Ich habe heute und morgen Termine in Bayern. Nächster Eintrag am Mittwochabend, wenn der Verkehr zurück einigermaßen rollt. Bis dahin einen schönen Herbst.
„SEHR SCHNELL“
„SEHR SCHNELL“
Christoph Keese schreibt in Spiegel online über den Fall des Deutsch-Bank-Chefs Ackermann:
Staatsanwälte und Richter sollten daraus nicht folgern, dass Vorständen kein Prozess gemacht werden kann. Aber sie schulden ihnen extreme Sorgfalt vor Anklageerhebung und dann ein sehr schnelles Verfahren. Zumindest Letzteres ist im Fall Ackermann unbefriedigend. Wann der Prozess beginnt, ist so unklar wie seine Dauer. Die Spekulationen schwanken zwischen einigen Monaten und einigen Jahren. Genau an diesem Punkt ist das Nicht-Ansehen der Person gefährlich. Das Gericht würde nichts von seiner Unabhängigkeit verlieren, wenn es zügig beginnt und schnell zum Urteil kommt. Nur so kann es unnötigen Schaden von Ackermann abwenden.
Seit wann denken unsere Strafgerichte denn daran, durch zügige Prozesse und schnelle Urteile Schaden von Angeklagten abzuwenden?
Wie viele tausend andere gehen Tag für Tag durch das Fegefeuer eines schwebenden Verfahrens?
Es wäre ja wunderbar, wenn der Prozess Ackermann die einzige Sache wäre, die nicht ratzfatz erledigt wird. An Amtsgerichten dauert es mitunter 3 Monate, bis ein einziger Brief eines Richters überhaupt die Poststelle verlässt. Auf Verhandlungen warten Angeklagte mitunter 1 Jahr und länger. An vielen Landgerichten sieht es nicht wesentlich besser aus.
Was ist im Übrigen mit der Unzahl Menschen, die in Untersuchungshaft sitzen? Bei vielen wird die höchstzulässige Haftdauer von einem halben Jahr fast schon routinemäßig verlängert – mitunter bloß wegen „Überlastung des Gerichtes“. Im Sommer hat mir ein Jugendrichter einen Haftverlängerungsbeschluss für einen 17-jährigen geschickt, in dem er die Verzögerung mit der „beginnenden Ferienzeit“ begründet. Sein einziger Trost: „Ich mache den Termin dann gleich in der ersten Woche nach meinem Jahresurlaub.“
So lange Leute in Untersuchungshaft schmoren und beim Warten auf den Prozess ihren Beruf und ihre Familie den Bach runtergehen sehen, schuldet der Staat Herrn Ackermann beim besten Willen kein „sehr schnelles Verfahren“. Insoweit ist es nur gerecht, wenn er sich genauso hinten anstellen muss, wie alle anderen Beschuldigten auch.
WIDERRUF / TÄUSCHUNG
WIDERRUF / TÄUSCHUNG
2 wichtige Urteile für ebay-Junkies:
1. Die Widerrufsrechte nach dem Fernabsatzgesetz stehen Verbrauchern auch zu, wenn sie Waren im Internet ersteigern. Das hat das Amtsgericht Kehl entschieden (abgedruckt in der JurPC).
Ein findiger Verkäufer wollte das Widerrufsrecht ausschließen, weil es sich um einen Vertrag gemäß § 156 BGB (Versteigerung) handelt. Das Amtsgericht Kehl meint jedoch zu Recht, dass diese Sondervorschrift nur für klassische Versteigerungen gilt, bei denen ein richtiger Auktionator tätig ist. Demnach bleibt es beim vollen Widerrufsrecht.
2. Ein Käufer kann den Kaufvertrag auch dann rückgängig machen, wenn ihm ein Vorbesitzer verschwiegen wird. Ein Anbieter hatte bei ebay ein defektes Handy verkauft. Den Defekt hatte er ausführlich beschrieben, nicht aber, dass er das Handy von einem Freund geschenkt bekommen hatte. Das Gericht glaubte dem Käufer, dass er ein Handy aus erster Hand erwerben wollte und machte den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung rückgängig (ebenfalls AG Kehl in Jur PC).
Das kann man sicher auch anders sehen. Wenn die Fehler am Handy korrekt beschrieben waren, warum ist es dann wichtig, wieviele Vorbesitzer es hatte? Aber das Argument als solches kann immer aus der Tasche gezogen werden. Vor Gericht kommt der Erfolg eben oft durch die Hintertür…
NICHTS WERT
4 Jahre und 9 Monate Gefängnis. Das hatte der Vorsitzende einer Strafkammer dem Verteidiger telefonisch zugesagt – falls dessen Mandant gesteht. Vor der Verhandlung fragte der Anwalt noch, ob „alles beim Alten“ bleibt. Der Angeklagte gab die Sache zu – und kassierte 8 Jahre Gefängnis.
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil bestätigt, so beck-aktuell. Ein Angeklagter könne sich nur auf Zusagen des Gerichts berufen, wenn diese öffentlich erörtert und vor allem im Protokoll festgehalten seien.
An sich bringt die Entscheidung nichts wesentlich Neues. Absprachen im Strafprozess bleiben nach wie vor erlaubt. Sie müssen aber unter Mitwirkung aller Prozessbeteiligten zu Stande kommen und hinreichend „transparent“ sein. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber eine unbedingte Protokollierungspflicht? Nicht nur an Amtsgerichten wird die Gefahr bestehen, dass Richter die Klappe zumachen, nach dem Motto: Meinen sie etwa, dass mein Wort nichts wert ist?
Soll er sich beim Bundesgerichtshof bedanken.
GESCHICHTEN AUS DER MÄNNERWELT
GESCHICHTEN AUS DER MÄNNERWELT
Meine Kollegin hatte einen Termin am Amtsgericht. Sie war so freundlich, eine dicke Strafakte für mich mitzunehmen. Auf der Wachtmeisterei des Amtsgerichts, wo die Pakete eingeliefert werden, führte sie dann folgenden Dialog mit einem der 5 oder 6 Herren, die sich um den riesigen Posttisch verteilen:
Wachtmeister: Das können sie hier nicht abgeben, da müssen sie zur Poststelle des Landgerichts.
Kollegin: Mist, in 2 Minuten beginnt meine Verhandlung.
Wachtmeister: Und die Akte ist doch auch zu schwer für sie. Lassen sie das Ding mal hier. Ich habe immer ein offenes Herz für nette Frauen.
Kollegin: Besser als eine offene Hose.
Grölendes, minutenlanges Lachen. Behauptet zumindest meine Kollegin.
ABSURDISTAN
Der koreanische US-Einwanderer Sang Yeul Lee konnte kein Englisch. Die Warnschilder „Vorsicht, Strom!“ sagten ihm nichts.
Er pinkelte in Chicago auf die Gleise – Stromtod. Seine Witwe klagte gegen die Eisenbahngesellschaft: 1,5 Mio Dollar Schmerzensgeld.
Falls jemand noch heute noch keinen Grund zum Lachen hatte: 19 weitere verrückte Urteile stehen im Express.
IMMUN
Ein Mandant kriegt eine Vorladung von der Polizei. Der Termin ist schon in 2 Tagen. Ich melde mich per Fax und füge die Vollmacht bei. In dem Schreiben teile ich mit, dass mein Mandant sich derzeit nicht zur Sache äußern will. Dementsprechend wird er den Termin nicht wahrnehmen. Das ist grundsätzlich kein Problem, denn niemand ist verpflichtet, auf eine Vorladung der Polizei zu reagieren.
Der Polizist ruft trotzdem am Tag der geplanten Vernehmung bei meinem Mandanten an und moppert diesen an, warum er „unentschuldigt“ fehlt. Auf den Hinweis, dass ich mich schon lange als Anwalt gemeldet habe, antwortet der Beamte:
Ich habe hier nur ein Fax. Das interessiert mich nicht, Faxe sind unwirksam.
Klingt schlau, ist aber komplett daneben. Selbst Richtern und Staatsanwälten ist mitunter nicht bekannt, dass die Strafprozessordnung nirgends eine besondere Form für die Vollmacht vorschreibt. Vielmehr spricht sogar eine Vermutung dafür, dass der Anwalt, der sich als Verteidiger meldet, auch tatsächlich einen Auftrag hat. Nur wenn hieran Zweifel bestehen, darf die Vorlage einer Vollmacht verlangt werden (Meyer-Goßner, StPO, vor § 137 Randnummer 9). Da Anwälte meistens ihre Dienste nicht aufdrängen, dürfte dieser Fall extrem selten sein.
Wenn für die Vollmacht oder die Mitteilung, dass ich einen Beschuldigten vertrete, keine bestimmte Form vorgeschrieben ist, kann ein Fax nicht einfach ignoriert werden. Schon gar nicht mehr, seitdem im Bürgerlichen Gesetzbuch Faxübermittlung ausdrücklich für die meisten Rechtsgeschäfte anerkannt ist.
Da gewissen Leute gegen sachliche Argumente ohnehin immun sind, habe ich aber keine Diskussion angefangen. Sondern die Vollmacht mit der Post geschickt.
???????
1000 Besucher auf dem law blog – an einem Sonntag. Habe ich was verpasst?
76 FÄLLE
76 FÄLLE
Die Ärztin Mechthild B. aus Langenhagen, gegen die wegen fahrlässiger Tötung in 76 Fällen ermittelt wird, hat ihre Patienten meist nicht ausreichend aufgeklärt. Schwer kranke Opfer erfuhren offenbar weder, dass sie an einer unheilbaren Krankheit leiden, noch wussten sie von der tödlichen Wirkung der Schmerztherapie.
Mehr über die Halbgöttin in Weiß bei Spiegel online.
TRAUM
Anwalt in einer internationalen Großkanzlei – davon träumt der juristische Nachwuchs. Ich habe noch Kontakt zu einigen Studienkollegen, die sich damals für internationale Kanzleien entschieden haben. Dass viel Arbeit auf sie zukommt, haben sie ja geahnt. Was ihnen aber nicht klar gewesen zu sein scheint, ist die meistens anzutreffende Atmosphäre: Frostig und unkollegial geht es zu, weil jeder auf die knappen Partnerschaften schielt.
Mit Ende 30 haben es bislang nur 2 an die Futtertröge geschafft. Aber auch das scheint zu spät, denn die Rendite hat sich drastisch verschlechtert, weil ständig neue Büros eröffnet wurden. Gleichzeitig gibt es immer weniger Aufträge, noch dazu schlechter bezahlt, denn viele Kunden wandern einfach ab, wenn die ebenso renommierte Konkurrenz mit satten Rabatten auf die Stundensätze lockt.
Was aber grausam und zermürbend sein muss, sind die internen Willensbildungsprozesse. Wie bizarr es dabei zugehen muss, mag ein aktuelle Beispiel zeigen. Die Kanzlei PwC Veltins verliert ihren Namenspatron. Auf welchen Namen einigen sich die verbleibenden Partner? Die Kanzlei wird laut Juve Nachrichtendienst (via jurabilis) künftig schlicht unter Heussen firmieren. Und das, obwohl beim neuen Namensgeber schon feststeht, dass er Mitte 2004 nicht mehr aktiv in der Firma arbeiten wird.
Aus der gleichen Meldung:
Aus dem Umfeld der Kanzlei wurde bekannt, dass im Zusammenhang mit der Neustrukturierung mehreren Partnern in München, Frankfurt und Stuttgart gekündigt wurde. Im Zuge des Umbruchs der letzten Monate, waren auch Informationen über aufgelaufene Verbindlichkeiten in Millionenhöhe aufgekommen.
DUFTKERZEN
Nicht jeder Mieter oder Miteigentümer darf nach Belieben Duftkerzen im Treppenhaus abbrennen. Oder Parfümöl versprühen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf untersagte einem Wohnungseigentümer, seine Nachbarn einzuduften. Begründung des Gerichts: Vom gemeinschaftlichen Eigentum darf man nur so weit Gebrauch machen, wie es die anderen nicht stört.
Was mir zu denken gibt: Die beiden Vorinstanzen hatten nichts gegen die Geruchsattacke einzuwenden.
(Anwalt-Suchservice, gefunden über Vertretbar.de)
ERMAHNUNG
Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf Entfernung einer bloßen Ermahnung oder schriftlichen Rüge aus der Personalakte. Das hat das Arbeitsgericht Frankfurt entschieden. In dem der Personalakte beigelegten Ermahnungsschreiben hatten die Vorgesetzten Arbeitsmängel bei der Buchführung festgehalten.
Genauere Angaben dazu oder eine Kündigungsandrohung für den Wiederholungsfall enthielt das Schreiben jedoch nicht. Damit rührt es laut Urteil nicht am Status des Arbeitsverhältnisses, wie zum Beispiel eine Abmahnung mit Kündigungsandrohung. Deshalb habe ein Arbeitnehmer auch nur in Ausnahmefällen ein Recht auf Entfernung, etwa bei ehrverletzenden Behauptungen.
(Quelle: Anwalt-Suchservice)
REISEN BILDET
Bei Sprachkursen und sonstiger Fortbildung im Ausland vermuteten die Finanzämter bisher immer ein Privatvergnügen. Deshalb konnten die Kosten nicht steuerlich abgesetzt werden. Der Bundesfinanzhof hat jetzt entschieden, dass es mit der Dienstleistungsfreiheit im vereinten Europa nicht mehr zu vereinbaren ist, Fortbildung im Ausland zu diskriminieren. Näheres bei beck-aktuell.
Klingt unspektakulär, kann aber weit reichende Folgen haben. Wer ist jetzt noch daran gehindert, zur Spanien- oder Italienreise, gemeinhin auch Jahresurlaub genannt, gleich noch ein Weiterbildungsprogramm vor Ort zu buchen und das ganze von der Steuer abzusetzen? Oder der Wochenendtrip nach London. Lässt sich doch prima mit einigen Stunden Fachkunde aufmotzen.
Ich denke an Strafprozessrecht auf Mallorca. Oder Kündigungsschutz in den Alpen. Mit 50%-iger Beteiligung des Finanzamtes bekommt sogar ein Urlaubsmuffel wie ich Lust, die einschlägigen Kataloge zu wälzen.
PINGUINE
Heute morgen am Landgericht. Eine Prozesspartei hatte ihren Sohn mitgebracht. Während vorne 10 Pinguine vor dem Richtertisch in der Schlange warteten, verstellte der muntere 8-jährige mal locker, still und heimlich die Zahlenkombinationen von 2 Anwaltskoffern. Als die Kollegen später ihre Akten verstauen wollten, gab es lange Gesichter. Der Kleine saß längst wieder bei Mama und Papa. Mit seiner perfekten Unschuldsmiene könnte er sich das Jurastudium glatt sparen…
Nachtrag: Handakte WebLAWg greift das Stichwort Pinguine auf und zeigt ein Musterbeispiel anwaltlicher Taktik:

KURZMITTEILUNG, BEHÖRDENSTYLE
KURZMITTEILUNG, BEHÖRDENSTYLE
Anliegender Beschluss wird Ihnen mit der Bitte um Kenntnisnahme zum dortigen Verbleib übersandt.
B., Rechtspflegerin.