Bewährungshelfer ächzen

Glaube, Liebe, Hoffnung sollten keine Nahrung für Urteile sein. Fakten sind gefragt. Und doch sitzt oft genug ein Strafrichter nach den Plädoyers von Anklage und Verteidigung, und er schreibt und grübelt und grübelt und schreibt. Er schwankt zwischen einer rheinisch-liberalen Entscheidung und einer eher preußisch-strengen. Wird die Strafe noch zur Bewährung ausgesetzt oder geht der Anklagte ins Gefängnis?

Bei Bewährungsstrafen sind die Bewährungshelfer gefragt. Sie sind mit manchen schwierigen Fällen überfordert und überlastet. „Wir sollen bei Sexualstraftätern“, so berichtet etwa Ulrich Öynhausen, der NRW-Landessprecher der Arbeitgemeinschaft Deutsacher Bewährungshelfer in Herford, „bestimmte Signale erkennen“. Aber welche sind das? „So was steht niemandem auf der Stirn geschrieben.“

So bewegen sich Bewährungshelfer mühsam im kalten Wasser. Eine Zahl kommt dazu, welche die ehemalige Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) einmal genannt hat. 64 Probanden sollen maximal auf einen Bewährungshelfer kommen. „Ich habe momentan 89 Menschen zu betreuen“, sagt Öynhausen stellvertretend für seine Kolleginnen und Kollegen, „und wenn ich gerade mal drei Feuer ausgetreten habe, gerät vielleicht das nächste ins öffentliche Blickfeld.“

Es seien die Jugendlichen (14-17 Jahre alt) und Heranwachsenden (18-21 Jahre alt), vor denen er oft „ratlos“ stehe: Viele Schulabbrecher sind darunter, für feste Arbeitsplätze nur schwer vermittelbar. Man müsse jede einzelne Betreuung ja auch dokumentieren, „sich nach Möglichkeit absichern“.

Im Bezirk des Landgerichts Kleve gibt es 20 Bewährungshelfer im Alter von 26 bis 64 Jahren. Die meisten sind diplomierte Sozialarbeiter oder Pädagogen. Alle betreuen sie rund 1.400 Straffällige. Das sind zwischen 50 und 70 pro Helfer, ein gerade noch günstiger Durchschnitt.

Deutlich darüber liegen Zahlen, die vom Landgericht Düsseldorf gemeldet werden. 73,5 Probanden pro Fachkraft in Düsseldorf, 76,7 Probanden pro Fachkraft in Neuss und 78,3 Probanden pro Fachkraft in Langenfeld. Beim Landgericht Essen kümmern sich insgesamt 94 Mitarbeiter (davon 68 Bewährungshelfer) um rund 4.400 Klienten. Die Durschnittsbelastung liegt demnach bei 76 Betreuungsfällen. Im Bezirk des Landgerichts Bielefeld sind es 72.

Als heikel empfindet der Landessprecher der Bewährungshelfer diese Zahlen. Denn eine offizielle Belastungshürde gibt es nicht. Deshalb ist der Landesverband derzeit auf der Suche nach einer Belastungsgrenze. Ulrich Öyenhausen spricht von 60 Probanden. „Mehr Lebensgeschichten sind in einem Jahr nicht verkraftbar.“

Beispiel: Ein 19-jähriger hatte sich in Düsseldorf zu verantworten. Er hatte andere misshandelt, einen Raub versucht. Dazu kam ein Diebstahl. Später Graffiti-Schmierereien. Gibt so einem ein Richter noch eine Möglichkeit zur Bewährung? Der junge Mann bekam sie.

Nun darf aber auch gar nichts mehr passieren. Dafür steht ihm ein Bewährungshelfer zur Seite. Einige Jahre lang. Aber was, wenn der ausfällt? „Es vergehen bis zu vier Monate“, so schildert es Öynhausen aus der Praxis, bis sich ein Kollege einarbeiten kann. Und der Vertreter soll dann – vielleicht schon nach einem Monat – bei einer nächsten Straftat eine Prognose stellen.

Eine günstige, eine schlimme? Eine, die eher auf Glaube, Liebe, Hoffnung beruht? „Wir arbeiten entlang von Fakten“, ist die vieldeutige Antwort von Johannes Bartel. Der Fachsprecher der Bewährungshilfe in der Dienstleistungsgewerkschaft verdi kritisiert den Zweck-Optimismus in der Justiz: „Wir haben in Köln das Modell des schnellen Strafverfolgungsweges für jugendliche Straftäter.“ Das sei stets vom Justizministerium vermarktet worden. Tatsächlich liege die Überbelastung bei 93 Fällen pro Bewährungshelfer. „Bei uns“, sagt Bartel, „herrscht Ärger!“ (pbd)