Und er ließ die Scherben fallen

Die Polizei ermittelte gegen meinen Mandanten. Es ging, so der Vorwurf, um versuchte Körperverletzung und Sachbeschädigung. Die Strafanzeige las sich etwas wie der Klausurtext für eine Anfängerübung im Jurastudium. Ich zitiere:

Zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten bestehen seit längerer Zeit nachbarschaftliche Streitigkeiten innerhalb einer Hausgemeinschaft. Diese gipfelten zunächst damit, dass der Beschuldigte nach Angabe der Geschädigten eine Handvoll Glasscherben nach ihr warf. Als diese auf ihrer Terrasse lagen, trat ein Hund der Geschädigten in die Scherben und verletzte sich an der Pfote.

Irgendwelche Ermittlungen ersparte sich die Polizei. Keine Feststellung auch zu der Frage, wie arg sich der Hund denn nun verletzt haben soll. Stattdessen lud die Kripo meinen Mandanten vor, um ihn als Beschuldigten zu vernehmen.

Er ist nicht hingegangen, wie ich ihm das geraten habe. Ich überlegte, ob wir überhaupt was schreiben sollen. Schließlich entschied ich mich aus reiner Vorsicht dafür, die ganze Geschichte zu erzählen. Das las sich dann so:

Herr J. hat sich nicht strafbar gemacht.

Der Sohn der Anzeigenerstatterin hatte im gemeinsam genutzten Garten eine Party gefeiert. Die dort anwesenden Jugendlichen hatten unter anderem Flaschen zerschlagen. Weder der Sohn noch die Anzeigenerstatterin selbst machten Anstalten, die Scherben aus dem Garten zu räumen. Mein Mandant forderte die Anzeigenerstatterin Tage nach der Party auf, die Scherben zu entfernen. Sie erklärte ihm, sie werde das erledigen. 

Trotzdem fand mein Mandant, der selbst Kinder und einen Hund hat, wenige Tage später weitere Scherben, die eindeutig Hinterlassenschaften der Party waren. Er hatte einige dieser Scherben in der Hand, als er die Anzeigenerstatterin im Garten fragte, wieso sie die Scherben nicht ordentlich aufgeräumt hat.

Die Anzeigenerstatterin sagte dazu, ihr Sohn sei jetzt 16, sie könne auf ihn keinen Einfluss nehmen, sie habe mit der ganzen Sache nichts zu tun. Hierauf erwiderte mein Mandant: „Was soll ich nun mit den Scherben machen?“ Die Anzeigenerstatterin sagte, das sei ihr egal.

Mein Mandant ließ daraufhin, für die Anzeigenerstatterin deutlich sichtbar, die von ihm selbst kurz zuvor im Garten aufgesammelten Scherben an eben dieser Stelle wieder auf den Boden fallen. Er dokumentierte hiermit, dass er der Anzeigenerstatterin nicht hinterherlaufen wird. Ein Hund der Anzeigenerstatterin war zu diesem Zeitpunkt nirgends im Garten zugegen.

Wahrscheinlich hat die Anzeigenerstatterin die Scherben dann tatsächlich nicht aufgehoben und sich, wie bisher auch, um nichts weiter gekümmert. Sofern sich dann ein Hund der Anzeigenerstatterin an Scherben verletzt haben sollte, fällt dies nicht in den Verantwortungsbereich meines Mandanten. Die Scherben stammten von dem Sohn der Anzeigenerstatterin und nicht von meinem Mandanten.

Der Anzeigenerstatterin war auch klar, dass die Scherben dort nun liegen werden. Sie hat gesehen, wie mein Mandant die Scherben fallen ließ. Wenn sie ihren Hund an der entsprechenden Stelle laufen lässt, ist das ihre Sache.

Mein Mandant streitet entschieden ab, Scherben in Richtung der Anzeigenerstatterin geworfen zu haben. Dies ist eine falsche Verdächtigung.

Ich nehme an, der Staatsanwalt hat es mir angerechnet, dass ich nicht noch zu komplexen Rechtsfragen Stellung genommen habe. Zum Beispiel, wo bei einem angeblichen Scherbenwurf in Richtung einer Frau, bei Abwesenheit eines Hundes, der Vorsatz für eine Sachbeschädigung (am Hund) herkommen soll.

Jedenfalls ist das Verfahren jetzt sang- und klanglos eingestellt worden. Die Justiz hat unter einer Akte weniger zu ächzen.