„Sie haben ein Preisausschreiben gemacht“

„Sie haben bei einem Preisausschreiben mitgemacht.“ Das ist nach wie vor einer der Lieblingssätze, mit denen unerbetene Werbeanrufe gerechtfertigt werden. Ein bei einem Gewinnspiel gesetztes Häkchen, wonach man mit Werbeanrufen einverstanden ist, reicht aber nicht aus. Selbst bei einer zusätzlich angeforderten Bestätigung (Double-opt-in) bleiben die Anrufe unzulässig. Dies hat der Bundesgerichtshof jetzt noch einmal klargestellt.

Verklagt worden war die AOK. Sie hatte sich bei Gewinnspielen die Telefonnummern der Teilnehmer geben lassen. Durch Markieren eines Feldes hätten die Teilnehmer sich mit Telefonwerbung einverstanden erklärt. Die AOK will darauf hin noch einmal eine „Check-Mail“ mit einem Bestätigungslink versandt haben, den die Teilnehmer klicken mussten.

Der Bundesgerichtshof stellt zunächst klar, dass nach deutschem Recht alle unaufgeforderten Werbeanrufe unlauter sind, weil sie die Angerufenen unzumutbar belästigen. Der Anrufer müsse eindeutig belegen, dass sich der Angerufene vorher und ausdrücklich mit Werbeanrufen einverstanden erklärt hat.

Das von der AOK verwendete Double-opt-in halten die Richter für „von vornherein“ ungeeignet. Zwar könne bei Vorlage der angeforderten elektronischen Bestätigung angenommen werden, dass die Einwilligung tatsächlich von der angegebenen E-Mail-Adresse stammt. Damit sei aber nicht sichergestellt, dass es sich bei der genannten Telefonnummer tatsächlich um einen Anschluss des Absenders der Bestätigungs-E-Mail handelt.

Fremde Telefonnummern könnten von Dritten sowohl „versehentlich oder vorsätzlich“ eingetragen werden. werden. Das Verfahren stelle somit keineswegs sicher, dass die später angerufene Telefonnummer auch vom tatsächlichen Inhaber des Anschlusses für Werbeanrufe freigegeben wurde. Die Anbieter müssen also über das Double-opt-in hinaus prüfen, ob tatsächlich der Anschlussinhaber sein Einverständnis erklärt. Wie das gehen soll, sagt der Bundesgerichtshof nicht.

Außerdem genügt es nach Auffassung der Richter nie, wenn sich der Anbieter nur generell auf die Einhaltung eines gewissen Verfahrens beruft. Er müsse vielmehr die konkrete
Einverständniserklärung des Angerufenen vorlegen können. Eine Speicherung sei ohne weiteres zumutbar.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Februar 2011 – I ZR 164/09 – Telefonaktion II

Schufa darf Insolvenzdaten speichern

Auch wenn jemand das Insolvenzverfahren durchlaufen und Restschuldbefreiung erhalten hat, muss er bei der Schufa keine „weiße Weste“ haben. Vielmehr darf die Schufa weitere drei Jahre speichern, dass der Betroffene ein erfolgreiches Insolvenzverfahren hinter sich hat. So hat es das Amtsgericht Wiesbaden entschieden.

Der Kläger hatte im Jahr 2009 sein Insolvenzverfahren beendet. Er wollte sich mit seiner Frau ein Haus kaufen. Den hierfür nötigen Kredit lehnte die Bank ab. Sie begründete ihre Ablehnung damit, aus dem Schufa-Eintrag des Klägers ergebe sich die Restschuldbefreiung.

Der Kläger sieht durch die Datensammlung der Schufa den Sinn der Restschuldbefreiung ad absurdum geführt. Er meint, einem redlichen Schuldner wie ihm stehe ein unbelasteter Neuanfang zu. Dieser werde durch den Eintrag verhindert. Die Schufa lehnte die Löschung ab und bekam vom Amtsgericht Wiesbaden recht. Das Gericht verweigerte dem Kläger Prozesskostenhilfe für den geplanten Prozess mit der Bank.

Die Sammlung der Daten hält das Gericht zunächst grundsätzlich für zulässig. Das Bundesdatenschutzgesetz erlaube es, Informationen aus „allgemein zugänglichen Quellen“ zu verarbeiten. Das Insolvenzgericht mache den Beschluss über die Restschuldbefreiung bekannt. Überdies gebe es ein nachvollziehbares Interesse auf der Bankenseite. Die Tatsache eines Insolvenzverfahrens lasse nämlich sehr wohl Rückschlüsse darauf zu, ob ein Kunde kreditwürdig ist oder nicht.

Demgegenüber sei es nicht Ziel der Restschuldbefreiung, dem Schuldner einen kompletten Neuanfang ohne Überprüfung seiner Kreditfähigkeit zu ermöglichen. Letztlich müsse der Betroffene ja auch ehrlich antworten, wenn er persönlich nach einem Insolvenzverfahren gefragt werde. Dies sei nämlich ein Umstand, den ein Kreditsuchender auf Nachfrage nicht verschweigen dürfe.

Amtsgericht Wiesbaden, Beschluss vom 13.01.2011, Aktenzeichen 93 C 107/11

Ein Betrug, der keiner war

Die Strafverfolger sahen einen Betrug, der keiner war. Mit ziemlichem Getöse warf die Staatsanwaltschaft dem Fleischproduzenten Clemens Tönnies vor, seine Abnehmer in großem Stil betrogen zu haben. Der Lebensmittelfabrikant soll gemischtes Hackfleisch verkauft haben, das zu wenig Rindfleisch enthielt.

Schon das Landgericht Essen konnte darin keinen Betrug sehen und ließ die Anklage gegen Tönnies und zwölf seiner leitenden Angestellten in diesem Punkt nicht zu. Das Oberlandesgericht Hamm begab sich in die Tiefen des Lebensmittelrechts und stellte nun ebenfalls fest, dass Tönnies sich nicht wegen Betrugs verantworten muss.

Die Hammer Richter konnten schon gar nicht nicht feststellen, dass überhaupt minderwertige Ware geliefert worden ist. Dementsprechend könne auch nicht gesagt werden, dass die Abnehmer die Ware zu teuer bezahlt hätten. Insoweit dürfte wohl schlampig ermittelt worden sein. Das Oberlandesgericht weist nämlich ausdrücklich darauf hin, es fehlten Angaben zum maßgeblichen Marktwert des Hackfleisches.

Nach lebensmittelrechtlichen Vorschriften habe die Ware keinem Verkehrsverbot unterlegen. Eine prozentuale Mengenangabe der Zutaten bei der Verkehrsbezeichnung „gemischtes Hackfleisch“ sei nach den Vorschriften gerade nicht erforderlich. Die damals gültige Hackfleischverordnung fordere dies nämlich nicht. Die vorgeschriebenen Angaben der Lebensmittelzutaten seien somit eingehalten, wenn auch inhaltlich fehlerhaft.

Nach Auffassung des Gerichts richtet sich die Kaufentscheidung des Konsumenten nach Geschmack und Preis. Wenn das Hackfleisch so verkaufbar gewesen sei, seien Leistung und Gegenleistung wohl ausgeglichen gewesen. Tatsächlich soll das gemischte Hack von Tönnies in etwa so viel gekostet haben wie reines Schweinehack von anderen Anbietern. Die Käufer seien somit durch den angeblich zu geringen Rindfleischanteil jedenfalls wirtschaftlich nicht geschädigt, argumentierten Tönnies‘ Verteidiger.

Ob die belieferten Supermärkte gegen Tönnies zivilrechtlich vorgehen können, hält das Oberlandesgericht für unerheblich. Eine Qualitätsabweichung führe vielleicht zu Minderungsansprüchen. Hieraus lasse sich aber kein strafrechtlicher Schaden herleiten. Für diesen müsse man den Verkehrswert und die Preiskalkulation kennen. Diese Informationen seien dem Gericht aber nicht geliefert worden.

Die Angeklagten müssen sich jetzt „nur“ noch wegen falscher Auszeichnung von Ware verantworten. Der Prozess soll in Kürze beginnen.

Kein Grundrecht auf umfassenden Schutz

Im Verfassungsblog ist heute ein hervorragender Artikel zu lesen. Er heißt „Es gibt kein Grundrecht auf Schutz vor Straftätern“. Max Steinbeis schildert, wie sich die angeblichen Schutzpflichten des Staates neben unsere Grundrechte schleichen und sich langsam darüber erheben:

Ein Grundrecht auf Sicherheit … ist eine wirklich teuflische Idee, um so mehr, als sie auf den ersten Blick so einleuchtend und auf der Hand liegend erscheint. …

Ein solches Grundrecht auf Sicherheit wäre in der Tat “das Ende”. Damit wären die Freiheitsgrundrechte der Bürger vollkommen dem Ermessen des Staates ausgeliefert. Aus Abwehrrechten gegen den Staat wären unversehens Ermächtigungen an den Staat geworden, gütig und weise die miteinander kollidierenden Grundrechte seiner wechselseitig füreinander furchtbar gefährlichen Bürger miteinander in Ausgleich zu bringen.

Hier geht es zum Beitrag.

Kleinkariert

Der Kreis Düren hat ein Motto:

Wir machen das!

Kein bloßes Gerede, wie ich heute feststellen durfte. Sie machen es tatsächlich – den Bürger erziehen. Und zwar unerbittlich…

Bis heute war mein Kenntnissstand, dass Radarfallen mit einer gewissen Großzügigkeit eingestellt sind. Meist wird erst ab 10 Stundenkilometern zu viel geblitzt, mitunter auch erst ab 15 Stundenkilometern. Das mag auch noch so sein, aber eben nicht im Kreis Düren, der das (anders) macht.

86 Stundenkilometer soll ich mit meinem Auto gefahren sein, teilt mir der Landrat mit. Und zwar auf der mehrspurigen Verbindungsrampe von der A 44 zur A 61. Erlaubt sind dort aber nur 80 Stundenkilometer. Macht stolze sechs Stundenkilometer zu viel – im neu ausgebauten Autobahndreieck Jackerath nachts um 23.30 Uhr.

Zehn Euro soll ich nun zahlen. Juristisch ist dagegen nichts zu sagen. Der Bußgeldkatalog sieht dieses Verwarnungsgeld vor, wen man auch nur einen Kilometer zu schnell gewesen ist.

Das Geld ist mir ziemlich egal. Aber nicht der Eindruck, die so eine, ich sage es mal offen, kleinkarierte Verfolgungsmentalität bei mir hinterlässt.

Mit der Radarfalle verdient der Kreis Düren übrigens jährlich Millionen.

Wand, Ofen, Fußboden

Nur wenige Dinge reizen Staatsanwälte und Richter so, wie eine einfache Körperverletzung zu einer gefährlichen Körperverletzung aufzuwerten. Die Strafschärfung steht vor allem immer dann im Raum, wenn der Täter sich eines Hilfsmittels bedient hat. Er muss dann aber, so will es das Gesetz, ein „gefährliches Werkzeug“ verwendet haben.

Die Strafrechtskommentare sind voll von Dingen, die – zu recht oder auch nicht – schon als gefährliches Werkzeug herhalten mussten. Zitiert werden Urteile zu Scheren, Nadeln und Gabeln, zu fahrenden Autos, Klebeband und Kleiderbügeln. Aber auch Plastiktüten und Schnürsenkel waren schon Thema.

Praktischer Dauerbrenner ist der „beschuhte Fuß“. Wer mit schwerem, festen Schuhwerk zutritt, so die weit verbreitete Auffassung, nutzt ein gefährliches Werkzeug. Ich habe es allerdings schon erlebt, dass mit leichten Stoffturnschuhen gefährliche Körperverletzung möglich sein soll. Dem wollte aber schon die Berufungsinstanz nicht folgen, so dass es dieser Fall leider nicht in die Kommentare geschafft hat.

Auch das Landgericht Essen mag auf etwas Unsterblichkeit in Form einer Fußnote gehofft haben. Die Richter haben nämlich ein bislang schmählich ignoriertes „gefährliches Werkzeug“ ausgemacht: den eigenen Kopf. Mit eben diesem hatte der Angeklagte einer Frau „plötzlich und gezielt eine Kopfnuss“ versetzt, worauf sich „sofort eine schmerzhafte Schwellung bildete“.

Womöglich hätte es in Essen aber schon eine Warnung sein müssen, dass zumindest die obersten Richter den Begriff des „Werkzeugs“ eher eng auslegen. So sind sie zum Beispiel seit jeher unumstößlich der Auffassung, dass unbewegliche Gegenstände kein Werkzeug sein können. Nachzulesen in den Urteilen zu Wand, Ofen und Fußboden.

So wie sich feststehende Gegenstände sprachlich kaum als Werkzeug einordnen lassen, ist das eben auch mit den Körperteilen. Leisen Optimismus mögen die Essener Richter aus klugen Aufsätzen geschöpft haben, die sich vornehmlich Jurastudenten zu Gemüte führen müssen. Was ist etwa ist mit dem künstlichen Gebiss? Oder mit dem Piraten-Haken als Handprothese?

Gleichwohl konnte sich der Bundesgerichtshof nicht durchringen, den zweckentfremdeten Kopf straftechnisch aufzuwerten. Die Karlsruher Richter wiesen die Essener Kollegen nun in einem Beschluss ohne nähere Begründung darauf hin, Körperteile seien nach ständiger Rechtsprechung nur Körperteile und keine gefährlichen Werkzeuge.

Daran werden wir uns dann wohl halten müssen.

Auf die Tränendrüse drücken

Der kleine Ausflug nach Holland endet ja oft auf dem Seitenstreifen der Autobahn. Auch einen Mandanten hat es vor einiger Zeit erwischt. Ihn fischte die Bundespolizei mit gerade importiertem Kokain aus dem Verkehr. Und dann folgte das böse Erwachen.

Wie sich herausstellte, hatte der Mandant in den Niederlanden Stoff von fast unglaublicher Reinheit erworben. Mit der Folge, dass er mehr als fünf Gramm Cocain-Hydrochlorid über die Grenze gebracht hatte. Das ist dann keine geringe Menge im Sinne des Gesetzes mehr. Was extrem unangenehme Folgen hat. Unter zwei Jahren Freiheitsstrafe läuft dann nichts. Das Problem: Eine Gefängnissstrafe ab zwei Jahren kann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden.

Wem so was passiert, der hat also ziemlich sicher Knast vor sich. Neben dem sturen Leugnen, das angesichts der Beweislage aber nur selten Erfolg verspricht, bleibt nur ein Ausweg. Man muss das Gericht von einem „minder schwerer Fall“ überzeugen.

Auf diese Aufgabe war mein Mandant heute vorbereitet. Er berichtete flüssig von den Widrigkeiten, die ihm bisher im Leben widerfahren waren. Neben Todesfällen naher Angehöriger auch ein Unfall, an dessen Folgen er noch heute laboriert.

Noch wichtiger aber war die Zukunftsperspektive. Obwohl nicht gerade aus behüteten Verhältnissen, hat er das Abitur geschafft und studiert. Das Examen steht demnächst an. Für die Zeit danach hat er die Zusage auf einen festen Arbeitsplatz.

Daneben konnte der Mandant noch glaubhaft machen, dass er seit dem Ausflug nach Holland die Finger von Betäubungsmitteln gelassen hat.

Ich weiß, über so eine Verteidigung wird gern die Nase gerümpft. Erst Straftaten begehen und dann auf die Tränendrüse drücken. Das hat man gern.

Ich kann dazu nur sagen, dass gute Richter so was vielleicht denken, sich aber in ihrer Entscheidung nicht davon leiten lassen. So wie es das Schöffengericht heute getan hat. Am Ende stand nicht nur der minder schwere Fall, sondern eine Freiheitsstrafe von gerade acht Monaten auf Bewährung.

So was könnte man glatt feiern. Mit legalen Drogen, natürlich.

Haftbefehle gegen Abofallenbetreiber

Erst kürzlich hat das Oberlandesgericht Frankfurt Abofallen als gewerbsmäßigen Betrug eingestuft und Anklagen gegen Betreiber zugelassen. Nun zieht die Hamburger Justiz auf geradezu spektakuläre Weise nach: Heute wurden zwei Männer verhaftet, die in großem Stil Abofallen aufgestellt haben sollen. Das Amtsgericht erließ gegen die Männer am Abend Haftbefehle. Die Beschuldigten sollen mindestens fünf Millionen Euro eingenommen haben.

Hauptseite der Unternehmer soll „online-downloaden.de“ gewesen sein. Über das Angeobt finden sich zahlreiche Warnungen im Netz (Beispiel).

Seit Mitte 2009 erstatteten mehrere tausend Geschädigte in Deutschland Strafanzeigen gegen die Betreiber. Sie hatten Rechnungen von 60 bis 80 Euro für angeblich von ihnen abgeschlossene Abos erhalten. Anschließend meldeten sich Inkassobüros, welche die vermeintlichen Forderungen auf teilweise rüde Art und Weise einforderten.

Hinter den Abofallen steckte nach Erkenntnissen der Polizei ein Geflecht aus neun arbeitsteilig agierenden Unternehmen. Die Firmen saßen in Hamburg und Lüneburg (Niedersachsen). Auf den Internetseiten wurden Programme angeboten, die an sich kostenfrei erhältlich sind (Free- und Shareware). Typisches Beispiel ist der Firefox-Browser gewesen. Hersteller Mozilla hat gegen Abofallen auch schon erfolgreich geklagt.

Weil die Verdächtigen keine Genehmigung für den Weitervertrieb hatten, ermittelt die Staatsanwaltschaft auch wegen des Verdachts der Urheberrechtsverletzung.

Den Schwerpunkt der Ermittlungen macht jedoch der Betrugsvorwurf aus. Die weitaus meisten Anzeigenerstatter haben nach Polizeiangaben beteuert, auf den Downloadseiten sei kein Kostenhinweis gewesen. Andere gaben an, der Hinweis sei so versteckt gewesen, dass er offenbar absichtlich verschleiert wurde. Die Betreiber haben möglicherweise zu einem in der Branche beliebten Kniff gegriffen: Die Startseite selbst wies die Kostenpflicht auffällig aus. Wer jedoch über externe Links auf die Domain kam, bekam eine andere Startseite angezeigt, auf der kein Hinweis enthalten war. Nach Angaben der Polizei dauern die Ermittlungen in diesen und anderen Punkten noch an.

Die bisherigen Recherchen des Landeskriminalamtes führten auf die Spur eines 27-jährigen Lüneburgers, der zusammen mit dem 30-jährigen weiteren Hauptbeschuldigten sechs Strohleute als Geschäftsführer eingesetzt haben soll. Um die strafrechtlichen und zivilrechtlichen Ansprüche zu erschweren, wurden die Firmen, Konten und Büroräume nach Erkenntnissen der Polizei bereits nach kurzer Zeit jeweils wieder geschlossen und an anderer Stelle neu eröffnet.

Die Polizei geht derzeit von mindestens 65.000 Geschädigten aus. Sie sollen insgesamt mehr als fünf Millionen Euro an die Firma überwiesen haben.

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„Der Drückerkönig und die Politik“ – beim NDR jetzt im Judges Cut

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Kabinett soll über Freigabe der Buback-Akten entscheiden

Zinsmillionäre können weiter Elterngeld erhalten

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Ruanda: Langjährige Haftstrafen für Journalisten wegen Kritik an der Regierung

Zu dumm für Sex?

Mit wem man es zu tun hat

Ein Mandant erzählte mir heute von einer früheren Begegnung mit der Polizei. Er war frühmorgens unterwegs, ziemlich angesäuselt und schlecht gelaunt. Weil er ins Handy brüllte, hielten ihn eine Polizistin und ein Polizist an.

Der Mandant reagierte wohl nicht sonderlich freundlich auf die Kontrolle. Jedenfalls fragte die Polizistin, ob er denn überhaupt wisse, mit wem er es zu tun habe. Da seine Antwort nicht wie erwünscht ausfiel, hielt ihm die Polizistin ihren Jackenärmel vor die Nase, tippte auf den Aufnäher „Polizei“ und fragte:

Können Sie das lesen?

Antwort:

Barbie, blond.

Er wehrte sich nicht und zahlte später einen vierstelligen Betrag wegen Beleidigung.

Ich hätte durchaus Verteidigungsansätze gesehen…

Am Ende bleibt ein gebrochener Mann

Ein Schreiben aus der Samstagspost hat mich überrascht. Und zwar positiv. Damit geht ein jahrelanger Prozessmarathon zu Ende, der den einen Beteiligten zermürbt, aber auch dem anderen deutlich zugesetzt hat. Angefangen hat alles mit einer alltäglichen Situation…

… in einem Düsseldorfer Supermarkt. Mein Mandant steht im Juli 2005 mit seiner Schwester an der Kasse, schiebt den Einkaufswagen weiter. Dabei soll er achtlos gewesen sein. Der Kunde vor ihm behauptet, mein Mandant sei ihm mit dem Wagen in die Hacken gefahren. Fest steht, der andere Kunde sprach den vermeintlichen Übeltäter an, forderte eine Entschuldigung. Mein Mandant sagt dazu, er habe das aufgeregte Verhalten seines Kontrahenten gar nicht verstanden. „Ich habe mich einfach weggedreht und weiter Waren vom Band geräumt.“

Stimmt nicht, sagt der Andere. „Ich kriegte sofort einen Schlag gegen das rechte Ohr.“ Das mit der Ohrfeige stimmt, allerdings lag möglicherweise ein Ereignis dazwischen. Mein Mandant: „Als ich weiter einräumte, trat mir der Mann von hinten in die Knie.“ Darauf habe er impulsiv reagiert. Er drehte sich um und haute dem aufgeregten Mann eine runter.

Anschließend rangelten beide miteinander und verpassten sich weitere Schläge.

Das alles wäre höchstens ein Fall für den Schiedsmann gewesen, hätte der verärgerte Supermarktbesucher nicht bleibende Schäden erlitten. Er ist seit Geburt auf beiden Ohren schwer hörbehindert. Auf dem rechten Ohr hatte er im Sommer 2005 nur noch 20 % Hörvermögen. Atteste belegten, dass er kurz nach dem Vorfall im Supermarkt auf dem rechten Ohr taub war – und es bis heute ist.

Zum ersten Mal wurde die Sache im Jahr 2007 verhandelt. Davor musste der vermeintlich Geschädigte erst mal mit Beschwerden eine Anklage durchsetzen. Die Staatsanwaltschaft hatte die Sache nämlich als Bagatelle eingestuft und von einer Verfolgung abgesehen.

Vor Gericht hatte der Mann trotzdem keinen Erfolg. Am Ende eines langen Verhandlungstages stand ein Freispruch. Zur Begründung sagte der Richter, es sei eben nicht auszuschließen, dass der Mann meinen Mandanten aus Verärgerung von hinten getreten hat. Die Ohrfeige wäre dann Notwehr gewesen.

Monate später die Berufungsverhandlung am Landgericht. Berufung hatte nur der vermeintlich Geschädigte als Nebenkläger eingelegt. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf ein Rechtsmittel.

Den Vorsitz führte ein Richter am Landgericht, bei dem man als Angeklagter mit allem Glück haben konnte – nur nicht mit Körperverletzungsdelikten. Wer vor dem Mann als mutmaßlicher Schläger stand, konnte nur verlieren. Das mutmaßliche Opfer und alle Zeugen, die für das Opfer aussagen, haben immer recht. Der Angeklagte und alle, die was anderes bestätigen, lügen wie gedruckt. Worauf sich diese partielle Betriebsblindheit gründete, ist mir und vielen anderen Verteidigern bis heute ein Rätsel.

Mein Mandant wurde somit ordnungsgemäß wegen Körperverletzung bestraft. Ein Urteil, das er jedoch von Anfang gelassen sehen konnte. Der Amtsrichter hatte nämlich nach Eingang der Anklage vergessen, einen Eröffnungsbeschluss zu erlassen. Ohne diesen Beschluss ist das ganze Verfahren Makulatur – wenn dies in einem späteren Stadium gerügt wird.

Die Revision war demnach nur eine Formsache. Das Verfahren wurde eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte sich zwar nicht gegen den ersten Freispruch gewehrt. Jetzt wurde sie aber doch noch mal aktiv. Sie überlegte es sich anders – und klagte meinen Mandanten neu an. Damit war der Fall wieder am Amtsgericht…

… das genau demselben Ergebnis kam wie beim ersten Mal. Die jetzt zuständige Richterin befragte alle Zeugen bis ins Detail. Was natürlich drunter und drüber ging – nach knapp fünfeinhalb Jahren und zwei Hauptverhandlungen nicht ganz überraschend. Die Richterin hörte sich auch die, wie ich zugeben muss, erschütternde weitere Lebensgeschichte des Nebenklägers an. Dieser litt nämlich nicht nur daran, dass er kaum noch hören kann. Er sei wegen des Vorfalls und des sich hinschleppenden Verfahren auch depressiv geworden. „Er ist nicht mehr der lebenslustige Mensch, der trotz seiner Hörbehinderung was aus seinem Leben macht“, schilderte die Ehefrau.

Gleichwohl blieb es am Ende beim Freispruch. Kein Zeuge konnte nämlich bestätigen, dass mein Mandant zuerst tätlich geworden ist. Der Kassierer meinte jetzt sogar, folgenden Satz gehört zu haben: „Warum hast du mich getreten?“ Das brachte die Richterin zu der Überzeugung, dass sich der Ablauf letztlich nicht aufklären lässt. Notwehr sei nach wie vor nicht ausgeschlossen. Sie entschied „im Zweifel für den Angeklagten“.

Der Nebenkläger legte natürlich Berufung ein. Die Staatsanwaltschaft durfte ja nicht, weil sie schon im ersten Verfahren kein Rechtsmittel eingelegt hatte. Jetzt war ich ziemlich optimistisch. Der beim ersten Mal verantwortliche Vorsitzende am Landgericht war inzwischen nicht mehr auf diesem Posten. Nun waren Richter zuständig, bei denen ich Voreingenommenheit jedenfalls so lange nicht unterstellen würde, bis sie mich vom Gegenteil überzeugen.

Zu einer neuen Verhandlung wird es jedoch nicht kommen. Der Kontrahent meines Mandanten hat sich einen anderen Anwalt genommen und die Sache mit diesem gründlich besprochen. Der Anwalt nahm für ihn die Berufung zurück, mit folgender Begründung, die ich in der Samstagspost lesen durfte:

Der Mandant ist aufgrund der psychischen Belastung und des Verfahrens und seiner seelischen Belastung nicht mehr in der Lage, den Prozess weiter fortzuführen.

Damit ist der Freispruch rechtskräftig, und jedenfalls meinem Mandanten fällt ein großer Stein vom Herzen. Er ist nämlich nicht nur zweifacher Familienvater, sondern auch seit vielen Jahren als Sozialarbeiter in der Jugendbetreuung tätig. Vorstrafen, einschließlich Punkte in Flensburg: nullkommanull. Eine Strafe wegen Körperverletzung hätte für ihn möglicherweise bedeutet, dass er demnächst nur noch Akten bearbeiten darf.

Jetzt folgt noch ein unangenehmes Kapitel. Das Landgericht hat dem Nebenkläger nämlich, wie es das Gesetz verlangt, die Kosten der Berufung auferlegt. Er wird also nicht nur seinen Anwalt bezahlen müssen, sondern auch mich. Aber vielleicht greift ihm auch ein Gehörlosenverein finanziell unter die Arme. Dessen Funktionäre haben den Mann immer wieder gehörig befeuert, die Sache bis zum Schluss durchzuziehen. Dass er heute gebrochen ist, geht nach meiner Meinung auch etwas auf ihr Konto.

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EU-Kommissarin will Passagierdaten auf Vorrat speichern

Propaganda poster with nothing behind it

Berichterstattung bei CNN: „Wir werden losgeschickt, und es heißt: Baut etwas auf“

Detained in Cairo

2 Detained Reporters Saw Secret Police’s Methods Firsthand

How Twitter engineers outwitted Mubarak in one weekend

Peine: Wachsamer Bürger mit Inhalt des Polizeifunks nicht einverstanden

„Sie haben ein Paket“ – die neue Werbemasche

FOX News – Amerikas rechte Stimmungsmaschine

G8: Demoverbot war überzogen

Der G8-Gipfel in Heiligendamm liegt dreieinhalb Jahre zurück. Bilder des Katz- und Mausspiels zwischen Demonstranten und Polizei gingen um die Welt. Ebenso Berichte über Gefangenensammelstellen, deren Ausgestaltung eher an die Käfighaltung von Nutztieren erinnerte. Ein heikles Thema war auch der Umgang der Behörden mit angemeldeten Demonstrationen. Diese wurden teilweise verboten, darunter auch der große Sternmarsch am 7. Juni 2007, der bis an den eigens für den Gipfel errichteten Zaun reichen sollte.

Beim Sternmarsch ging das Verbot jedenfalls zu weit, entschied jetzt das Verwaltungsgericht Schwerin. Die Demonstration hätte nach Auffassung der Richter nicht pauschal untersagt werden dürfen.

Die Richter attestieren den Behörden, sie hätten sich einseitig am Sicherheitskonzept der Polizei orientiert. Diese berief sich auf mannigfaltige Gefahren für die versammelten Staatsoberhäupter. Mit diversen Ordnungsverfügungen wurden Kundgebungen im Umkreis von minimal fünf Kilometern rund um das Tagungshotel verboten.

Das Verwaltungsgericht Schwerin hält den Verantwortlichen vor, sie hätten das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit praktisch ignoriert. Jedenfalls ließen die Verbote jede nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob möglichen Gefahren nicht durch mildere Maßnahmen, Auflagen zum Beispiel, gebannt werden konnten. Somit sei die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt.

Das Gericht kritisiert auch, die Behörden hätten sich nicht hinreichend mit jeder angemeldeten Demonstration beschäftigt. Es fehle an einer nachvollziehbaren Entscheidung „im Einzelfall“.

Die Kläger hätten auch gern festgestellt gehabt, dass die polizeiliche Lagebewertung völlig überzogen, wenn nicht sogar eine bewusste Täuschung war. Nach ihrer Meinung haben die Behörden gerade im damaligen Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bewusst dick aufgetragen und wahre Horrorgeschichten geschildert, unter anderem zur angeblichen Gewaltbereitschaft von Demonstranten. Dies habe dazu geführt, dass das Bundesverfassungsgericht zwar Zweifel an den Demoverboten äußerte, letztlich aber keine einstweilige Verfügung zu Gunsten der Veranstalter erließ.

Ob die Bewertung der Polizei falsch oder gar eine bewusste Täuschung war, wollte das Verwaltungsgericht Schwerin jedoch nicht beurteilen. Die Richter halten den Klageantrag bereits für unzulässig. Das Gesetz sehe nicht vor, dass Verwaltungsgerichte nachträglich Prozessaussagen in anderen Verfahren auf ihre Richtigkeit überprüfen. Das ist juristisch sicher korrekt, zeigt aber nach Auffassung der Kläger Lücken im System. Ihre Anwältin Ulrike Donat:

Damit kann die Polizei auch in Zukunft die Stimmung aufheizen, ungestraft Gerichte manipulieren und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unterlaufen. In einem solchen Fall gibt es offenbar keinen wirksamen Rechtsschutz für die Bürger.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Polizeidirektion Rostock kann die Zulassung der Berufung beantragen. Gut möglich also, dass juristische Klarheit erst dann eintritt, wenn sich wirklich niemand mehr an den G8-Gipfel von Heiligendamm erinnert.

Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin (PDF)