Vorfahrt für Menschenrechte

Unter dem Titel „Wenn Menschenrechte nicht gefallen“ habe ich vor drei Wochen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz kritisiert. Das Gericht lehnt mit fadenscheinigen Gründen die Entlassung eines Mannes ab, der seit mehr als zehn Jahren in Sicherungsverwahrung sitzt. Die Koblenzer Justiz stellt sich damit gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der EGMR hatte die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus für unzulässig erklärt, weil sie eine nachträglich eingeführte Strafe ist. Damit müssten alle Verurteilten entlassen werden, deren Sicherungsverwahrung vor Aufhebung der Höchstgrenze von zehn Jahren angeordnet wurde.

Dass es auch anders und, wie ich meine, rechtsstaatlicher geht, zeigt nun eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt. Die Richter ordneten heute die sofortige Freilassung eines Betroffenen an. Entgegen ihren Koblenzer Kollegen veranstalten die Frankfurter Juristen keinen Eiertanz um die Frage, ob die Europäische Menschenrechtskonvention in Deutschland nicht mehr gilt als jede einfache andere Rechtsnorm, zum Beispiel das Gesetz über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (MilchFettG).

Das Oberlandesgericht Frankfurt leitet nämlich aus der Zusage in Artikel 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach allen Bürgern die darin niedergelegten Rechte garantiert werden, jedenfalls einen Anspruch auf jederzeitige und sofortige Umsetzung dieser Zusage ab:

Die Vertragsstaaten der MRK haben sich verpflichtet, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. Diese Pflicht gilt unmittelbar für alle staatlichen Organe, auch die Gerichte. Diese müssen im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ihrer Bindung an Gesetz und Recht zunächst in der entschiedenen Sache dem Urteil des EGMR Rechnung tragen, also die festgestellte Konventionsverletzung beenden.

Auch wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur direkt im Ausgangsfall wirke, sei doch aus der Menschenrechtskonvention die unbedingte Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats abzuleiten, festgestellte Konventionsverletzungen auch in Parallelfällen zu beenden.

Das Koblenzer Oberlandesgericht hatte dagegen spitzfindig argumentiert, der Wortlaut des Verlängerungsgesetzes für die Sicherungsverwahrung, welches formal auf der gleichen Stufe wie die Menschenrechtskonvetion stehe, lasse nun mal keinen Spielraum zu. Deshalb müsse erst das Gesetz geändert werden, dann könne man die Vorgaben des Gerichtshofs umsetzen. Mit anderen Worten: Menschenrechte dürfen erst mal weiter verletzt werden, bis das Gesetz, welches formal die Verletzung dieser Rechte legitimiert, formal außer Kraft gesetzt worden ist. Wenn das nicht mal eine Steilvorlage für andere Fälle ist, in denen es angezeigt erscheint, elementare Rechte „vorübergehend“ nicht zu gewähren.

Mir ist die Frankfurter Entscheidung wesentlich sympathischer. Weil sie klipp und klar sagt, dass Menschenrechte Vorrang und Vorfahrt haben – auch wenn das Ergebnis vielleicht nicht unbedingt gefällt.

Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt

Wie man sich selbst überlastet

Die Justiz klagt gerne, sie sei überlastet. Aber kaum einer scheint sich Gedanken zu machen, welcher Anteil der Überlastung selbst produziert ist. Zum Beispiel durch von vornherein unsinnige Ermittlungsverfahren, die dann auch noch in achtlos hingeschlurte Anklagen münden. Mit denen sich dann auch noch die Gerichte herumschlagen dürfen.

So eine Anklageschrift habe ich gerade auf dem Tisch. Um die Absurdität zu verstehen, muss ich erst mal die Vorgeschichte erzählen. Aber selbst die ist schon ein Paradebeispiel dafür, wie sich die Justiz selbst blockiert.

Mein Mandant, der auf eine lange Drogenkarriere zurückblickt, wurde am Hauptbahnhof vom Städtischen Ordnungsdienst kontrolliert. Bei seiner Leibesvisitation durch die Mitarbeiter der Stadt fand sich ein Plastikfläschchen mit einigen Tropfen Methadon. Dieses Methadon hatte mein Mandant aus der Praxis des Arztes, der ihn im Methadonprogramm betreute, von seiner Tagesdosis abgezweigt und rausgeschmuggelt. Er wollte damit dem nächtlichen Turkey bekämpfen. Eigentlich muss das Methadon in der Praxis eingenommen werden.

Zunächst mal wurde mein Mandant nach allen Regeln der Kunst angeklagt. Die paar Tropfen Methadon reichten dem emsigen Staatsanwalt zu einem handfesten Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Natürlich hätte es sich bei etwas Empathie angeboten, die Sache wegen Geringfügigkeit einzustellen – und zwar sofort, nachdem die Akte angelegt worden ist.

Die Hauptverhandlung uferte regelrecht aus. Für mich als Verteidiger lag nun mal die Frage nahe, ob und unter welchen Voraussetzungen das Ordnungsamt überhaupt Personen durchsuchen darf und ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Eigentlich geht die Durchsuchung nur, wenn sich eine Person nicht ausweisen kann oder dies verweigert. Dummerweise für die Behörde hatte mein Mandant seinen Personalausweis dabei und zeigte ihn auch vor.

Insgesamt zwei Hauptverhandlungstage wurden die problematischen Rechtsfragen durchgekaut. Bevor es dann zur Vernehmung desjenigen Mitarbeiters kam, der die Durchsuchung angeordnet hatte, zog die Staatsanwaltschaft die Notbremse. Man war nun doch einverstanden, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Ich vermute auf Bitten der Stadt, denn die wollte bestimmt kein Präzedenzurteil zu der Frage, ob ihre Ordnungskräfte dürfen, was sie gerne tun.

Letztlich eine teure Einsicht. Das Gericht und ein Staatsanwalt waren über Stunden in Anspruch genommen. Auf dem Flur hockten die Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die auf ihre Zeugenaussagen warteten. Im Gerichtssaal saßen ihre Vorgesetzten und, so glaube ich mich zu erinnern, sogar eine markante Nase aus dem Rechtsamt der Stadt.

Wegen der schwierigen Sach- und Rechtslage war ich als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Der Richter ordnete später sogar an, dass die Staatskasse meine vollen Anwaltsgebühren und nicht nur das Pflichtverteidigerhonorar erstatten muss. Das kostete den Steuerzahler knappe tausend Euro.

Damit hätte jetzt Ruhe sein können. Und auch sollen. Aber so mancher Staatsanwalt verschafft sich die Arbeit halt gleich selbst. Mein Mandant hatte in dem soeben geschilderten Prozess erklärt, woher er das Methadon hat. Er sagte damals nur, dass es in der Praxis halt Mittel und Wege gibt, mal den einen oder anderen Tropfen der Tagesdosis ohne Wissen des Personals mit raus zu nehmen. Ich war dabei und weiß, dass er definitiv nicht mehr zu dem Vorgang gesagt hat.

Die anwesende Staatsanwältin hat in der Verhandlung entweder nicht hingehört. Oder ihr fehlt die Fähigkeit (womöglich auch der Wille), das gesprochene Wort unverfälscht aufs Papier zu bringen. Nach ihrem Vermerk soll mein Mandant nämlich erklärt haben, der Methadonarzt habe ihm einen kleinen Teil der täglichen Ration für die spätere Einnahme mitgegeben.

Dieser Vermerk führte zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Arzt. Zur großen Überraschung der Staatsanwaltschaft stritt der Arzt ab, meinem Mandanten oder anderen Patienten Methadon mitzugeben. Da es keinerlei Belege außer der falsch wiedergegebenen Äußerung meines Mandanten gab, wurde das Verfahren gegen den Arzt mangels Tatverdachts eingestellt.

Damit hätte jetzt aber wirklich Ruhe sein können. Aber nachdem bereits so viele Steuergelder versenkt worden sind, kommt es auf ein weiteres Ermittlungsverfahren nicht an. Dieses richtet sich zur Abwechslung wieder gegen meinen Mandanten. Praktischerweise hat man wohl gleich darauf verzichtet, meinen Mandanten zum Tatvorwurf anzuhören. Vielmehr wurde, da hat man ja jetzt Übung drin, sogleich eine Anklage erhoben.

Wegen falscher Verdächtigung!

Das Ganze wäre nur halb so traurig, würde sich die Anklage nicht auf eine Äußerung meines Mandanten gründen, die er gar nicht gemacht hat. Ob man vom Arzt persönlich (!) Methadon „mitgegeben“ bekommt oder ob es Mittel und Wege gibt, etwas aus der Praxis mit nach draußen zu nehmen, sind ja wohl zwei paar Schuhe.

Hinzu kommt, dass nicht jede falsche Verdächtigung strafbar ist. Der Täter muss den falschen Verdacht vielmehr in der Absicht äußern, dass gegen den Betreffenden ein Verfahren eingeleitet wird.

Nun lag zum damaligen Zeitpunkt meinem Mandanten nichts ferner, als seinen langjährigen Methadonarzt zum Beschuldigten zu machen. Dagegen spricht ja schon, dass mein Mandant bei seiner Verhandlung noch bei dem Arzt in Behandlung war. Er hatte auch gar nichts gegen ihn. (Immerhin hat er heute eine Erklärung dafür, wieso ihn der Arzt von einem Tag auf den anderen rausgeschmissen hat.)

Es ging meinem Mandanten lediglich darum zu erklären, dass er das Methadon nicht gesondert erworben hat, sondern dass diese Menge an sich zu der Dosis gehört, die er sowieso täglich „offiziell“ schlucken darf. Ein kleiner Unterschied, der aber bei der Schuldfrage viel ausmachen kann.

Abgesehen vom schlichtweg falschen Zitat bleibt also die große Frage nach der Anschwärzungs-Absicht, welche das Gesetz eben nun mal verlangt. Überdies können wir auch gern darüber diskutieren, wieso durch die bloße Einstellung des Verfahrens gegen den Arzt nun automatisch feststehen muss, dass mein Mandant gelogen hat.

Wir werden diese Fragen in Ruhe beantworten, gern auch in ausufernden Hauptverhandlungen. Das Gericht wird mich nämlich wieder als Pflichtverteidiger beiordnen, der von der Allgemeinheit bezahlt wird. Sobald der Beiordnungsbeschluss vorliegt, schreibe ich diesen Beitrag geringfügig um und reiche ihn als Verteidigungsschrift ein.

Was am Ende rauskommt, ist ohnehin jetzt schon einfach zu erraten. Mich plagt nur der Gedanke, wie die findigen Staatsanwälte aus dem Komplex einen weiteren Fall herausschlagen könnten.

Oder umgekehrt?

Polizeiärzte verwenden natürlich Formulare. Bei Blutproben und der begleitenden Untersuchung gibt es das Formular „Ärztlicher Bericht“. Ein ausgefülltes Formular durfte ich gerade lesen, als ich eine Hauptverhandlung vorbereitete. Ein Ausschnitt:

Was will uns der Doktor sagen? Äußerer Einfluss von Alkohol leicht bemerkbar? Und dementsprechend von Drogen nicht? Oder umgekehrt?

Auf solche Feinheiten kommt es durchaus an. Fahren unter Marihuana-Einfluss ist zum Beispiel womöglich nur eine Ordnungswidrigkeit, wenn der Fahrer keine Ausfallerscheinungen hat.

Insgesamt wäre das Ratespiel natürlich noch viel interessanter, wenn auch Medikamente im Spiel gewesen wären.

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Haaransatz und Kinn

Lutz B., Vorsitzender Richter am Oberlandesgerichts in Düsseldorf, bislang noch als eigennütziger Temposünder verdächtigt, ist nun doch einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Düsseldorf und damit einer Verurteilung entgangen.

Der 62-Jährige hatte sich, wie berichtet, mit einem spektakulären Urteil ins Gespräch gebracht, das wie zugeschnitten auf seinen eigenen Fall passte: B. hatte einem Autofahrer einen rechtskräftigen Freispruch mit der Begründung attestiert, das Überwachungssystem sei nicht vom Gesetz gedeckt gewesen.

B. selbst war zuvor, so zumindest der anfängliche Vorwurf, in Düsseldorf mit 36 km/h zuviel am Steuer seines Wagens in eine ähnliche Kontrolle getappt. Doch beim zuständigen Amtsrichter und einem Gutachter der Düsseldorfer Gerichtsmdedizin gab es Zweifel an der Täterschaft. Ein Navigationsgerät im Fahrzeug hat ein klares Beweisfoto verhindert – zu sehen sind nur Haaransatz und Kinn.

Der zuständige Amtsrichter hat deshalb, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft, das Verfahren sang- und klanglos beendet. Auf Kosten der Staatskasse. Seine Anwaltskosten muss Lutz B. allerdings selbst tragen.

Eine Konsequenz bleibt. B. darf am Oberlandesgericht nicht mehr quasi in eigener Sache entscheiden. Die Zuständigkeit für Ordnungswidrigkeiten – die Rechtsprechung also auch für Geschwindigkeitsüberschreitungen – ist ihm entzogen worden. (pbd)

Meldeämter gibt es überall

Heute hat das Amtsgericht Nettetal darüber befunden, ob mein aus Afrika stammender Mandant bestraft werden kann, weil er seine eigene Abschiebung nicht hinreichend gefördert hat.

Die Geschichte ist, kurz gefasst, folgende: Mein Mandant reiste ohne Papiere nach Deutschland ein. Er sagt, er sei sierra-leonischer Staatsangehöriger. Die Botschaft von Sierra Leone sagt, er komme nicht aus Sierra Leone. Das Ausländeramt vermutet, mein Mandant stamme aus Ghana oder Nigeria. Die ghanaische Botschaft sagt, er stammt nicht aus Ghana. Die nigerianische Botschaft sagt, er stammt nicht aus Nigeria.

Nun erging gegen meinen Mandanten ein Strafbefehl, weil er, so wörtlich, „im Rahmen seiner Mitwirkungs- und Initiativpflicht keinerlei zumutbare Anstrengungen unternommen“ habe, „die Feststellungen der sierra-leonischen Botschaft zu widerlegen“.

Dagegen ließ sich viel einwenden.

Zum Beispiel, dass Sierra Leone noch heute vom Bürgerkrieg gezeichnet ist und es keinen Verwaltungsapparat wie in Deutschland gibt. Einer Mitarbeiterin des Ausländeramtes, die als Zeugin aussagte, war das anscheinend unbekannt. In jedem Land gebe es Einwohnermeldeämter, erklärte sie. Da könne man hinschreiben und kriege seine Geburtsurkunde zugesandt.

Oder die Frage, wie man als nicht sonderlich gebildeter Mensch von Deutschland aus mit Behörden in Sierra Leone, deren Existenz mal vorausgesetzt, kommunizieren soll – bei einem „Taschengeld“ von 1,91 € pro Tag.

Etwa den Einwand, dass das Ausländeramt erklärtermaßen selbst nicht daran glaubt, dass mein Mandant aus Sierra Leone kommt. Und wieso dann ausgerechnet von ihm verlangt wird, etwas zu belegen, was nach Auffassung der Behörde ohnehin nicht stimmt.

All das konnte offen bleiben. Denn das Ausländeramt hatte schon früher schriftlich eingeräumt, dass es meinen Mandanten nie konkret aufgefordert hat, sich mit Behörden in Sierra Leone in Verbindung zu setzen. Die Zeugin bestätigte auch vor Gericht, das sei doch selbstverständlich, deshalb werde es erst gar nicht ausdrücklich verlangt.

Der Richter sagte zwar, er stelle hohe Anforderungen an die Mitwirkungspflicht von Ausländern bei der Passbeschaffung. Aber er könne auch kein Unterlassen bestrafen, das auf einem Unterlassen des Ausländeramtes selbst beruht. Man hätte meinem Mandanten wenigstens mal klar sagen müssen, wo er in Sierra Leone bitte was beantragen soll.

Ohne so eine Aufforderung könne nämlich nicht widerlegt werden, dass der Angeklagte für sich davon ausging, seine Mitwirkungspflicht erfüllt zu haben. Womit der Vorsatz entfalle, der für einen Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz erforderlich sei.

Selbst die Staatsanwältin mochte sich dieser Auffassung nicht verschließen. Sie beantragte Freispruch. Zu dem es dann auch kam.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Sie dürften ungefähr dem entsprechen, was mein Mandant in zwei Jahren als Taschengeld bekommt.

Mehr lesen die nicht

Mandanten wollen normalerweise wissen, was ihr Anwalt so macht. Und an Kopien der rein- und rausgehenden Post sind sie auch interessiert. Ein Düsseldorfer Kollege hat hierfür ein ganz eigenes System entwickelt. Er schickt Mandanten zwar Kopien der Post. Aber von jedem Brief, Bescheid oder Schriftsatz immer nur die erste und letzte Seite.

O-Ton:

Mehr lesen die sowieso nicht.

Nun ja. Aber letztlich immer noch besser als jene noch längst nicht ausgestorbenen Verteidiger, die ihren Mandanten erzählen, die Ermittlungsakte sei streng geheim und dürfe nur vom Anwalt eingesehen werden.

Das P-Konto kommt

Ab 1. Juli kann jeder Kunde von seiner Bank oder Sparkasse verlangen, dass sein Girokonto als P-Konto geführt wird. Das P-Konto bietet einen automatischen Basispfändungsschutz in Höhe des Pfändungsfreibetrages (985,15 Euro pro Monat bei Ledigen ohne Unterhaltsverpflichtungen). Der Schutz ist unabhängig von der Art der Einkünfte. Damit genießen erstmals auch Selbstständige Pfändungsschutz für ihr Kontoguthaben.

Nach dem bislang geltenden Recht wurden Konten durch Pfändung zunächst vollständig blockiert. Alltägliche Zahlungen wie Miete, Energiekosten oder Versicherungen waren dann zunächst nicht mehr über das Konto möglich. In vielen Fällen bedurfte es einer Gerichtsentscheidung, um für ein Guthaben den gesetzlich vorgesehenen Pfändungsschutz tatsächlich zu bekommen.

War dies nicht rechtzeitig möglich, fielen zusätzliche Kosten für verspätete oder nicht ausgeführte Zahlungen an. Zusätzliche Schwierigkeiten ergaben sich daraus, dass der Pfändungsschutz bei Guthaben aus Arbeitseinkommen anders ausgestaltet war als bei Guthaben aus Sozialleistungen.

Das bislang geltende Recht führte zu unnötigem Verwaltungsaufwand bei Banken und Gerichten sowie zu ungerechtfertigten Belastungen für Schuldnerinnen und Schuldner.

Nun hat jeder Inhaber eines Girokontos einen Anspruch auf Umwandlung seines Kontos in ein P-Konto. Das P-Konto wird durch Vereinbarung zwischen Bank und Kunde festgelegt. Ist das Girokonto schon gepfändet, kann der Kontoinhaber die Umwandlung in ein P-Konto innerhalb von vier Geschäftstagen verlangen.

Der pfändungssichere Betrag orientiert sich an dem Pfändungsfreibetrag für Arbeitslohn.
Automatisch besteht auf dem P-Konto zunächst ein Pfändungsschutz in Höhe des Grundfreibetrages von derzeit 985,15 Euro je Kalendermonat. Der Freibetrag kann je nach Lebenssituation erhöht werden. Eine Erhöhung kommt vor allem in Frage, wenn der Kontoinhaber anderen Unterhalt gewährt oder für andere Sozialleistungen entgegennimmt (zum Beispiel für mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende Partner oder für Stiefkinder).

Die Voraussetzungen der Erhöhung hat der Schuldner bei seiner Bank durch Bescheinigungen des Arbeitgebers, der Familienkasse, des Sozialleistungsträgers oder einer Schuldnerberatungsstelle nachzuweisen. Der Basispfändungsschutz erhöht sich um 370,76 Euro für die erste und um jeweils weitere 206,56 Euro für die zweite bis fünfte Person. Auf Nachweis sind auch Kindergeld und Kinderzuschläge pfändungsfrei, ebenso bestimmte weitere Sozialleistungen.

Weitere besondere Aufwendungen können beim Vollstreckungsgericht geltend gemacht werden, etwa Kosten im Zusammenhang mit einer Diabetes-Erkrankung. Das Gericht bzw. die Behörde bestimmt auf Antrag den zusätzlich pfändungsfreien Betrag.

Das P-Konto gewährleistet, dass der Schuldner mit den pfändungsfreien Beträgen weiterhin am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilnehmen kann. Der Freibetrag steht jeweils monatlich zur Verfügung. Ist das pfändungsgeschützte Guthaben bis zum Ende des Kalendermonats nicht aufgebraucht, wird der verbleibende Guthabenrest einmal in den Folgemonat übertragen und steht dann einmalig zusätzlich zum geschützten Guthaben zur Verfügung.

So kann der Schuldner Guthaben für Leistungen ansparen, die nicht monatlich, sondern in größeren Zeitabständen zu erfüllen sind (z.B. Versicherungsprämien). Wird der Guthabenrest auch im Folgemonat nicht verbraucht, steht der Betrag dem Gläubiger zu.

Jeder darf nur ein P-Konto haben. Bei der Vereinbarung des P-Kontos hat der Kontoinhaber zu versichern, dass er kein weiteres P-Konto führt. Die Bank ist berechtigt, bei der SCHUFA abzufragen, ob ein weiteres P-Konto des Kunden existiert. Die SCHUFA darf die Daten, die sie im Rahmen der Missbrauchskontrolle von Banken erhält, nur für die Auskunft an andere Banken zur Ermittlung mehrfacher P-Konten nutzen, nicht aber für die Beantwortung von Anfragen zur Kreditwürdigkeit oder für die Berechnung von Score-Werten.

Unklar ist noch, ob und in welcher Höhe die Banken zusätzliche Gebühren für das P-Konto berechnen dürfen. Die Verbraucherzentralen haben bereits Banken abgemahnt, die verschuldeten Kunden Extragebühren bis zu 25 Euro im Monat in Aussicht gestellt haben.

Geldwäsche-Bremse

Es geht um eine größere Schmerzensgeldzahlung für meinen Mandanten. Letzte Woche präsentierte der Verteidiger des mutmaßlichen Täters im Gerichtssaal die Kopie eines Überweisungsauftrags. Den Auftrag habe er vor dem Termin zur Bank gebracht. Das war natürlich alles sehr begrüßenswert.

Aber keine gute Gelegenheit, die sich nicht noch durch einen lockeren Spruch aufwerten ließe. Deshalb garnierte der Kollege die hochoffizielle Vorlage des Belegs mit folgender Anmerkung:

Jetzt hängt die Schadenswiedergutmachung nur noch davon ab, ob mein Konto gedeckt ist.

Heute ist das Geld jedenfalls noch nicht auf meinem Konto. Wahrscheinlich hat die Staatsanwaltschaft mal wieder auf die Geldwäsche-Bremse getreten. Aber morgen sollte die Gutschrift dann doch erfolgen. Sonst mache ich mir langsam wirklich Sorgen…

Temporär oder gelöscht

Wenn Ermittlungsbehörden Computer auswerten, gibt es große Schwankungen. Sowohl beim Sachverstand als auch bei der Gründlichkeit.

Positiv stach für mich jetzt eine Auswertung des Landeskriminalamtes Brandenburg heraus, die aufgefundenes Material nicht ausnahmslos über einen Kamm schor. So kennzeichnete der Auswerter Dateien, die sich in temporären Verzeichnissen befanden. Außerdem solche, die gelöscht waren.

Interessant sind die Definitionen für beide Kategorien:

– Temporäre Verzeichnisse dienen Programmen zum automatischen Zwischenspeichern von Daten ohne aktives Handeln des Anwenders.

– Als gelöschte Dateien gelten solche, die nicht im Papierkorb (z.B. Ordner „Recycler“) stehen, sondern bereits aus diesem entfernt sind.

Utensilien

Durchsuchung im Haus meines Mandanten. Die Polizei stellte einige Waffen und Utensilien sicher. Nachdem das Verfahren nach langen Monaten abgeschlossen ist, hat mein Mandant wieder Zugriff auf die beschlagnahmten Gegenstände.

Es ist alles noch da. Nur ein neues Holster fehlt. Mein Mandant hatte es für eine seiner Handfeuerwaffen angeschafft.

Man würde sich ja nichts dabei denken, wäre das Holster nicht maßgefertigt für die Walther P99. Die Walther P99 ist die neue Dienstpistole der nordrhein-westfälischen Polizei.

Kachelmann – Fehler auf allen Seiten

Während die Juristen am Landgericht Mannheim sich bestimmt sogar der Achtelfinale entsagen und unter größter Konzentration einen (!) umfangreichen Schriftsatz prüfen, damit sie dereinst mal über die mögliche Freilassung des seit Monaten einsitzenden Jörg Kachelmann entscheiden können, fasst Sabine Rückert in einem langen Artikel für die Zeit den Fall zusammen und spart auch nicht mit Kritik an der Verteidigung.

Eine beklemmende Lektüre.

Der unbekannte Termin

Der Anruf des Gerichts stürzte meine Sekretärin in leichte Verwirrung. Der Verhandlungstermin für morgen sei abgesagt, teilte der Geschäftsstellenbeamte mit. Schön zu wissen, dann kann ja nichts mehr anbrennen. Uns war der Termin nämlich überhaupt nicht bekannt. Ich bin morgen auch in einer ganz anderen Stadt.

Ich weiß nur noch, dass die Richterin am letzten Verhandlungstag einen Beweisantrag von mir mit den Worten quittierte: „Das war’s dann für heute.“ Worauf sich mein Mandant als auch ich entlassen fühlten und wir den Saal verließen. Seitdem kam auch keine Post in dieser Sache.

Gleichwohl soll im Sitzungsproitokoll der neue Termin für morgen notiert gewesen sein. Nun ja, möglicherweise hat die Richterin den Termin anberaumt. Bekanntgegeben hat sie ihn allerdings nicht. Nur darauf kommt es an. Ein etwas schaler Geschmack verbleibt allerdings schon. Vor allem wenn ich daran denke, welche Folterwerkzeuge einem Gericht gegen mutmaßlich zu Unrecht nicht erschienene Angeklagte zur Verfügung stehen. Das geht ja bis zum Haftbefehl.

Jetzt soll in einigen Tagen verhandelt werden. Wie das Gericht in dieser kurzen Zeit die von uns benannten Zeugen ordnungsgemäß laden will, ist mir schleierhaft. Aber egal, ich bin an dem Tag morgens sowieso wegen einer anderen Sache an diesem Gericht.

Vielleicht lassen sich ja doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Quelle: wulkan (www.wulkan-comic.de)