Schlafen Sie gut heut‘ Nacht

Manche Ermittlungsakten lassen mich frösteln. Nicht wegen der Straftaten, welche Polizei oder Staatsanwaltschaft meinem Mandanten zur Last legen. Sondern wegen der für mich kaum noch nachvollziehbaren Bereitschaft, notfalls halt auch völlig Unschuldige zu verdächtigen. Und zwar mit einem Vorwurf, von dem man sich heute kaum noch reinwaschen kann. Zum Beispiel der Verbreitung von Kinderpornografie.

Genau diesen Albtraum erlebte in den letzten Monaten Herr J. Den Vorwurf eröffneten Kriminalbeamte Herrn J. frühmorgens im Beisein von Frau und Kindern, als sie zur Hausdurchsuchung im Einfamilienhaus des Herrn J. anrückten. Herr J., so hieß es in dem von einem Richter unterzeichneten Durchsuchungsbeschluss, werde verdächtigt, seit etlichen Monaten Kinderpornos im Tor-Netzwerk zu tauschen.

Nur ein einziges Indiz führte zu Herrn J. Nämlich eine seiner E-Mail-Adressen. Die lautet fdfoweoe68@web.de. Die Adresse lautet in Wirklichkeit anders, sie ist aber vergleichbar kryptisch beziehungsweise zufallsgeneriert. Herr J. nutzt die Adresse nur für Bestellungen, Preisausschreiben etc., wenn er seine Hauptadresse wegen Spamgefahr nicht angeben will.

Nun ist es nicht so, dass der angebliche Kinderporno-Tauscher im TOR-Netzwerk mit der Adresse fdfoweoe68@web.de aufgefallen wäre. Nein, dort nutzte er die (wiederum abgewandelte) E-Mail-Adresse blödfrau38aplumpaquatschalphacentauri@yahoo.de.

Die E-Mail-Adresse von Herrn J. taucht aber in „Unterlagen“ auf, welche Ermittler in Augenschein nahmen. Und zwar handelt es sich um die Daten, die der Kinderporno-Tauscher bei der Registrierung seiner Yahoo-Mail-Adresse hinterlassen hat. Dort gab er bei den Kontaktdaten als „sekundäre“ E-Mail-Adresse fdfoweoe68@web.de an. Bekanntermaßen verifizieren die weitaus meisten Mailanbieter solche Angaben in keinster Weise. Man kann als sekundäre E-Mail-Adresse also jede beliebige Zeichenfolge angeben. Hauptsache, sie wird vom System als E-Mail-Adresse erkannt.

So etwas ficht emsige Fahnder und Staatsanwälte aber heutzutage nicht mehr an. Leider aber auch nicht Richter, mögen sie nun unter Arbeitsüberlastung ächzen. Oder auch nicht. Der zuständige Staatsanwalt hielt in der Akte nur fest, die sekundäre E-Mail-Adresse beruhe zwar nur auf Angaben, die der Verdächtige selbst gemacht habe. Aber da es keine weiteren Ermittlungsansätze gebe, sei eine Hausdurchsuchung beim Inhaber dieser E-Mail-Adresse erforderlich. Vorher checkte die Polizei nur, wem die Adresse gehört. Nämlich meinem Mandanten, der bei web.de für die Registrierung seinerseits natürlich seine richtigen Personalien angegeben hat.

Weitere vorherige Ermittlungen? Keine. Niemand hielt es für nötig mal zu checken, wer denn der Mensch hinter fdfoweoe68@web.de ist. Und ob man nicht auf anderem Wege nähere Informationen bekommen kann, die den Betreffenden vielleicht als Verdächtigen ausschließen. Stattdessen wurde auf direktem Wege bei meinem Mandanten einmarschiert. Seine Hardware wurde beschlagnahmt und überprüft. Halt das volle Programm. Wobei es meinem Mandanten selbst überlassen blieb, seine Frau davon zu überzeugen, dass bei ihm keine Kinderpornografie zu finden sein wird.

Leider ist das nicht der einzige Fall aus meiner Praxis, in dem in letzter Zeit irgendwelche von dritter Seite eingegebenen Kontaktdaten für Durchsuchungsbeschlüsse ausreichten. Wobei die Ermittler in drei von vier Fällen ebenso falsch lagen wie bei Herrn J. Von daher dürfte es auch schwer fallen, irgendeine kriminalistische Erfahrung zu konstruieren, nach der (spätere) Straftäter bei der Registrierung von E-Mail-Accounts eher korrekte Kontaktdaten angeben, weil sie ja noch nicht daran denken, dass sie den Account später mal für illegale Zwecke nutzen werden.

Kurz gesagt: Wenn diese Praxis Bestand hat, kann an sich niemand mehr ruhig schlafen, der eine E-Mail-Adresse auf den eigenen Namen registriert hat. Es bedarf ja nur irgendeines Dritten, der gewillt ist, diese Adresse als „Spur“ zu hinterlassen. Und das möglicherweise sogar nur fahrlässig, weil er eine Fantasieadresse generiert, die aber in Wirklichkeit schon Sie nutzen. Oder ich.

Leider fehlt mir mittlerweile der Glaube daran, dass das Bundesverfassungsgericht wenigstens dieser Nullvariante des Anfangsverdachts einen Riegel vorschiebt.

Aber versuchen werde ich es mal.