Jugendschutz-Theater im World Wide Web

Der Vertrieb von Pornografie ist in Deutschland nicht verboten. Der Besitz schon gar nicht. Wer Pornografie vertreiben will, muss aber den strengen Jugendschutz-Anforderungen in Deutschland genügen – wenn er in Deutschland seinen Firmensitz hat. Es muss durch ein wirksames System sichergestellt sein, dass nur Erwachsene an das Material kommen. Das gilt auch fürs Internet.

Die Vorstellungen, was eine wirksame Altersverifikation ist, gehen weit auseinander. Die Gerichte legen strengste Maßstäbe an. In der Praxis wird alles als unsicher verworfen, von der Eingabe der Kreditkarten- bzw. Personalausweisnummer bis zur Übersendung des Personalausweises in Fotokopie.

Lediglich das POSTIDENT-Verfahren scheint derzeit Gnade vor den Augen der Justiz zu finden. Kein Wunder: Es ist nicht nur zweifellos schwer zu umgehen, sondern auch teuer und so umständlich, dass kaum ein Kunde bereit ist, den Download von Pornos erst mal mit einem Besuch auf dem Postamt einschließlich Papierkram und Ausweiskontrolle einzuläuten.

Aber auch schon deshalb wird niemand POSTIDENT über sich ergehen lassen, weil es unendlich viele ausländische Bezahlangebote gibt, für die das deutsche Recht nicht gilt. Entsprechend den dortigen Gesetzen reicht der Altersnachweis meist durch Angabe einer gültigen Kreditkarte – wenn es in den betreffenden Ländern überhaupt Jugendschutzbestimmungen für die Verbreitung normaler Pornografie gibt. Der deutsche Käufer, der aus dem Ausland lädt, geht dabei kein Risiko ein, denn die Strafvorschriften für Verbreitung gelten nur auf der Verkäufer-, nicht aber auf der Käuferseite.

Diese faktische Wettbewerbsverzerrung erzürnt die deutschen Pornoproduzenten seit langem. Nun haben sie auch vor dem höchsten deutschen Gericht kein Gehör gefunden. Das Bundesverfassungsgericht hat Beschwerden, unter anderem gegen die strengen Anforderungen im Bereich der Altersverifikation, per Beschluss gar nicht zur Entscheidung angenommen.

Die in Deutschland sitzenden Produzenten müssen weiter zusehen, wie ihnen die ausländische Konkurrenz das Geschäft wegnimmt. Oder sie ziehen halt auch aus Deutschland weg. Oder verlagern zumindest ihre Online-Angebote rechtssicher über die Grenzen.

Dass nicht nur Arbeitsplätze verloren gehen, sondern bei der derzeitigen Situation kein einziger Minderjähriger tatsächlich wirksam „geschützt“ wird, braucht ja nicht zu stören.

Dealer sind was anderes

Bei der Frage, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, ist es vorrangig der Berurteilung des Tatrichters überlassen, welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst. Darüber sind sich die Juristen weitgehend einig. So lautet auch die Vorgabe des Bundesgerichtshofs, der in solchen Fragen fast immer das letzte Wort hat.

Wenn ein ehrbarer Uhrmachermeister in seinem Laden überfallen und ausgeraubt würde, spräche sicher erst einmal wenig für einen minder schweren Fall. Aber wie sieht es aus, wenn zwei Männer sich mit einem Messer und einer Hantelstange bewaffnen und dann einen stadtbekannten Dealer aufsuchen – um ihm unter Androhung von Gewalt Marihuana wegzunehmen? Angestrebte Beute in diesem Fall: bis zu drei Kilo.

Für den Überfall auf den Dealer hat das Landgericht Essen nach einem Bericht der WAZ genau unterschieden. Minder schwerer Fall – auch weil das Opfer kein unbescholtener Bürger ist. „Milieutat.“ So habe schon die Staatsanwältin den Takt vorgegeben.

Gut möglich, dass die Geständnisfreude der Täter das Gericht vor ein Problem stellte. Bei Raub und Erpressung ist man schnell bei sehr hohen Mindeststrafen, vor allem wenn mehrere die Tat begehen. Oder Waffen im Spiel sind. Der minder schwere Fall ist dann ein geeigneter Ausweg, um offensichtlich nicht passende Sanktionen zu vermeiden.

Ob sich die Justiz aber aufschwingen sollte, die gesellschaftliche und soziale Stellung des Opfers explizit zum Maßstab für die Bestrafung der Täter zu machen? Ein fragwürdiges Signal ist es jedenfalls.

Altautos darf man nicht einfach verschenken

Wer als Halter sein Fahrzeug an einen Dritten zum Ausschlachten verschenkt, ohne dafür zu sorgen, dass der Abnehmer das Fahrzeug ordnungsgemäß demontiert oder entsorgt, macht sich wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung strafbar. Dies hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle entschieden.

Die Staatsanwaltschaft hatte der 25 Jahre alten Angeklagten aus Gronau vorgeworfen, ein nicht mehr fahrbereites, 22 Jahre altes Fahrzeug mit einer Laufleistung von mehr als 220.000 km in einem Anzeigenblatt angeboten und an einen unbekannt gebliebenen Abnehmer verschenkt zu haben. Das Fahrzeug wurde wenige Tage später in Hannover aufgefunden, wo es ohne Kennzeichen abgestellt war.

Der Strafsenat des Oberlandesgerichts hat festgestellt, dass jeder Fahrzeughalter nach § 4 der Altfahrzeugverordnung verpflichtet ist, sein Altfahrzeug nur einer anerkannten Annahmestelle, einer anerkannten Rücknahmestelle oder einem anerkannten Demontagebetrieb zu überlassen. Ein Verstoss dagegen ist als umweltgefährdende Abfallbeseitigung strafbar.

Das Amtsgericht hatte die Frau in erster Instanz freigesprochen. In einer neuen Verhandlung muss das Amtsgericht nun vertieft prüfen, ob die Angeklagte im konkreten Fall vorsätzlich oder fahrlässig handelte und ihr nach ihren Kenntnissen ein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann.

Diese Konstellation unterscheidet sich von den üblichen Fällen, in denen der Halter sein Altfahrzeug einem Kfz-Händler übergibt, und der Kfz-Händler sich vertraglich verpflichtet, das Fahrzeug ordnungsgemäß zu entsorgen. Hier darf der Autobesitzer normalerweise davon ausgehen, dass sein Auto auch tatsächlich vorschriftsmäßig entsorgt wird.

(OLG Celle, Urteil vom 15. Oktober 2009, 32 Ss 113/09)

Nichtsurfen kann extrem teuer sein

Dass die Mobilfunkanbieter fragwürdige Preise für WAP und Internet ohne gesonderten Datentarif berechnen, habe ich schon mal erwähnt.

Nun vertreten wir wieder jemanden, der sich die horrenden Datenkosten nicht erklären kann. Weil er nach seiner Erinnerung gar nicht im mobilen Internet war. Es geht um immerhin 735,00 Euro – so viel sollen stolze 35 MB kosten. Anbieter BASE zeigt sich aber weit weniger kulant als die Telekom. Vielmehr besteht die Firma auf dem gesamten Betrag, und zwar unter anderem mit folgender Begründung:

Die Startseite des WAP-Portals aktualisiert sich in regelmäßigen Abständen automatisch. Dadurch entsteht Datenvolumen. Wenn beispielsweise die Startseite des WAP-Portals aufgerufen und nicht weiter gesurft wird, wird das Datenvolumen berechnet.

Das nenne ich mal eine argumentative Steilvorlage. Es mag ja noch angehen, wenn die Startseite beim Aufruf ebenfalls kostenpflichtiges Datenvolumen verursacht. Dass sie sich aber beständig automatisch aktualisiert und somit exorbitante Kosten verursacht, obwohl der Anschlussinhaber gar nichts weiter macht, ist aber schon sehr interessant.

Vor allem vor dem Hintergrund der Frage, ob man als Kunde mit so einer Kostenfalle rechnen muss.

Jetzt ernsthaft

Die Staatsanwaltschaft informiert meinen Mandanten, gegen ihn werde wegen eines Internetdelikts ermittelt. Als Tatzeitpunkt wird Anfang 2008 genannt. Mein Mandant möge innerhalb von zwei Wochen Stellung nehmen. Hierbei soll er insbesondere folgende Frage beantworten:

Befinden sich die Dateien noch auf Ihrem Rechner?

Ich frage mich schon, welche Antwort erwartet wird. Jetzt ernsthaft…

Statt Angaben zu machen, habe ich zunächst die Ermittlungsakte angefordert. Vielleicht erschließt sich ja daraus die Ermittlungstaktik. In positiver Hinsicht wäre denkbar, dass der Staatsanwalt eine Hausdurchsuchung für unverhältnismäßig hält und eine Brücke für die Einstellung des Verfahrens bauen will.

Der Krieg gegen Drogen ist gescheitert

„Der Krieg gegen die Drogen ist eine gescheiterte Strategie“, schreibt John Gray auf Zeit online. Der Autor fasst alle wesentlichen Argumente zusammen, die für eine (kontrollierte) Freigabe auch harter Drogen sprechen:

– Etliche Länder (u.a. Mexiko) versinken nicht in der Drogensucht, sondern im Krieg der Drogenkartelle.

– Die Kosten und Opfer der Drogenprohibition übersteigen bei weitem jedes gesundheitliche Risiko.

– Das Drogenverbot kriminalisiert an sich rechtschaffene Menschen.

– Die künstlich überhöhten Preise sorgen für Beschaffungskriminalität.

– Das größte gesundheitliche Risiko ist nicht der Drogenkonsum, sondern durch die Verfolgung bedingte mangelnde hygienische Verhältnisse, die Gefahr von Überdosen und durch verunreinigte Drogen.

– Drogenkonsum und Produktivität im bürgerlichen Beruf schließen sich nicht unbedingt aus.

– Es gibt keinen moralischen Konsens mehr zur Ächtung von Drogen.

– Die Gewinne aus dem illegalen Drogenhandel finanzieren andere Verbrechen und den internationalen Terror.

Dieser Bestandsaufnahme ist kaum etwas hinzuzufügen.

BKA liefert erst mal keine Sperrlisten

Eigentlich wollte das Bundeskriminalamt in diesen Tagen anfangen, Sperrlisten an Internetprovider auszuliefern. Auf diesen Listen sollten Internetseiten verzeichnet sein, die aus Sicht des Bundeskriminalamtes mit Stoppschildern versehen werden müssen. Grundlage wäre nicht das Zugangserschwerungsgesetz gewesen, sondern die mit den Providern schon früher geschlossenen Verträge.

Gegenüber netzpolitik.org hat das Bundeskriminalamt nun erklärt:

Im Lichte des derzeit vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden anhängigen Verfahrens und des durch eine drohende Negativentscheidung zu befürchtenden Schadens sowohl für die betroffenen Provider als auch für das BKA hat das Bundesministerium des Innern entschieden, nicht in den Wirkbetrieb auf vertraglicher Grundlage zu gehen.

Ein Vodafone-Sprecher soll außerdem bestätigt haben, dass die „Selbstverpflichtung“ nicht umgesetzt wird. Erstens werde das Bundeskriminalamt keine Sperrlisten liefern. Zweitens:

Nach Auskunft des Bundeskriminalamt, wird die Ausführung der Selbstverpflichtung ausgesetzt, bis das Gesetz in Kraft ist bzw. es bleibt zu sehen, ob es ein neues oder kein Gesetz gibt.

Somit dürfte die Möglichkeit, Internetsperren durch die Hintertür über die Selbstverpflichtung umzusetzen, während offiziell das Zugangserschwerungsgesetz auf Eis gelegt wird, vom Tisch sein.

Das Aus für die Robe (in Berlin)

Berlin als Vorreiter: In der Hauptstadt sollen Anwälte bald grundsätzlich ohne Robe vor Gericht auftreten dürfen. Die Rechtsanwaltskammer wird die berufsrechtliche Pflicht aufheben, berichtet die taz.

Die Robe ist nichts, was einen Anwalt zum besseren (oder schlechteren) Juristen macht. Im Gegenteil: Tatsächlich fühlen sich Mandanten, gerade in Strafprozessen, mitunter befremdet, wenn sie ihren Anwalt plötzlich in derselben Kluft erleben wie Staatsanwalt und Richter. Die Ausgrenzung – wir, die erhabene Justiz, du das Subjekt unserer Behandlung – ist dann mitunter schon spürbar.

Richtig ist es, den Anwälten das Tragen einer Robe freizustellen. Gleiches gilt natürlich in Strafprozessen auch für die weiße Krawatte. Die hat sich in den letzten Jahren aber von selbst überholt. Mir jedenfalls ist keine Strafkammer (mehr) bekannt, die bei einer andersfarbigen Krawatte auch nur guckt, womöglich protestiert oder gar Sanktionen androht. (Dann würde ich, im Interesse des Mandanten, auch von vornherein die weiße Krawatte umbinden. Irgendwo im Büro fliegen noch zwei, drei herum.)

Bei den Verteidigern der Robenpflicht auf Justizseite scheint mir auch immer etwas die Angst mitzuschwingen, dass möglicherweise auch mal die Staatsdiener ohne Robe auskommen müssen. Das hätte für einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Betroffenen gravierende Auswirkungen.

Sie müssten sich anständig kleiden.

Internetsperren – plötzlich geht es ohne

Viele Provider dürften sich zu früh gerüstet haben. Ebenso einige Politiker. Auch wenn die Nachrichten noch nicht eindeutig sind, scheinen die Internetsperren zunächst vom Tisch zu sein. RP online meldet jedenfalls, FDP und Union hätten sich darauf geeinigt, dass sich die Polizei um Löschung kinderpornografischer Inhalte bemühen soll. Nach einem Jahr soll überprüft werden, wie das funktioniert.

Die Umsetzung dieses Beschlusses wird interessant sein. Wird das bereits beschlossene Zugangserschwerungsgesetz, das gerade beim Bundespräsidenten zur Unterschrift liegen dürfte, nun zurückgezogen? Das kann eigentlich nur der Bundestag, indem er ein Aufhebungs- oder Änderungsgesetz beschließt.

Wie auch immer: Dass die Zensurinfrastruktur nun doch nicht so reibungslos installiert werden dürfte, ist ein großer Erfolg. Dieser Erfolg ist sicherlich auch dem riesigen Protest, insbesondere durch die Onlinepetition beim Bundestag, geschuldet.

Um den Rest, insbesondere die Vorratsdatenspeicherung, wird sich allerdings wohl das Bundesverfassungsgericht kümmern müssen.

Wiederum ob

Perlen juristischer Sprachschöpfung. Heute § 401 Absatz 4 Strafprozessordnung:

Wird auf ein nur von dem Nebenkläger eingelegtes Rechtsmittel die angefochtene Entscheidung aufgehoben, so liegt der Betrieb der Sache wiederum der Staatsanwaltschaft ob.

Anwälte sehen keinen Sinn im Plädoyer

Die Verteidiger im Berliner Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der (möglicherweise existierenden) „militanten gruppe“ greifen am Ende des Verfahrens zu einem ungewöhnlichen Mittel:

Wir haben die Hoffnung aufgegeben, mit unseren Argumenten vor Gericht Gehör zu finden. Weil wir den Eindruck gewonnen haben, gegen den politischen Druck nichts ausrichten zu können, haben wir uns dazu entschlossen, nicht zu plädieren.

Ich musste in meiner Tätigkeit zum Glück noch nie den Schluss ziehen: Hier kannst du nicht weitermachen, denn du bist nur noch Statist. Deckmäntelchen für den abhanden gekommenen Rechtsstaat. Aber ich war zwei oder drei Mal nahe dran. Zum Glück hat es sich dann doch immer noch eingerenkt, meist nach ziemlichen Gewittern im Gerichtssaal.

Drei Mal ist, wenn ich darüber nachdenke, gemessen an der Zahl der von mir in knapp 15 Jahren geführten Prozesse eine sehr niedrige Quote. Was für mich belegt, dass die Justiz (noch) weit davon entfernt ist, Verteidiger zu Alibifiguren zu machen. Trotzdem ist es bestürzend, dass Anwälte – ob nun wirklich mit guten Gründen, lasse ich mangels Detailkenntnis offen – meinen, zu solch harschem Protest greifen zu müssen.

Erklärung der Verteidiger