Vorstrafe per unterlassenem Federstrich

Der Richter hat mich wie Luft behandelt. Obwohl ich

a) eine schriftliche Verteidigervollmacht vorgelegt,

b) Akteneinsicht erhalten habe und

c) im Strafbefehl als Verteidiger genannt bin,

hat der Richter in der Verfügung über die Zustellung des Strafbefehls nur die Zustellung an den Beschuldigten angeordnet.

An sich hätte zumindest unter Ziff. 2 angekreuzt werden müssen, dass ich auch eine Kopie erhalte. Das ist in § 145a Abs. 3 Strafprozessordnung so vorgeschrieben. Mit der Nichtinformation des Verteidigers verletzt ein Richter seine prozessuale Fürsorgepflicht (Meyer-Goßner, StPO, § 145a Rdnr. 13).

Mein Mandant sagt, er habe den Strafbefehl nicht bekommen. Ich glaube ihm. Die Zustellungsurkunde ist von einem privaten Zustelldienst ausgefüllt. Die Firma hat nicht gerade den besten Ruf in solchen Dingen.

Hätte der Richter ordentlich gearbeitet und mir die Kopie des Strafbefehls zusenden lassen, wäre die Einspruchsfrist nicht abgelaufen. Und wir könnten uns alle ein Verfahren auf Wiedereinsetzung sparen, dessen Ausgang mehr als offen ist. Denn die Benachrichtigungspflicht ist nur eine Ordnungsnorm. Will heißen: Wenn sich das Gericht nicht daran hält, hat der Beschuldigte in der Regel Pech gehabt.

Sofern mein Mandant nicht lügt, ist er jetzt zunächst mal rechtskräftig verurteilt und vorbestraft, ohne dass er oder ich überhaupt von der gerichtlichen Entscheidung wussten. Natürlich will ich dem Richter keinen bösen Willen unterstellen. Aber in dem Strafbefehl, den er wenige Sekunden vor der Verfügung unterzeichnet hat, bin ich als Verteidiger unüberlesbar genannt. Auf der Vorderseite des Aktendeckels übrigens auch.

Wenn der Richter den Strafbefehl so sorgfältig geprüft hat, wie er seine Verfügungen ausfüllt, darf man allerdings fragen, ob das noch qualitativ gute Arbeit ist.

Seltsam auch, dass die Geschäftsstelle kritiklos offensichtliche Fehler in die Tat umsetzt. Der Mitarbeiter dort sieht doch auch auf dem Aktendeckel, dass der Beschuldigte einen Verteidiger hat. Außerdem steht es, ich wiederhole mich, auch im Strafbefehl, der gedruckt, ausgefertigt und eingetütet werden soll. Überdies stehe ich natürlich auch im Stammdatenblatt für den betreffenden Fall.

Wenn ich mal unterstelle, dass die betreffende Abteilung alles grundsätzlich korrekt handhabt, hätte der Fehler schon wegen der Abweichung vom Normalfall auffallen müssen. Immerhin ist ein Strafbefehl ja nun kein so wahnsinnig ungewöhnlicher Vorgang am Amtsgericht.