Wenn der Bürge stempeln geht

„Wer bürgt, wird gewürgt“: Das ist einer der bekanntesten Schüttelreime aus der Juristerei. Er wird meist verwendet, um vor den Gefahren einer Bürgschaft zu warnen, etwa wenn jemand für Kredite des Ehegatten bürgen will.

Es gibt immer wieder Verfahren, die sich damit beschäftigen, wann eine Bürgschaft sittenwidrig war, weil der Bürge finanziell überfordert war. Die Sittenwidrigkeit ist einer der wenigen Wege, einer Bürgschaft zu entkommen.

Ein Versicherungsagent hat die Bürgschafts-Rechtsprechung nun mit einer ganz anderen Variante bereichert, wie man den Kopf aus der Schlinge ziehen kann: Er hatte seine Bürgeschaft erst gar nicht selber unterschrieben, sondern seinen Namen nur gestempelt.

Eine Versicherungsgesellschaft wollte den Ex-Vorstand einer inzwischen insolventen Vertriebsgesellschaft für Provisionsrückforderungen in Anspruch nehmen – und erlebte damit vor dem Kassler Landgericht laut der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung einen grandiosen Reinfall: Die Unterschrift sei unwirksam, die Bürgschaft damit auch.

Möglicherweise wird die Versicherungsgesellschaft Bürgschaftserklärungen nun genauer angucken, bevor sie abgeheftet werden.

PS: Über die Vertriebsgesellschaft und ihre Geschäftspartner aus der Versicherungswirtschaft hat der „Spiegel“ Ende vergangenen Jahres eine ausführliche Geschichte geschrieben.

Verlustmeldung

Aus dem Urlaub habe ich eine kleine Bitte an die Leser des law blog. Uns ist gestern oder vorgestern in Duesseldorf ein Teil des Betriebsvermoegens abhanden gekommen. Es geht um das Autokennzeichen D – VM 888, und zwar in Verbindung mit einem schwarzen BMW-Cabrio der 3-er Reihe (aktuelles Modell).

Derjenige, der Auto bzw. Nummernschild derzeit nutzt, darf das nicht. Falls jemand das Nummernschild sieht, ruft bitte die Polizei. Die weiss Bescheid.

Kulturzeit

Urlaubszeit ist manchmal auch Kulturzeit – während Udo seinen wohlverdienten Urlaub geniesst, gibt es auch hier im Blog einen Kulturausflug:

Enjoy Jazz, das Internationale Festival für Jazz und Anderes, präsentiert vom 02. Oktober bis 18. November 2011 in der Metropolregion Rhein-Neckar seine 13. Festivalzeit. Sieben Wochen lang bietet das Festival etwa 100 hochkarätig besetzte Veranstaltungen in Heidelberg, Mannheim, Ludwigshafen und Umgebung mit dem Schwerpunkt auf Jazz aber auch angrenzenden Genres wie Klassik, Pop, Rock, HipHop oder Elektro.
In diesem Jahr darf man sich u.a. auf musikalische Highlights wie The Hypnotic Brass Ensemble, Nneka, „Aufgang“ feat. Francesco Tristano, Pat Metheny oder Sonny Rollins freuen – und in den kommenden Tagen werden einige Tipps hier im lawblog vorgestellt.

Weitere Informationen, das gesamte Programm und Tickets zu den Konzerten gibt es auf der Website des Festivals.

Anwälte unter Betrugsverdacht – keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Es geht um zigtausend Euro, letztlich Millionenbeträge. Deswegen tricksen Rechtsanwälte vor Gerichten und versuchen so, den Staat zu betrügen: sie halten wider besseren Wissens bei einer Klage den Streitwert niedrig und manipulieren damit die fällige Gerichtsgebühr nach unten. Diesen scharfen Rüffel hat der 2. Zivisenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) allen Angehörigen einer höchst renommierten Anwaltskanzlei in München erteilt. Die drei Berufsrichter beschuldigen die Rechtsberater sogar einer Straftat und sprechen von einem „bestehenden Verdacht eines gemeinschaftlichen versuchten Betruges zu Lasten der Landeskasse“. Kein Einzelfall, stellt das Juristen-Trio verärgert fest. Wenn eine Firma gegen die andere klagt, bleibt der Staat der finanzielle Verlierer. Wörtlich heisst es: „Nach den Erfahrungen des Senats stellt es eine …mittlerweile beinahe regelmäßige Praxis dar, dass …beide Parteien im einträchtigen Zusammenwirken mit einer zu niedrigen Streitwertangabe prozessieren, um Gerichtskosten zu sparen“. Der Senat nennt den Hintergrund. Zumeist in großen, also auch teuren Verfahren berechnen Anwälte ihre Arbeit nicht nach der Gerichtsgebühr, sondern nach Stundensätzen. Soll heissen: Die Anwälte sparen erhebliche (Staats-) Kosten des Prozesses für ihre Mandanten, um sich so von denen mehr Geld selbst zu verschaffen. Das alles, behauptet der Senat, passiere „nicht versehentlich“. Sondern „in direkter Absicht“. Demnach haben die Münchener Anwälte bei ihrer Klage – bei der es um die angebliche Verletzung eines Patents geht – dem Landgericht Düsseldorf noch einen Streitwert von 5 Millionen Euro untergeschoben. Die Landgerichtskammer freilich rechnete nach, ging von einem Unternehmensumsatz von mehr als 2 Milliarden Euro aus und erhöhte den Wert der Klage um das sechsfache auf 30 Millionen Euro. Dagegen zogen die Münchener Anwälte vor das Oberlandesgericht, dem sie dann zumindest einen Streitwert von rund 11 Millionen einräumte. Vergeblich. Der OLG-Senat folgte den Landgerichtskollegen und holte bei dieser Gelegenheit aus. Es liege auf der Hand, dass solche „bewusste Vorenthaltung seitens der Anwälte“ von der Landeskasse zustehenden Gerichtsgebühren „nicht hingenommen werden kann“. Die Anwälte, so hieß es, teilten die Auffassung des Senats nicht. Der aber bleibe bei seiner Haltung, sagte OLG-Sprecherin Susanne Baan. Inwischen hat sich die Staatsanwalt wegen des Verdachts des Betruges und dessen Strafverfolgung eingeschaltet. Die Behörde hat zwar von Amts wegen Straftaten zu verfolgen, sieht aber hier keine „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“. Einerseits, so begründete ein Behördensprecher diese Haltung, seien Anwälte nicht gezwungen, sich an der Bestimmung des Streitwerts zu beteiligen. Zum anderen fehlten die entsprechenden Akten, denn die habe der OLG-Zivilsenat ja nicht an die Strafverfolger geschickt. Warum das unterblieben ist, bleibt vorläufig im Dunkeln – es gebe, so der Sprecher des OLG „senatsinterne Gründe“. (pbd)

Vier Wochen ausreizen

Damit hier keine Unklarheiten aufkommen: Hier schreibt für die nächsten zwei Wochen nicht Udo Vetter, sondern die Urlaubsvertretung, hauptberuflich als Finanzjournalist tätig.
Mit der Juristerei kenne ich mich ein wenig aus, mit Udo Vetters Fachbeiträgen kann ich es aber nicht aufnehmen und versuch das auch erst gar nicht.

Wie wäre es stattdessen mit einem kleinen Fall aus der Praxis einer Medienagentur?
Einem Kunden, gewerblich tätig, habe ich eine Rechnung geschickt, dazu gleich noch eine freundliche Erinnerung für eine bislang offene Rechnung vom 14.8. Er antwortet wie folgt:

Ihre Rechnung von Mitte August werde ich auf jeden Fall innerhalb der üblichen Monatsfrist begleichen. Ich bitte um Verständnis, dass es manchmal zur Verzögerungen kommt, sodass die 4 Wochen ausgereizt werden müssen.

Welchem Rechtsirrtum ist dieser Kunde offenkundig aufgesessen?

Abwesenheitsnotiz

Ich mache Ferien, und zwar bis zum 19. September 2011. Falls mir unterwegs etwas Berichtenswertes begegnet, werde ich mich sicher mal melden.

Ansonsten übernimmt in bewährter Weise Andreas Kunze wieder die Urlaubsvertretung.

Im Vorbeifahren nicht lesbar

Die staatliche Hamburger Lottogesellschaft darf nicht auf Bussen für Lotto und KENO werben. Das Hamburger Oberlandesgericht sieht hierin einen Verstoß gegen den Glücksspielsstaatsvertrag.

Die Lotto Hamburg GmbH hatte auf Bussen der Hamburger Verkehrsbetriebe Werbebanner gebucht. Die Werbetexte lauteten „Lotto Guter Tipp“, „Fahrscheine vorn – Spielscheine am Kiosk“ und „Jeden Tag Gewinne bis 1 Million € KENO die tägliche Zahlenlotterie“.

Diese Werbung war einem Lobbyverband privater Glücksspielanbieter ein Dorn im Auge. Er sah in der Werbung einen Verstoß gegen das gesetzlich vorgeschriebene Sachlichkeitsgebot. Dieser Auffassung schloss sich das Oberlandesgericht Hamburg an.

Der Glücksspielstaatsvertrag beschränke Werbung für öffentliches Glücksspiel auf Information und Aufklärung. Dahinter stehe das nach dem Willen der Politik das Ziel, Glücksspiel zu begrenzen und den “Spieltrieb” in geordnete Bahnen zu lenken. Gleichzeitig solle Spiel- und Wettsucht vorgebeugt werden. Werbung sei deshalb unzulässig, wenn Text und Aufmachung als Motivation zum Glücksspiel verstanden werde.

Das sei bei der Werbekampagne der Fall. Der Werbeaussage „Lotto Guter Tipp“ könne keine Informationen über das konkrete Spiel „Lotto“ entnommen werden. Stattdessen enthalte sie eine positive Wertung, die dazu anrege, an dem Spiel teilzunehmen. Durch die gewählte Formulierung werde vermittelt, dass das Lottospiel eine sinnvolle, nützliche, empfehlenswerte Beschäftigung, also eine „gute Idee“ sei.

Aber auch der Hinweis auf die täglichen Gewinne bei KENO sei in der konkreten Form unzulässig. Zwar dürfe grundsätzlich über Art und Höhe der Gewinne informiert werden. Die Lottogesellschaft habe aber die in diesem Zusammenhang vorgeschriebenen Warnhinweise zu Jugendschutz und Suchtgefahren allzu unauffällig und in so kleiner Drucktype gestaltet, dass sie auf den fahrenden Bussen nicht lesbar gewesen seien.

Schließlich lasse die Gegenüberstellung „Fahrscheine vorn – Spielscheine am Kiosk“ die Spielscheine als Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Busfahrscheine erscheinen. Damit erhalte das Lottospiel den Anstrich einer sozialadäquaten Verhaltensweise, was ebenfalls mit dem Sachlichkeitsgebot nicht vereinbar sei.

Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 12. August 2011, Aktenzeichen U 145/09.

Radweg darf auch nicht teilweise blockiert werden

Wenn Autos auf einem Radweg parken und ihn erheblich einengen, dürfen sie abgeschleppt werden. Über diese Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. April 2011 (Aktenzeichen 5 A 954/10) informieren die Verkehrsrechtsanwälte des Deutschen Anwaltvereins.

Ein Autofahrer hatte seinen Wagen so geparkt, dass dieser in einen Radweg hineinragte und etwa ein Drittel des Weges, der auch für den Gegenverkehr freigegeben war, versperrte. Der Wagen wurde abgeschleppt. Der Mann wehrte sich vor Gericht.

Ohne Erfolg. Die Richter erklärten die Abschleppmaßnahme für gerechtfertigt. Grundsätzlich sei das Abschleppen verbotswidrig geparkter Fahrzeuge geboten, wenn diese andere Verkehrsteilnehmer behinderten. Zwar müssten Fahrzeuge nicht schon abgeschleppt werden, weil sie minimal in einen Radweg hineinragten. Im vorliegenden Fall hätten jedoch nur noch zwei Drittel des Weges zur Verfügung gestanden.

Ein Radfahrer müsse auch nicht damit rechnen, dass ein Radweg teilweise blockiert sei. Das gelte umso mehr, wenn die Verkehrsregelung an dieser Stelle eine Benutzungspflicht des Radweges vorgebe.

Die elektronische Fußfessel kommt

Mehrere Bundesländer wollen die elektronische Fußfessel einführen – und zwar schon ab Januar 2012. Neben Nordrhein-Westfalen sind derzeit Baden-Württemberg, Hessen, Bayern und Mecklenburg-Vormpommern dabei. Die “Elektronische Aufenthaltsüberwachung” soll aus einer Zentrale in Hessen gesteuert werden, wo bereits ein Test mit bis zu 500 Teilnehmern gelaufen ist.

Die elektronische Fußfessel ähnelt auf den ersten Blick einer Armbanduhr. Sie wird über dem Fuß des Betroffenen angebracht und kann nicht entfernt werden, ohne dass ein Alarm ausgelöst wird. Über GPS wird ermittelt, wo sich ein Proband aufhält. Sollte er von den Vorgaben abweichen, wird die Leitstelle per SMS darüber informiert und kann zum Beispiel die Polizei vor Ort verständigen.

Zunächst wird die elektronische Fußfessel nur im Rahmen der Führungsaufsicht eingesetzt werden. Sie betrifft also nur verurteilte Straftäter, die bereits eine längere Strafe abgesessen haben, aber auch nach der Haft noch überwacht werden.

So ist zum Beispiel eine allgemeine Aufenthaltsüberwachung möglich. Der Proband ist zwar räumlich nicht eingeschränkt, jedoch sollen seine Aufenthaltsorte nachvollzogen werden können. Im Falle einer Straftat läge also ein Beleg vor, dass er sich möglicherweise am Tatort aufgehalten hat. Diese Überwachung soll zur “Selbstkontrolle” auf freiem Fuß befindlicher Straftäter dienen – und natürlich auch abschreckend wirken.

Es gibt aber auch eine dichtere Überwachung. Hierbei legen die Gerichte Aufenthalts- oder Ausschlusszonen fest. Eine Aufenthaltszone wäre zum Beispiel die eigene Wohnung, eine Ausschlusszone könnte etwa bei Sexualstraftätern der Bereich um Schulen oder Kindergärten sein, aber auch die Wohnung eines früheren Opfers. 

Ich persönlich hoffe, dass die elektronische Fußfessel auch bald eine Alternative zur Untersuchungshaft wird. Es gibt so viele Fälle, in denen Ermittlungsrichter vom Vollzug der Untersuchungshaft absähen, wenn sie ein anderes Mittel hätten außer den bisher üblichen Auflagen: Kaution, Abgabe des Reisepasses und Meldepflicht bei der Polizei.

Die elektronische Fußfessel würde eine wesentlich engmaschigere Kontrolle ermöglichen. So könnten auch Verdächtige draußen bleiben, bei denen die Standardauflagen nicht als ausreichend angesehen werden. Betroffene könnten womöglich sogar weiter arbeiten gehen; auch der Arbeitsplatz kann ja als “Aufenthaltszone” freigegeben werden.

Natürlich bestünde dann die Gefahr, dass elektronische Fußfesseln inflationär angeordnet werden. Allerdings halte ich dieses Risiko für wesentlich erträglicher als die Tatsache, dass viele private und berufliche Existenzen schon zerbrechen, wenn jemand tatsächlich in die zermürbende Untersuchungshaft gesteckt wird. 

Haben Polizisten sich selbst überfallen?

Im Juni löste ein Angriff auf zwei Oberhausener Polizisten Empörung aus. Der nordrhein-westfälische Innenminister verurteilte die Tat scharf und klagte über zunehmende Gewalt gegen Beamte. Die Polizeigewerkschaften sahen den Vorfall als Beleg für die verrohenden Sitten in unserem Land und forderten das Übliche, also mehr Personal und härtere Strafen für Gewalttäter. Nun ist die Stimmung allseits gedrückt – die Beamten haben den Überfall möglicherweise fingiert.

Die Polizisten hatten behauptet, sie seien einem anonymen Tipp nachgegangen, wonach an der Knappenhalde in Oberhausen mit Drogen gedealt werde. Vor Ort seien sie von Unbekannten brutal zusammengeschlagen worden. Beide Beamte kamen ins Krankenhaus; einer soll sogar mehrere Tage auf der Intensivstation gelegen haben.

Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen. So sehr auf die Täter geschimpft wurde, so wenig konnte eine Ermittlungskommission Konkretes zum Hergang ermitteln. Keine Spuren, keine Zeugen.

In den Wochen danach kam dann der Verdacht auf, die Beamten könnten lügen. Auch ein Motiv ist mittlerweile greifbar. Beide Polizisten sollen bei der PVAG eine spezielle Beamtenversicherung abgeschlossen haben, die großzügig schon bei kürzeren Krankheits- und Verletzungszeiten einspringt. Da die Versicherung ab dem ersten Tag entgangene Zuschläge und Sonderleistungen erstattet, soll sie bei Beamten sehr begehrt gewesen sein.

Die Versicherung wurde den Kollegen auch von der Gewerkschaft der Polizei schmackhaft gemacht. Ganz selbstlos geschah das wohl nicht. Die GdP ist neben der Signal Iduna Gesellschafterin der PVAG. Mittlerweile ist die Versicherung nicht mehr erhältlich. Funktionäre konkurrierender Polizeigewerkschaften hatten schon länger kritisiert, die Absicherung kurzfristiger Dienstunfähigkeit sei eine “Einladung zum Betrug”. Tatsächlich soll es auch weit überdurchschnittlich viele Schadensfälle gegeben haben.

Die Knappenhalde-Ermittler halten es inzwischen für möglich, dass die beiden Beamten sich gegenseitig nur verletzt haben, um bei der Versicherung zu kassieren. Wobei es mittlerweile auch ernste Zweifel gibt, ob die Verletzungen der Polizisten wirklich so schwer waren.

Die Oberhausener Polizisten sind derzeit vom Dienst suspendiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Berichte auf derwesten.de: (1), (2), (3)

0,52 Prozent fahren zu schnell

Wie ist eigentlich die Erfolgsquote stationärer Tempoblitzer?

Einer Bußgeldakte kann ich heute ein wenig Statistk über so eine Anlage entnehmen. Es geht um Zahlen zur Messanlage in Mechernich-Kalenberg auf der B 266 in Fahrtrichtung Roggendorf.

Laut Messprotokoll war die Anlage genau eine Woche scharf geschaltet, und zwar vom 5. Juli, 12:49 Uhr, bis zum 12. Juli, 12.17 Uhr. Das Gerät registrierte 46.260 Autos, die in diesem Zeitraum über die in die Straße eingelassenen “Messwertaufnehmer” rollten. Geblitzt wurden 243 Autos. Somit fuhr gerade mal jedes 200. Auto zu schnell. Das macht eine Quote von 0,52 Prozent.

Wie gravierend die Tempoverstöße jeweils waren, ist leider nicht festgehalten. Die meisten werden aber ohnehin nur für eine kostenpflichtige Verwarnung (bis 35 Euro, keine Punkte) reichen. Macht also vielleicht mal 120 richtige Bußgelder in einer Woche. Demgegenüber stehen Aufstellkosten (ab ca. 100.000 Euro), der Unterhalt und der Verwaltungsaufwand im Rathaus.

Klingt nicht nach einem Objekt mit wahnsinniger Rendite.

Polizist will sich größeren Dienstspind erklagen

Mit seinem Kampf um einen größeren Dienstspind ist ein hessischer Ordnungspolizist gescheitert. Das Landesarbeitsgericht in Frankfurt belehrte ihn, dass der von seinem Arbeitgeber gestellte Spind mit 1,75 m Höhe, 1 m Breite und 0,46 m Tiefe genügt, um seine Dienstkleidung ordentlich zu verwahren.

Die Dienstkleidung des 50-jährigen Polizisten besteht aus sechs Diensthosen, einem kurzärmeligen und einem langärmeligen Hemd, einem Rollkragenpullover, einem Pullover mit V- Ausschnitt, einer Strickjacke, einer Schirmmütze, einem Blouson, einem Parka, einer Lederjacke, Schal und Handschuhen sowie einer Warnjacke und Warnweste.

Neben dem Spind gibt es auf der Wache auch eine offene Garderobe. Außerdem steht jedem Mitarbeiter ein abschließbarer Schrank für Wertsachen zur Verfügung. Der Polizist war damit aber nicht zufrieden und verlangte von der Stadt einen deutlich größeren Spind. Dieser müsse 25 Zentimeter höher und 50 Zentimeter breiter sein. Lediglich mit der Tiefe des Spindes von 46 Zentimetern meinte der Polizist leben zu können.

Falls dies nicht möglich sei, verlangte er 30,00 Euro monatlich als Aufwendungsersatz, weil er Dienstkleidung zu Hause aufbewahren müsse. Das Aufhängen von Teilen seiner Dienstkleidung an einer offenen Garderobe sei ihm jedenfalls unzumutbar.

Wie schon die 1. Instanz kam das Landesarbeitsgericht zum Ergebnis, dass es für einen Spind in der begehrten Größe im Gesetz, in der städtischen Trageordnung und auch im Tarifvertrag keine Sütze gibt. Die Stadt müsse nicht dafür Sorge tragen, dass der Kläger seine Dienstkleidungsstücke stets vollzählig und in gebrauchsfertigem Zustand im Dienstspind aufbewahren könne. Uniformjacken und Mützen könne der Kläger außerdem auch an der Garderobe aufhängen. Für Wertsachen habe der Kläger zudem das abschließbare Wertfach. Das genüge, befanden die Richter.

Der Kläger muss nun die Kosten des Verfahrens tragen. Die Revision ließ das Landesarbeitsgericht nicht zu.

Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil 31. Mai 2011, Aktenzeichen 19 Sa 1753/10

Aufregende Zeiten

Ich wage eine Prognose: Die Zeit von 1985 bis 201x, die wir vielleicht nur als leidlich aufregend empfanden bzw. empfinden werden, wird in den nur noch elektronisch abrufbaren Geschichtsbüchern künftiger Generationen einen ebenso großen Platz einnehmen wie das Römische Reich oder die Industrialisierung. Und zwar nicht in erster Linie wegen 09/11, sondern weil sich in dieser Zeitspanne der Herzschlag der Welt umstellte – von analog auf digital. Wer nicht auf die Betrachtungen aus der Zukunft warten will, kann schon ab heute zu einem ersten Rückblick auf die Sturm- und Drangjahre diese Epoche greifen: Christian Stöckers “Nerd Attack!”.

Der Autor, hauptberuflich Leiter der “Netzwelt” beim Spiegel online, will die Geschichte der digitalen Welt vom C 64 bis zu Twitter und Facebook aufschreiben. Das hat er gleichermaßen unterhaltsam und informativ hingekriegt – die Vorabversion des Buches war am Wochenende jedenfalls mein Entertainmentprogramm Nr. 1.

Stöcker wählt als Einstieg eine sehr persönliche Sicht der Dinge. Das bietet sich bei ihm an, denn seine Teenagerjahre sind mit dem C 64 verknüpft, dem bis heute erfolgreichsten “Computer” überhaupt. Witzig ist eine Schilderung von den langen Nachmittagen in Elektromärkten, als Trauben nerdiger Kids um einen Platz an den Ausstellungsstücken rangelten; zunächst war der selbst der der C 64 vom Preis her nicht mal weihnachtsgeschenkkompatibel.

Eine Floppy fasste 170 KB, Spiele besaßen anfangs keinen Kopierschutz, und Mädchen hatten mit all dem Elektrokram leider zunächst nicht viel am Hut. Es sind durchaus selige Erinnerungen, aus denen Stöcker schöpft. Aber es war halt auch eine geile Zeit, jedenfalls für jene, die schon damals was mit Bits und Bytes anfangen konnten.

Wie der kleine Christian, wird das Buch dann aber schnell erwachsener. Stöcker schildert den Siegeszug der Personalcomputer, das Aufploppen von “Netzen” und das heute noch immer wachsende Staunen, dass die Online-Welt mehr ist als ein Quelle-Katalog auf dem Monitor.

Apropos Quelle. Besonders gefällt mir Stöckers Schilderung, wie ganze Branchen unter die Räder kamen. Reisebüros und Fotogeschäfte sind einige seiner Beispiele – und natürlich das auf Papier gedruckte Wort. Das Kapitel “Digital ist besser” sagt schon, wie Stöcker die Zukunft wertet und dass er sie vor allem als Chance begreift. Dem haben auch die seit 20 Jahren unveränderten Argumente der “nostalgischen Generation” von Politikern und Printredakteuren wenig entgegen zu setzen, die der Autor schonungslos seziert.

Die zweite Hälfte des Buches ist eine gut geschriebene Nabelschau, zumindest für alle, die einigermaßen in der digitalen Welt angekommen sind. Stöcker beschreibt, wie Soziale Netzwerke, Youtube, Blogs, Foren und die derzeit “nächsten großen Dinger” jedermann zu einer weltweit hörbaren Stimme verhelfen. In diesen Kontext packt er die großen Themenfelder Datenschutz und Kriminalität im Netz. Das ist eine saubere, jeweils mit praktischen, niemals staubtrockenen Beispielen unterlegte Analyse, die einen so ziemlich auf den neuesten Stand bringt.

Nerd Attack! belegt, die letzten 30 Jahre waren historisch aufregende Zeiten. Und es spricht wenig dafür, dass sich das in naher Zukunft ändern wird.

Christian Stöcker, Nerd Attack!

Nerd Attack! als e-Book