Auf den zweiten Blick

Das Gericht hat mir eine CD mit Beweisvideos zugesandt. Die Filme wurden mit einem Handy gemacht, das die Polizei beschlagnahmt hat. Ich kriegte natürlich die Krise, als mein Abspielprogramm „Unbekanntes Dateiformat“ meldete.

Auf den zweiten Blick sah ich, dass jemand auf die CD auch noch den passenden Nokia Media Player gepackt hat. Das ist wirklich zuvorkommend.

Redefluss

19.15 Uhr: Vor mir liegen acht proppenvolle Aktenordner. Protokolle einer Telefonüberwachung.

Kann ein einzelner Mensch in zwei Monaten überhaupt so viel telefonieren?

19.32 Uhr: Er kann. Aber die Staatsanwältin hat vorgearbeitet. An den interessanten Stellen kleben blaue Fähnchen. Es sind nur 20, 30 Stück.

Danke! Danke! Danke!

Üblich und angemessen

Die HUK Coburg muss die Kosten eines Verkehrsunfalls übernehmen. Zu den Sachverständigenkosten schreibt die Versicherung:

Die Rechnung für das Gutachten haben wir mit 225,55 € ausgeglichen. Wir erachten ein Sachverständigengutachten in dieser Höhe für üblich und angemessen. … Nach unseren Erkenntnissen akzeptiert der Sachverständige diese Abrechnung.

Gekürzt haben sie 6,50 €. Warum genau dieser stolze Betrag, erfahre ich zwar nicht. Aber wenn’s der Sachverständige mit sich machen lässt, soll es nicht meine Sorge sein.

Tunnelgraben war gestern

In den USA haben sich Häftlinge ihre Namen schützen lassen. Anschließend erpressten sie die Gefängnisleitung mit Millionenforderungen. Naheliegende Begründung: Die Justizmitarbeiter hätten das Copyright verletzt, weil sie die Namen der Gefangenen ohne Genehmigung verwendet hätten.

Die Washington Post berichtet:

The indictment alleges that inmates Russell Dean Landers, Clayton Heath Albers, Carl Ervin Batts and Barry Dean Bischof sent demand notices for payment to the warden of the El Reno federal prison and filed liens against his property. They then hired someone to seize his vehicles, freeze his bank accounts and change the locks on his house.

Then, believing the warden’s property had been seized, the inmates said they wouldn’t return his property unless they were released from prison, according to the indictment.

Mit der „Vollstreckung“ ihrer Forderungen beauftragten die Häftlinge allerdings einen FBI-Agenten, der undercover ermittelte. Jetzt drohen ihnen weitere Haftstrafen wegen Erpressung.

Deutsche Zusammenfassung

(Danke an Mario Sixtus für den Link)

Zweckdienlich

Aus einem Durchsuchungsbericht:

Die Wohnung ist zweckdienlich eingerichtet.

Nach dem Betrachten der Fotos sage ich: Respekt für diese diplomatische Ausdrucksweise.

Rafael Markus Jones

Okay, da gibt es einen Rafael Markus Jones*. Der hat als Toilettenmann gearbeitet. Mit den 50-Cent-Münzen der WC-Besucher soll er vorwiegend den eigenen Geldbeutel gefüllt haben. Das gab, logisch, eine Strafanzeige seines Arbeitgebers.

Die zuständige Bundespolizeiinspektion nimmt die Ermittlungen auf. Dabei stellt sie fest, dass ein Rafael Markus Jones an der Grünstraße 66 wohnt. Laut Ausländerzentralregister hat er im Mai 2006 eine Niederlassungserlaubnis erhalten.

Gleichzeitig vermerkt der Beamte, dass er für den Namen Rafael Markus Jones auch noch Aliaspersonalien gefunden hat. Ein gewisser Kingsley John David soll laut Computer mal unter dem Namen Rafael Jones Markus aufgetreten sein. Kingsley John David seien die „Führungspersonalien“ eines Mannes, der mit einer ausländerrechtlichen Duldung in der Nachbarstadt verzeichnet sei und in einer Asylbewerberunterkunft lebe. Sein Asylantrag sei abgelehnt.

Der Beamte schickt eine Vorladung zur Vernehmung an die Grünstraße 66. Die Post kommt zwar nicht zurück. Der Beamte will aber nicht ausschließen, dass er „aufgrund systembedingter Umstände des hier genutzten Datenverarbeitungsprogramms“ die Post aus Versehen an Kingsley John David und nicht an Rafael Markus Jones adressiert hat.

Deshalb lädt er Kingsley John David noch mal vor, und nun auch bewusst als Kingsley John David, weil es sich ja um die „Führungspersonalien“ handelt. Diesmal adressiert er das Schreiben auch nicht an die Grünstraße 66, sondern an das Asylbewerberheim in der Nachbarstadt. Dort soll Kingsley John David ja wohnen.

So erfährt also mein Mandant namens Kingsley John David, dass er unter seinem angeblichen Alias-Namen Rafael Jones Markus als Toilettenmann gearbeitet haben soll, wenn auch in leicht abgewandelter Form. Denn bei der Firma gearbeitet hatte nicht ein Rafael Jones Markus, sondern ein Rafael Markus Jones.

Fast überflüssig zu erwähnen, dass mein Mandant nicht der Toilettenmann ist. Er hat zwar mal einen Aliasnamen benutzt. Aber mit dem Familiennamen Markus. Nicht mit dem Familiennamen Jones. Dass man mit den Wildcards auch in öffentlichen Registern aufpassen muss, hat sich anscheinend noch nicht in allen Dienststuben rumgesprochen.

Stutzig hätte aber auch der Umstand machen können, dass Rafael Markus Jones ordnungsgemäß an der Grünstraße 66 gemeldet ist und seit über einem Jahr eine Aufenthaltsberechtigung hat. Wieso sollte der Betreffende dann noch gleichzeitig als abgelehnter Asylbewerber mit einer Duldung in einer städtischen Unterkunft wohnen?

Das Verfahren ist jetzt vier Monate alt. Keiner der Beamten kam übrigens bislang auf den Gedanken, mal an die Grünstraße 66 zu fahren, bei Jones zu klingeln und zu gucken, wer da wohl die Tür aufmacht. Stattdessen wird munter an der Theorie festgehalten, David sei Jones, und wenn nicht, dann jedenfalls Markus, auf jeden Fall aber potenziell der Täter.

Bevor jemand lacht: Dasselbe funktioniert auch mit Müller, Maier und Schulze.

*Namen und Adresse geändert.

!

Der Bezirksrevisor* am Landgericht Koblenz hat wenig Argumente, dafür spielt er auf der Klaviatur der Satzzeichen:

Die Angelegenheit hat für den Betroffenen nur eine geringe Bedeutung!

Geringe Bedeutung? Ich möchte den Mann mal sehen, wenn er drei Punkte in Flensburg aufs Auge gedrückt bekommen soll. Dabei ist er noch nicht mal Berufskraftfahrer, im Gegensatz zu meinem Mandanten.

*Der Bezirksrevisor prüft Erstattungsanträge, wenn die Staatskasse Kosten übernehmen muss.

Wie es ihm gefällt

Es ist wirklich unglaublich, wie deutsche Gerichte den Persönlichkeitsschutz kultivieren. In einem aktuellen Fall verbietet das Landgericht Berlin der Tageszeitung „Die Welt“, das Porträtfoto eines bekannten Medien- und Prominentenanwalts zu veröffentlichen. Die Zeitung hatte unter dem Titel „Die Rache der Genervten“ berichtet, wie der betreffende Anwalt „auf die Berichterstattungsfreiheit einwirkt“. Diesen Artikel hatte sie mit einem Foto des Juristen illustriert.

Aus dem Urteil:

Der Prominentenanwalt kann – anders als manch einer seiner Prominenten – selbst darüber befinden, ob, wann und wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit im Bild darstellen will. Mag der Kläger auch gegen seine namentliche Nennung im Zusammenhang mit seinen Auftritten als Medienrechtsexperte sowie als Anwalt seiner prominenten Mandanten – verständlicherweise – nichts einzuwenden haben, und gelegentlich auch Bildberichterstattungen hinnehmen, ist nicht im Entferntesten dargetan oder ersichtlich, dass er auch sonst – ähnlich wie Teile seiner Mandantschaft – Gefallen an öffentlichen, aufsehen erregenden Auftritten und an der bildlichen Präsentation seiner Person in der Öffentlichkeit, auch über die Medien finden würde.

Selbst wenn der Kläger im Rahmen seines beruflichen Wirkens hervorgetreten ist und zum Teil das Interesse der Öffentlichkeit dabei selbst gesucht hat, hat er sich damit nicht des Rechts begeben, über sein eigenes Bildnis zu verfügen. Es steht dem Kläger frei, für seine berufliche Tätigkeit zu werben; dagegen ist es nicht Aufgabe der Presse, ohne seine Zustimmung etwaige Werbeeffekte zu intensivieren oder zu schmälern.

Ich könnte dem Urteil ja noch einen Hauch Verständnis entgegenbringen, wenn der betreffende Anwalt jahrein, jahraus im Hinterzimmer an Verträgen strickt und das Licht der Öffentlichkeit scheut. Aber einer, der nach den Feststellungen des Gerichts selbst als Medienrechtsexperte auftritt und dabei (was für eine grandiose Formulierung!) Bildberichte „hinnimmt“?

Geradezu obszön ist der Hinweis, es sei nicht Aufgabe der Presse, etwaige Werbeeffekte zu intensivieren oder zu schmälern. Kann den Berliner Richtern mal einer erklären, dass es im redaktionellen Teil einer Zeitung nicht um Werbung geht, sondern um freie, gewünschtermaßen auch kritische Berichterstattung?

Dass das virulente Thema Pressefreiheit und die Rolle von Presseanwälten selbst ein hinreichender Anlass für die Berichterstattung sein könnten, scheint dem Gericht nicht einmal eine Überlegung wert. Wahrscheinlich schon deshalb nicht, weil es mit einem Eingeständnis verbunden wäre, dass die Rechtsprechung einiger Pressekammern, zu denen auch die Berliner gehört, mittlerweile selbst ein zeitgeschichtliches Ereignis ist und der Kläger in dieser Inszenierung mehr als eine Statistenrolle spielt.

Link zum Urteil

Die neue Lust am Strafen

Vernünftiges Strafrecht oder „Lizenz zur Grausamkeit“? Der Hamburger Kriminologe Prof. Fritz Sack zeichnet im Gespräch mit Telepolis ein bedrückendes Bild der aktuellen Entwicklung zu härteren Gesetzen und rigorosem Vollzug. Er meint, dass sich der frustrierte Bürger auf diese Weise rächt – an den noch schwächeren Gliedern der Gesellschaft. Seine Erklärung für die neue Lust am Strafen:

Meines Erachtens liegt die Hauptursache darin, dass den Menschen das Sicherheitsempfinden abhanden gekommen ist, damit meine ich, dass viele enormen Existenzängsten ausgesetzt sind. Die Menschen sehen keine Perspektive, haben ihre Arbeitsplätze verloren oder sind bedroht davon, erwerbslos zu werden. Dafür ist aber in vielen Fällen niemand persönlich verantwortlich zu machen, irgendwelche Vorstände treffen solche Entscheidungen und die Entscheidungsträger sind oftmals nicht greifbar. Ein Straftäter ist indes real vorhanden, an dem kann das Bedürfnis nach Rache konkret ausgelebt werden.

Abgesehen von dieser kontroversen These schildert Sack anschaulich, wie grotesk das Missverhältnis zwischen gefühlter und tatsächlicher Sicherheit ist.

In aller Form

„Von einer Kündigung wissen wir nichts.“

„Wenn Sie gekündigt haben, haben Sie die Kündigung bestimmt zurückgenommen. Hat Sie mal einer unserer Mitarbeiter angerufen?“

„Nachträglich kann man da sowieso nichts mehr machen. Sie müssen den Vertrag noch bis Ende des Jahres erfüllen.“

Nur einige der Sprüche, die sich mein Mandant auf der Hotline eines Mobilfunkunternehmens anhören musste. Auf seine Kosten. Dabei war man partout nicht bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass ihm seine Kündigung schriftlich bestätigt wurde. Und zwar zu einem Zeitpunkt, der jetzt schon sieben Monate zurückliegt.

Wie es aussieht, werden Anwaltsschreiben an anderer Stelle bearbeitet. Die Übersendung einer Kopie der Bestätigung hat jedenfalls erfreulichere Resultate:

„Wir entschuldigen uns bei Ihrem Mandanten in aller Form.“

Na ja, meint mein Mandant, mit einer Telefonkarte über 50 Euro würde das Bedauern ehrlicher klingen. Aber er sieht natürlich ein, dass es darauf keinen Rechtsanspruch gibt.

Bestellungsarbeiten

Tatort: Der Norden Düsseldorfs, der Süden Duisburgs und überall sonst, wo Felder an Wohnhäuser grenzen. Tatzeit: Die aktuellen Nächte, die kommenden Sonn- und Feiertage. Die Täter: Landwirte. Der Sommer dieses Jahres bringt den Bauern klimabedingt schon jetzt viel Arbeit. Drei bis vier Wochen früher als sonst sind Getreide und andere Pflanzenfrüchte reif. Nächtliche Ernteeinsätze mehren sich, auch die an den Sonntagen. Das sorgt für Verärgerung der Nachbarschaft, zumal Wohngebiete bis an die Felder reichen.

Die Menschen werden vom Lärm der Häckselmaschinen, Traktoren und Mähdrescher gequält. Doch die Landwirte haben das Recht auf ihrer Seite. Andreas B., einem Polizeibeamter im Kreis Mettmann stinkt in diesen Tagen wieder einmal die Praxis der Bauern wortwörtlich: „Ausgerechnet bei großer Hitze düngen die ihre Felder, ich muss alle Fenster und Türen schließen“.

Eine Anzeige war vergeblich. „Wenn die Gülle bodennah ausgebracht und unverzüglich in den Boden eingearbeitet wird“, sagt Volkmar Nies von der Landwirtschaftskammer Rheinland in Bonn, „ist die Geruchsbelästigung von der nordrhein-westfälischen Düngeverordnung abgedeckt“.

So ähnlich sieht es mit der Ernte am sonnigen Sonntag aus. Während sich Hauseigentümer und Mieter auf etwa das Grillen im Freien freuen, donnern die Maschinen auf sie zu. Jurist Nies sieht den Lärm gerechtfertigt. Durch den Paragraphen 4 des Feiertagsgesetzes. Darin sind „unaufschiebbare Arbeiten“ erlaubt, die erforderlich sind „zur Befriedigung dringender …landwirtschaftlicher Bedürfnisse“. Denn schon am nächsten Tag könnte heftiger Regen oder ein Gewittersturm eine ganze Ernte vernichten.

Für schikanös mögen Stadtrand- Menschen es halten, wenn ihr Landwirt-Nachbar ausgerechnet in der frühen lauen Sommernacht laaangsam mit dem Traktor Runde um Runde fährt, um seine Pflanzen vor Krankheiten zu schützen. Doch Pestizide, das weiß Inge Bantz vom Umweltamt in Düsseldorf, dürfen „bei Bedarf aufgebracht werden“.

Zwar schützt das Landes-Immissionsschutzgesetz NRW zwischen 22 und 6 Uhr vor Betätigungen, welche die Nachtruhe zu stören geeignet sind“. Indes: Vom Verbot sind „Ernte- und Bestellungsarbeiten“ zwischen 5 und 6 Uhr und zwischen 22 und 23 Uhr ausgenommen. Bestellungsarbeiten kennt nicht einmal das international gespickte Internet-Lexikon „Wikipedia“. Gemeint ist, ganz schlicht, das Beackern des Feldes. (pbd)