IM ZWEIFEL FÜR DIE ANGEKLAGTEN

IM ZWEIFEL FÜR DIE ANGEKLAGTEN

Was haben Nutzer von ftpwelt.com zu befürchten?

1. Die Strafnorm

§ 106 Urheberrechtsgesetz (UrhG)bestimmt:

Unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke

(1) Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des
Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung eines Werkes
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergibt, wird mit Freiheitsstrafe bis
zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Den Kunden von ftpwelt.com kann eine unerlaubte „Vervielfältigung“ zur Last gelegt werden.

2. Der Begriff der Vervielfältigung

Aus § 15 UrhG ergibt sich, dass Vervielfältigung ein „Herstellungsprozess“ ist. In Fällen wie diesem wird nach meiner Meinung viel zu wenig darüber nachgedacht, ob der Downloader eigentlich im Sinne des Gesetzes „vervielfältigt“.

Was macht der Downloader denn eigentlich?

Er bezahlt die Kosten, wählt das Produkt aus und bittet durch seine Auswahl den Anbieter, einen Vervielfältigungsprozess in Gang zu setzen. Letztlich steuert der Anbieter die Vervielfältigung allein. Er entscheidet, ob er die Daten freigibt und auf die Reise schickt. Der Kunde nimmt die Vervielfältigung seinerseits eigentlich nur entgegen. Genau besehen ist das Werk nämlich schon vervielfältigt in dem Augenblick, in dem beim Anbieter Kopien der Daten bereitgestellt werden.

Ich weiß, dass die Mehrheit der Urheberrechtsexperten diese Auffassung nicht teilt. Aber wenn man das Gesetz auslegt und das eigenständige Denken nicht durchs Zitieren von Professoren und Gerichtsurteilen ersetzt, darf und muss dieses Problem diskutiert werden.

3. Die offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlage

Die Vervielfältigung für private Zwecke ist nach § 53 UrhG aber nur strafbar, wenn die Vorlage „offensichtlich rechtswidrig hergestellt“ ist.

Für unentgeltliche Tauschbörsen hat sich mittlerweile die Meinung herauskristallisiert, dass es dort für jeden Nutzer offensichtlich sei, Kopien nur von rechtswidrigen Vorlagen zu erhalten.

Das ist schon eine sehr industriefreundliche Auslegung.

Bei ftpwelt.com liegt die Sache aber nun mal anders. Es handelte sich um ein Angebot, das sich den Anschein der Legalität gab. Es stellt sich also im Kern die Frage, wieviel man als Nutzer hätte nachdenken müssen.

Spätestens hier ergibt sich aus der Formulierung „offensichtlich“ im Gesetz, dass vom Kunden nicht verlangt wird, sich vor jedem Download zum Urheberrechtsexperten weiter zu bilden oder einen Anwalt zu befragen. Derart hohe Anforderungen wären gesetzeswidrig.

Die zitierte Äußerung des Staatsanwaltes, niemand werde sich „herausreden“ können, offenbart, dass er die Schrankensystematik des § 53 UrhG nicht verstanden hat. Grundsätzlich ist die Vervielfältigung nämlich erlaubt, es sei denn der Herr Staatsanwalt weist nach, dass die Vorlage offensichtlich rechtswidrig war. Nicht der Nutzer muss sich rechtfertigen, sondern die Strafverfolger müssen nachweisen, dass die Vorlage für den Kunden offensichtlich rechtswidrig war. Ob ihnen das in dieser Konstellation wirklich gelingt, bezweifle ich.

Unabhängig davon werden diejenigen, die mit Kreditkarte bezahlt und damit ihre Identität offenbart haben, hierdurch ein starkes Indiz dafür anführen können, dass sie gerade nicht von einer offensichtlich rechtswidrigen Vorlage ausgingen.

Im Ergebnis wird es also darauf ankommen, ob man davon ausgeht, dass die Nutzer bei ftpwelt.com von offensichtlich rechtswidrig hergestellten Vorlagen ausgehen mussten. Das ist eine Wertungsfrage.

Nach den bislang bekannten Umständen meine ich, dass ein besonnenes Gericht zumindest nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ entscheiden müsste.

4. Die Untätigkeit der Behörden

Ein Nebenaspekt ist die Frage, wie lange die Ermittlungsbehörden ftpwelt.com observiert haben. Die Staatsanwaltschaft ist nicht nur verpflichtet, Straftaten aufzuklären. Sie ist auch verpflichtet, diese zu unterbinden. Sollte sie sich übermäßig Zeit gelassen haben, ftpwelt.com zu schließen bzw. zumindest vor der Seite zu warnen, kann diese Verzögerung bei Kunden, die ab diesem Zeitpunkt dazu gekommen sind, zu einer milderen Bewertung führen.

5. Die Rechtsfolgen

Ich kann im Ergebnis nicht erkennen, dass sich die Kunden von ftpwelt.com strafbar gemacht haben sollen.

Jedenfalls wäre aber die Schuld sehr gering, so dass bei bisher nicht vorbelasteten Betroffenen die Verfahren – vielleicht mit einer kleinen Geldauflage – eingestellt werden können.

6. Mögliche Durchsuchungen

Da die Staatsanwaltschaft einen Tatverdacht bejaht, kann sie auch Durchsuchungsbeschlüsse beantragen. Ich hoffe, dass ein Großteil dieser Anträge von sorgfältig arbeitenden Ermittlungsrichtern abgelehnt wird. Denn selbst wenn man einen dringenden Tatverdacht bejaht, ist auch immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Trotz aller Aufregung, die ja kräftig von der GVU geschürt wird, darf man nicht vergessen, dass es sich auf den Einzelnen bezogen um ein Bagatelldelikt handelt. Das alles rechtfertigt unter keinen Umständen den brutalen Eingriff in die Grundrechte, der mit jeder Durchsuchung verbunden ist.