Papa hört mit

Weil er sich um die Leistungsbewertung und die Integration seiner Tochter in der Schule sorgte, bat ein ein Vater sein Kind, während eines Gesprächs mit der Lehrerin die Bluetooth-Kopfhörer eingeschaltet zu lassen, damit er das Gespräch mithören konnte.

Dafür kassierte der Vater nun einen Strafbefehl (25 Tagessätze zu je 70 €). Rausgekommen war das Ganze, weil der Vater in E-Mails an die Schule teilweise wörtlich aus dem Gespräch zwischen seiner Tochter und der Lehrerin zitiert hatte.

Strafrechtlich stellt sich das Abhören als Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 Abs. 2 Nr. 1 StGB dar, wonach bestraft wird, wer das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort abhört. Dass die Tochter eventuell zugestimmt hat, ist unerheblich, weil zumindest die Lehrerin nichts von der Aktion wusste.

Eine Strafbarkeit der 13-jährigen Tochter scheitert bereits an der Strafunmündigkeit nach §19 StGB, siehe auch diesen Beitrag von gestern. Außerdem erfordert § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen Wortes auf einen Tonträger, was bei einer reinen Übertragung nicht der Fall ist.

Bericht auf Spiegel Online

RA Dr. André Bohn

Kinder hinter Gittern

Kinder in Deutschland sind im Verhältnis zu Kindern anderswo in vielen Bereichen privilegiert. Dies gilt auch im Strafrecht – gerade bei der Strafunmündigkeit. Nach § 19 StGB sind Kinder unter 14 Jahren nämlich strafunmündig und damit ohne wenn und aber schuldunfähig. Sie können nicht bestraft werden, egal was sie „getan“ haben.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass unter 14-Jährige regelmäßig nicht in der Lage sind, Unrecht zu erkennen und danach zu handeln. Bis zum Lebensalter von 21 Jahren gilt dann das Jugendstrafrecht, das geprägt ist vom Grundsatz „Erziehung statt Strafe“. Die Untergrenze von 14 Jahren steht im Einklang mit Empfehlungen der Vereinten Nationen.

In Australien, Großbritannien und auch bei den Nachbarn in der Schweiz liegt die Grenze deutlich niedriger, konkret bei 10 Jahren. Diese Spanne kann einen großen Unterschied ausmachen, gerade wenn auch noch Rassismus oder soziale Ungleichheit hineinspielen. Ein lesenswerter Bericht mit dem Schwerpunkt auf der Situation in Australien findet sich hier.

RA Dr. André Bohn

Prozess platzt wegen Sportstudio-Bekanntschaft

In Bremen ist ein großer Drogenprozess schon am ersten Tag geplatzt. Grund: Einer der Schöffen (ehrenamtlicher Richter) kennt vier der fünf Angeklagten – sie haben wohl alle im gleichen Sportstudio trainiert.

Der Schöffe hatte vorher wohl nicht gewusst, gegen wen verhandelt wird. Das wird den ehrenamtlichen Richtern oft auch vorher nicht mitgeteilt. Deshalb kam es im Gerichtssaal zu der unerwarteten Begegnung. Es war übrigens die Staatsanwaltschaft, die den Schöffen dann als befangen ablehnte. Das Gericht folgte der Einschätzung.

Dazu muss man wissen, dass nicht jede persönliche Bekanntschaft von vornherein ausreicht, um einen Richter befangen zu machen. Vielmehr bedarf es schon einer persönlichen Nähe, die über das sozial übliche Maß unverbindlicher Bekanntschaften hinausgeht. Wie eng die Sportler tatsächlich waren, lässt deshalb Raum für Spekulationen.

Ebenso, dass die Verteidiger den Schöffen wohl gerne weiter auf der Gerichtsbank gesehen hätten. Sie wollten jedenfalls keine Befangenheitsanträge stellen. Der Prozess wird nun Mitte des Monats neu beginnen.

Bericht

Impfgerechtigkeit auf anderem Weg

Vor Kurzem brachte das Kunstkollektiv Peng! Plakate vor den Niederlassungen der Firma BionTech in Mainz und Marburg an. „Deine Arbeit kann Leben retten – oder Profite maximieren“ und „Leake den BioNtech Impfstoff“ ist auf dem Plakat zu lesen, es folgt ein Link zu Whistleblower-Seiten.

Das Künstlerkollektiv begründet die Aktion, in der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie sei es legitim sei, zum Leaken der Wirkstoffformel aufzurufen – das rette Menschenleben. Wenn da nicht der Schutz des geistigen Eigentums wäre…

So könnte ein Wirkstoffformel-Leak nach § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen strafbar sein. Fraglich ist, ob die besonderen subjektiven Voraussetzungen dieser Norm vorlägen. Strafbar ist ein Verhalten nach § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen nämlich unter anderem nur dann, wenn subjektiv zur Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber eines Unternehmens Schaden zuzufügen, gehandelt wird. In Betracht käme allenfalls das Handeln zugunsten eines Dritten.

Daneben kommt noch eine Strafbarkeit wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB in Betracht. § 203 StGB ist aber ein sogenanntes Sonderdelikt. Täter kann nur jemand aus den in § 203 StGB genannten (Berufs-)Gruppen sein. Darunter fallen keine Mitarbeiter*innen von Pharmaunternehmen.

Selbst wenn man aber zu einer Strafbarkeit gelangt, müsste man sich wegen der Pandemielage mit einer Rechtfertigung durch Notwehr oder Notstand nach den §§ 32 und 34 StGB auseinandersetzen. Insgesamt handelt es sich aus meiner Sicht um eine in der Sache erst mal nachvollziehbare Aufforderung, deren Strafbarkeit nicht so klar ist, wie sie beim ersten Lesen zu sein scheint. Das alles natürlich unabhängig von der Frage, ob die Macher ihren Aufruf tatsächlich wörtlich meinen – oder letztlich nur eine ethische Debatte anstoßen wollen.

Dazu auch ein Artikel in der Zeit.

RA Dr. André Bohn

Präsident IN DA HOUSE

Es kommt nicht häufig vor, aber mitunter stolpere ich selbst im Strafrecht über Vorschriften, von denen ich ehrlich gesagt noch nie was gehört habe.

Das war auch heute der Fall, als das Landgericht in einem größeren Verfahren verhandelte. Und zwar, zum Schutz der minderjährigen Tatopfer, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Da blieb es natürlich nicht unbemerkt, dass ein Mann auf den Zuschauerbänken einfach sitzenblieb, obwohl der Vorsitzende Zuschauer und Presse gerade hinausgeschickt hatte.

Wie sich herausstellte, war es der Präsident des Landgerichts. Der darf – so regelt es § 175 des Gerichtsverfassungsgesetzes – tatsächlich auch zuhören, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Er ist nämlich der Beamte aus der Justizverwaltung, der über die Richter die „Dienstaufsicht“ ausübt. Er darf sich also jederzeit davon überzeugen, dass im Gerichtssaal alles seine Richtigkeit hat. Oder er im Rahmen seiner Tätigkeit etwa eine dienstliche Beurteilung über einen Richter abzugeben hat – wofür ein persönlicher Eindruck von der Verhandlungsführung natürlich nicht schaden kann.

Der Besuch war also juristisch legitimiert. Und ich bin froh, dass mich seinerzeit niemand in meinem mündlichen Staatsexamen nach dem Paragrafen gefragt hat.

Keine Nacktbilder einfach so

Das Landgericht Wuppertal hat entschieden, dass im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Vergewaltigung keine Nacktaufnahmen des Beschuldigten angefertigt werden dürfen (LG Wuppertal, Beschl. v. 12.01.2021 – 24 Qs 10/20). Zwar erlaubt § 81b StPO die Anfertigung von Lichtbildern und Fingerabdrücken eines Beschuldigten, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist; das Landgericht ging aber hier davon aus, dass diese Notwendigkeit eben nicht gegeben war.

Zweck der Anfertigung der Nacktbilder war aus Sicht der Staatsanwaltschaft der Abgleich mit etwaigen Videos von der Tat. Dumm nur, dass zu keinem Zeitpunkt im Raum stand, dass entsprechende Videos existieren, auf denen der Beschuldigten nackt zu sehen ist. Auch bei den weiteren Ermittlungen wurde keine Videos aufgefunden, geschweige denn Videos, auf denen der Beschuldigte nackt zu sehen gewesen wäre.

Manchmal kommt es mir so vor, als würde bei den Ermittlungsbehörden die Denkweise vorherrschen, sie könnten sich alles erlauben. Ich erlebe immer wieder, dass rechtlich höchst fragwürdige Maßnahmen nach dem Motto „der Betroffene kann ja hinterher dagegen vorgehen“ getroffen werden. Das nachträgliche Vorgehen gegen rechtswidrige Maßnahmen kostet aber in der Regel Geld, Zeit und Nerven, und eigentlich sollte die Exekutive von sich aus versuchen, rechtmäßig zu handeln – und es nicht zu übertreiben.

Rechtsanwalt Detlef Burhoff bespricht die Entscheidung ebenfalls.

RA Dr. André Bohn

Feindeslisten

Nach einem Entwurf des Bundesjustizministeriums sollen in Zukunft sogenannte Feindeslisten und das Outing politischer Gegner bestraft werden.

Der neue Paragraf § 126a StGB sieht Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vor, wenn jemand öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts personenbezogene Daten einer anderen Person in einer Art und Weise verbreitet, die geeignet ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder einer sonstigen rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert auszusetzen.

Ich gebe den Wortlaut des Entwurfs komplett wieder, denn so lässt sich leicht feststellen: Die Norm wäre – wie es ja leider immer beliebter wird – sehr, sehr weit gefasst. So genügt es schon aus, wenn die Verbreitung lediglich „geeignet“ ist, dass die Gefahr von Straftaten gegen die Betroffenen entsteht. Der Täter muss noch nicht mal beabsichtigen, dass Straftaten gegen die Betroffenen begangen werden.

Es muss daher auch keine wirkliche „Liste“ angefertigt werden. Es reichte an sich schon aus, wenn die personenbezogenen Daten einer Person veröffentlicht werden – ohne jede greifbare Zielrichtung. Rein interne Listen fallen aber andererseits nicht unter den Straftatbestand – immerhin.

An sich handelt es sich hier um klassisches Gefahrenabwehrrecht, das seinen Platz in den Polizeigesetzen der Länder hat. Auch im vorliegenden Fall wird jedoch das Strafrecht bemüht, und zwar erneut in der Form, dass die Strafbarkeitsschwelle fühlbar in den Bereich eines an sich nicht unbedingt verwerflichen Verhaltens vorverlagert wird. So vermischen sich präventive und repressive Maßnahmen immer mehr, so dass am Ende im besten Fall Verwirrung herrscht, im schlechtesten die Tür für Willkürmaßnahmen geöffnet wird.

Die Legal Tribune Online beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema.

RA Dr. André Bohn

Punktlandung

Zu den (kleinen) Freuden eines Pflichtverteidigers gehört es, wenn die Hauptverhandlung am betreffenden Tag „mehr als fünf Stunden“ dauert. Dann gibt`s nämlich einen Zuschlag auf die sogenannte Terminsgebühr (z.B. in „normalen“ Fällen 128 Euro zzgl. Umsatzsteuer). Noch mal was obendrauf kommt, wenn die Verhandlung mehr als acht Stunden dauert.

In einem Verfahren fingen wir vor kurzem pünktlich um neun Uhr morgens an. Und wie es so kommt, schloss der Vorsitzende die Verhandlung, als der Zeiger der Saaluhr exakt 14 Uhr anzeigte. Eine gebührentechnische Punktlandung sozusagen, denn exakt ab 14 Uhr dauert die Verhandlung „mehr als fünf Stunden“. So hat es vor kurzem auch das Landgericht Karlsruhe entschieden, und zwar auch für einen Termin, der um 9 Uhr begonnen hatte:

Mit Ablauf der Sekunde 13:59.59 Uhr war die fünfte Stunde beendet. Ab 14.00:00 Uhr … war die Gebühr angefallen (Aktenzeichen 3 KLs 220 Js 16158/10).

Wichtig ist nur, dass die Uhrzeit auch richtig im Sitzungsprotokoll vermerkt ist. Das ist bei uns aber der Fall, ein Kollege hat nach der Verhandlung extra beim Protokollführer nachgefragt. Dass die Sitzung erst verzögert beginnt, hat übrigens keine Auswirkungen. Es kommt immer auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten geladen wurden.

Noch kein Versuch …

Im heutigen Beitrag „Vorbereitung der Vorbereitung“ ging es darum, wie weit manche Paragrafen des Strafgesetzbuchs die Strafbarkeit weit vor den eigentlichen Versuchsbeginn (§ 22 StGB) verlagern.

Einen Kontrapunkt hierzu setzt ein aktuelles Urteil des Landgerichts Kiel. In dem Fall ging es um ein Ehepaar, das mit dem vorgetäuschten Tod des Mannes Lebensversicherungen angeblich um Millionen betrügen wollte. Die Richter studierten die Versicherungsbedingungen genau und stellten fest, dass die Auszahlung der Policen an die Vorlage einer Sterbeurkunde gekoppelt war. Diese hatte die Hinterbliebene aber nicht. Somit, so das Gericht, handelte es sich bei den Handlungen (insbesondere dem vorgetäuschten Tod des Ehemannes) noch nicht um einen Versuch, sondern lediglich um eine Vorbereitungshandlung. Diese ist jedoch grundsätzlich straflos.

Tatsächlich wurden die Eheleute nur in einem von 14 angeklagten Fällen verurteilt. Am Ende macht das einen gewaltigen Unterschied, denn so kamen noch Bewährungsstrafen raus.

Bericht auf ntv

Bitcoin-Millionen, aber kein Passwort

Die Staatsanwaltschaft Kempten hat in einem Betrugsfall Bitcoin beschlagnahmt – mit einem Wert von rund 68 Milionen Euro (Stand heute). Allerdings kann der Staat nicht allzu schnell auf eine Verwertung hoffen. Den Ermittlern fehlt nämlich das Passwort, um auf die Bitcoin zuzugreifen.

Der (frühere) Eigentümer der Bitcoin war 2014 wegen Betrugs verurteilt worden, seine Tatbeute in Form des Kryptogeldes wurde sichergestellt. Nur einige wenige Bitcoin konnten verkauft werden; der Rest ist durch bislang nicht geknackte Passwörter abgesichert. Seine Haftstrafe hat der Mann mittlerweile abgesessen, ohne das Passwort preiszugeben. Juristisch war und ist er nicht verpflichtet, den Ermittlern zu helfen.

Diese wiederum betonen im Gegenzug, dass auch der Verurteilte keinen Zugriff auf die Wallet erlangen kann und das Passwort ihm also auch nicht hilft. Da gibt es ja nur zwei Möglichkeiten: entweder ein Deal und die Bitcoin werden fair aufgeteilt (juristisch schwierig). Oder dem Staat gelingt es irgendwann doch noch, die Passphrase zu knacken. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn der Erfolg, wenn überhaupt, erst später eintritt. Beim jetzigen Kursverlauf des Bitcoin könnte das Land Bayern vielleicht spürbar die Steuern senken.

Bericht auf Spiegel Online

RA Dr. André Bohn

Spuren im Schnee II

Als ich den Beitrag „Spuren im Schnee“ schrieb, fuhr ich mit dem Zug zu einem Gerichtstermin.

Wenig überraschend erreichte ich jedoch nicht ohne Widrigkeiten mein Ziel. An einem Zwischenhalt kam der Zug nicht weiter. Alle Fahrgäste mussten raus. Offizielle Begründung: Streusalz habe sich in den ausfahrbaren Trittstufen festgesetzt, sodass diese sich nicht mehr einfahren ließen. Da der Zug die Strecke blockierte, kam auch kein späterer Zug durch.

Also fand ich mich wenige Minuten später selbst in einem Taxi wieder, um es noch zur Verhandlung zu schaffen. Die Strecke war noch beträchtlich, mein Bargeldbestand hierauf aber leider nicht eingestellt. Deshalb sagte ich dem Fahrer, dass wir kurz bei einer Bank halten müssten. Die hatte übrigens auch einen Ausgang nach hintenraus, das fiel mir aber wirklich nur wegen des eingangs zitierten Beitrags auf.

Ich machte mich aber nicht vom Acker, sondern bezahlte den Taxifahrer brav und kam sogar noch pünktlich zum Gerichtstermin. Jetzt sind wir mal gespannt, ob die Bahn die Taxikosten übernimmt.

RA Dr. André Bohn

Spuren im Schnee

Sherlock Holmes hätte es nicht besser machen können. In Krefeld hatte ein Fahrgast den Taxifahrer kurz anhalten lassen, weil er angeblich Zigaretten holen wollte. Tatsächlich tauchte der Mann aber nicht wieder auf. Es ist auch nicht übermittelt, dass er in einer Schneewehe feststeckte.

Tatsächlich konnte die herbeigerufene Polizei den Mann ermitteln. Anhand seiner noch frischen Fußspuren im Schnee – diese führten direkt bis vor seine Haustüre (Bericht in der Welt).

Doch was ist dem Mann strafrechtlich vorwerfbar?

Naheliegend ist natürlich ein Betrugsversuch. Dafür hätte der Mann bereits zum Zeitpunkt des Einsteigens oder spätestens zum Zeitpunkt des Verlassens des Taxis vorhaben müssen, das Entgelt nicht zu bezahlen. Ob man das nachweisen kann, hängt auch sehr davon ab, ob und wie sich ein Beschuldigter zum Tatvorwurf äußert. Denn letztlich entscheidend ist das, was in seinem Kopf vorging. Auch bekannt als Vorsatz.

Möglicherweise fror der Fahrgast auf dem Weg zum Zigarettenautomaten nicht nur bitterlich. Sondern er war auch abgelenkt, etwa durch Sorgen. Oder einen wichtigen Telefonanruf. Da kann man durchaus schon rüberbringen, dass er das Bezahlen des Taxis schlicht vergessen hat. Ähnlich gelagert sind übrigens die weitaus häufigeren Fälle von Autofahrern, die vergessen an der Tankstelle zu zahlen. Wenn man den „Aussetzer“ glaubwürdig erklärt, stößt das bei Staatsanwälten normalerweise auf Verständnis und ist der erste Weg zu einer Einstellung des Verfahren. Dabei hilft es aber in jedem Fall, wenn es in den letzten Jahren nicht schon mehrere Ermittlungsverfahren wegen solcher Schusseligkeiten gab.

Sehr hilfreich ist es übrigens auch, wenn der Betroffene seine Rechnung reumütig ausgeglichen hat, bevor sich sein Anwalt um eine Einstellung des Verfahrens bemüht.

RA Dr. André Bohn

Vorbereitung der Vorbereitung

Ende Januar hat die Bundesanwaltschaft vor dem Oberlandesgericht München Anklage gegen eine Frau wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat erhoben. Dieser Vorwurf wiegt weitaus schwerer als die anderen Delikte wie Bedrohung und Straftaten nach dem Waffengesetz, die der Frau ebenfalls zur Last gelegt werden. Die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a StGB) kann mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren geahndet werden.

Nach der Anklage ist die Frau rechtsextremistisch und fremdenfeindlich. Sie habe Morddrohungen verschickt. Um Brandanschläge auf Amtsträger und Muslime zu verüben, habe sie sich zudem Literatur zum Bau von Bomben und die dafür notwendigen Materialien besorgt. Auch habe sie bereits einzelne Personen als potenzielle Opfer ausspioniert.
Die Pressemitteilung des Generalbundesanwalts findet sich hier.

Das grundsätzliche Problem ist hier die extreme Vorverlagerung der Strafbarkeit. Strafbar ist quasi schon die Vorbereitung der Vorbereitung. Deshalb steht der § 89a StGB auch auch bei Kritikern im Geruch der Verfassungswidrigkeit. Der Bundesgerichtshof sieht dies jedoch – zumindest bislang – anders.

Zwar findet sich in § 89a VII StGb eine Reglung zur tätigen Reue, wonach der Täter nicht oder milder bestraft wird, wenn er die Tat aufgibt und eine etwaige bereits bestehende Gefahr beseitigt; trotzdem hebelt eine solch weite Vorverlagerung den Gedanken des Strafrechts als ultima ratio, also als letztes Mittel, aus. Das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit der potenziellen Opfer ist zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht gefährdet, und die Regelungen zum Versuch des jeweiligen konkreten Delikts werden umgangen.

Ansonsten kann man nämlich selbst dann noch vom Versuch zurücktreten und damit straffrei davonkommen, wenn das bedrohte Rechtsgut aus Tätersicht bereits konkret gefährdet ist. Insgesamt spricht also vieles dafür, dass die Verfassungsmäßigkeit der Norm genauer unter die Lupe genommen wird. Möglicherweise ist das neue Großverfahren ein geeigneter Anlass.

RA Dr. André Bohn

Staatsanwalt auf Wanderschaft

Das hast du als Anwalt auch nicht jeden Tag, dass der Staatsanwalt bei deinem Plädoyer in einer Strafsache nicht nur mehr oder weniger aufmerksam lauscht. Sondern aufsteht. Und kommentarlos durch den grooooßen Saal des Schwurgerichts Richtung Tür geht.

Ich ging eigentlich von einem menschlichem Bedürfnis aus, das irgendwie gar keinen Aufschub duldete. Deshalb war ich natürlich gerne bereit, meinen Schlussvortrag zu unterbrechen. Denn in Abwesenheit des Anklagevertreters darf nicht verhandelt werden. Sonst Revisionsgrund. Allerdings bewegte sich der Staatsanwalt in eine Nische neben dem Eingang, wo man Kleidung ablegen kann. Er zog seine Jack-Wolfskin-Jacke vom Haken und schlüpfte hinein. Dann ging er zufrieden lächelnd zurück an seinen Platz, während ich dann halt auch weiter redete.

Es war aber auch kalt im Saal, denn coronabedingt mussten auf Wunsch des Gerichts permanent zwei große Fenster offen stehen.

Stalking-Paragraf wird „aufgewertet“

Der sogenannte Stalking-Paragraf (§ 238 StGB) soll reformiert werden. Was in der heutigen Praxis ja bedeutet: verschärft.

Auch Online-Belästigung soll in Zukunft von der Norm erfasst sein. Momentan bedarf es zudem einer beharrlichen Nachstellung. Anstatt einer beharrlichen Nachstellung soll künftig die „wiederholte Nachstellung“ ausreichen. Außerdem soll das Höchstmaß für besonders schwere Fälle von drei auf fünf Jahre Freiheitsstrafe angehoben werden. Eine Zusammenfassung findet sich hier.

Schaut man sich momentan geltende Norm an, würde ich sagen, dass Belästigungen im Internet auch momentan schon von § 238 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB erfasst werden können.

Verstehen kann ich, dass das Wort „beharrlich“ durch „wiederholt“ ersetzt werden soll, auch wenn dies ursprünglich gerade nicht gewollt war. Die Beharrlichkeit hat nämlich im subjektiven Tatbestand hohe Anforderungen, auch bei der Anzahl der Verstöße muss schon eine gewisse Zahl vorliegen (jedenfalls mehr als bei „wiederholt“).

Da sich potenzielle Täter bekanntermaßen nicht von einer höheren Strafandrohung abhalten lassen, erscheint die geforderte Erhöhung des Höchstmaßes für besonders schwere Fälle (mal wieder) als reine Symbolpolitik. Bei einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe für so eine Deliktsart darf man sich auch fragen, ob hier nicht etwas aus den Fugen gerät. Der Strafrahmen fürs Stalking entspräche dann dem der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) oder der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB).

RA Dr. André Bohn