Schöne Städte lassen grüßen

Ich habe gerade dem Hessischen Rundfunk in einem Interview gesagt, die Forderung nach 2.000 zusätzlichen Cybercops, die im Internet auf Streife gehen, erinnere mich an Ostberlin, Teheran und Peking.

Da es nur ein Kurzinterview für eine Nachrichtensendung war, hier die nähere Begründung.

Es gibt bereits heute Internetstreifen. Beim Bundeskriminalamt ist die „anlassunabhängige Internetüberwachung“ aktiv. Wie man hört, ist die Abteilung nicht schlecht besetzt. Ein Tätigkeitsschwerpunkt ist die Überwachung von Tauschbörsen auf kinderpornografisches Material. Ein Fahnder aus der Abteilung sagte mir kürzlich, dank einer speziellen Software werde praktisch jede deutsche IP-Adresse erwischt, über die verbotenes Material zum Upload bereitgehalten werde. Von der Zahl der Akten, die „via BKA“ auf meinem Schreibtisch landen, würde ich das bestätigen.

Da es nun schon eine Liste für die Stoppseiten vor kinderpornografischen Webseiten gibt, kann man wohl auch davon ausgehen, dass die weitaus meisten Angebote dieser Art den Behörden zumindest bekannt sind. Immerhin können sie sich ja auch auf die Listen aus Australien, Schweden und anderen Ländern stützen.

Dass 2.000 zusätzliche Polizisten zum Kampf gegen die Kinderpornografie im Netz erforderlich sein könnten, schließe ich aus. Dem BKA sind selbst nach eigenen Angaben nur etwa 2.000 sperrfähige Seiten bekannt. Sollen sich die Cypbercops auf den betreffenden Seiten Tag für Tag auf die Füße treten?

Überdies wird auch bei einigen Landeskriminalämtern das Internet überwacht. Und zwar gut. Das sieht man unter anderem daran, dass mitunter zwei unterschiedliche Behörden Ermittlungen aufnehmen. Bei Gelegenheit erzähle ich mal die Geschichte des Mandanten, bei dem Anfang des Monats auf Veranlassung des BKA durchsucht wurde. Mitte des Monats standen dann wieder Fahnder vor der Tür, die aus Berlin in Marsch gesetzt wurden. In der gleichen Sache, wie sich nach einigen Telefonaten herausstellte.

Die Berliner fuhren mit langen Gesichtern wieder heim.

Die Frage ist also, wo sollen 2.000 zusätzliche Cybercops eigentlich den ganzen Tag und die ganze Nacht hinusurfen?

Hauptärgernis für den Bürger dürfte die „kleine“ Wirtschaftskriminalität im Internet sein. Bei Ebay ein Notebook bestellt, per Vorkasse gezahlt, aber nichts geliefert bekommen. Das ist der Klassiker, er ist in unzähligen Abwandlungen bekannt.

Solche Fälle setzen aber in aller Regel eine Strafanzeige voraus. Oder sollen unsere Streifenpolizisten auch die Möglichkeit haben, sich schon mal in jeden beliebigen Verkäufer- oder Kundenaccount einzuloggen und „nach dem Rechten“ zu sehen? Sollen Sie den E-Mail-Account des ebay-Anbieters „mohammed34“ überprüfen, bloß weil der Flachbildfernseher anbietet, aber nur magere 96 % positive Bewertungen hat? (Und weil er so heißt, wie er heißt?)

Wenn die Cybercops noch einen Hauch Bürgerrechte zu achten haben, werden sie auch weiter auf Strafanzeigen auf diesem Gebiet angewiesen sein. Diese Strafanzeige erstattet der Betroffene aber auch heute schon – bei seiner Polizeidienststelle oder der Internetwache. Auch wenn ich mich wiederhole: Jeder dieser Anzeigen geht die Polizei mit einer Akribie nach, die manchmal schon beängstigend ist. Bei Gelegenheit erzähle ich die Geschichte einer Familie, wo Vater, Mutter, Sohn und Tochter unisono als Beschuldigte vorgeladen wurden, bloß weil über die IP-Adresse des hauseigenen DSL-Anschlusses eine Tankkarte im Wert von 8,50 Euro unter falschem Namen bestellt worden sein soll. Der Ermittlungsrichter, ein Mann mit Augenmaß, hatte immerhin einen Durchsuchungsbeschluss abgelehnt.

Was bleibt? Das Feld Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung und Stalking. Sollen die 2.000 Polizisten den ganzen Tag Facebook, StudiVZ, Twitter und Weblogs lesen und gucken, ob jemand seinem Mitschüler, seinem Kollegen oder Vereinskameraden verbal auf die Füße tritt? Anders gefragt: Würde sich ein Streifenpolizist mit an den Gartenzaun stellen und vorsorglich das Gespräch zweier Nachbarn mithören, nur wegen der entfernten Möglichkeit, dass der eine den anderen beleidigt?

Nein, gerade Verletzungen der persönlichen Ehre fallen den Betroffenen doch selbst auf. Sie erstatten dann, ebenso wie der bei einer Bestellung geprellte Kunde, Strafanzeige. Wenn sie denn wollen. (Nicht umsonst handelt es sich durchweg um Antragsdelikte. Ohne Antrag des Verletzten ist eine Strafverfolgung in der Regel ausgeschlossen.)

Auch wenn ich drüber nachdenke, fällt mir dann nur noch das Gebiet der politisch und religiös motivierten Propaganda ein. Die sogenannten Hass- und Hetzseiten. Gestern hat ein Kommentator im law blog geschrieben, Meinungsfreiheit sei nutzlos, wenn sie nur genehme Meinungen schützt. Ich stimme dem zu. Wir brauchen keine Gedankenpolizei, die im Internet den Blockwart gibt und per Stoppschild oder Löschknopf entscheidet, was dort zu lesen ist.

Eine Gedankenpolizei macht vielleicht heute nur „anderen“ direkt Angst. Aber sie führt auch bei jedem anderen dazu, dass er sich sorgt, ob er nicht vielleicht auch schon im Visier ist. Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde über die Vorratsdatenspeicherung ist dieser Punkt ein wichtiges Thema. Das Gericht fragt nämlich, welche Auswirkungen allein das Wissen um Überwachung hat. Die Antwort findet sich auch schon in früheren Urteilen. Überwachung, selbst wenn sie nicht direkt als bedrohlich empfunden wird, führt zu Selbstreglementierung, Konformität und den vorauseilenden Verzicht auf die Wahrnehmung von Bürgerrechten.

Das Resultat ist der geschmeidige Bürger. Möglicherweise ein Aggregatzustand, der dem neuen Verständnis mancher vom funktionierenden Staat sehr entgegen kommt.

Was wir unzweifelhaft brauchen, sind Beamte, die auch im Internet gegen strafbare Handlungen im Bereich Hetze und Propaganda vorgehen. Das sind überraschend wenige. Strafbare Handlungen. Nicht Polizisten. Volksverhetzung gehört dazu, ebenso das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole und gewisse Nazipropaganda. Allerdings haben wir diese Polizisten schon. Sie sitzen in den Abteilungen für Staatsschutz und drehen auch schon heute nicht nur Däumchen. Bei Gelegenheit erzähle ich die Geschichte vom Mandanten, der eine Vorladung zum Staatsschutz erhielt, kurz nachdem er seinen ersten Kommentar in ein – mutmaßlich – islamistisch ausgerichtetes Internetforum geschrieben hat. Im Beitrag selbst ging es um ein Fußballspiel in der türkischen Oberliga.

Bleibt nur das Killerargument Terrorismus. Dass Vorbereitungen von Terroranschlägen, die Bildung krimineller Organisationen und die Verabredung zu Gruppenreisen in Terrorcamps vor den Augen einer Internetstreife stattfänden, wird nicht mal jemand behaupten, der sich das Internet ausdrucken lässt. Und falls das geschieht, soll er mit den Terrorfahndern im BKA sprechen. Die werden ihm erklären, wie zuträglich es für die Ermittlungen wäre, 2.000 Cybercops mit Generalschlüsseln (die Forderung nach dem Internet-Dietrich ist ja unausweichlich) zu versehen und in deutschen E-Mail-Accounts wühlen zu lassen.

Was ist außerdem mit den anderen Tatorten, denen außerhalb des Internets? Bei Gelegenheit erzähle ich mal die Geschichte des Mandanten, der vorletzte Woche vor seiner Haustür zusammengeschlagen worden ist. Nach vier Minuten war der Rettungswagen da. Die Polizei brauchte 27 Minuten. Als vor einiger Zeit bei einem Mandanten eingebrochen wurde, wartete er nach eigenen Angaben sechs Stunden auf die Spurensicherung.

Aus anderen Städten weiß ich, dass die Bewohner schon seit Monaten, wenn nicht seit Jahren keinen Streifenwagen mehr zu Gesicht bekommen haben – und sie leben nicht in einem Villenviertel. Von einem Bezirksbeamten, der zu Fuß geht und einfach mal präsent ist, wollen diese Leute gar nicht träumen.

Aber wir brauchen 2.000 Internetpolizisten. Wie gesagt, Ostberlin, Teheran und Peking lassen grüßen.