Der schlafende Schöffe

Auch als ehrenamtlicher Richter kann man Ärger mit der Justiz bekommen. Diese Erfahrung schildert ein Mitarbeiter von Spiegel Online, den es schon als Studenten in den bei ihm eher unfreiwilligen Justizdienst verschlagen hat. Er verschlief seinen Sitzungsdienst am Landgericht Hamburg

Das passierte nicht während der Gerichtsverhandlung, wie es ansonsten schon mal häufiger und meist fast immer folgenlos geschieht. Eine genervte Richterin soll es gewesen sein, die ihren noch unausgeschlafenen Schöffen im Streifenwagen aus dem Bett ins Gericht bringen ließ. Immerhin blieb dem Laienrichter ein Ordnungsgeld erspart. Das hätte wegen seiner Säumnis später gegen ihn verhängt werden können, allerdings nur durch einen anderen Richter.

Möglicherweise war der Verzicht auf einen Ordnungsgeld-Antrag auch ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Denn zur Nutzung der vom Gericht organisierten Mitfahrgelegenheit war der Schöffe jedenfalls nicht verpflichtet. Unter anderem berichtet er, die Polizei habe ihm nur drei Minuten zum Anziehen gewährt. Für so eine „Zwangsmaßnahme“ gegenüber Schöffen gibt es allerdings keine Rechtsgrundlage.

Der Betroffene hätte also durchaus auch weniger humorvoll reagieren und Freiheitsberaubung rufen können. Oder Nötigung. Wäre sicher ein interessantes Verfahren geworden.

Exotische Karten

Bei Flugreisen müssen Anbieter stets von Anfang an den Endpreis angeben. Nur „vermeidbare“ Zuschläge dürfen in späteren Buchungsschritten auftauchen. Das Oberlandesgericht Dresden musste nun klären, für welche Zahlungsarten der Endpreis zu gelten hat.

Das Portal fluege.de hatte einen Endpreis angegeben, der allerdings nur bei Zahlung mit einer Mastercard Gold oder einer Kreditkarte Visa Electron zu erreichen war. Bei der Zahlung mit anderen Kreditkarten oder etwa Lastschrift fielen Gebühren von über 30 Euro an, die anfangs nicht genannt wurden.

Nach Auffassung der Richter muss sich der Endpreis auf eine gängige Zahlungsart beziehen. Das sei bei einer Mastercard Gold oder der Visa Electron nicht der Fall. Erstere müsse gegebenenfalls erst über fluege.de beantrag werden. Die Prepaid-Karte Visa Electron müssten Kunden erst umständlich aufladen.

Es handele sich somit nicht um gängige und zumutbare Zahlungsmöglichkeiten (Aktenzeichen 14 U 1489/14).

Online-Wut gegen Edathy

Die erfolgreichsten Online-Petitionen der letzten Zeit richten sich gegen die Justiz. Erst vor kurzem half der Druck der Öffentlichkeit einem Notarzt, der bei einem Einsatz Autofahrer genötigt haben soll. Der Strafbefehlsantrag gegen den Mann wurde zurückgenommen. Keineswegs ein alltäglicher Vorgang.

Nun wird es andersrum versucht: 146.000 Menschen, und es werden stündlich mehr, fordern mittlerweile, das Verfahren gegen Sebastian Edathy wieder aufzurollen.

Es ist legitim, auch über die Justiz seine Meinung zu haben. Und die Einstellung bei Edathy nicht gut zu finden. Viel Hoffnung auf einen Erfolg dürfen sich die Petenten aber in diesem Fall nicht machen. Denn weder das Gericht, die Staatsanwaltschaft noch jemand anderer haben die Möglichkeit, es sich noch anders zu überlegen.

Das ergibt sich aus dem Verfahrensrecht. Bei einer – derzeit vorläufigen – Einstellung nach § 153a Strafprozessordnung wie bei Edathy gegen Zahlung einer Geldauflage hängt es nur noch vom Angeklagten ab, ob es zu einer endgültigen Einstellung kommt. Er muss lediglich innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist die Auflage erfüllen.

Nur für den Fall, dass er nicht fristgerecht die Auflage erfüllt, kann der Prozess fortgesetzt werden. Es hängt also ganz allein von Edathy ab, ob die Einstellung endgültig festgezurrt wird – oder es vielleicht schon ist. Wir können jedenfalls davon ausgehen, dass Edathy die 5.000 Euro längst gezahlt hat, um das letzte Hindernis für eine endgültige Einstellung sofort zu beseitigen. Dazu haben ihm seine Anwälte mit Sicherheit geraten.

Eine eher theoretische Lücke gibt es noch. Die Einstellung bringt es nur mit sich, dass die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden kann. Vergehen sind alle Delikte, für welche die Mindeststrafe unter einem Jahr liegt. Sollte sich dagegen herausstellen, dass die Tat ein mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohtes Verbrechen war, erstreckt sich die Einstellung nicht darauf. Wegen des Verbrechens könnte also weiter vorgegangen werden.

Allerdings gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Edathy in diesem Zusammenhang ein Verbrechen zur Last gelegt werden könnte. Die einschlägigen Vorschriften, selbst für die gewerbliche oder bandenmäßige Begehung, sind allesamt nur als Vergehen ausgestaltet.

Da ist also nichts mehr zu machen, selbst wenn es die Petenten gerne hätten.

Edathys Geld ist nicht erwünscht

Für die Einstellung seines Verfahrens soll der frühere Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy 5.000 Euro für einen guten Zweck zahlen. Als Empfänger hat das Landgericht Verden den Kinderschutzbund Niedersachsen ausgewählt. Doch der will das Geld nun nicht annehmen.

Gestern hatte der Kinderschutzbund gegenüber der Zeit noch erklärt, man werde die Zahlung annehmen, auch wenn die Einstellung als „fatales Signal“ missverstanden werden könne. In sozialen Netzwerken gab es daraufhin Widerstand, dem der Verband nun nachgab. Man könne, heißt es auf der Facebook-Seite des Kinderschutzbundes, den moralischen Widerspruch für sich nicht lösen. Deshalb sei das Landgericht Verden gebeten worden, einen anderen Empfänger zu bestimmen.

Für mich ist diese Haltung unverständlich. Ich habe schon oft genug vergleichbare Verfahren im Bereich des Sexualstrafrechts damit beenden können, dass mein Mandant Geld an eine Kinderschutzeinrichtung zahlt. Auch an den Kinderschutzbund. Bislang habe ich es noch nie erlebt, dass die Annahme des Geldes verweigert wurde.

Es ist bei solchen Auflagen ja unvermeidlich, dass sie von möglichen Straftätern gezahlt werden. Wobei die Betonung auf möglich liegt. Denn bei einer Einstellung wird die Schuld ja gerade nicht positiv festgestellt. Somit kann auch nicht gesagt werden, das Geld stamme von einem Straftäter oder gar aus einer Straftat. Wobei auch das keinen Unterschied mit sich bringen sollte.

Will der Kinderschutzbund Niedersachsen jetzt ein Urteil nach dem Urteil fällen, zwischen gutem und schlechtem Geld unterscheiden? Ich kann so eine Anfälligkeit für offensichtlichen Populismus nicht ganz nachvollziehen.

Am Ende wird es jetzt wahrscheinlich so kommen, dass Edathys Geld an die Staatskasse geht. Davon wird dann irgendwo eine hübsche Brücke gebaut. Ob das im Sinne möglicher Opfer von sexuellem Missbrauch ist, erschließt sich mir nicht.

Weniger Fotos von Beate Zschäpe

Das NSU-Verfahren in München scheint einer der wenigen Prozesse zu sein, zu dem tagtäglich (und nicht nur zu besonders interessanten Terminen) Kamerateams und Fotografen anrücken. Vor allem, um die Angeklagte Beate Zschäpe abzulichten. Der Vorsitzende des Strafsenats reagiert nun auf diesen Berichterstattungsdruck.

Künftig sind Kameras im Gerichtssaal nur noch am ersten und siebten Verhandlungstag eines Monats zulässig. Vor dem Gerichtssaal kann uneingeschränkt weiter gefilmt werden. Die Verteidiger Zschäpes hatten einen entsprechenden Antrag gestellt, weil das tägliche Schaulaufen vor dem Verhandlungsbeginn die Persönlichkeitsrechte ihrer Mandantin verletzt.

Dem folgte das Gericht nun. Eine „Prangerwirkung“ müsse schon wegen der Unschuldsvermutung vermieden werden. Zschäpe müsse sich immerhin unfreiwillig filmen und fotografieren lassen. Eine Berichterstattung mit Bildern greife auch stärker in die Persönlichkeitsrechte ein als eine ohne Bilder.

Die Pressefreiheit sieht das Gericht nicht in Gefahr. Es sei den Medien zumutbar, auf Archivmaterial zurückzugreifen. Davon gebe es nach 190 Verhandlungstagen auch genug. Überdies heißt es in der Verfügung des Gerichts, dass bei „besonderen Prozesssituationen“ Ausnahmen zusätzliche Termine möglich sein werden.

Gutachten: Tarifgesetz rechtswidrig

+++ Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit könnte verfassungswidrig sein. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Mit dem Gesetz, das im März Thema im Bundestag sein soll, will die Große Koalition die Macht kleiner Gewerkschaften einschränken. +++

+++ Dem Hotelportal HRS sind Bestpreisklauseln untersagt worden. Damit verpflichtete HRS teilnehmende Hotels, Zimmer nirgendwo anders billiger anzubieten. Das Unternehmen teilte nun mit, es werde das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf akzeptieren. +++

+++ Fußballfans haben keinen Anspruch auf Abokarten. Vielmehr darf ein Club, hier der FC Bayern, ein Abo sogar jederzeit ohne Angabe von Gründen unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist beenden. Ein langjähriger Fan hatte vor dem Amtsgericht München geklagt (Aktenzeichen 122 C 16918/14). +++

+++ Eine Fahrtenbuchauflage darf gegenüber Firmen nur verhängt werden, wenn die Behörde selbst ausreichend ermittelt hat. Dazu gehört nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier, dass der Geschäftsführer befragt und Unterlagen verlangt werden. Ein Gespräch mit der „Seniorchefin“ reiche nicht (1 L 349/15.TR). +++

Filesharing in der Normfamilie

In Filesharing-Prozessen wird gern darüber gestritten, was ein Anschlussinhaber vortragen muss, um sich zu entlasten.

Das Landgericht Potsdam zur Konstellation „normale Familie“ hierzu Stellung bezogen. Ich zitiere den Leitsatz, welche die Zeitschrift JurPC aus dem Urteil kristallisiert hat (Aktenzeichen 2 O 252/14):

Die tatsächliche Vermutung der Alleinnutzung des Anschlusses durch die Anschlussinhaberin ist bereits widerlegt, wenn nach den Angaben der Anschlussinhaberin deren Ehemann und der Sohn im Haushalt wohnen und freien Zugang zum Internet haben.

Weitergehender Feststellungen zum zeitlichen Umfang und zu den Zeitpunkten der Nutzung bedarf es dann nicht, da der der tatsächlichen Vermutung zugrundeliegende Erfahrungssatz bereits widerlegt ist.

Das Urteil enthält auch noch einige interessante Ausführungen dazu, wie weit Angehörige über die „Gefahren“ der Internetnutzung aufgeklärt werden müssen und wie weit Abgemahnte verpflichtet sind, in der eigenen Familie nach Übeltätern zu forschen.

Auf Teppich ist kein Verlass

+++ Die Philosophische Fakultät in Rostock möchte Edward Snowden zum Ehrendoktor machen. Die Universitätsspitze mauert. Die Philosophen werden dagegen vor Gericht ziehen. +++

+++ Von der Kölner Bettensteuer sind Geschäftsreisende ausgenommen. Theoretisch. Denn die Stadt lässt Hotelgäste ein umfangreiches Formular ausfüllen, ohne dass diese zu den Angaben verpflichtet sind. Der NRW-Datenschutzbeauftragte kritisiert die Praxis. +++

+++ Wer seinen Teppichboden durch Parkett ersetzen will, muss als Wohnungseigentümer wegen des größeren Trittschalls keine Rücksicht auf Nachbarn nehmen. Der Bundesgerichtshof entschied, dass hier keinen Vertrauensschutz gilt. Maßgeblich sei allein, dass die Schallschutzwerte eingehalten werden, die zur Zeit der Errichtung des Gebäudes galten (Aktenzeichen V ZR 73/14). +++

+++ Die Bundesregierung bringt einen Gesetzentwurf zur Abschaffung freier WLANs auf den Weg. So jedenfalls muss man das Vorhaben eigentlich korrekt benennen, meint das IT-Rechtsportal CR online. +++

Durchsuchung ohne Maß

Das Bundesverfassungsgericht musste sich mit einer Hausdurchsuchung bei einem schwerkranken Menschen beschäftigen. Der Betroffene hat zwar Anspruch auf Cannabis auf Rezept, um seine Schmerzen zu lindern. Da er sich den fertigen Stoff nicht leisten kann, baute er seinen Eigenbedarf selbst an – und machte eine Selbstanzeige.

Die Strafverfolger in Darmstadt durchsuchten bei dem Mann. Zu Unrecht, wie jetzt das Bundesverfassungsgericht feststellte. Das Gericht kritisiert, wie so häufig, dass sich die verantwortlichen Richter nicht einmal ansatzweise mit den Besonderheiten des Falles beschäftigten. Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit fehlten in dem Beschluss vollständig.

Der Beschluss zeigt einmal mehr, dass nicht jeder Anfangsverdacht eine Durchsuchung rechtfertigt. Wie wenig Mühe sich die verantwortlichen Richter insgesamt in der Sache machten, stößt beim Bundesverfassungsgericht auf deutliche Kritik. Der Beschluss ist hier nachzulesen.

Edathy liegt taktisch richtig

Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy hat heute vor dem Landgericht Verden ein Geständis abgelegt. Über seinen Anwalt räumte er ein, mit seinem Dienst-Notebook kinderpornografische Seiten aufgesucht und Inhalte heruntergeladen zu haben.

Die Erklärung war sicher auch taktisch motiviert: Das Verfahren gegen Edathy wurde sogleich eingestellt. Edathy zahlt 5.000 Euro an den Kinderschutzbund. Edathy beugte sich mit seiner Erklärung dem Druck der Staatsanwaltschaft Hannover. Diese hatte die Einstellung davon abhängig gemacht, dass der Ex-Politiker ein glaubwürdiges Geständnis ablegt. Ohne Zustimmung der Strafverfolger kann das Gericht ein Verfahren nicht einstellen.

Ein Geständnis ist keineswegs Voraussetzung für eine Einstellung. Das habe ich schon in diesem Beitrag erläutert. Dass Edathy sich darauf einlässt, ist allerdings schlau. Offensichtlich sind die Richter am Landgericht Verden bereit, sich nicht vom Namen des Angeklagten und dem Rummel leiten zu lassen, der mit dem Verfahren bisher verbunden war.

Vielmehr haben sie bereits früh dargelegt, dass es nicht um viel verbotenes Material geht und Edathy nicht vorbestraft ist. Eine Einstellung liegt deshalb durchaus im Bereich des Möglichen. Jedenfalls mehr als die so oft beschworene Freiheitsstrafe, die sich irgendwo auf die Obergrenze von zwei Jahren zubewegt, die für Edathys Delikt gilt.

Allerdings bedeutet das noch lange nicht, dass bei ein paar kinderpornografischen Bildern stets eine Einstellung einfach zu erreichen ist. Eine große Zahl Amtsgrichter, die normalerweise über solche Fälle entscheiden (Edathys Fall kam nur wegen „besonderer Bedeutung“ ans Landgericht), lehnen Einstellungen und sogar Geldstrafen für solche Delikte grundsätzlich ab. Ob es dann letztlich wirklich so heftig kommt, ist natürlich oft eine andere (Beweis-)Frage. Es hängst natürlich auch davon ab, wie ein Angeklagter sich verteidigt. Edathy jedenfalls kann mit dem Ergebnis zufrieden sein. Denn es rückt sein Vergehen wieder in einen vernünftigen Maßstab.

Bestraft ist er ohnehin schon genug.