbaden entschieden.

Der Kläger hatte im Jahr 2009 sein Insolvenzverfahren beendet. Er wollte sich mit seiner Frau ein Haus kaufen. Den hierfür nötigen Kredit lehnte die Bank ab. Sie begründete ihre Ablehnung damit, aus dem Schufa-Eintrag des Klägers ergebe sich die Restschuldbefreiung.

Der Kläger sieht durch die Datensammlung der Schufa den Sinn der Restschuldbefreiung ad absurdum geführt. Er meint, einem redlichen Schuldner wie ihm stehe ein unbelasteter Neuanfang zu. Dieser werde durch den Eintrag verhindert. Die Schufa lehnte die Löschung ab und bekam vom Amtsgericht Wiesbaden recht. Das Gericht verweigerte dem Kläger Prozesskostenhilfe für den geplanten Prozess mit der Bank.

Die Sammlung der Daten hält das Gericht zunächst grundsätzlich für zulässig. Das Bundesdatenschutzgesetz erlaube es, Informationen aus „allgemein zugänglichen Quellen“ zu verarbeiten. Das Insolvenzgericht mache den Beschluss über die Restschuldbefreiung bekannt. Überdies gebe es ein nachvollziehbares Interesse auf der Bankenseite. Die Tatsache eines Insolvenzverfahrens lasse nämlich sehr wohl Rückschlüsse darauf zu, ob ein Kunde kreditwürdig ist oder nicht.

Demgegenüber sei es nicht Ziel der Restschuldbefreiung, dem Schuldner einen kompletten Neuanfang ohne Überprüfung seiner Kreditfähigkeit zu ermöglichen. Letztlich müsse der Betroffene ja auch ehrlich antworten, wenn er persönlich nach einem Insolvenzverfahren gefragt werde. Dies sei nämlich ein Umstand, den ein Kreditsuchender auf Nachfrage nicht verschweigen dürfe.

Amtsgericht Wiesbaden, Beschluss vom 13.01.2011, Aktenzeichen 93 C 107/11

Ein Betrug, der keiner war

Die Strafverfolger sahen einen Betrug, der keiner war. Mit ziemlichem Getöse warf die Staatsanwaltschaft dem Fleischproduzenten Clemens Tönnies vor, seine Abnehmer in großem Stil betrogen zu haben. Der Lebensmittelfabrikant soll gemischtes Hackfleisch verkauft haben, das zu wenig Rindfleisch enthielt.

Schon das Landgericht Essen konnte darin keinen Betrug sehen und ließ die Anklage gegen Tönnies und zwölf seiner leitenden Angestellten in diesem Punkt nicht zu. Das Oberlandesgericht Hamm begab sich in die Tiefen des Lebensmittelrechts und stellte nun ebenfalls fest, dass Tönnies sich nicht wegen Betrugs verantworten muss.

Die Hammer Richter konnten schon gar nicht nicht feststellen, dass überhaupt minderwertige Ware geliefert worden ist. Dementsprechend könne auch nicht gesagt werden, dass die Abnehmer die Ware zu teuer bezahlt hätten. Insoweit dürfte wohl schlampig ermittelt worden sein. Das Oberlandesgericht weist nämlich ausdrücklich darauf hin, es fehlten Angaben zum maßgeblichen Marktwert des Hackfleisches.

Nach lebensmittelrechtlichen Vorschriften habe die Ware keinem Verkehrsverbot unterlegen. Eine prozentuale Mengenangabe der Zutaten bei der Verkehrsbezeichnung „gemischtes Hackfleisch“ sei nach den Vorschriften gerade nicht erforderlich. Die damals gültige Hackfleischverordnung fordere dies nämlich nicht. Die vorgeschriebenen Angaben der Lebensmittelzutaten seien somit eingehalten, wenn auch inhaltlich fehlerhaft.

Nach Auffassung des Gerichts richtet sich die Kaufentscheidung des Konsumenten nach Geschmack und Preis. Wenn das Hackfleisch so verkaufbar gewesen sei, seien Leistung und Gegenleistung wohl ausgeglichen gewesen. Tatsächlich soll das gemischte Hack von Tönnies in etwa so viel gekostet haben wie reines Schweinehack von anderen Anbietern. Die Käufer seien somit durch den angeblich zu geringen Rindfleischanteil jedenfalls wirtschaftlich nicht geschädigt, argumentierten Tönnies‘ Verteidiger.

Ob die belieferten Supermärkte gegen Tönnies zivilrechtlich vorgehen können, hält das Oberlandesgericht für unerheblich. Eine Qualitätsabweichung führe vielleicht zu Minderungsansprüchen. Hieraus lasse sich aber kein strafrechtlicher Schaden herleiten. Für diesen müsse man den Verkehrswert und die Preiskalkulation kennen. Diese Informationen seien dem Gericht aber nicht geliefert worden.

Die Angeklagten müssen sich jetzt „nur“ noch wegen falscher Auszeichnung von Ware verantworten. Der Prozess soll in Kürze beginnen.

Kein Grundrecht auf umfassenden Schutz

Im Verfassungsblog ist heute ein hervorragender Artikel zu lesen. Er heißt „Es gibt kein Grundrecht auf Schutz vor Straftätern“. Max Steinbeis schildert, wie sich die angeblichen Schutzpflichten des Staates neben unsere Grundrechte schleichen und sich langsam darüber erheben:

Ein Grundrecht auf Sicherheit … ist eine wirklich teuflische Idee, um so mehr, als sie auf den ersten Blick so einleuchtend und auf der Hand liegend erscheint. …

Ein solches Grundrecht auf Sicherheit wäre in der Tat “das Ende”. Damit wären die Freiheitsgrundrechte der Bürger vollkommen dem Ermessen des Staates ausgeliefert. Aus Abwehrrechten gegen den Staat wären unversehens Ermächtigungen an den Staat geworden, gütig und weise die miteinander kollidierenden Grundrechte seiner wechselseitig füreinander furchtbar gefährlichen Bürger miteinander in Ausgleich zu bringen.

Hier geht es zum Beitrag.

Kleinkariert

Der Kreis Düren hat ein Motto:

Wir machen das!

Kein bloßes Gerede, wie ich heute feststellen durfte. Sie machen es tatsächlich – den Bürger erziehen. Und zwar unerbittlich…

Bis heute war mein Kenntnissstand, dass Radarfallen mit einer gewissen Großzügigkeit eingestellt sind. Meist wird erst ab 10 Stundenkilometern zu viel geblitzt, mitunter auch erst ab 15 Stundenkilometern. Das mag auch noch so sein, aber eben nicht im Kreis Düren, der das (anders) macht.

86 Stundenkilometer soll ich mit meinem Auto gefahren sein, teilt mir der Landrat mit. Und zwar auf der mehrspurigen Verbindungsrampe von der A 44 zur A 61. Erlaubt sind dort aber nur 80 Stundenkilometer. Macht stolze sechs Stundenkilometer zu viel – im neu ausgebauten Autobahndreieck Jackerath nachts um 23.30 Uhr.

Zehn Euro soll ich nun zahlen. Juristisch ist dagegen nichts zu sagen. Der Bußgeldkatalog sieht dieses Verwarnungsgeld vor, wen man auch nur einen Kilometer zu schnell gewesen ist.

Das Geld ist mir ziemlich egal. Aber nicht der Eindruck, die so eine, ich sage es mal offen, kleinkarierte Verfolgungsmentalität bei mir hinterlässt.

Mit der Radarfalle verdient der Kreis Düren übrigens jährlich Millionen.

Wand, Ofen, Fußboden

Nur wenige Dinge reizen Staatsanwälte und Richter so, wie eine einfache Körperverletzung zu einer gefährlichen Körperverletzung aufzuwerten. Die Strafschärfung steht vor allem immer dann im Raum, wenn der Täter sich eines Hilfsmittels bedient hat. Er muss dann aber, so will es das Gesetz, ein „gefährliches Werkzeug“ verwendet haben.

Die Strafrechtskommentare sind voll von Dingen, die – zu recht oder auch nicht – schon als gefährliches Werkzeug herhalten mussten. Zitiert werden Urteile zu Scheren, Nadeln und Gabeln, zu fahrenden Autos, Klebeband und Kleiderbügeln. Aber auch Plastiktüten und Schnürsenkel waren schon Thema.

Praktischer Dauerbrenner ist der „beschuhte Fuß“. Wer mit schwerem, festen Schuhwerk zutritt, so die weit verbreitete Auffassung, nutzt ein gefährliches Werkzeug. Ich habe es allerdings schon erlebt, dass mit leichten Stoffturnschuhen gefährliche Körperverletzung möglich sein soll. Dem wollte aber schon die Berufungsinstanz nicht folgen, so dass es dieser Fall leider nicht in die Kommentare geschafft hat.

Auch das Landgericht Essen mag auf etwas Unsterblichkeit in Form einer Fußnote gehofft haben. Die Richter haben nämlich ein bislang schmählich ignoriertes „gefährliches Werkzeug“ ausgemacht: den eigenen Kopf. Mit eben diesem hatte der Angeklagte einer Frau „plötzlich und gezielt eine Kopfnuss“ versetzt, worauf sich „sofort eine schmerzhafte Schwellung bildete“.

Womöglich hätte es in Essen aber schon eine Warnung sein müssen, dass zumindest die obersten Richter den Begriff des „Werkzeugs“ eher eng auslegen. So sind sie zum Beispiel seit jeher unumstößlich der Auffassung, dass unbewegliche Gegenstände kein Werkzeug sein können. Nachzulesen in den Urteilen zu Wand, Ofen und Fußboden.

So wie sich feststehende Gegenstände sprachlich kaum als Werkzeug einordnen lassen, ist das eben auch mit den Körperteilen. Leisen Optimismus mögen die Essener Richter aus klugen Aufsätzen geschöpft haben, die sich vornehmlich Jurastudenten zu Gemüte führen müssen. Was ist etwa ist mit dem künstlichen Gebiss? Oder mit dem Piraten-Haken als Handprothese?

Gleichwohl konnte sich der Bundesgerichtshof nicht durchringen, den zweckentfremdeten Kopf straftechnisch aufzuwerten. Die Karlsruher Richter wiesen die Essener Kollegen nun in einem Beschluss ohne nähere Begründung darauf hin, Körperteile seien nach ständiger Rechtsprechung nur Körperteile und keine gefährlichen Werkzeuge.

Daran werden wir uns dann wohl halten müssen.

Auf die Tränendrüse drücken

Der kleine Ausflug nach Holland endet ja oft auf dem Seitenstreifen der Autobahn. Auch einen Mandanten hat es vor einiger Zeit erwischt. Ihn fischte die Bundespolizei mit gerade importiertem Kokain aus dem Verkehr. Und dann folgte das böse Erwachen.

Wie sich herausstellte, hatte der Mandant in den Niederlanden Stoff von fast unglaublicher Reinheit erworben. Mit der Folge, dass er mehr als fünf Gramm Cocain-Hydrochlorid über die Grenze gebracht hatte. Das ist dann keine geringe Menge im Sinne des Gesetzes mehr. Was extrem unangenehme Folgen hat. Unter zwei Jahren Freiheitsstrafe läuft dann nichts. Das Problem: Eine Gefängnissstrafe ab zwei Jahren kann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden.

Wem so was passiert, der hat also ziemlich sicher Knast vor sich. Neben dem sturen Leugnen, das angesichts der Beweislage aber nur selten Erfolg verspricht, bleibt nur ein Ausweg. Man muss das Gericht von einem „minder schwerer Fall“ überzeugen.

Auf diese Aufgabe war mein Mandant heute vorbereitet. Er berichtete flüssig von den Widrigkeiten, die ihm bisher im Leben widerfahren waren. Neben Todesfällen naher Angehöriger auch ein Unfall, an dessen Folgen er noch heute laboriert.

Noch wichtiger aber war die Zukunftsperspektive. Obwohl nicht gerade aus behüteten Verhältnissen, hat er das Abitur geschafft und studiert. Das Examen steht demnächst an. Für die Zeit danach hat er die Zusage auf einen festen Arbeitsplatz.

Daneben konnte der Mandant noch glaubhaft machen, dass er seit dem Ausflug nach Holland die Finger von Betäubungsmitteln gelassen hat.

Ich weiß, über so eine Verteidigung wird gern die Nase gerümpft. Erst Straftaten begehen und dann auf die Tränendrüse drücken. Das hat man gern.

Ich kann dazu nur sagen, dass gute Richter so was vielleicht denken, sich aber in ihrer Entscheidung nicht davon leiten lassen. So wie es das Schöffengericht heute getan hat. Am Ende stand nicht nur der minder schwere Fall, sondern eine Freiheitsstrafe von gerade acht Monaten auf Bewährung.

So was könnte man glatt feiern. Mit legalen Drogen, natürlich.