Soforthilfe für Loveparade-Opfer

Die Stadt Duisburg hüllt sich seit Tagen in Schweigen, was die Verantwortlichkeit für das Loveparade-Desaster angeht. Der amtierende Oberbürgermeister Sauerland klebt an seinem Sessel und windet sich auf unsäglich Weise (Interview von heute). Lediglich zur geplanten Trauerfeier ist etwas von zu hören. Aber kein Wort dazu, ob und wie man den Opfern zu helfen gedenkt – und wann damit zu rechnen ist.

Positiver in dieser Hinsicht verhält sich Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller. Er hat eine Soforthilfe von einer Million Euro zur Verfügung gestellt. Das Geld stammt aus seinem Privatvermögen und von der Axa, bei der die Loveparade versichert war.

Die Gelder sollen unbürokratisch ausgezahlt werden.

Pressemitteilung der Axa mit Hinweisen, wie die Soforthilfe angefordert werden kann: Weiterlesen

Rechtsberatung on air

Vorhin habe ich einer Sendergruppe aus den neuen Bundesländern eine Einschätzung zum Fall Kachelmann gegeben. In letzter Zeit ruft die Redaktion öfters an. Was mich freut. Vor dem Interview, beim Einpegeln der Stimme, sagte der Redakteur:

Nicht dass Sie uns bald mal eine saftige Sammelrechnung schicken.

Ein Scherz? Na ja, ein halber. Der Journalist erzählte, dass er vor längerer Zeit mal einen Anwalt in München um ein Interview gebeten hat. Der Jurist gab sein Statement bereitwillig ab. Es wurde auch gesendet.

Vier Wochen später flatterte die Rechnung auf den Tisch. Ein paar hundert Euro wollte der Anwalt – für „juristische Beratung“. Vielleicht war es ihm egal, aber auf der Liste potenzieller Gesprächspartner und „Experten“, die jede Redaktion führt, hat er sich wohl nicht gehalten.

Kachelmann ist ein freier Mann

Der dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat mit Beschluss vom heutigen Tage der Haftbeschwerde des Meteorologen Jörg Kachelmann stattgegeben und seine umgehende Freilassung aus der Justizvollzugsanstalt Mannheim angeordnet.

Das Gericht sieht bereits keinen dringenden Tatverdacht. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass der Angeklagte die Tat bestreitet und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin zur Verfügung stehe. Damit liege die Fallkonstellation „Aussage gegen Aussage“ vor. Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht.

Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf den aktuell nicht mehr bestehenden dringenden Tatverdacht könne ferner dahinstehen, ob in der Person des Angeklagten derzeit noch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben sei.

Aufgrund der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Untersuchungshaft hat der 3. Strafsenat den Haftbefehl aufgehoben und die Freilassung des Angeklagten angeordnet.

Kachelmann war am 20. März verhaftet worden. Er saß somit über vier Monate in Untersuchungshaft.

(Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juli 2010, 3 Ws 225/10)

Nachtrag: Pressemitteilung des Landgerichts Mannheim

Krieg den Topfdeckeln

Das Verwaltungsgericht Berlin hat der dortigen Polizei gerade erst den Spaß verdorben. Friedliche Demonstrationen, so das Urteil, dürfen nicht per Video überwacht werden. Jetzt stellt sich die Frage, wie man die ganzen Filmtrupps künftig sinnvoll beschäftigt. Macht ein Gericht sich hierüber eigentlich keine Gedanken?

Demnach überrascht es nicht, dass der Berliner Innensenator angesäuert reagiert. Er teile die Rechtsauffassung des Gerichts nicht, lässt er verbreiten. Man kann die hängenden Mundwinkel förmlich vor sich sehen. Wenn das Urteil Bestand hat und sich seine Rechtsauffassung somit als falsch erweist, will der Senator das – natürlich – auch nicht akzeptieren. Er wird dann nicht seine Rechtsauffassung ändern, sondern das Gesetz. So lässt sich weiter „Gefahrenabwehr“ gegenüber friedlichen Demonstranten betreiben, die nichts weiter machen als ihr Grundrecht auszuüben. Und zwar mindestens so lange, bis ihn ein Verfassungsgericht bremst. Also noch Jahre.

In diesem Kontext flashte dann heute nachmittag eine Meldung durch meinen Reader. Ich habe nicht auf die Quelle geschaut, dachte aber, die Titanic oder ein Satireblog bastelt sich ein schales Follow up aus der Berliner Geschichte. Die Hannoveraner Polizei, so war zu lesen, möchte Demonstranten Trillerpfeifen, Trommeln und Megafone verbieten. Weil die Polizisten auf Demos den Lärm nicht vertragen. Das Wort Arbeitsschutz wurde im Text hervorgehoben. Ich habe achtlos weiter geklickt.

Kleines Problem, insbesondere für Menschen, die von Satire leben und deren Geschichten vom wahren Leben qualitativ immer wieder überholt werden – die Meldung stimmt. Jedenfalls steht sie in der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung und wird überdies von ddp verbreitet. Die Polizei in Hannover möchte demnach für eine Demo am 7. August tatsächlich Auflagen erlassen, weil sie „ohrenbetäubenden Lärm“ erwartet.

Bei einem ähnlichen Protestzug, so lautet die Klage, hätten Teilnehmer „mit Trommeln, Trillerpfeifen und Topfdeckeln“ Krach gemacht. Man stelle sich das mal vor! Anlass dieses bösen Tuns war auch noch ein umstrittenes Adventskonzert, bei dem eine Kapelle der Bundeswehr vermutlich ebenfalls Geräusche emittierte. Ein Verbot von Bundeswehrkapellen wird aber wohl aktuell dennoch nicht diskutiert.

Dieser Schritt war natürlich längst überfällig. Immerhin ist seit Jahren bekannt, dass immer wieder Polizeibeamte dienstunfähig werden, weil sie bei Demonstrationen Lärm ertragen müssen. Laut Studien, von denen dummerweise noch keine einzige online Erwähnung gefunden hat, ist Demonstrationslärm viiiiiiiiiiiel gefährlicher als der Krach an belebten Kreuzungen, auf Großbaustellen und am Flughafen, bei Einsätzen in Fußballstadien und wenn Marius Müller Westernhagen die AWD-Arena rockt.

Praktischerweise schließt sich hier auch der Kreis. Die künftig unbeschäftigten Videotrupps werden umgeschult und ins SEK Phono überführt. Der Aufwand dürfte sich in Grenzen halten. Ein paar Säckchen zum hygienischen Konfiszieren der Lärmwaffen sind überdies schnell angeschafft.

Man wundert sich angesichts dessen geradezu, dass bislang noch nicht einmal die Polizeigewerkschaften dieses brandheiße Thema aufgegriffen haben. Diese Organisationen sind doch normalerweise an vorderster Front, wenn es darum geht, alle jene ihrer Schäflein nachträglich zu schützen, welche als junge Menschen die Stellenausschreibung nicht richtig lasen und dachten, die Entscheidung für den Polizeiberuf ist eine Garantie auf lebenslanges Sesselpupsen hinter dem Schreibtisch in einem überdimensionierten Verkehrskommissariat.

Insgesamt also ein wichtiger, richtiger und vor allem überfälliger Schritt. Immerhin steht ja nirgends geschrieben, dass Demonstrationsfreiheit auch das Recht beinhaltet, laut und unbequem zu sein, damit die Öffentlichkeit auch auf das Anliegen der Demonstranten aufmerksam wird. Oder will ernsthaft jemand ernsthaft behaupten, Krach könne ein legitimes Mittel des demokratischen Diskurses sein?

Na ja, eigentlich steht das schon geschrieben. In Gerichtsurteilen und juristischen Kommentaren zum Thema. Vielleicht sollte man es den Verantwortlichen mit dem Megafon vorlesen. Aber dann bitte schnell, so lange es noch geht. Draußen darf es dabei aber auch nicht zu heiß oder zu kalt sein. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Feinstaubbelastung nicht über dem langjährigen Durchschnitt des Ostallgäus liegt. In solchen Fällen, so ist zu hören, sollten Demonstrationen nämlich aus Gründen des Schutzes vor Arbeit ebenfalls komplett verboten werden.

Ein zu diesen Fragen bereits in Auftrag gegebenes Gutachten soll sogar früher vorliegen als geplant. Der Autor, ein gewisser Prof. Schreckenberger, hat kurzfristig Kapazitäten frei.

Zauberwort

Der Schuldner ist verzogen. Deshalb fragte das Mahngericht Hagen nach der neuen Adresse. Den „Antrag auf Neuzustellung eines Mahnbescheids“ habe ich gerade ausgefüllt. Man muss nur die Adressdaten angeben und die Kosten für die Datenermittlung. Das waren 7,38 Euro bei Supercheck.

Ich war schon fertig, als mir ein Hinweis ins Auge fiel. Er steht ganz oben rechts auf dem Formular:

Bitte nur mit Schreibmaschine ausfüllen.

Oh, die Justiz verwendet das Zauberwort. Man muss nur zwischen den Zeilen lesen. Damit wird mir mitgeteilt, dass ich für dieses Formular auch einen Kugelschreiber verwenden kann. Auch wenn es vielleicht nicht gern gesehen ist.

Das mit dem Kugelschreiber ist auch gut so – wir haben nämlich gar keine Schreibmaschine mehr im Büro.

Schnörkelloser Fließtext

Gestern stand ein Herr bei uns in der Tür und stellte sich als, wahrscheinlich „freier“, Mitarbeiter des Schwann-Verlages vor. Das ist für unsere Region jener Verlag, der für die Post bzw. Telekom bis zum Aufbruch in die Online-Welt sicherlich recht erfolgreich für unverschämte Preise fett gesetzte, möglicherweise gar umrandete Einträge in gedruckten Telefonbüchern verkaufte. Ich erinnere mich, dass schon ein schnörkelloser Fließtext-Eintrag unter dem Stichwort Rechtsanwälte um die 300 Mark pro Jahr kostete – natürlich jeweils für das „Amtliche“ und „Das Örtliche“.

In Zeiten des Werbeverbots für Anwälte, also etwa bis Mitte der 90-er Jahre, war der Eintrag ins Telefonbuch praktisch die einzige Möglichkeit, als Anwalt medial auf sich aufmerksam machen. Es sei denn, man hatte „Presse“. Da musste man sich in der Tat mit diesen Außendienstlern zusammensetzen und sich die Preise diktieren lassen.

Die Zeiten ändern sich. Ich wusste ehrlich gesagt bis vor kurzem gar nicht, dass es überhaupt noch gedruckte Telefonbücher gibt. Bis ich mal zwei Paletten davon im Eingang eines Lebensmittelmarktes sah. Die Stapel verkleinerten sich über Wochen kaum, obwohl die Telefonbücher kostenlos mitgenommen werden durften. Aber warum sollte man das tun? Es gibt mittlerweile ja sogar preiswerte und vor allem sichere flüssige Grillanzünder.

Es kam deshalb bei uns auch relativ früh die Zeit, ab der die ständigen Anrufe, Faxe („Redaktionsschluss Gelbe Seiten! Auftrag muss sofort erteilt werden!“) und Besuche der Außendienstler nur noch nervten. Wir verbaten uns jede weitere unerbetene Kontaktaufnahme. Was auch funktionierte – bis gestern.

Meine Sekretärin sagte dem Vertreter auch gleich, dass wir keine Besuche wünschen und das auch schon mitgeteilt haben. Der Außendienstler aber tat sehr wichtig und fragte schnippisch:

Meinen Sie, dass eine Anwaltskanzlei keinen Telefonbucheintrag braucht?

Meinen wir gar nicht. Aber nach unserer Kenntnis muss man für den Basiseintrag nichts berappen. Auf dieses Argument hin wurde der Mann dann sogar richtig frech, worauf meine Mitarbeiterin in von mir autorisierter Art und Weise reagierte. Sie knallte ihm die Tür vor der Nase zu.

Nun sind wir uns nicht sicher, ob derselbe Typ uns schon mal Vorwerk-Staubsauger andrehen wollte. Damit hätte er, offen gesagt, weitaus größere Chancen.

Neue Umstände

Ein freundlicher Richter verschonte meinen Mandanten von der Untersuchungshaft. Im Beschluss, mit dem der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wird, steht:

Der Angeschuldigte hat mit dem sofortigen Widerruf dieser Haftverschonung zu rechnen, wenn:

1. …
2. …
3. neue Umstände die Verhaftung erforderlich machen.

Nun ja, wer hätte das gedacht? Allerdings kann ich nicht verhehlen, dass der Hinweis Eindruck macht. Der Mandant wollte von mir ganz genau wissen, was denn unter neuen Umständen zu verstehen ist. Ich hoffe, er nimmt sich meine Erklärung zu Herzen.

Irgendwann ist es nämlich vorbei mit der Freundlichkeit.

Demos: Polizei darf nicht grundlos filmen

Ein wichtiges, vielleicht sogar grundlegendes Urteil hat das Verwaltungsgericht Berlin gefällt. Danach darf die Polizei bei Demonstrationen nicht ohne konkreten Verdacht Videoaufnahmen machen. Das anlasslose Filmen der Demonstranten sei ein nicht gerechtfertigter Grundrechtseingriff. Bürger würden dadurch abgeschreckt, ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen.

Geklagt hatte, so berichtet heise online, der Teilnehmer an einer Antiatomdemonstration im September letzten Jahres. Die Berliner Polizei führte den Protestzug mit einem Kleintransporter an, von dessen Dach aus mit mehreren Kameras gefilmt wurde.

Aus der Zusammenfassung bei heise online:

Das Verwaltungsgericht stellte im Bezug auf die Anti-Atom-Demo nun fest, dass der einzelne Teilnehmer bei einer Beobachtung der Versammlung im „Kamera-Monitor-Verfahren“ damit rechnen müsse, aufgezeichnet und registriert zu werden. Dies könne ihn vom Begleiten einer entsprechenden Veranstaltung abschrecken oder zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den beobachtenden Polizeibeamten möglicherweise gerecht zu werden. Durch diese Einschüchterung könnte mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und demokratischen Auseinandersetzung eingewirkt werden.

Das Versammlungsrecht erlaube Aufnahmen aber nur dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass Demonstrationsteilnehmer erheblich die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Die Berliner Polizei soll ihre Aufnahmen bislang damit gerechtfertigt haben, sie seien zur Einsatzlenkung und für die Verkehrssicherheit erforderlich.

(Verwaltungsgericht Berlin, VG 1K 905.09)

Anwaltverein fordert Nummernschild für Polizisten

In Deutschland gibt es bis heute keine verbindliche Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Eine solche Kennzeichnung hilft aber, Polizisten zu identifizieren, wenn es zu rechtswidrigen Übergriffen gekommen ist. Die Polizei ist mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, deren Wahrnehmung für den betroffenen Bürger fast immer einen Eingriff in seine Grundrechte bedeuten. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) fordert daher die deutschlandweite Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten.

Polizeiliche Maßnahmen, so der DAV, müssten überprüft werden können. Dies sei Voraussetzung für einen Rechtsstaat. Überdies entspreche die Kennzeichnungspflicht dem Selbstverständnis einer Polizei, die sich als bürgernah versteht und den Bürgern offen, kommunikativ und transparent entgegen tritt.

„Die Identifizierung des einzelnen Polizisten ermöglicht einen effektiven Rechtsschutz von Bürgerinnen und Bürgern, die sich durch Maßnahmen von Polizeibediensteten in ihren Rechten verletzt sehen“, sagte Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl, Vorsitzende des Ausschusses für Gefahrenabwehrrecht des DAV.

Dadurch werde die Kontrolle und Sanktionierung des polizeilichen Handelns überhaupt erst ermöglicht. „Eine Kennzeichnungspflicht trägt zur nachhaltigen Vertrauensbildung zwischen Bürgern und Polizei bei“, so Sandkuhl. Dieses Vertrauen sei dann hergestellt, wenn klar sei, dass rechtswidrige Übergriffe nicht im Schutze der Anonymität begangen werden könnten und auch polizeiliches Handeln damit überprüfbar sei.

Dass es Anlass zu Kontrolle und Überprüfung der Handlungsweise der Polizei geben kann, vermerkt nicht zuletzt Amnesty International im jüngsten Deutschlandbericht mit dem Titel „Täter unbekannt“. Im Zuge von polizeilichen Einsätzen bei Demonstrationen und Großveranstaltungen werden laut DAV immer wieder Vorwürfe von rechtswidrigen Übergriffen der Polizei auf Einzelne laut. Bei fehlenden Identifizierungsmöglichkeiten blieben Straftaten durch Beamte ungesühnt.

Der DAV fordert deshalb die Innenminister der Länder auf, sich für eine gesetzliche Ausweis- und Kennzeichnungspflicht von Polizisten einzusetzen. Gerade in konfliktgeneigten Situationen, in denen von der Polizei auch Zwangsmittel eingesetzt werden können, sollte es auch im Interesse der Polizei selbst liegen, den Bürgern nicht als Teil einer anonymen Staatsmacht entgegenzutreten.

Der immer noch zu hörende Wunsch nach Anonymität konterkariere die Bekenntnisse zu mehr Bürgernähe.

Herbeischaffung droht

Aus einer gerichtlichen Ladung:

Zur Hauptverhandlung werden die Zeugen und Sachverständigen herbeigeschafft, die nachstehend aufgeführt sind: Müller, Josef (Z1), Meier, Sabine (Z2)…

Normalerweise steht da, die Zeugen würden geladen. Aber da Josef Müller beim letzten Mal unentschuldigt nicht gekommen ist, soll er nun polizeilich vorgeführt werden. Vielleicht ist dem Richter die Formulierung deshalb reingerutscht.

Ich bin darüber auch nur gestolpert, weil die brave und bisher pünktliche Zeugin Sabine Meier mich anrief. Sie machte sich Sorgen, ebenfalls abgeholt bzw. „herbeigeschafft“ zu werden.

Ich konnte sie beruhigen.

Der vermeidbare Knastaufenthalt

Die Sache fiel eigentlich harmlos an. Aber jetzt muss ein junger Mann womöglich unnötig in den Knast.

In einer Anhörung ging es darum, ob die Bewährung des Betroffenen widerrufen wird. Schon diesen Termin hatte die damalige Verteidigerin wohl schlecht vorbereitet. Jedenfalls brachte sie laut Protokoll keines der Argumente, die eigentlich auf der Hand lagen.

Zum Beispiel wies die Anwältin nicht darauf hin, dass der Bewährungsbeschluss selbst unwirksam sein dürfte. Die Auflagen waren nämlich viel zu schwammig formuliert. „Nach besten Kräften“ sollte der Betroffene zahlen, um einen Schaden wiedergutzumachen. Der Beschluss erwähnte aber mit keinem Wort, in welcher Höhe der Betroffene zahlen sollte und wie groß der Schaden überhaupt war. Wenn ein Beschuldigter aber überhaupt nicht weiß, was von ihm verlangt wird, kann man ihn normalerweise auch kaum auf einen Verstoß festnageln.

Überdies hatte der Betroffene sogar Zahlungen geleistet. Doch für die gab es im Termin keinen Beleg, deshalb wollte sie der Richter nicht berücksichtigen. Nun gut, offenbar hat man sich dann ins Schicksal gefügt, den Richter entscheiden lassen und das Heil in der sofortigen Beschwerde gesucht. Die Anwältin legte diese Beschwerde zwar ein. Außerdem sah sie sich die Akte an. Mit Rücksendung der Akte teilte sie aber nur mit, sie werde die Beschwerde noch begründen. Eine Frist nannte sie nicht.

Das Landgericht hat knapp drei Wochen abgewartet. Dann wurden die Richter ungeduldig. Sie kloppten die Beschwerde mit knappen Worten in die Tonne. Das wäre mit ziemlicher Sicherheit nicht passiert, hätte die Verteidigerin in dieser Zeit wenigstens mal die Zahlungsbelege nachgereicht.

Das machte sie erst, nachdem sie den ablehnenden Beschluss des Landgerichts erhielt. Im Rahmen einer „sofortigen Beschwerde“. Dummerweise ist eine derartige Beschwerde, die ja eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung über eine sofortige Beschwerde und somit doppelt gemoppelt wäre, überhaupt nicht möglich. Sie ist schlicht unzulässig.

Ich habe dann noch einiges probiert. Dazu gehörte eine Gehörsrüge. Unter anderem wies ich darauf hin, dass die Anwältin eine Begründung angekündigt hatte. Unter diesen Umständen hätte das Gericht ja auch mal nachfragen oder von sich aus eine Frist setzen können, nach deren Ablauf es zu entscheiden gedenkt.

Daneben Wiedereinsetzungsgesuche und der Appell, doch wenigstens von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Bewährungsbeschluss selbst unwirksam sein dürfte – was Richtern ja auch auffallen könnte, ohne dass sie von einer Verteidigerin darauf gestoßen werden.

Die Gehörsrüge wurde verworfen. Das Landgericht meinte, bereits eine (!) Nachfrage überspanne seine Fürsorgepflicht. Woraus man wohl den Schluss ziehen darf, dass dieses Gericht keine Fürsorgepflicht kennt. Dass letztlich nun ein Verurteilter für den Fehler seiner Verteidigerin ins Gefängnis muss, war der Strafkammer noch nicht mal eine ausdrückliche Überlegung wert.

Gegen die Verwerfung der Gehörsrüge war dann wieder eine Beschwerde möglich. Aber auch das Oberlandesgericht zeigt sich ungerührt. Es reiche aus, wenn das Gericht für einen Zeitraum wartet, „innerhalb dessen eine beabsichtigte Stellungnahme unter normalen Umständen zu erwarten gewesen wäre“.

Diese Aussage ist wiederum so schwammig, dass sich wenigstens, wenn auch eher im kafkaesken Sinne, der Kreis zum Bewährungsbeschluss schließt. Leiden darf jetzt der Verurteilte – sofern nicht noch nach das Bundesverfassungsgericht ein Einsehen hat.

Immerhin kann der Betroffene ja noch seine frühere Verteidigerin auf Schadensersatz verklagen. Die hat es übrigens bis heute noch nicht mal für nötig gehalten, ihm mit einer Erklärung zur Seite zu springen, warum sie die erste Beschwerde nicht begründet hat.

Warum ich bei McFit nicht kündige

Einige aufmerksame Leser haben ihn mir zugeschickt – den gerade kursierenden Boykottaufruf gegen McFit. Das ist die Fitnesskette, welche die Loveparade gesponsort hat. McFit-Gründer und Geschäftsführer Rainer Schaller ist auch Chef der Lopavent GmbH, welche die Loveparade seit 2006 veranstaltet.

Den Lesern ist nicht verborgen geblieben, dass ich zwar meistens (besser gesagt: wenn überhaupt) in einem anderen Sportstudio trainiere, aber halt auch eine Art Zweitmitgliedschaft bei McFit halte. Nicht nur, weil McFit ganzjährig 24 Stunden geöffnet hat. Sondern weil man auch problemlos in jedem der rund 120 Studios in Deutschland trainieren kann und, wegen des Baukastenprinzips, sich noch nicht mal eingewöhnen muss.

Sollte, ja muss man McFit nach dem Wochenende nun den Rücken kehren? Fest steht zunächst, dass es ohne diese Firma die Loveparade in diesem gigantischen Maßstab nicht mehr gegeben hätte. McFit setzte 2006 die Geldspritze an, als die Besucherzahlen der Loveparade rückläufig und die Veranstalter zerstritten waren.

Bewegt hat Schaller dabei nicht nur sein Faible für elektronische Musik. Er suchte ein Marketinginstrument für seine aggressiv expandierende Fitnesskette. „Wir wollten mit einem relativ kleinen Budget einen hohen Bekanntheitsgrad (für McFit) erzielen. Wir haben uns lange überlegt, was wir denn Verrücktes machen können, um bekannter zu werden. Wir haben uns für die Love Parade entschieden“, wird er in einem Porträt des Spiegel zitiert.

Ohne das Geld von McFit wäre das Duisburger Spektakel also wohl ausgeblieben. Schon deshalb müsste man heute nicht über 19 Tote trauern und 500 Verletzte beklagen. Aber daneben, und das ist maßgebender, gibt es auch die konkreten, schon heute erkennbaren Fehler bei der Planung und Organisation der Loveparade 2010. Es wurde zwar viel Geld in die Technik gesteckt (Video), aber dafür an der Sicherheit gespart. Und zwar in einer Art und Weise, die mir – trotz Unschuldsvermutung- ganz persönlich eine Strafe und ordentliche Schadensersatzzahlungen für Rainer Schaller, aber ebenso für den Duisburger Oberbürgermeister, seinen Sicherheitsdezernenten und andere noch nicht so recht ins Blickfeld gerückte Personen außerordentlich sympathisch erscheinen lassen.

Aber ist das jetzt auch ein Grund, den Vertrag bei McFit zu kündigen? In keinem der Studios habe ich bisher einen Umgang mit der Sicherheit wahrgenommen, der auch nur ansatzweise annehmen lässt, das System Loveparade könne auch für die Trainingsräume gelten. Die Trainer, mit denen man schon mal ein offenes Wort wechseln kann, werden sicher nicht mit Geld überschüttet. Aber die Bezahlung und die Sozialleistungen sind, das habe ich schon von mehreren gehört, auch nicht schlechter als in anderen Läden.

Diese Trainer, aber auch die Nachtwächter und sonstigen Mitarbeiter wären die ersten, die einen Mc-Fit-Boykott zu spüren bekommen – und auf der Straße landen. Und wäre es angesichts dessen wirklich ein befriedigendes Gefühl, wenn in den Studios nach und nach die Lichter ausgehen? Rainer Schaller, abseits des Marketinggedankens ja das einzige Bindeglied zwischen McFit und der Loveparade, jedenfalls hat im Laufe der Jahre Millionengewinne eingestrichen. Er dürfte der letzte in seiner Mannschaft sein, den eine Schrumpfkur oder Pleite der Fitnesskette existenziell trifft.

Von daher mache ich nicht mit beim McFit-Boykott.

„Pleiten, Pech und Pannen“

Im Rechenschaftsbericht für seinen Wahlkreis Essen I/Mülheim II hat der damalige SPD-Landtagskandidat Thomas Kutschaty behauptet, das Justizressort in Nordrhein-Westfalen glänze durch „durch Pleiten, Pech und Pannen“.

Jetzt ist Kutschaty NRW-Justizminister.

Wir sprachen mit ihm.

Herr Kutschaty, warum tun Sie sich das an?

Ich habe nicht das ganze Haus gemeint. Das neue Amt ist eine große Herausforderung für mich, als Politiker und Jurist.

Im Rechtsausschuss des Landtags war der Poltiker Kutschaty bislang kaum aktiv.

Das stimmt so nicht. Und auch Frau Kraft hat das wohl anders gesehen. Wir hatten im Ausschuss eine klare Aufgabenverteilung.

Was befähigt Sie zum Justizminister?

Ich habe eine 13-jährige juristische Praxis, war Rechtsanwalt in Essen-Borbeck, habe unterschiedlichste Erfahrungen gesammelt.

Dann wissen Sie, wie unzumutbar lange Bürger auf Verhandlungen und Urteile warten. Wann und wie werden Sie das ändern?

Eine Beschleunigung ist immer gut, dabei dürfen aber Verfahrensrechte Betroffener nicht auf der Strecke bleiben. Ich will in erster Linie eine andere Führungskultur erreichen und damit alle Mitarbeiter motivieren. Wir sind bei der Justiz für die Bürger da, wir müssen an einem Strang ziehen. Ich will aber auch den stärkeren Einsatz von Informationstechnologie fördern. Warum ist ein Sitzungsprotokoll erst nach drei Wochen fertig? Das kann schneller gehen!

Die Menschen hinter der Technologie sind zermürbt.

Den Eindruck habe ich bislang nicht. Ich gehe demnächst auf eine Justiz-Rundreise. Ich will Betroffene zu Beteiligten machen und mit ihnen die Abläufe analysieren. Viele freuen sich schon über ein solches demokratisches Miteinander.

Wenn jemand alkoholisiert am Steuer erwischt wird, soll ein Polizeibeamter die Blutprobe anordnen? Oder bleibt es beim Vorbehalt des Richters?

Der Richtervorbehalt ist zwingend notwendig!

Wie soll das am Abend und in der Nacht funktionieren?

Das prüfen wir gerade, auch ob es zu einer Ausweitung der Dienstzeiten für Richter kommen muss. Eine Erreichbarkeit muss gewährleistet sein. Ich setze dabei auf Erfahrungen und Einsichten. Auch an gesetzgeberische Möglichkeiten ist zu denken.

Und wann und wie machen Sie die Gefängnisse sicher? Jeden Tag sind 700 Bedienstete des Justizvollzugs krank.

Es gibt kein Patentrezept. Aber wenn jeder zweite der Kranken wieder im Dienst wäre, hätten wir kein Personalproblem im Vollzug. Die seelische Belastung ist verdammt anstrengend. Dazu bin ich auch mit den Gewerkschaften im Gespräch. Notfalls könnte ich mir vorstellen, dass da Psychologen helfen.

Die Sicherheitsstandards im Vollzug werden gerade überprüft, danach sind gegebenenfalls noch weitere Optimierungen nötig. Ich will aber auch Zukunftsperspektiven für Gefangene schaffen. Die dürfen nach ihrer Entlassung nicht allein mit dem Koffer vor dem Gefängnistor stehen. Ich denke an mehr soziale Betreuung.

Und was ist mit dem Finanzminister? Sie brauchen Geld!

Das brauchen und wollen alle Ressorts der Landesregierung.

Foltermorde, Suizide hinter Gittern, Ausbrüche – deswegen hat die SPD mehrfach den Rücktritt Ihrer Vorgängerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) gefordert. Treten Sie bei einem solchen Ereignis gleich zurück?

Die Frage ist ja, was einer politisch zu verantworten hat. Nach dem Foltermord von Siegburg hat meine Vorgängerin ihren Besuch dort vier Tage lang rausgeschoben. Ein Fehler. Ich werde mir sofort ein Bild vor Ort machen, um genau informiert zu sein.

Wichtig ist mir: Die Beschäftigten dürfen nicht unter solchen Ereignissen leiden, und ich werde nichts verheimlichen. Suizide werden sich nie ganz vermeiden lassen.

Frau Müller-Piepenkötter hatte – schon vergessen? – 2005 erheblich Justizmängel von der rot-grünen Landesregierung geerbt.

Das werde ich bei meiner Bestandsaufnahme nicht vergessen. Ich werde auch nicht alles abschaffen, was Frau Müller-Piepenkötter auf den Weg gebracht hat.

Frau Müller-Piepenkötter hat einen Ombudsmann für den Knast geschaffen. Wird dieser Vermittler bleiben?

Ja, mit deutlich mehr Verantwortung. Ich will das Amt im Parlament verankern. Dieser Ombudsmann ist kein Haus- und Hofberichterstatter der Justizminister.

Apropos Parlament: Wenn Sie Lösungen von Problemen gefunden haben, wie wollen Sie die ohne eigene Mehrheit umsetzen?

Ich suche das Gespräch mit allen Parteien, auch mit der CDU und der FDP. Ich hoffe, bei vernünftigen Sachfragen wird sich niemand einer Lösung verschließen.

Dazu gehört sich ein drängendes Problem: Von der Tat speziell eines Jugendlichen bis über die Anzeige und das Ermittlungsverfahren bis zur Gerichtsverhandlung vergeht zu viel Zeit.

Richtig. Ich setze zunächst auf die Veränderung, Verbesserung des Jugendmilieus, in dem Kriminalität entsteht. Dazu will ich das Schul- und das Innenministerium (Polizei) einbinden. Besser vorbeugen, als dass jemand auf die schiefe Bahn gerät.

In Strafverfahren will ich keine Schnelljustiz, aber eine Beschleunigung im vernünftigem Zusammenspiel von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. Ich beobachte das entsprechende Modell in Köln.

Kommt auch das aus Neukölln in Berlin infrage, mit gefördertem Austausch zwischen Polizei, Gericht, Jugendamt und Schule?

Dafür bin ich offen! Ich bin lernfähig. (pbd)

Thomas Kutschaty – zur Person