“Wir spielen mit dem Reiz des Verbotenen”

"Hier saugen Profi-Piraten", heißt es auf der Titelseite einer Computerzeitschrift. Oder auf dem nächsten Blatt: "So haben Polizei und Abmahner keine Chance". Eine andere Titelgeschichte stellt (und beantwortet) die Frage: "Wie legal ist illegal?" Nach Recherchen des NDR-Medienmagazins "Zapp" berichten viele deutsche Computerzeitschriften immer wieder detailliert und ausführlich über die verschiedensten Möglichkeiten, urheberrechtlich geschützte Inhalte illegal aus dem Internet zu beziehen. Zapp beleuchtet den Hntergrund dieser permanenten Schlagzeilen. Die Sendung läuft heute abend um 23.20 Uhr. 

Offenbar als Folge des starken Konkurrenzdruckes in der Branche locken viele PC-Magazine ihre Leser mit raffinierten Schlagzeilen, etwa "Filme, Musik, Software: Die verbotensten Quellen!". Sie operieren damit womöglich am Rand der Legalität, jedenfalls aber strapazieren sie die Presseethik.

In den Artikeln wird nämlich meist Schritt für Schritt beschrieben, wie man sich Daten und Dateien aus dem Internet herunterlädt, es werden sogar die Namen von benötigten Tools und Internetseiten genannt. Die Inhalte, die auf diesen Seiten angeboten werden, sind häufig illegal. Im Kern geht es entweder darum, kostenlos an nahezu jedes beliebige Musikstück zu kommen, oder darum, Film- oder Software-Dateien aus dem Internet zu "saugen".

Hinter Titeln wie "So schalten Hacker Windows illegal ohne Seriennummer frei!" in der "PC Welt", Ausgabe 06/2011, verbergen sich außerdem genaue Anleitungen, wie auch unerfahrene Computernutzer Kopierschutzvorrichtungen umgehen können. Dazu werden den Lesern noch Hinweise geliefert, inwieweit sie Gefahr laufen, für ihr dubioses Handeln bestraft zu werden. "User können derzeit von der Polizei fast nie namentlich ermittelt werden!", lautet beispielsweise in der "PC Praxis" 06/2010 die Einschätzung eines Rechtsanwaltes.

Markus Mizgalski, stellvertretender Chefredakteur bei der Data Becker GmbH, antwortete "Zapp" für die "PC Praxis": "Der Leser erfährt durch unsere Berichterstattung, dass bestimmtes Verhalten illegal ist, unabhängig davon, wie groß das Risiko ist, erwischt zu werden. Wir animieren ihn nicht, sich illegal zu verhalten."

Andreas Hentschel, stellvertretender Chefredakteur von "Chip", sagte "Zapp": "Wir spielen natürlich mit dem Reiz des Verbotenen. Den gibt es ja ganz ohne Frage. Und wenn die Leute so das Gefühl haben, ‚Ah, vielleicht darf ich das gar nicht, das bewegt sich so in eine Richtung!‘, dann wird es auch wieder interessant. Und dann sind wir wieder bei dem Thema, wie wecke ich Neugier bei dem Leser. Wie kriege ich ihn vielleicht doch dazu, mein Heft zu kaufen?"

Dr. Florian Drücke, Geschäftsführer Bundesverband Musikindustrie, will aufgrund der Erkenntnisse aus der "Zapp"-Recherche erneut eine Beschwerde gegen einzelne Computerzeitschriften beim Presserat prüfen. "Die Journalisten sind hier an einer sehr verantwortungsvollen Stelle und adeln diese illegalen Angebote noch durch den Print-Artikel".

Der Presserat hatte schon 2006 wegen ganz ähnlicher Berichte gegen die Computerzeitschriften "PC Go" und "PC Magazin" eine Rüge ausgesprochen. Grundsätzlich vertritt er die Meinung: "Unter presseethischen Gesichtspunkten ist es nicht akzeptabel, wenn den Lesern in Form einer derart detaillierten Darstellung in den Artikeln die Möglichkeit gegeben wird oder aufgezeigt wird, wie sie illegal Software downloaden können."

Mütter müssen Vater ihres Kindes nennen

Mütter von Kuckuckskindern dürfen über die Person des wirklichen Vaters nicht schweigen. Zumindest dann nicht, wenn ein Scheinvater Unterhalt für das Kind, das gar nicht von ihm stammt, gezahlt hat und er das Geld nun vom wirklichen Erzeuger zurückhaben möchte. Der Bundesgerichtshof bejaht in einem heute veröffentlichen Urteil einen Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter.

Insgesamt 4.575 Euro zahlte ein Mann als Unterhalt für ein Kind, das im Januar 2007 zur Welt gekommen war. Der vermeintliche Vater hatte mit der Mutter bis zum Frühsommer 2006 zusammengelebt. Nachdem sie ihn aufgefordert hatte, Verantwortung für das “gemeinsame Kind” zu übernehmen, erkannte er die Vaterschaft an.

Später kam es dann zu einem Unterhaltsprozess und anderen Rechtsstreitigkeiten. In diesem Rahmen wurde ein Vaterschaftsgutachten eingeholt. Danach ist der Mann eindeutig nicht der Vater des Kindes. Seine Vaterschaftsanerkennung wurde gerichtlich aufgehoben.

Das Gesetz sieht für diesen Fall vor, dass der Scheinvater nun vom wirklichen Vater den irrtümlich gezahlten Unterhalt verlangen darf. Zwar wusste der Scheinvater, dass mittlerweile ein anderer Mann Unterhalt für das Kind zahlt. Dessen Namen kannte er jedoch nicht. Deshalb verlangte er von der Mutter des Kindes Auskunft darüber, mit wem sie in der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr hatte.

Schon die Instanzgerichte verurteilten die Mutter zur Auskunft. Diese Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof nun endgültig bestätigt. Nach Auffassung der Karlsruher Richter ergibt sich der Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben. Die Mutter könne unschwer die Person benennen, die ihr während der Empfängniszeit beigewohnt, so der juristische Fachbegriff, hat und gegenwärtig sogar Kindesunterhalt leistet. Die erforderliche besondere Rechtsbeziehung zwischen den  Beteiligten ergebe sich aus dem seinerzeitigen Vaterschaftsanerkenntnis, das der Mann abgegeben hat.

Zwar berühre die Auskunftspflicht das Persönlichkeitsrecht der Mutter, denn die Frage greife in ihre Privat- und Intimsphäre ein. Dieser Schutz sei aber nach dem Grundgesetz eingeschränkt durch die Rechte Dritter.

Bei der erforderlichen Abwägung berücksichtigen die Richter, dass die Mutter den Mann ausdrücklich als Vater benannt hat. Damit habe sie gleichzeitig erklärt, dass niemand anderer als Vater in Betracht kommt. Schon diese Art “Falschaussage” führt nach Auffassung der Richter dazu, dass das Auskunftsrecht des Scheinvaters überwiegt.

Der Betroffene kann seinen Auskunftsanspruch jetzt gerichtlich durchsetzen. Im Falle einer Weigerung müsste die Mutter Ordnungsgelder zahlen oder sogar in Erzwingungshaft, die bis zu sechs Monate dauern darf.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. November 2011, Aktenzeichen XII ZR 136/09

Keine Fünfprozentklausel bei Europawahlen

Eine Fünfprozentklausel bei Europawahlen ist in Deutschland rechtswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht für die Europawahl 2009 entschieden. Die Karlsruher Richter vermissen einen ausreichenden Grund dafür, Parteien mit weniger als fünf Prozent Stimmen den Einzug ins Europaparlament zu verweigern.

In seiner Entscheidung hebt das Gericht den Grundsatz hervor, dass jede Wählerstimme gleiches Gewicht haben muss. Hiervon dürfe nur abgewichen werden, wenn es aus wichtigen Gründen erforderlich sei. Die Fünfprozentklausel wird stets mit Lehren aus der Weimarer Republik begründet. Danach soll eine Zersplitterung des Parlaments in viele Fraktionen vermieden werden, die zur Selbstlähmung führen kann.

Auf europäischer Ebene hält das Verfassungsgericht solche Vorsorge nicht für notwendig. Die Richter verweisen darauf, dass schon heute 162 Parteien Abgeordnete ins Europaparlament entsenden, weil es die Fünfprozenthürde in anderen europäischen Ländern nicht gibt. Ohne deutsche Sperrklausel wären es 169 Parteien gewesen. Das macht nach Auffassung der Richter keinen großen Unterschied.

Trotz einer großen Zahl von Parteien funktioniere das Europaparlament auch. Die teilweise kleinen Gruppen hätten sich meist entsprechend ihrer Grundausrichtung zu größeren Fraktionen zusammengeschlossen. Diese Blöcke ermöglichten eine funktionierende Arbeit.

Außerdem wähle das Europaparlament keine Regierung. Eine eventuelle Zersplitterung führe deshalb nicht unbedingt zu Blockaden oder einer Handlungsunfähigkeit der Exekutive.

Das Verfassungsgericht betont ausdrücklich die großen Unterschiede zwischen europäischer und deutscher Ebene. Aus der Entscheidung kann man deshalb herauslesen, dass Klagen gegen die Fünfprozenthürde in Deutschland wohl keinen Erfolg hätten.

Die Kläger hatten sich auch gegen das starre Listenwahlsystem für die Euopawahl gewandt. Hieran hat das Bundesverfassungsgericht jedoch nichts auszusetzen.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. November 2011, Aktenzeichen 2 BvC 4/10, 2 BvC 6/10, 2 BvC 8/10

Nachschlag für die Brille

Eine unachtsame Armbewegung, und die Brille unseres Mandanten zersplitterte auf dem Asphalt. Gestell und Gläser waren hinüber. Immerhin hatte der Übeltäter eine Haftplichtversicherung. So ging unser Mandant davon aus, dass er den Schaden ersetzt erhält.

Doch genau hier lag das Problem. Was ist der Schaden? Der Neuwert der Brille, die vor anderthalb Jahren 600 Euro kostete? Oder doch nur der “Zeitwert”, wie auch immer man diesen ermitteln mag? Wenig überraschend setzte die Versicherung auf letztere Variante. Sie überwies gerade mal 300 Euro. Mit der Begründung, schon durch den Gebrauch habe die Brille deutlich an Wert verloren. Und außerdem müsste die Sehstärke unseres Mandanten ja ohnehin bald wieder angepasst werden.

In mehreren Stellungnahmen zitierte die Versicherung knapp zehn Urteile von Amtsgerichten, die das angeblich genau so sehen wie sie. Wir dagegen verwiesen auf ein Urteil des Landgerichts Münster, wonach auch bei älteren Brillen der Kaufpreis zu erstatten ist, wenn besondere Umstände Vorliegen. Zum Beispiel wenn jemand schnell auf eine neue Brille angewiesen ist.

Beim Mandanten kam noch hinzu, dass er nach dem Kauf der Brille seinen Arbeitsplatz verloren hat. Heute hätte er gar nicht das Geld, um die gezahlten 300 Euro aufzustocken, damit er wieder an eine gleichwertige Brille kommt. Wir erlaubten uns mal, dies ebenfalls als besonderen Umstand zu sehen.   

Die Briefe der Versicherung klangen zunächst ultratrocken. Weitere Zahlungen kämen definitiv nicht in Betracht, hieß es sogar einmal. Wir haben dann unmissverständlich erklärt, es sei an der Zeit, die Sache vor Gericht zu klären. Was auch wirklich möglich gewesen wäre, denn der Mandant ist rechtsschutzversichert.

Offenbar hat die Versicherung nur geblufft. Oder nach der Klagedrohung hat Bernd Stromberg die Akte übernommen und entschieden, bevor ich mir Arbeit mache, gebe ich lieber das Geld meines Arbeitgebers aus. So kamen etwas überraschend dann noch mal 200 Euro. Das sind 5/6 des damaligen Kaufpreises.

Damit will es der Mandant dann auch gut sein lassen.

Schweizer Bahnen: Handtuchverbot auf dem Nebenplatz

Die Schweizerischen Bundesbahnen greifen durch: Fahrgäste, die mit Jacken oder Taschen den Sitzplatz neben sich blockieren, müssen künftig einen extra Fahrschein lösen. Die Schaffner sind angewiesen, uneinsichtige Sitzplatzblockierer in den Zügen auch wirklich zur Kasse zu bitten.

Um Fahrgästen Herr zu werden, die niemand neben sich dulden, ändern die Schweizerischen Bundesbahnen zum 11. Dezember extra die Hausordnung. Bislang, so der Tagesanzeiger, hätten die Zugbegleiter gerade in den vollen Pendlerzügen immer an den gesunden Menschenverstand appelliert. Oftmals aber erfoglos, weshalb ihnen die Bahnspitze nun eine Handhabe gegen Sitzblockierer verschaffe.

Eine Idee, über die man auch mal in Deutschland diskutieren könnte. Ganz unbekannt ist das Problem bei uns ja auch nicht.

(via)

Polnisch für Volljuristen

Der Vorwurf lautete auf Erpressung. Angeblich soll mein Mandant versucht haben, durch Drohung einen Mann um 25.000 Euro zu erleichtern. Schon als ich seinerzeit die Ermittlungsakte las, hielt ich das für eine weitgehende Interpretation. Das vermeintliche Opfer erklärte der Polizei nämlich, mein Mandant habe gesagt, er werde “unbrav”, wenn er kein Geld kriege.

So ein Begriff ist natürlich auslegungsbedürftig. Unbrav könnte, jedenfalls nach meinem Verständnis, auch bedeuten, dass man vor Gericht klagt. Oder was über den Streit ins Internet schreibt, damit keiner den vermeintlichen Schuldner mehr lieb hat. Auch das sind Übel, aber eben keine “empfindlichen”, wie sie der Erpressungsparagraf verlangt.

Mit dem Wort unbrav mussten wir uns aber gar nicht beschäftigen. Der Zeuge, der nur polnisch spricht, hatte vor Gericht plötzlich eine ganz andere Erinnerung. Mein Mandant habe gar nicht unbrav gesagt. Vielmehr habe er ein anderes Wort  gebraucht, das im Polnischen unwirsch bedeutet. Oder auch unhöflich. Je nach Betonung auch beides zusammen. So jedenfalls erklärte es uns der vereidigte Dolmetscher.

Unwirsch und/oder unhöflich – sind wir das nicht alle mal? Die Sache mit der Drohung schien dem Staatsanwalt spätestens mit dieser Klarstellung auch nicht mehr geheuer.

Dabei hatten wir noch gar nicht diskutiert, dass mein Mandant ja gar kein Polnisch spricht. Deshalb hatte er einen polnischen Freund dabei, der seine Worte dolmetschte. Wer sagt denn, dass das, was aus dem Mund des Dolmetschers kam, eine korrekte Übersetzung der Worte meines Mandanten war? (Der Freund sagte es jedenfalls nicht, denn auch er war angeklagt und besaß ein Schweigerecht.)

Das Verfahren wurde eingestellt. Wir dürfen somit alle weiter unhöflich sein, ohne dafür Gefängnis fürchten zu müssen. 

Wir schalten um

Für das ZDF-Blog “Hyperland” habe ich die bislang bekannte Geschichte des Schultrojaners aufgeschrieben und mir Gedanken gemacht, wie es zu so einem politischen Totalausfall kommen kann.

Der Beitrag heißt “Schultrojaner: Pädagogisch kontraproduktives Spitzelmodell”. Er  ist hier zu lesen.

Telefonate aus der Psychiatrie: Mondpreise sind unzulässig

Strafgefangene in psychiatrischen Krankenhäusern dürfen für Telefonate nicht übermäßig zur Kasse gebeten werden. Einen Tarif von 15 Cent pro Minute hält das Verwaltungsgericht Dresden für zu hoch. So viel hatte das Sächsische Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Arnsdorf (Landkreis Bautzen) einem Patienten für Festnetztelefonate in Rechnung gestellt.

Die Klinik selbst zahlt für die Telefonminute nur 1,98 Cent. Dennoch verteidigte das Land Sachsen als Träger der Klinik den Aufschlag von rund 650 Prozent. Es entstehe Aufwand für die Wartung der Telefonanlage, außerdem müssten für die häufig wechselnden Patienten Rufnummern programmiert werden, sofern deren Gespräche nach draußen beschränkt seien.

Die Richter sahen das nicht als ausreichende Gründe an. Nach den gesetzlichen Vorgaben müsse das Leben im Maßregelvollzug den allgemeinen Lebensbedingungen angeglichen werden, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zwecks der Unterbringung möglich sei. Dazu gehöre auch, dass Telefongespräche – ebenso wie sonstige Angebote – marktgerechten Preisen entsprechen.

Der marktgerechte Preis könne allerdings über dem Tarif liegen, den die Klinik bei einem besonders günstigen Anbieter zahlt. Das Verwaltungsgericht Dresden lässt es deshalb zu, dass die Entgelte der Deutschen Telekom zu Grunde gelegt werden. Der Kläger hatte bei der Telekom Minutenpreise zwischen 1,6 und 5,03 Cent ermittelt. Den Maximalsatz darf die Klinik nicht überschreiten, sofern das Urteil rechtskräftig wird. Damit müsste der Betroffene nur noch ein Drittel für seine Telefonate zahlen.

Das Urteil kann erhebliche Bedeutung gewinnen. Die meisten Kliniken berechnen unfreiwillig Untergebrachten stattliche Sätze. Das gilt aber auch für Gefangene in normalen Haftanstalten. Ich habe schon von Minutenpreisen von bis zu 40 Cent gehört – auch für Telefonate mit dem eigenen Verteidiger. Dabei handelt es sich faktisch um Zwangsgebühren, denn Untersuchungsgefangene dürfen nach der Strafprozessreform zwar endlich ihren Anwalt anrufen, kriegen aber normalerweise keine eingehenden Gespräche durchgestellt.

Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 18. Oktober 2011, Aktenzeichen 2 K 1431/08

Die vielbeklagte Überlastung

Ständig gibt es Streit darum, wie viel ein Verteidiger aus der Ermittlungsakte kopieren darf. Zur Kontrolle gibt es sogenannte Kostenbeamte. Die sitzen teilweise stundenlang da und gehen Kopie für Kopie durch mit dem Ziel, eine Seite zu finden, die nach ihrer Einschätzung für die Verteidigung nicht erforderlich war.

Der Staat spart dann 25 Cent pro angeblich überflüssiger Kopie. Gleichzeitig zahlt er (und damit der Steuerzahler) ein Vielfaches für das Gehalt des gemächlich blätternden Kostenbeamten. Und noch mal einen stattlichen Betrag für die späteren Beschwerdeverfahren, in denen Richter dann in 80 Prozent der Fälle zur allseitigen Überraschung feststellen, dass es “überflüssige” Kopien in einer Strafakte gar nicht gibt.

So nun auch das Landgericht Kleve. Es liefert eine kurze, aber dafür extrem plausible Antwort auf die Frage, warum ein Verteidiger für seine Arbeit die Akte von Blatt 1 bis Ende haben darf:

Entgegen der Festsetzung im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts darf der Verteidiger grundsätzlich die gesamte Gerichtsakte vollständig kopieren und dafür Erstattung verlangen. Denn er weiß bei Erhalt der Akteneinsicht noch nicht, welche zunächst nebensächlich erscheinenden Akteninhalte für später auftretende Fragen relevant werden können.

Das sollte sich mal bei den Kostenbeamten rumsprechen. Dann könnten, bundesweit gesehen, etliche beamtete Rosinenzähler tatkräftig beginnen, die vielbeklagte Überlastung der Justiz zu lindern.

(Entscheidung gefunden im Heymanns Strafrecht Online Blog)

DONot

Es gibt, wen überrascht es, eine Dienstordnung für Notare. Die offizielle Abkürzung lautet DONot. Eine bemerkenswerte Regelung enthält § 27 DONot, jedenfalls im Jahr 2011:

Die Führung eines Notaranderkontos mittels Datenfernübertragung ist nicht zulässig.

Aber wahrscheinlich ist der Name ja Programm.

(via RA Michael Seidlitz auf Google+)

Furztrocken

Während man in Köln mitunter lange auf einen Verhandlungstermin warten muss, widmet sich der Präsident des Landgerichts weiter wichtigen Dingen. So führt er ungerührt und eifrig seine Fehde gegen eine bloggende Rechtsanwältin. Zunächst hatte er sich über einen kritischen Prozessbericht der Juristin bei der Anwaltskammer beschwert und dabei, wenn schon denn schon, angeregt, die Rechtmäßigkeit von Anwaltsblogs generell zu untersuchen. Die Antwort der Anwaltskammer fiel wohl nicht ganz zu seiner Zufriedenheit aus, denn nun kartet der Gerichtspräsident nach.

Heidrun Jakobs, die betroffene Rechtsanwältin, hat die Abschrift eines Briefes bekommen, in dem sich der Präsident des Landgerichts Köln wiederum darum bemüht, über die Anwaltskammer kritische Äußerungen der Anwältin zu unterbinden bzw. sie vom weiteren Bloggen abzuhalten. So schreibt er:

Aus hiesiger Sicht sind – gerade in der neuerlichen Blog-Veröffentlichung und in den o.a. Kommentaren – jedenfalls die Grenzen rechtsanwaltlicher Internetauftritte unter dem Blickwinkel des § 43b BRAO berührt. … § 43b BRAO soll aber dem Anwalt grundsätzlich nur eine rein sachliche Informationswerbung eröffnen; dies gilt auch für Internetauftritte. Dies zwingt nicht zu einer Beschränkung auf rein nüchterne Fakten (BverfG NJW 2004, 3765), aber ein Abdriften ins zu „Reklamehafte“ ist unzulässig (BGH BRAK-Mitt. 1998, 98; OLG Hamm AnwBl. 1996, 470).

Weiter heißt es:

Der vorliegende Blog stellt allein wertende und suggestive Elemente sowie Selbstanpreisungen der gegen die „Missstände in der Justiz“ ankämpfenden Anwältin in den Vordergrund. Schutzgut des § 43b BRAO ist die Sachwalterstellung des Anwalts, dem keine übermäßige Selbstanpreisung gestattet ist. Die Werbung ist unzulässig, wenn – wie hier aus Umständen und sprachlichem Duktus der Werbung das Vertrauen in die Integrität und Unabhängigkeit des Berufsträgers gefährdet werden.

Die kritischen Berichte der Anwältin, die auch vor starken Worten nicht zurückschreckt, sind also nichts weiter als Reklame, und die auch noch in Form “übermäßiger Selbstanspreisung”. Eine wahrlich bahnbrechende Erkenntnis. Zumal den Präsidenten des Landgerichts eingestandermaßen vor allem stört, dass Heidrun Jakobs auch mal geschrieben hat, es gehe ihr darum “Missstände in der Justiz” aufzuzeigen und so dagegen anzukämpfen.

Das geht bei uns natürlich gar nicht, dass eine Anwältin Missstände in der Justiz öffentlich macht. Zumal es, das weiß der Präsident nach eigenen Worten sehr genau, gar nicht ihr Ziel ist, etwas für ihre Mandanten und womöglich andere Betroffene zu erreichen. Nein, das schiebt Heidrun Jakobs alles nur vor – um schnöde Reklame für sich zu machen.

Der Präsident des Landgerichts Köln täte gut daran, sich an die neue mediale Wirklichkeit zu gewöhnen.

Anwälte, die etwas zu sagen haben, sind nicht mehr wie früher darauf angewiesen, dem Gerichtsreporter des Express was ins Ohr zu flüstern und zu hoffen, dass es am nächsten Tag für zwölf Zeilen im Lokalteil reicht. Wie (zum Glück) jeder andere auch, können sie eine Internetseite einrichten, ein Blog aufmachen, auf Facebook, Google+  oder bei Twitter schreiben.

Anwälten übers Standesrecht kritische Anmerkungen zu eigenen Verfahren untersagen zu wollen, ist schon deshalb dreist, weil Gerichte, Staatsanwaltschaften und Polizei heute selbst gut besetzte Pressestellen unterhalten, die Tag für Tag zu eben diesen Verfahren ihre Sicht der Dinge ins Netz stellen. Es gehört, schon wegen der Waffengleichheit, zu den Rechten eines Anwaltes, auch medial für seine Mandanten einzutreten.

Dass dies auf Interviews mit etablierten Medien oder selbstverfasste Artikel in der Neuen Juristischen Wochenschrift beschränkt wäre, hätte der Präsident des Landgerichts Köln vielleicht gerne. Dafür ist er aber 20 Jahre zu spät im Amt.

Anmaßend ist es, wenn ein Gerichtspräsident sich über den sprachlichen Duktus seines Konterparts mokiert. Wäre es nicht ein Fluch, wenn bloggende Anwälte so furztrocken daher schreiben müssten, wie Bürokraten es seit jeher für ihre unabänderliche Pflicht erachten?

Ist die selbst auferlegte Unfähigkeit eines Gerichtspräsidenten, über ein als misslich empfundenes Verfahren auch mal sprachlich zu schäumen wie Henkell Trocken, nun das Maß der Dinge? Findet gar das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, das auch Anwälte für sich in Anspruch nehmen können, seine Grenze nun schon an der Empfindsamkeit eines leicht mimosigen Amtsträgers?

Dann hätte jedenfalls Bastian Sick eine wichtige Bastion verloren.

So weit kann man die Versuche des Gerichtspräsidenten ja noch mit einem Lächeln verfolgen. Traurig ist allerdings, wie betriebsblind er auf die Obrigkeitsmasche setzt. Ihm geht es um Disziplinierung auf dem Dienstweg, angesichts der Beharrlichkeit seiner Eingaben womöglich auch handfest um Einschüchterung all jener Anwälte, die vielleicht in Zukunft mal erzählen wollen, was sie in seinem Betrieb so erleben. (Wobei das ja nicht immer unbedingt negativ sein müsste.)

Offenbar ist dem Präsidenten des Landgerichts gar nicht klar, wie arm das aussieht, wenn er der Anwaltskammer ansinnt, aus einem vermeintlich höherrangigen Interesse gegen eine Bombenbauerin die Verfasserin gedruckter Worte vorzugehen.

Ich war bei den Prozessen nicht dabei, also kann ich nicht ausschließen, dass Rechtsanwältin Jakobs in ihren Berichten falsche Tatsachen behauptet oder gar die Ehre Beteiligter verletzt. Aber sollte das so sein, dann können die Betroffenen oder von mir auch der Gerichtspräsident als ihr Dienstherr doch mit offenem Visier dagegen angehen.

Was bedeuten würde, klipp und klar zu sagen, womit man nicht einverstanden ist. Und, von mir aus, die Äußerungen abzumahnen und notfalls zu klagen. Damit muss jeder Blogger rechnen, Anwälte nicht ausgenommen. So lange sich in dieser Richtung nichts tut, muss sich der hohe Herr in Köln den Vorwurf gefallen lassen, die Meinungsfreiheit unlauter zu traktieren.

Freispruch für tödlichen Schuss auf Polizisten

Der Fall hat Schlagzeilen gemacht, und er wird es nun wieder tun: Ein Mitglied der Hell’s Angels, der einen Polizisten erschossen hat, muss nicht ins Gefängnis. Der Bundesgerichtshof sprach den Mann mit einem heute bekanntgegebenen Urteil frei. Das Landgericht Koblenz hatte den Rocker wegen Totschlags noch zu acht Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Zu dem tödlichen Schuss kam es, als ein Sondereinsatzkommando der Polizei das Mitglied der Hell’s Angels morgens im Schlaf überraschen wollte. Die Beamten kamen mit einem Durchsuchungsbefehl und versuchten, die Eingangstür zum Haus des Mannes aufzubrechen.

Der Angeklagte wachte durch die Geräusche auf. Er bewaffnete sich mit einer Pistole Kaliber 45, die mit acht Patronen geladen war. Dann ging er ins Treppenhaus, wo er das Licht einschaltete. Er sah von einem Treppenabsatz aus durch die Teilverglasung der Haustür eine Gestalt, konnte diese aber nicht als Polizisten erkennen.

Vielmehr nahm er an, es handle sich um schwerbewaffnete Mitglieder der Bandidos, die ihn und seine Verlobte töten wollten. Er rief: "Verpisst Euch!" Hierauf sowie auf das Einschalten des Lichts reagierten die SEK-Beamten nicht; sie gaben sich nicht zu erkennen und fuhren fort, die Türverriegelungen aufzubrechen.

Da bereits zwei von drei Verriegelungen der Tür aufgebrochen waren und der Angeklagte in jedem Augenblick mit dem Eindringen der vermeintlichen Angreifer rechnete, schoss er ohne weitere Warnung, insbesondere ohne einen Warnschuss abzugeben, nun gezielt auf die Tür. Dabei nahm er in Kauf, einen Angreifer tödlich zu treffen.

Das Geschoss durchschlug die Verglasung der Tür, drang durch den Armausschnitt der Panzerweste des an der Tür arbeitenden Polizeibeamten ein und tötete diesen.

Sowohl das Landgericht als auch der Bundesgerichtshof glaubten dem Rocker, dass er um sein Leben fürchtete. Er hatte vorher glaubwürdige Todesdrohungen durch den Konkurrenzclub Bandidos erhalten. Die Kernfrage war, ob die Sachlage für eine Notwehrsituation reichte.

Schon das Landgericht bejahte grundsätzlich, dass sich der Angeklagte bedroht fühlte. Allerdings habe er nicht gleich schießen dürfen. Vielmehr sei er verpflichtet gewesen, den Waffeneinsatz anzukündigen oder einen Warnschuss abzugeben. Ohne Vorwarnung dürfe von einer tödlichen Waffe kein Gebrauch gemacht werden.

Dies sieht der Bundesgerichtshof anders.

Der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe müsse zwar grundsätzlich  zunächst angedroht und auch ein Warnschuss abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener müsse dafür aber nicht das Risiko des Fehlschlags seiner Verteidigungshandlung eingehen.

Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten "Kampflage" keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern, dürfe auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden.

Nach den Erkenntnissen des Landgerichts war aber ein solcher Fall gegeben. Im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr war dem Angeklagten nicht zuzumuten, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine "Kampf-Position" unter Umständen zu schwächen.

Dass es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten kam, konnte der Bundesgerichtshof dem Angeklagten daher nicht anlasten. Weil der Angeklagte seinen Irrtum über die Notwehrlage auch nicht fahrlässig verursacht hatte, konnte er auch wegen fahrlässiger Tötung nicht verurteilt werden.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. November 2011, Aktenzeichen 2 StR 375/11