Gute Tat

Anruf eines Mandanten. Er hat eine Kopie des Scheidungsurteils bekommen und fragt treuherzig, wohin er die dreitausend Euro überweisen soll. Ich bin kurz versucht zu sagen: „Auf unser Kanzleikonto.“ Es bleibt aber bei dieser unmoralischen Sekunde. Dann erkläre ich ihm, dass das nur der Streitwert ist, den das Gericht festgesetzt hat. Er muss tatsächlich viel weniger zahlen.

Fällt so was auch unter gute Tat? Dann hätte ich heute mein Pensum schon übererfüllt.

Beweise, knallhart

… eine Kunststoffkiste mit Betäubungsmittelgeruch, ein Karton „Nokia“ mit Betäubungsmittelgeruch, drei Kunststofftaschen mit Betäubungsmittelgeruch…

Manchmal ist die Beweislage so niederschmetternd, da möchte man als Verteidiger nur noch heulen.

Schmerzfreie Recherche

Wer eine Frage zur Rente hat, dem kann ich das AnwaltsBürgertelefon der Deutschen Rentenversicherung Rheinland sehr empfehlen. Mir rechnete ein sehr kompetenter und ausgesprochen freundlicher Mitarbeiter gerade in drei Minuten aus, welche Einmalzahlung in die Rentenkasse eine Anwartschaft von 41,41 € begründet.

Ich hoffe mal, es ist nicht verwerflich, dass ich für eine Auskunft diese komfortable Recherchemöglichkeit genutzt und mir eine stundenlange Qual mit Gesetzbüchern und Familienrechtssoftware erspart habe.

Dem Mandanten wird diese Zeitersparnis natürlich brutalstmöglich zugute kommen.

(Telefon 0800 1000 48013)

Überhaupt kein Aufwand

Die E-Mail des Tages lautet zusammengefasst so:

Lieber Herr Vetter, ich habe mich vor einigen Monaten bei der neuen Sache doch für einen anderen Anwalt entschieden. Der ist jetzt im Urlaub. Außerdem antwortet er mir auch sonst nicht. Nehmen Sie bitte Akteneinsicht. Kopieren Sie einmal die komplette Akte, damit ich auf dem neuesten Stand bin. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass ich hierfür und auch sonst auf absehbare Zeit nichts bezahlen kann. Ich habe gerade viel Geld für meinen Umzug ausgegeben.

Aber der Aufwand ist für Sie ja ohnehin gering. Ich gehe davon aus, dass ich die Akte Anfang nächster Woche bei Ihnen abholen kann.

Buch mit Wirkung

Alain de Botton, Status Anxiety:

Our ‚ego‘ or self-conception could be pictured as a leaking balloon, forever requiring the helium of external love to remain inflated and vulnerable to the smallest pinpricks of neglect. There is something sobering and absurd in the extent to which we are cheered by attention and damaged by disregard.

Eine Mischung aus Geschichtsstunde und gehobener Lebensberatung. Man muss ja nicht gleich zum Bohemien werden, wie es der Autor rät. Schon das Lesen macht indolent. Für so einen Effekt muss man sonst in die Apotheke.

Schülergewalt: Opfer erhält Schmerzensgeld

Auch (alltägliche) Gewalt in der Schule kann teuer werden. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat zwei Jungen und zwei Mädchen zu 4.000 € Schmerzensgeld verurteilt. Die 11- bis 13-Jährigen hatten ihre 11-jähriges Opfer zwei Monate lang in der großen Pause an den Rand des Schulhofs gedrängt, um nicht von der Aufsicht gesehen zu werden. Dort hielten sie den Jungen fest, traten und schlugen ihn. Sie vermieden Schläge ins Gesicht, um keine Spuren zu hinterlassen.

Das Gericht betont, dass nicht nur die aktiven Schläger für die Verletzungen haften. Verantwortlich seien auch die Schüler, die die Haupttäter psychisch unterstützt haben, indem sie mit ihnen während der Misshandlungen in einer Runde standen.

Pressemitteilung des Gerichts

(Link gefunden in der Handakte)

Boykottaufrufe

Das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts gilt als eine der bedeutendsten Entscheidungen in der Nachkriegsgeschichte. Es ging um einen Boykottaufruf.

Das wichtigste Ergebnis der Entscheidung ist eigentlich, dass es keines gibt: Die Wechselwirkung der widerstreitenden Interessen muss im Einzelfall geprüft werden. Immer. Und sorgfältig. Erst eine umfassende Abwägung kann ergeben, ob ein Boykottaufruf noch von der Meinungsfreiheit getragen ist.

Die Erfahrung lehrt, dass Zivilgerichte im Alltag mehr mit knallhartem Wettbewerbsrecht, dem Begriff der guten Sitten und kaufmännischen Grundsätzen zu tun haben. Weniger mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.

So kann es also passieren, dass man sang- und klanglos verurteilt wird, obwohl der eigene Anwalt 25 Seiten lang die Lüth-Entscheidung referiert und auf die Meinungsfreiheit pocht. Erst nach langen Jahren, nach etlichen Instanzen, erhält man dann vom Bundesverfassungsgericht bescheinigt, dass der sauber und witzig formulierte Boykottaufruf sich (gerade) noch in den Grenzen des Zulässigen hielt.

Aber natürlich nur, wenn die Karlsruher Richter nicht, wie so oft, ohne nähere Begründung sagen: Der Fall interessiert uns nicht, den nehmen wir nicht zur Entscheidung an.

Ich würde bis dahin auch gern zwanzig-, vielleicht auch dreißigtausend Euro Gerichts- und Anwaltskosten riskieren.

Dummerweise fällt mir derzeit keine Firma ein, zu deren Boykott ich aufrufen könnte.

Nachtrag: Gut, nicht jeder liest andere Blogs. Der Hintergrund zum Beitrag steht bei rainersacht.

Und die Quintessenz des Beitrags im Klartext:

“Ich kaufe nicht mehr bei Media Markt.” Oder “Meine Freundin Katja und ich gehen jedenfalls nicht mehr in den Media Markt.” Kein Problem.

“Kauft nicht mehr bei Media Markt.” Einladung für “Natürlich bin ich ein Arschloch” Steinhöfel.

Quelle des Steinhöfel-Zitats

Das neue Proletariat

Wie langweilig, schon wieder ein follow-up. Diesmal zum gestrigen Zitat aus Capital. Ich möchte auf „Das neue Proletariat“ hinweisen. Gabor Steingart nimmt diesen – von ihm ausgemachten – Bevölkerungsteil in Spiegel online drastisch ran. Bemerkenswert finde ich vor allem den letzten Absatz:

Fragen von sehr grundsätzlicher Bedeutung drängen sich in den Vordergrund: Kann eine Demokratie es tatsächlich hinnehmen, dass ein Teil des Souveräns dauerhaft von der Wohlstandsmehrung ausgeschlossen bleibt? Und wenn sie es hinnimmt: Wird sich diese Entscheidung nicht noch zu unser aller Lebzeiten rächen? Ob dann wieder Nationen gegeneinander antreten, weil die aufgestaute Wut sich ein Ventil sucht, oder die Unterschichten in ihren jeweiligen Ländern die Verhältnisse zum Tanzen bringen?

Beides ist denkbar. Schwer vorstellbar ist lediglich, dass nichts geschieht.

Und trotzdem passiert genau das – nichts. Warum das meiner Meinung nach nicht gut geht, habe ich in Kommentar 33 zum gestrigen Beitrag begründet. Die persönliche Anmerkung am Schluss des Kommentars ist sicher nicht sehr solidarisch, aber ernst gemeint.

(Danke an Erik Schmidt für den Link)

Law blog lesen schmerzt

Zum gestrigen Beitrag über die Homepage eines Berliner Rechtsreferendars gibt es kritische Stimmen:

Udo Vetter kommentiert … im lawblog mit einem einfallslosen und geschmacklosen Reim… Ich verstehe die Aufregung … überhaupt nicht. Im Gegenteil empfinde ich es höchst ungerecht, wenn der Lawblogger mit wahrscheinlich den meisten “aktiven” Lesern sich dazu hinreißen lässt, öffentlich zu äußern, dass ihm … schlecht geworden sei.

Da macht sich jemand die Mühe, eine umfangreiche Homepage über sich zu erstellen, gibt tiefe Einblicke in sein Leben, schreibt und berichtet ehrlich über seinen beruflichen und privaten Werdegang. Er offenbart, dass er christlich ist. Und dann kommen Menschen daher, die sich über … erheben, ihn mit verbalen Fußfesseln abstrafen und schlecht über ihn urteilen.

Der Trend, andere schlecht zu reden, scheint auf Zuspruch zu treffen, denke ich beim regelmäßigen Lesen der professionellen lawblog Kommentatoren, die sich offensichtlich für ihre übermütige und manchmal herabwürdigende Lebenseinstellung gegenüber anderen nicht schämen, sondern sogar stolz darauf sind.

Das ist nur noch peinlich – beim Lesen tut es weh!

Meine Meinung dazu im dortigen Kommentar.

Nachtrag: Die Empörungswelle gewinnt an Fahrt. Die ersten Betroffenheits-Surfer springen auf.

Ökonomische Unfreiheit

Editorial des neu ausgerichteten Capital:

Ausgeprägte Angst vor der Freiheit: Merkels Entscheidungsschwäche verschärft die Spätfolgen der paternalistischen Wirtschaftspolitik ihres Ziehvaters Helmut Kohl, die eine große Zahl von Bundesbürgern in die ökonomische Unfreiheit führte und führt. Im Osten hängen 47 Prozent der Wahlberechtigten an staatlichen Transfers, im Westen sind es 38 Prozent. Schon heute lässt sich Deutschland gegen die Interessen des Heeres von Hartz-IV-Empfängern, Rentnern, Beamten und sonstigen staatlich alimentierten Bediensteten kaum mehr regieren.

Sehr schönes Heft, stramm neoliberale Rhetorik. Also was für Leute wie mich, die sich ihre Meinung gerne bestätigen lassen.

23C3 – vielleicht bin ich dabei

Wer noch was auf dem 23C3 (Berlin, 27. bis 30. Dezember 2006) vortragen möchte, muss sich beeilen. Die Frist für Vorschläge läuft heute ab.

Ich habe mein Vortragsexposé („Sie haben das Recht zu schweigen“) gerade abgespeichert und bin ab sofort gespannt, ob es angenommen wird. War übrigens das erste Mal, dass ich bei einem „call for papers“ mitmache.

SchrVW00011.jpg

„Okay, ich maile die Unterlagen.“ Keine Ahnung, wie ich darauf kam, aber ich hatte noch eine Bitte an den neuen Mandanten: „Wenn möglich, bitte alles in einer Datei.“

Nach dem Gespräch fiel mir ein, dass ich gerade in den letzten Tagen etliche Mails bekommen habe, denen die Korrespondenz zwar als Anlage beigefügt war – aber in einzelnen Dateien. Also, mal ehrlich: Mein Spieltrieb ist nicht ausgepräft genugt, um beim Öffnen einer Datei pro Briefseite Freude zu empfinden. Vor allem wenn die vorderen Dateien kryptische Namen haben wie „SchrVW00011.jpg“ und sich als nichtssagende Lagerlisten entpuppen.

Das alles wird dann zum großen Puzzle wider Willen. Wenn der Mandant die Spielerei nach Zeit vergütet, soll es mir recht sein. Aber das klärt sich ja oft erst später…

Letztlich ist auch das Drucken der 14 oder 48 geöffneten Fenster, damit was zwischen unsere altmodischen Aktendeckel kommt, nicht besonders gut für die Nerven. Jedenfalls ist es weitaus strapaziöser, als wenn der Absender die einzelnen Dateien gleich in ein Textdokument oder ein PDF übernimmt.