VERSEHENER VERTEIDIGER

Wer gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt hat, muss in der Hauptverhandlung nicht erscheinen. Der Angeklagte kann sich durch einen Verteidiger vertreten lassen (§ 411 Abs. 2 Strafprozessordnung).

Von dieser Möglichkeit hat ein Mandant Gebrauch gemacht. Was den Richter verärgerte. Denn Zeugen fällt es erfahrungsgemäß schwer, den Angeklagten zu identifizieren, wenn nur ein Anwalt in schwarzer Robe auf der Anklagebank sitzt. (Die Frage, warum es weder Polizei, Staatsanwaltschaft noch Gericht schon vorher für nötig gehalten haben zu überprüfen, ob der Angeklagte auch wirklich derjenige ist, den die Zeugen gesehen haben, stellen wir lieber gar nicht.)

Der Richter jedenfalls drohte gleich mit einem Vorführbefehl (§ 230 Strafprozessordnung). Denn, so war seine feste Meinung, schließlich habe er das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet.

Hierzu ist der Richter tatsächlich berechtigt (§ 236 Strafprozessordnung). Dummerweise ist es aber einhellige Meinung, dass sich ein Angeklagter im Strafbefehlsverfahren auch dann vom Verteidiger vertreten lassen darf, selbst wenn sein persönliches Erscheinen angeordnet worden ist (Meyer-Goßner, StPO, § 411 Randnummer 4). Die Vertretungsmöglichkeit geht dem persönlichen Erscheinen also vor.

Abgesehen davon hatte mir mein Mandant am Telefon versichert, dass in seiner Ladung gar nichts von persönlichem Erscheinen steht. Ich frage immer nach, weil Amtsrichter nicht unbedingt viel auf die einhellige Meinung geben, wenn sie ihnen nicht in den Kram passt. Ich blieb im Gericht also bockig und erklärte, dass das persönliche Erscheinen gar nicht angeordnet worden ist.

Der Richter schüttelte mitleidig den Kopf. Die Urkundsbeamtin, die wahrscheinlich auch die Ladungen rausschickt, guckte mich giftig an. Mit einem Wink wurde ich nach vorne gebeten, um einen Blick in die aufgeschlagene Akte zu werfen. „Ladung z.T. an den Angeklagten“, stand da in schöner blauer Richtertinte auf einem gehälftelten Umweltpapier, „p.E.“:

Das machen wir immer so, eine andere Ladung haben wir im Strafbefehlsverfahren gar nicht.

Dummerweise behalten Gerichte nie Abschriften ihrer eigenen Briefe in der Akte. Und mein Mandant, auf dessen Lese- und Verständniskraft ich gemeinhin vertraue, hatte mir auch keine Kopie seiner Ladung geschickt.

Der Termin platzte sowieso. Aber es war nach wie vor unklar, was in der Ladung steht. Das heißt, für den Richter und seine Mitarbeiterin war es schon klar. Nur der Anwalt erzählte mal wieder einem von Pferd. Freundlicherweise wurde mir aber aufgetragen, innerhalb einer Woche die Ladung vorzulegen, welche das Gericht selbst rausgeschickt hatte, von der sich aber keine Kopie in der Akte befand:

Ansonsten ergeht ein Vorführbefehl.

Die Diskussion über die Frage, welcher Paragraf denn Vorrang hat, schien mir mehr als müßig. So wie der Richter auf sein „Machen wir immer so“ vertraute, glaubte ich daran, dass mein Mandant lesen kann.

Inzwischen hat mir der Auftraggeber die Ladung gefaxt. Auszug:

Sie können sich in der Hauptverhandlung durch eine/einen mit schriftlicher Vollmacht versehene Verteidigerin / versehenen Verteidiger vertreten lassen.

Das kann noch spannend werden.