Ein Staatsanwalt kann an der Kasse abgeholt werden

Nach der Festnahme eines Mandanten fragte ich die Polizeibeamtin nach dem zuständigen Staatsanwalt. Wäre ja möglich, dass ich mit dem was aushandeln konnte. Sie antwortete:

Es besteht schon ein Haftbefehl, deswegen führen wir den Beschuldigten morgen direkt dem Haftrichter vor.

Okay, okay. Ich wollte mich nicht unnötig ins Prozedere einmischen. Den Staatsanwalt konnte ich mit einem Anruf auch alleine rausfinden; immerhin hatte ich das Aktenzeichen. Weder der Staatsanwalt noch sein Vertreter waren noch im Büro. Umgekehrt wäre überraschender gewesen. Es war deutlich nach 17 Uhr.

Ich begab mich also am nächsten Morgen zur Vorführung am Amtsgericht. Wenige Tage später erhielt ich dann auch Akteneinsicht und las vergnügt, dass es mit der vielbeschworenen Harmonie zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei nicht immer zum Besten steht.

Der Staatsanwalt hatte einen kernigen Aktenvermerk zu Papier gebracht. Ich fasse zusammen: Erst vier Tage nach der Aktion (es lag ein Wochenende dazwischen) habe er von der Festnahme erfahren – und zwar “aus der Lokalpresse”. Niemand bei der Polizei habe es für nötig gehalten, ihn in Kenntnis zu setzen. Kein Anruf. Kein Fax. Keine Mail. Er selbst habe, nachdem er die Zeitungsmeldung gelesen habe,  trotz etlicher Versuche auch niemanden bei der Polizei erreicht. Erst die Haftrichterin habe ihm dann Klarheit verschaffen können, wie es in seinem Fall steht. Da er rein gar nichts wusste, habe er auch die Personenfahndung nicht sofort löschen lassen können, wie es Vorschrift ist.

Ich schätze mal, das läuft für die Polizistin auf einen Anschiss hinaus. Wer jetzt denkt, vielleicht hätte ich mich doch einmischen und verlauten lassen sollen, dass der Staatsanwalt als “Herr des Verfahrens” immer als erster zu informieren ist, liegt leider daneben. Ich wette eine Erwähnung in der Lokalpresse, ich hätte mir nur ein schnippisches “Glauben Sie, ich weiß nicht, wie das läuft?” eingehandelt.

Messerscharfe Schlüsse

Aus einer Anzeige:

An Hand der GPS-Daten zeigte sich, dass sich das Fahrzeug des J. nachts zur Tatzeit manchmal direkt vor Tatobjekten, manchmal in unmittelbarer Nähe zu Einbruchstandorten aufgehalten hat. Bei der Vielzahl der Fälle noch an Zufall zu glauben, wäre phantastisch. Die Häufigkeit impliziert eine Täterschaft des J.

Messerscharfe Schlüsse. Wenn man als richtig unterstellt, dass sich in Deutschland nur der Halter ans Steuer eines Wagen setzen darf und sich jeder daran hält.

Lügner

In Berlin beerdigte letzte Woche die christlich-liberale Koalition eine Erblast. Sie verabschiedete sich von Netzsperren im Kampf gegen Kinderpornografie. Letztlich siegte in Berlin die Einsicht, Löschen ist besser als Sperren. Eine gewichtige Rolle spielte wohl auch die Überlegung, dass wir mit der geplanten Sperrinfrastruktur eine Technik eingesetzt hätte, der sich bislang nur Länder wie China und Iran bedienen.

An anderen, den Ministerpräsidenten der Länder nämlich, scheinen diese Erkenntnisse abzuperlen. Aber vielleicht hoffen sie auch nur, dass beim Gekungel um Staatsverträge, das tradtionell hinter verschlossenen Türen stattfindet, die Öffentlichkeit weniger genau hinschaut – obwohl die Länderchefs es seit dem Debakel um den Jugendmedienschutzsstaatsvertrag eigentlich besser wissen müssten.

Netzsperren soll es nach dem Willen der Ministerpräsidenten schon sehr bald geben. Die Politiker wollen den Deutschen den Onlinezugang zu “illegalen” Glücksspielangebeoten kappen, indem sie das Fernmeldegeheimnis einschränken. Damit sollen Provider künftig verpflichtet werden, auf Zuruf staatlicher Stellen “unerlaubte Glücksspielangebote” für das deutsche Internet zu blockieren. Diese Maßnahmen ergeben sich sich aus dem aktuellsten Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages (Stand: 4. April 2011), der mir vorliegt.

Schon an der Selbstverständlichkeit, mit der die Ministerpräsidenten Netzsperren für Glücksspielseiten verhängen wollen, zeigt sich die Ehrlichkeit der Entscheidungsträger. Nicht wenige von denen, die jetzt hinter verschlossener Tür am Glücksspielstaatsvertrag feilen, haben in der Diskussion um Stoppschilder versichert, so etwas sei überhaupt nur bei Kinderpornografie denkbar. Keinesfalls würde die Internetzensur auf andere Gebiete ausgeweitet, schon gar nicht aus sozialpolitischen (Suchtprävention)  oder fiskalischen Gründen (Sicherung der Lottereinnahmen für den Staat).

Lügner.

Nach dem aktuellsten Entwurf, der wohl auch zur Abstimmung gestellt wird, sollen die Maßnahmen wie folgt eingeführt werden:

Die zuständige Behörde des jeweiligen Landes kann … insbesondere Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses wird insoweit eingeschränkt (§ 9 Abs. 1 Ziff. 4).

Tritt diese Regelung in Kraft, erhalten Behörden erstmals in Deutschland die Möglichkeit, missliebige Seiten durch bloßen Anweisung an die Provider aus dem deutschen Internet verschwinden zu lassen.

Gut, könnte man sagen, immerhin werden betroffenen Seitenbetreiber doch erst mal Widerspruch einlegen und klagen können. Das dürfen sie, aber an der sofortigen Sperrverpflichtung ändert sich nichts. Denn, auch das steht im Entwurf, “Widerspruch und Klage gegen diese Anordnungen haben keine aufschiebende Wirkung”. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Sperren sofort wirksam werden und erst dann wieder aufgehoben werden, wenn ein Gericht sie aufhebt. Was mitunter monate-, wenn nicht jahrelang dauern kann.

Wie die Provider den “Zugang” zu Internetseiten untersagen sollen, ist im Entwurf des Vertrages nicht geregelt. Es kommen also all jene Verfahren in Betracht, die auch beim Zugangserschwerungsgesetz gegen Kinderpornografie im Gespräch waren. Die Palette reicht somit von Stoppschildern bis zur Sperrung ganzer IP-Adressenbereiche.

Offenbar sind massive Sperrungen geplant. Der federführende Staatssekretär Rainer Robra aus Sachsen-Anhalt hat nach Berichten geäußert, es könnten bis zu 90 % der in Deutschland erreichbaren Glücksspielangebote geblockt werden.

Die meisten Angebote sind in ihren Heimatländern legal. Bei uns sind sie nur unzulässig, weil sich der Staat an sein Glücksspielmonopol klammert und – offensichtlich um jeden Preis – nicht mal teilweise auf Lotterieeinnahmen verzichten will. Schon wegen der aus ausländischer Sicht absurd strengen deutschen Rechtslage ist nicht damit zu rechnen, dass ein Anbieter seine Seite freiwillig in Deutschland unzugänglich macht. Glücksspielangebote machen einen beträchtlichen Teil des Internets aus. Es dürfte sich also um abertausende Seiten handeln, welche die Behörden in Deutschland blocken wollen. Die hierfür aufzubauende Infrastruktur dürfte weitaus mächtiger und dementsprechend fehleranfälliger ausfallen, als es bei den auf Kinderpornografie beschränkten Sperren der Fall gewesen wäre.

Zum Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages gehört ein Diskussionspapier, “Eckpunkte” genannt. Überraschenderweise findet sich hierin kein Wort zu den einschneidenden Plänen. Entweder sind sich die Ministerpräsidenten also zutiefst einig über die Einführung einer Internetzensur. Nicht ganz von der Hand zu weisen dürfte aber auch die Möglichkeit sein, dass man die Öffentlichkeit nach Verabschiedung des Vertrags einfach vor vollendete Tatsachen stellen wollte.

Für die Glücksspiel-Sperren sollen künftig die Länderbehörden zuständig sein. Der Entwurf sieht lediglich die Möglichkeit vor, dass sich Länder gegenseitig zur Anordnung der Sperren ermächtigen dürfen. Ob und inwieweit davon Gebrauch gemacht wird, ist offen.

Auch dies ist ein wesentlicher Unterschied zum Zugangserschwerungesetz. Hier liefen alle Zuständigkeiten beim Bundeskriminalamt zusammen. Künftig wird es also 16 (!) Behörden geben, die in eigener Regie Internetzensur betreiben können.

Websperren sind übrigens nicht das einzige Mittel, das sich die Ministerpräsidenten ausgeguckt haben. Der Vertragsentwurf sieht auch vor, dass Banken und Kreditkartenfirmen auf Zuruf die Weiterleitung von Zahlungen verboten wird. Dies gilt ausdrücklich nicht nur für Wetteinsätze, sondern auch für Gewinne.

Weiterer Beitrag zum Thema

Keine Privatfahndung via Facebook

Per Videokamera und Steckbrief auf Facebook fahndete ein Restaurantbesitzer nach einem Brötchendieb. Der Täter konnte ermittelt werden, doch jetzt hat der Detektiv in eigener Sache selbst Ärger. Der Datenschutzbeauftragte stellt ihm ein Bußgeld in Aussicht.

Längere Zeit ärgerte sich der Düsseldorfer Gastronom, dass die morgendliche Brötchenlieferung von der Türschwelle verschwand. Schließlich, berichtet der WDR, brachte er eine Kamera an. Die filmte prompt einen mutmaßlichen Dieb (ob er tatsächlich auch früher schon Brötchen geklaut hat, ist auf jeden Fall offen). Das Video stellte der Restaurantbesitzer auf die Homepage des Lokals und auf seine Facebook-Seite.

Der Fahndungserfolg ließ nicht lange auf sich warten. Das Video wurde eifrig geklickt, und jemand lieferte auch Namen und Adresse einer Person, die darauf zu sehen sein soll.

Die Polizei soll den Gastronomen gelobt haben, doch der nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte mutmaßt gleich zwei Rechtsverstöße. Zum einen sei die Überwachung des Restauranteingangs und Bürgersteigs möglicherweise illegal. Wesentlich schwerer dürfte aber die Privatfahndung via Facebook wiegen. “"Eine solche Öffentlichkeitsfahndung ist der Polizei vorbehalten. Und selbst die braucht dafür einen Gerichtsbeschluss", zitiert der WDR den Datenschutzbeauftragten.

Den Einwand, dass viele die Privatfahndung wahrscheinlich super finden, kontert der Datenschutzbeauftragte laut WDR-Bericht gelassen. “Wie wir damit bei der Öffentlichkeit ankommen, das spielt für uns keine Rolle."

Ein Kollege zum gleichen Thema

Stellen Sie sich nicht so an

Die Polizei in Hannover berichtet von einem Fahndungserfolg. Zwölf Jahre nach der Tat konnte ein mutmaßlicher Vergewaltiger ermittelt werden. Ein DNA-Abgleich brachte die Ermittler auf die Spur des Mannes, der die Tat inzwischen gestanden haben soll.

Die Ermittlungen liefen so ab:

Ende Oktober vergangenen Jahres wurde der bis dahin unerkannte Tatverdächtige in anderer Sache rechtskräftig verurteilt, wegen gefährlicher Körperverletzung. Im Zuge dieses Ermittlungsverfahren war ihm standardmäßig eine Speichelprobe entnommen worden. Sein genetischer Fingerabdruck führte zu einem Treffer in der bundesweit geführten DNA-Analyse-Datei.

Zum Fall möchte ich nichts sagen, sondern zur Informationspolitik der Polizei. Genau genommen nur zu einem Wort in der offiziellen Meldung: Dem Beschuldigten sei standardmäßig eine Speichelprobe entnommen worden, als gegen ihn ermittelt wurde. Das “standardmäßig” taucht heute auch in etlichen Zeitungsberichten über den Fall auf, unter anderem im Hamburger Abendblatt.

Ich weiß nicht, ob die Polizei selbst an das glaubt, was sie schreibt und was die Medien dankenswerterweise nachplappern. Möglicherweise nehmen Beamte heute tatsächlich an, eine DNA-Probe vom Beschuldigten sei ebenso selbstverständlich wie Maßnahmen, die tatsächlich die Regel sind. Fingerabdrücke zum Beispiel. Oder Fotos.

Jedenfalls vertieft die Formulierung beim Leser den Eindruck, den zu vermitteln sich Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften seit geraumer Zeit bemühen. Dass es geradezu 08/15 ist, einem Verdächtigen auf der Polizeiwache das Wattestäbchen in den Rachen zu schieben und ihm eine Speichelprobe zu entnehmen.

Wer möchte dem “Standard” widersprechen? Oder sich gar auflehnen, indem er zum Beispiel mal nach dem fragt, was er tatsächlich muss und was nicht. Statt Beschuldigten nämlich die Rechtslage fair zu erklären, werden ihnen heute gerne diverse Formulare vorgelegt. Darunter auch jenes, mit denen sie sich freiwillig mit einer Speichelprobe und dem späteren Eintrag in die DNA-Kartei einverstanden erklären.

Auf die Unterschrift wird dann genau mit der Einstellung gedrängt, die sich auch aus der Verwendung des Begriffs “standardmäßig” in der Polizeimeldung ergibt. Die Unterschrift wird als bloße Formalität dargestellt, nach dem Motto: Ihre Speichelprobe kriegen wir so oder so. Machen Sie es nicht unnötig kompliziert. Stellen Sie sich nicht so an.

Ich bin täglich überrascht, wie viele Beschuldigte einknicken. (Unabhängig von der großen Zahl derer, die Papiere unterschreiben, ohne sie gelesen zu haben.) Dumm nur, dass die suggerierte Rechtslage überhaupt nicht mit der tatsächlichen übereinstimmt. Auch heute sind DNA-Proben kein Standard, sondern die gesetzliche Ausnahme.

Das ergibt sich schon daraus, dass es für die Polizei neben der schriftlichen Einwilligung des Beschuldigten nur einen Weg gibt, an eine DNA-Probe zu kommen. Das ist die richterliche Anordnung. Der Richter wiederum sagt auch nicht “Standard” und nickt jeden Antrag ab. Vielmehr muss er ins Gesetz schauen und abklopfen, ob die Voraussetzungen für einen zustimmenden Beschluss erfüllt sind.

In der Strafprozessordnung ist dann auch keineswegs festgelegt, dass DNA-Proben standardmäßig zulässig sind – und nur in Ausnahmefällen abgelehnt werden sollen. Im Gegenteil: Eine DNA-Probe bei einem Verdächtigen kommt nach richterlicher Anordnung nur in zwei Konstellationen in Frage.

Zunächst ist sie möglich, wenn die DNA mit Spurenmaterial abgeglichen werden soll. Solch fallbezogenes Material darf auch nicht einfach später in die zentrale DNA-Datenbank eingespeist werden. Bei so einer DNA-Probe hätte die Hannoveraner Polizei keinen Fahndungserfolg erzielen können – wenn sie sich selbst an Recht und Gesetz hält.

Womit wir bei der zweiten Möglichkeit wären – der Speicherung des genetischen Profils in der zentralen Datenbank. Hier muss der Richter (nicht die Polizei!) prüfen, ob tatsächliche Gründe die Vermutung zulassen, dass der Beschuldigte künftig Straftaten begehen wird. Nicht irgendwelche Straftaten übrigens. Sondern solche von “erheblicher Bedeutung” oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Mir ist schleierhaft, wie man bei solchen Hürden die DNA-Proben als “standardmäßig” bezeichnen kann. Es sei denn, man will Beschuldigte verschaukeln. Und das geltende Recht gleich ein bisschen mit.

Kölsche Nummernsuche

Ich möchte gar nicht wissen, wie viel Zeit ich in den Warteschleifen von Justizbehörden vertrödele. Das liegt daran, dass die Telefonzentralen meist hoffnungslos überlastet sind. Und zwar nicht wegen der unglaublichen Zahl von Anrufern, sondern weil viel zu wenige Mitarbeiter für die Telefonzentrale zur Verfügung stehen.

Man muss nur, wie ich das schon mal tue, höflich nachfragen, woran es denn liegt, dass Anrufer erst nach endlosem Klingeln durchkommen. Oder gar erst beim x-ten Versuch. Die meisten Damen (Telefonisten sind selten) sind ganz froh, das mal erklären zu können. Eine typische Aussage: “Wir sitzen hier zu zweit für ein Amtsgericht, ein Landgericht und eine Staatsanwaltschaft.”

Bei solchen Zuständen ist es schön, wenn Justizbehörden wenigstens die Telefonnummern ihrer Geschäftsstellen online stellen. Das Verzeichnis der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, deren Zentrale schon Jahre hoffnungslos überfordert ist, und einige andere habe ich auf dem Desktop meines Computers abgespeichert. Um die richtige Rufnummer zu finden, muss man für Düsseldorf zwar etwas Zahlenbingo spielen. Aber immer noch besser als endlose Minuten Warteschleife.

Auch die Staatsanwaltschaft Köln hat ihr Telefonverzeichnis online. Und was für eines! Ich war heute jedenfalls baff, als ich mich anhand des Aktenzeichens zur richtigen Abteilung für allgemeine Strafsachen hangelte – und dann gleich online den Nachnamen meines Mandanten las. Neben vielen anderen Namen übrigens.

“Cookies” – das blitzte als Idee auf. Habe ich mich da irgendwie registriert, und die Staatsanwaltschaft Köln bietet eine personalisierte Startseite? Sozusagen das Amazon unter den Justizbehörden? Aber wie soll das gehen, bei einem stinknormalen PDF…

Die Erklärung ist viel simpler. Verfahren werden bei der Staatsanwaltschaft Köln (auch) nach dem Alphabet aufgeteilt. Und zur Abgrenzung der Buchstaben hat man anscheinend der Einfachheit halber die Nachnamen der Beschuldigten genommen, deren Akte bei Erstellung des Verzeichnisses gerade auf dem passenden Häufchen oben oder unten lag.

Die Nachnamen der “Glücklichen” stehen jetzt also online. Jeder, der einen Blick ins Telefonverzeichnis der Staatsanwaltschaft Köln wirft, wird quasi nebenher darüber informiert, dass gegen die Betreffenden Ermittlungsverfahren laufen oder zumindest liefen. Halb so schlimm, könnte man meinen. Es gibt doch viel zu viele Meier, Müller und Schulze, um da auf eine konkrete Person schließen zu können.

Nun ja, Allerweltsnamen kommen in der umfangreichen Liste jedoch so gut wie gar nicht vor. Dafür etliche, von denen selbst das Kölner Telefonbuch keine mehrfachen Einträge zeigt. Ich habe eine kleine Stichprobe gemacht. Überdies findet sich auch eine beachtliche Zahl an Namen, die selbst in einer Millionenstadt nur einmal vorkommen dürften.

Schauen Sie doch auch mal rein, vielleicht erfahren Sie Interessantes über Nachbarn, Kollegen oder Freunde.

Stundenlang einsperren geht nur mit gutem Grund

Auf so manchen Polizeirevieren wird man die Organisationsabläufe künftig deutlich straffen müssen – sofern die dort tätigen Beamten das Bundesverfassungsgericht ernst nehmen. Aus Karlsruhe kommt nämlich eine deutliche Ansage zu Festnahmen, die schon von vornherein nur vorübergehend angelegt sind. Im nun entschiedenen Fall waren Grundstücksbesetzer, die sich ausweisen konnten und eigentlich nur fotografiert werden sollten, mehr als fünf bzw. acht Stunden eingesperrt worden. So etwas hält das Bundesverfassungsgericht für unverhältnismäßig und somit rechtswidrig.

Die vorherigen Instanzen hatten das Wegschließen der Beschwerdeführer noch gebilligt. Immerhin seien rund 100 Grundstücksbesetzer festgenommen worden. Die Dauer der erkennungsdienstlichen Behandlung sei der Vielzahl der Betroffenen geschuldet.

Dem folgt das Bundesverfassungsgericht nicht. Die Richter stören sich bereits daran, dass die Maßnahme der Polizei offiziell (auch) unter “Identitätsfeststellung” lief. Die Identitätsfeststellung sei aber bereits abgeschlossen gewesen, als die Betroffenen ihre Ausweise zeigten. Das Verfassungsgericht:

Die Beschwerdeführer hatten sich vor Ort mit Ausweispapieren ausgewiesen. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausweise gefälscht waren oder die Personen nicht mit dem Ausweisinhaber übereinstimmten, sind nicht ersichtlich. Daher ist – insbesondere im Hinblick auf das verfassungsrechtlich fundierte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen bloßer Identitätsfeststellung und weiterem Festhalten – davon auszugehen, dass es den Polizeibeamten möglich war, die Identität vor Ort hinreichend sicher festzustellen. Ein Festhalten aus reinen Praktikabilitätserwägungen vermag die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht zu begründen.

Eine eindeutige Notwendigkeit, die Betroffenen zu fotografieren, sieht das Verfassungsgericht nicht. Selbst wenn man aber unterstelle, dass Porträts für das weitere Verfahren erforderlich waren, “weil ansonsten die Erinnerung der einzelnen Polizisten als Zeugen vor Gericht aufgrund der Vielzahl an Personen ohne weitere Fotos nicht hinreichend gewährleistet gewesen wäre”, habe die Festhaltezeit von etlichen Stunden jedes zulässige Maß überschritten. Aus der Entscheidung:

Zwar kann die Masse der zu bearbeitenden Fälle eine organisatorisch nicht vermeidbare und mäßige Wartezeit sowie ein Verbringen an andere Polizeidienststellen zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen jedenfalls bei hinreichend gewichtigen Straftaten rechtfertigen. Hier sind die Beschwerdeführer jedoch erst nach mehreren Stunden im Polizeipräsidium lediglich insoweit erkennungsdienstlich erfasst worden, dass von ihnen wenige einfache Fotoaufnahmen angefertigt wurden. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen hätte es daher zur Annahme der Erforderlichkeit der mehrstündigen Ingewahrsamnahme einer genaueren Auseinandersetzung mit anderen weniger einschneidenden, aber gleich erfolgversprechenden Maßnahmen bedurft, wie etwa der Fertigung entsprechender Aufnahmen vor Ort, als die Personen einzeln zur Identitätsfeststellung herausgeführt wurden.

Entgegen der Auffassung der Polizei handele es sich im Ergebnis sehr wohl um eine Freiheitsentziehung. In diesem Fall hätte sich die Polizeibehörde aber darüber im Klaren sein müssen, dass sie gegebenenfalls einen richterlichen Beschluss benötigen.

Die Sache wurde nun an die Ausgangsgerichte zurückverwiesen. Sie müssen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts neu entscheiden.

Pressemeldung des Bundesverfassungsgerichts mit Links zu den Beschlüssen

Regierung will keine Netzsperren mehr

Es gibt auch erfreuliche Nachrichten aus Berlin: Es wird in Deutschland keine Internetsperren geben. Die Koalition hat sich heute darauf geeinigt, das derzeit ausgesetzte Zugangserschwerungsgesetz zu ändern. Künftig sollen kinderpornografische Inhalte nur gelöscht, aber nicht mit Stoppschildern versehen werden.

Hauptverfechterin der Internetsperren war die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Sie verdiente sich damit den Spitznamen “Zensursula”. Kritiker der Internetsperren hatten im wesentlichen argumentiert, dass Internetsperren kinderpornografische Inhalte nicht entfernen und somit nur “kosmetisch” wirken. Zudem seien die Sperren extrem leicht zu umgehen. Internetnutzer, die tatsächlich nach Kinderpornografie suchen, würden somit in keiner Form abgeschreckt.

Gleichwohl befürchteten Netzsperrengegner den Aufbau einer Zensur-Infrastruktur. Wenn heute Kinderpornografie gesperrt werde, könne das – ohne nennenswerten Rechtsschutz für Betroffene – auf beliebige andere Inhalte ausgedehnt werden. Die Musik- und Filmindustrie zeigte sich beispielsweise stets angetan von Sperrlisten und Stoppschildern. Dieser Wechsel auf die Zukunft dürfte nun nicht einlösbar sein.

Das Bundeskriminalamt muss mit der Absage an die Netzsperren eine Niederlage hinnehmen. Behördenchef Jörg Ziercke hat lange vehement behauptet, das Löschen im Einzelfall funktioniere nicht. Jedoch stellte sich durch Tests von Sperrlistengegnern heraus, dass sogar private Beschwerden bei Providern höchst erfolgreich sind, und zwar sowohl im In- und Ausland.

Als die Frage gestellt wurde, warum die deutsche Polizei weniger kann als Verbände, verbesserte sich auch die Erfolgsquote des BKA drastisch. "Nach aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamtes sind nach zwei Wochen 93 Prozent der kinderpornografischen Inhalte gelöscht, nach vier Wochen sind es sogar 99 Prozent", erklärte dazu heute Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Die heutige Entscheidung ist ein Sieg der Vernunft und ein Verdienst derjenigen, die beharrlich ihre guten Argumente gegen die Stereotypen der Befürworter gesetzt haben. Viele der Gegenstimmen kamen aus dem Netz. Sie waren sicher auch ursächlich dafür, dass die etablierten Medien das Thema spät aufgriffen, zum Glück aber nicht zu spät.

Die nächste Frage wird sein, ob Netzsperren womöglich noch über den Umweg Europa drohen. Es gibt ja auch noch aktuelle Planungen für eine EU-Richtlinie (“Zensilia”).

Häkchen für Häkchen

Für eine Spedition haben wir ziemlich hohe Außenstände eingeklagt. Der Auftraggeber hörte letztes Jahr einfach auf, Rechnungen zu bezahlen. Die Forderungen selbst sind gut dokumentiert. Die Aufträge liegen schriftlich vor. Alle  Empfänger, die unsere Mandantin beliefert hat, haben den Erhalt der Ware abgezeichnet. 

Nun liegt die Sache geraume Zeit beim Gericht. Bis heute hat sich die Gegenseite nicht geäußert. Auch vor der Klage hat sie nichts gerügt. Als Anwalt macht man sich da natürlich Gedanken, was jetzt wohl für Einwände kommen können.

Immerhin kriegten wir heute mal etwas von der Gegenseite zu hören. In der Form eines Briefes, den sie direkt an unsere Mandantin geschrieben hat. Die Firma bittet “zum Zwecke der Prüfung unseres Jahresabschlusses” dem Wirtschaftsprüfer zu bestätigen, wie viel Geld unsere Mandantin zu kriegen hat.

Beigefügt war praktischerweise eine Liste mit allen Rechnungen unserer Mandantin, dem Fälligkeitszeitpunkt, den mittlerweile aufgelaufenen Verzugstagen und, was ich besonders schön finde, einem Häkchen hinter dem jeweiligen Rechnungsbetrag. Natürlich wird man ausgiebig darüber streiten können, was so ein Häkchen aussagen soll. Wie auch immer das Ergebnis lautet, jedenfalls macht man normalerweise keine Häkchen hinter Forderungen, die man für ungerechtfertigt hält.

Der Gegenanwalt muss sich jetzt allemal noch einen Tick mehr ins Zeug legen, wenn er dem Gericht eine plausible Geschichte erzählen will. Ich hoffe aber mittlerweile, dass es auf ein Versäumnisurteil hinausläuft. 

Fall abgeschlossen

Besser mal jemand fragen, der sich damit auskennt. Eine Regel, die durchaus auch für Polizeibeamte gelten kann.

Sicherlich ist es ein großer und erwähnenswerter Erfolg, wenn die Polizei in Kelsterbach der Jugendkriminalität Einhalt gebietet. Und zwei sechs- und achtjährigen Schülerinnen das Geständnis entlockt, mit Steinen und Stöcken auf drei Motorhauben “gemalt” zu haben. Hervorragend auch der Fahndungsansatz, in der “nahegelegenen Schule” zu forschen, um die Übeltäterinnen zu ermitteln.

Weniger nachvollziehbar ist allerdings, dass die Polizei in ihrer Pressemitteilung die Mädchen für “verantwortlich” erklärt. Gut, das mag vielleicht nicht juristisch gemeint sein. Gepflegte Unkenntnis im Zivilrecht beweist die Polizei allerdings mit der gönnerhaften Bemerkung, die sie ans Ende ihrer Erfolgsmeldung setzt:

Für die Polizei sind die Fälle damit abgeschlossen, auf die Eltern der Mädchen kommt eine Schadensersatzforderung in Höhe von rund 800 Euro zu.

Forderungen erheben ist nicht verboten. Aber tatsächlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Eltern was bezahlen müssen. Die Töchter selbst sind noch zu jung, um direkt für den Schaden herangezogen werden zu können. Erst ab dem siebten Lebensjahr kommt eine Schadensersatzpflicht überhaupt in Betracht. Bei dem älteren Mädchen kommt es darauf an, ob sie schon die erforderliche Einsichtsfähigkeit hat. Bei Achtjährigen ist das normalerweise nicht der Fall.

Was die Eltern selbst angeht, hat die Polizei vielleicht den Satz vor Augen gehabt, ohne den kein Baustellenschild auskommt: “Eltern haften für ihre Kinder.” Aber das tun sie gerade nicht. Eltern können für Delikte des Nachwuchses nur herangezogen werden, wenn sie ihre eigene Aufsichtspflicht verletzt haben.

Sollten die Kinder noch Unterricht gehabt haben oder auf dem Nachhauseweg gewesen sein (ohne im letzteren Fall schon vorher Autos zerkratzt zu haben), wäre schon Schluss mit einer Verantwortung der Eltern. Denn die Aufsichtspflicht liegt dann bei der Schule oder besteht nicht.

Ansonsten kommt es darauf an, ob die Eltern in der konkreten Situation verpflichtet waren, ihre Kinder ständig im Auge zu behalten. Gerichte halten das bei Sechs- bis Achtjährigen jedenfalls nicht für durchgehend erforderlich. Wäre ja auch traurig, wenn Kinder in diesem Alter nicht mal draußen spielen dürften.

Zum Zwecke

Das Landgericht hat einen Zeugen geladen. Es geht um einen Totschlag in einer Familie mit Migrationshintergrund. In dem Schreiben findet sich, wie auch sonst bei Zeugenladungen dieser Strafkammer, ein besonderer Hinweis. Dieser lautet:

Zum Zwecke der Mitteilung kurzfristiger Terminverschiebungen wird gebeten, Ihre telefonische Erreichbarkeit schriftlich oder per e-mail zu o.g. Aktenzeichen mitzuteilen.

Freundlich gemeint und ein keineswegs selbstverständliches Angebot, aber die Ausdrucksweise dürfte die Erfolgsquote nicht gerade steigern.  

Wie einen Worte ins Gefängnis bringen

Ermittlungen wegen Besitz oder Verbreitung von Kinderpornografie kommen schnell in Gang. Es reicht, wenn eine IP-Adresse beim Zugriff auf eine “verdächtige” Datei auftaucht. Meist geschieht das in Tauschbörsen. Dem Anschlussinhaber, dem die IP-Adresse zugeordnet ist, droht dann unweigerlich eine Hausdurchsuchung. Ob auch andere Nutzer – Familienangehörige, Besucher, Freunde, Arbeitnehmer – in Frage kommen, wird vorher nicht geprüft. Es trifft zunächst immer denjenigen, auf den der Anschluss angemeldet ist.

Früher kam es durchaus mal vor, dass das fragliche Bild oder Video sich tatsächlich auf der Festplatte des Betroffenen fand. Aber auch da war es schon häufiger so, dass von der überprüften Datei gar keine Spuren zu finden waren. Es kam in diesen Fällen halt darauf an, ob die beschlagnahmten Datenträger sonstige Kinderpornografie enthielten. War das der Fall, spielte der Auslöser der Ermittlungen gar keine Rolle mehr. 

Die Zeiten haben sich geändert. Ich muss nun schon sehr lange zurückdenken, um auf einen Fall zu kommen, bei dem bei meinem Mandanten oder meiner Mandantin (= Anschlussinhaberin) die verdachtsbegründende Datei gefunden werden konnte. Oder zumindest Spuren vom betreffenden Downloadvorgang im Filesharingclient, so denn überhaupt einer installiert war.

Das lässt mehrere Schlussfolgerungen zu.

Womöglich wird mittlerweile auch mal Fünfe gerade sein gelassen bei der Frage, ob sich hinter einem Angebot, dessen Zugriffe geloggt werden, tatsächlich strafbare Kinderpornografie verbirgt. Oder ob der Internetnutzer wenigstens irgendwelche Indizien dafür haben konnte, dass er nun wirklich den legalen Bereich verlässt. Wir haben ja mittlerweile eine erhöhte Zahl von “Internetstreifen”, und zwar auf Landes- sowie Bundesebene. Ob da ein gewisser Erfolgsdruck entsteht, der sich in der Zahl veranlasster Durchsuchungen entlädt, wäre zu hinterfragen.

Überdies hat sich natürlich auch längst herumgesprochen, dass Tauschbörsen intensiv überwacht werden. Und nicht nur das, es gibt auch von den Behörden reichlich gekaperte oder selbst ins Netz gestellte einschlägige Angebote, die dann als “Honeypots” laufen.

Der offenkundige Ermittlungsdruck dürfte also zu erhöhter Wachsamkeit bei denen führen, die kein Interesse an Kinderpornografie haben, aber sich halt sonstige Pornografie aus Tauschbörsen holen.

Jene, die wirklich systematisch nach strafbarem Material suchen, werden aufgrund der offenkundigen Überwachung ohnehin auf andere Quellen ausweichen. Die harten User, das behaupte ich mal, verirren sich höchstens noch volltrunken oder sonstwie zugedröhnt in eine Tauschbörse.

Kombiniert man all dies, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die wegen eines einzigen Internetzugriffs angeordnete Durchsuchung Unschuldige trifft. Wie ich oben schon erwähnte, ist es in den Fällen, die auf meinem Schreibtisch landen, ganz normal, dass auf den vorgefundenen Rechnern das Material eben nicht vorhanden ist, welches die Durchsuchung ausgelöst hat.

Aber damit nicht genug. Bei mir steigt auch die Zahl der Fälle sprunghaft an, bei denen schlicht und einfach keinerlei Kinderpornografie gefunden wird. Natürlich kann und sollte man nicht alle diese Fälle mit Irrtümern der Ermittler erklären.

Das liegt zum einen daran, dass nicht mehr nur Geeks ihre Daten verschlüsseln. Verschlüsselung ist ein solides und auch vom Bundesverfassungsgericht abgesegnetes Recht, für das man sich nicht entschuldigen muss. (Ebenso für die Weigerung, Passworte herauszugeben.) Sind verschlüsselte Daten vorhanden, die nicht geknackt werden können, bleibt natürlich immer die theoretische Möglichkeit, dass der Beschuldigte zu Recht in Verdacht geraten ist, dieser Verdacht sich aber wegen der Verschlüsselung in Verbindung mit der Unschuldsvermutung nicht erhärten lässt.

Ich selbst frage Passwörter natürlich auch nicht ab. Außerdem kann ich niemandem hinter die Stirn gucken. Trotzdem bleibt mein Eindruck, dass sich die gestiegene Zahl schlicht ergebnisloser Durchsuchungen nicht allein mit TrueCrypt erklären lässt. Immerhin gibt es, wie ich meine, immer mehr Fälle, in denen nichts verschlüsselt wurde, aber trotzdem kein strafbares Material aufgefunden wird. Das macht den Anfangsverdacht natürlich höchst fragwürdig.

Es wird nach meiner Einschätzung also zu häufig auf vager Grundlage durchsucht. Wobei ich diesen Eindruck auch mit einem anderen Fakt erhärte: Ermittler sind immer weniger bereit, den Fehlschlag einzuräumen. Stattdessen wird nach Strohhalmen gesucht, aus denen sich doch noch ein Tatvorwurf konstruieren lässt.

So werden Datenträger mittlerweile längst nicht mehr nur nach tatsächlich vorhandenen Bild- und Videodateien gescannt. Ist die Standardsuche mit dem System “Perkeo”, in dem so gut wie die gesamte bekannte Kinderpornografie registriert ist, erfolglos (und das Verfahren damit einstellungsreif), werfen findige Polizisten und Sachverständige nun die Phrasensuchmaschinen an.

Alle Systembereiche werden dann nach einschlägigen Schlüsselworten gescannt, die (auch) zur Beschreibung kinderpornografischer Dateien verwendet werden. Taucht dann in einem längst toten Dateipfad so ein Begriff auf, gilt dies manchen Staatsanwälten schon als Beleg dafür, dass eine kinderpornografische Datei auf dem Rechner war.

So wurde kürzlich ein Mandant wegen des Besitzes von Kinderpornografie angeklagt, obwohl für die hier fraglichen Zeiträume kein einziges strafbares Bild oder Video auf seinem Rechner war. (Legale Pornografie fand sich allerdings reichlich.) Jedoch galt er schon deshalb als hinreichend verdächtig, weil sich in den Tiefen des Betriebssystems einige Schlüsselbegriffe auslesen ließen, die gemeinhin (auch) mit Kinderpornografie in Verbindung gebracht werden. So wird das dann beschrieben:

Der Verzeichnispfad der angegebenen Datei verweist auf ein Verzeichnis, welches auf dem sichergestellten Laptop nicht mehr existent ist. Jedoch findet sich beim Öffnen mit einem Texteditor eine Auflistung, deren Dateinamen eindeutig auf kinderpornografische Inhalte schließen lassen. 

Für eine Anklage bedarf es also nicht mehr tatsächlich vorhandener Kinderpornografie. Es reichen schon schlichte Worte. Vielleicht wäre dieses Vorgehen im Ansatz nachzuvollziehen, wenn sich aus dem Fundort der Dateinamensfragmente auf eine eindeutige Quelle im Netz schließen ließe. Außerdem auf die exakte Zeit des Downloads. Wenn dann noch nachgewiesen werden könnte, dass die damals zu erreichende Datei tatsächlich kinderpornografisch war, ja, dann hätte man sozusagen ein gewisses Indiz, das für eine Besitzverschaffung sprechen könnte.

Ob selbst das als Beweis ausreichen würde, bezweifle ich. Aber selbst das, was als Minimum anzusehen ist, lässt sich natürlich nicht mehr belegen. Vielmehr sind es bloße, im Betriebssystem oder an Dateibäumen hängende Worte ohne eine Verknüpfung mit einem noch überprüfbaren Datentransfer, die den Tatnachweis ersetzen sollen. Dabei scheint nicht mal in Betracht gezogen zu werden, dass Dateinamen nicht von einem Amt vergeben werden. Oder dass nicht alles unter Flagge segelt, die es gehisst hat.

Worte sollen also im Ergebnis mittlerweile reichen, einen Beschuldigten ins Gefängnis bringen. Nicht aufschreien, das mit dem Gefängnis ist keine Übertreibung. Es gibt inzwischen Gerichte, die keine Probleme damit haben, auch Ersttätern in dieser Deliktsgruppe Bewährung zu verweigern.

Ich fürchte, es sind genau diese Gerichte, die der Idee, Dateinamen als Beweis für ihren Inhalt zu nehmen, etwas abgewinnen können.