Facharbeiterstunden

Ich formuliere es mal ganz neutral: Der Mandant hat Mist gebaut. Es geht um Identitätsdiebstahl. Wie hoch der Schaden durch die sicher nicht sehr schlaue Aktion meines Mandanten ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Der Anwalt des Opfers schraubte die Forderung jedenfalls mächtig hoch. 2.800,00 € wollte er vor Gericht erstreiten.

Das ist schon etwas verwunderlich. Denn der Identitätsdiebstahl war gar nicht von Erfolg gekrönt. Das Konto des Betroffenen, auf das zugegriffen wurde, wurde gar nicht dauerhaft belastet. Vielmehr buchte die Hausbank den Betrag schon am nächsten Tag zurück. Gleichwohl reichte der Betroffene bei Gericht eine Schadensliste mit folgenden Positionen ein:

Vergeblicher Zeitaufwand: 18,3 Stunden á € 62,50 € 1.143,75 €
Telefon-, Porto und Internetkosten pauschal 150,00 €
Fahrtkosten pauschal 270,00 €
Schmerzensgeld 1.200,00 €

Gesamt 2.763,75 €

Wir mussten uns mit der Forderung gar nicht intensiv beschäftigen. Das tat schon der zuständige Richter, denn der Kläger hatte Prozesskostenhilfe beantragt. In diesem Fall muss das Gericht vorab entscheiden, in welchem Umfang die Klage überhaupt nachvollziehbar ist und Aussicht auf Erfolg hat.

Zu dem vergeblichen Zeitaufwand merkt der Richter an, es sei eher wenig wahrscheinlich, dass der Betroffene 18,3 Stunden mit der Klärung der Sache beschäftigt war. Immerhin lägen zwischen der Belastung des Kontos und der Gutschrift nur rund 16 Stunden. Es sei auch nicht nachvollziehbar, mit wem der Kläger so lange bei seiner Bank und 1 x mit der Polizei telefoniert habe.

Auch den Stundensatz von 62,50 € moniert der Richter. Es sei zwar denkbar, dass eine Facharbeiterstunde in dieser Höhe vergütet werde – wie es der Anwalt des Klägers behauptet hatte. Allerdings sei der Kläger laut dem Prozesskostenhilfeformular Frührentner, er habe also jedenfalls keine Arbeitsstunde verpasst. Lohnausfall könne nur in Höhe des tatsächlichen Lohnes verlangt werden. Wenn der Kläger aber tatsächlich so viel verdienen würde, könnte er keine Prozesskostenhilfe beanspruchen.

Bei den Telefon- und Fahrtkosten fragt der Richter nicht ganz zu Unrecht, wie diese denn entstanden sein sollen. Denn nach eigenen Angaben hat der Kläger nur (seeeeeehr lange) mit seiner Bank telefoniert, aber das sei ja wohl ein Ortsgespräch über seinen Festnetzanschluss gewesen. Selbst bei einem Handytarif mit Minutentakt seien solche Beträge ausgeschlossen. Die Polizeiwache, zu welcher der Kläger einmal gefahren sein will, liege laut Google Maps stolze 1,8 Kilometer entfernt. „Selbst eine Taxifahrt hin und zurück hätte niemals 270,00 € kosten können“, so das Gericht.

Auch zum Schmerzensgeld findet der Richter deutliche Worte: „Bloße Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, etwa durch kurzzeitige Aufregung über eine nicht nachvollziehbare Kontobelastung, begründen keinen Schmerzensgeldanspruch. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass es lediglich um eine Abbuchung von 6,84 € geht. Dies kann auch jemand wie der Kläger, der kein großes Einkommen zur Verfügung hat, nicht als existenzbedrohend empfinden.“

Nun ja, am Ende bewilligte das Gericht zwar Prozesskostenhilfe, aber in Höhe von genau 50,00 €. Wie auch bei Verkehrsunfällen stehe dem Geschädigten eine Grundpauschale zu, aber mehr halt auch nur, wenn die Kosten belastbar nachgewiesen werden. Das sei nicht der Fall.

Wir haben die 50,00 € für den Mandanten sofort anerkannt. Was jetzt möglicherweise dazu führt, dass der Kläger auch noch unsere Anwaltskosten und die Verfahrenskosten tragen muss. Denn sein Anwalt hatte im Eifer des Gefechts vergessen, die Forderung erst mal außergerichtlich geltend zu machen, so dass sich unser Mandant womöglich gar nicht im Verzug befunden hat. Aber das muss der Herr dann mit seinem Anwalt ausmachen.

„Geschichtlich wertvoll“

Auf den Aktendeckeln der meisten Staatsanwaltschaften findet man eine Rubrik zum Thema, was nach Abschluss der Sache mit den Akten passieren soll:

Manchmal juckt es mir bei der Akteneinsicht schon in den Fingern, mich bei leidlich spektakulären oder sonstwie außergewöhnlichen Fällen unsterblich zu machen. Vermutlich genügt ja ein harmloser Kringel an der richtigen Stelle.

Aber natürlich traue ich mich dann doch nicht, weil in meinem Alter möchtest du ja nach Verlust der Zulassung nicht unbedingt noch mal umschulen.

Absicherung

In einer Strafsache steht demnächst der Verhandlungstermin an. Dazu der Mandant in einer Mail:

Eine zentrale Fragt bleibt, ob nicht doch sichergestellt werden kann, dass ich auch aus der Verhandlung als freier Mann rausgehe.

Also, grundsätzlich ist es natürlich eher unwahrscheinlich, dass sich eine Nicht-Haftsache im Verhandlungstermin in eine Haftsache verwandelt. Aber ausgeschlossen ist so eine Entwicklung nicht, was dann zu den berühmten „Saalverhaftungen“ führt. Ein schlechtes Zeichen ist es jedenfalls, wenn kurz vor der Urteilsverkündung ein paar Wachtmeister im Sitzungssaal auftauchen…

Ein gewisses Restrisiko bleibt für jeden Mandanten, bei dem es nicht nur um eine Kleinigkeit geht. Eine wie auch immer geartete Absicherung kann ich aber auch nicht bieten, außer einer vernünftigen Verhandlungsvorbereitung, in deren Rahmen ich natürlich auch die allgemeine Stimmungslage sondiere. Falls der Mandant in eine ganz andere Richtung denkt, sollte er vielleicht besser Tony Soprano fragen.

Urlaub (kurzfristig)

Unser potentieller Auftraggeber ist zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, jetzt droht die Vollstreckung der Haft. Wir sollen Rechtsmittel einlegen und insbesondere auch einen Gnadenantrag stellen. Dazu dann die folgende Mail:

… muss ich den Besprechungstermin am Dienstag leider absagen wegen Urlaub (kurzfristig). Melde mich ab dem 04.09. wegen eines neuen Termins. Die erbetenen Unterlagen suche ich Ihnen raus, wenn ich wieder da bin.

Manche Leute haben Nerven wie Stahl.

Wiederholte Belehrung

Zu den unerfreulicheren Situationen im Leben gehört es sicher, wenn dich die Polizei mit einem Tatvorwurf konfrontiert, du vor einer eventuellen Aussage deinen Anwalt anrufen möchtest, dieser aber nicht erreichbar ist. In so einem Fall darf die Polizei nicht einfach mit der Vernehmung weitermachen. Das stellt der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Beschluss klar.

Einem Beschuldigten darf es zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens verwehrt werden, mit (s)einem Anwalt Kontakt aufzunehmen. Seriöse Polizeibeamte wissen das und verhalten sich entsprechend. Hier war es so, dass ein Beamter gleich versuchte, den Anwalt des Beschuldigten anzurufen. Das klappte jedoch nicht, weil der Anwalt nicht erreichbar war. Offenbar durfte der Beschuldigte dann auch noch seinen Vater kontaktieren, damit dieser sich weiter um eine Rückmeldung des Anwalts bemüht.

Der Beschuldigte sagte in dieser Situation lediglich, er sei es nicht gewesen und wisse auch gar nichts von der Sache. Daraufhin konfrontierten ihn die Beamten mit dem bisherigen Ermittlungsergebnis, was dann in einer „ausführlichen Vernehmung“ mündete.

In dieser Situation durften die Polizisten nicht zur Tagesordnung übergehen, moniert der Bundesgerichtshof. Vielmehr hätten sie den Beschuldigten noch einmal extra darüber aufklären müssen, dass der fehlgeschlagene Kontaktversuch mit seinem Anwalt nichts daran ändert, dass er auch weiterhin gar nichts sagen muss, wenn er sich erst mit einem Anwalt beraten möchte. Hierzu der Bundesgerichtshof:

Zweck der wiederholten Belehrung ist letztlich, dem Beschuldigten vor Augen zu führen, dass er sein Recht auf Verteidigerkonsultation nicht durch den fehlgeschlagenen Kontaktversuch verwirkt hat.

Ich wage mal die Behauptung, dass diese Belehrung in solchen Fällen fast immer unterbleibt. Dabei kann man aus dieser Konstellation einiges an Honig saugen. Denn das ist einer der wenigen Fälle, in denen tatsächlich ein glasklares Beweisverwertungsverbot vorliegt und eventuelle Angaben des Beschuldigten also nicht in den Prozess einfließen können.

Im entschiedenen Fall war das Gericht allerdings der Meinung, dass die Angaben des Beschuldigten bei der Polizei keine Rolle für das Urteil spielten. Deswegen war die Revision im Ergebnis erfolglos (Aktenzeichen 5 StR 167/19).

Weil… ist so!

Wir erinnern uns gerne an das Argumentationsniveau von Marlene Mortler, der früheren Drogenbeauftragten der Bundesregierung, insbesondere an ihre super überzeugenden Erklärungen für das Verbot von Cannabisprodukten – Cannabis ist verboten, weil es illegal ist.

Wir vertreten gerade einen langjährigen Mandanten in einer zivilrechtlichen Angelegenheit, bei der die Begründung der Gegenseite verblüffende argumentative Ähnlichkeiten aufweist. Auf die mehrseitige Klage hin erreichte uns heute die Erwiderung, die abgesehen vom Klageabweisungsantrag aus dem wunderschönen Satz bestand:

Zur Begründung der Klageabweisung verweisen wir darauf, dass die Klage unbegründet ist.

Im Grunde verhält es sich hier wie bei Frau Mortler – man kann das so machen, sollte es aber nicht.

Das Gericht hat der Klage nämlich stattgegeben. Viel zu begründen, außer dass die Klage „schlüssig“ ist, hatte der Richter natürlich nicht.

RAin Jennifer Leopold

Ein Ferrari für die „ideellen Freuden“

Auch Pauschaltouristen dürfen Champagner trinken, wenn ihr Flug verspätet ist. Ihr erinnert euch vielleicht noch an dieses hübsche Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf. Mit ähnlichen Luxusproblemen musste sich jetzt das Kammergericht Berlin beschäftigen – aber auf viel höherem Niveau. In dem aktuellen Fall ging es um die Frage, welches Auto der Besitzer eines Rolls Royce Ghost ersatzweise fahren darf, so lange sein Auto nach einem unverschuldeten Unfall repariert wird.

Mit eben jenem Rolls Royce Ghost fuhr der Geschäftsführer einer Firma in Berlin. Es waren wohl eher repräsentative Fahrten. Das Gericht attestiert dem Mann jedenfalls eine Fahrleistung von stattlichen 50 Kilometern pro Tag. Diese Strecke sollte der Geschäftsmann während der Reparaturzeit seines Autos nun mit dem Taxi zurücklegen – so jedenfalls die Vorstellung der Hafptlichtversicherung des Unfallverursachers. Die Versicherung wies darauf hin, man könne in Berlin auch problemlos eine S-Klasse als Taxi mieten (was natürlich nur Banausen als RR-adäquat ansehen dürften).

Das Unfallopfer sah das dementsprechend nicht ein. Er mietete für die Reparaturdauer einen Ferrari California T., was mit 1.200,00 € brutto zu Buche schlug. Pro Tag. Das Kammergericht Berlin hat damit kein Problem. Die Richter vergleichen den Anschaffungspreis für den Rolls (ab 250.00,00 €) mit dem des Ferrari. Den Ferrari gibt es schon ab 190.00,00 €. Damit, so das Gericht, habe der Geschäftsmann einer Pflicht genügt, die jedes Unfallopfer beherzigen muss: Der Ersatzwagen darf höchstens aus der „nächstniedrigeren“ Fahrzeugklasse stammen.

Mit dem Unterschied zwischen Limousine und Sportwagen-Cabrio hat das Kammergericht kein Problem. Während das Landgericht in erster Instanz noch skeptisch war und dem Geschäftsmann unterstellte, er wolle mit dem Ferrari auch „ideelle Freuden“ fördern, was nicht zulässig sei. Auch wegen der niedrigen Fahrleistung hat das Kammergericht keine Bedenken. An einen Verzicht auf einen Ersatzwagen sei höchstens zu denken, wenn die tägliche Fahrleistung unter 20 Kilometern liegt. Ein Taxi, so das Gericht, sei ohnehin „kein der beschädigten Luxus-Limousine vergleichbarer Ersatz“, wobei das Gericht im Ergebnis auch herausstellt, Taxifahren sei halt letztlich nicht vergleichbar mit der Freiheit, die das eigene Auto bietet.

Die Versicherung hat dann noch eingewandt, man könne die Versichertengemeinschaft doch nicht mit solchen Luxusausgaben belasten. Dem Solidargedanken, den das Landgericht noch korrekt fand, konnte man am übergeordneten Zivilsenat nichts abgewinnen. Das Gesetz enthalte keine Regelung, wonach der Schadensersatz ab einem gewissen Luxusfaktor zu deckeln sei. Im übrigen, so das Urteil, zahlen die Halter solcher Autos auch viel höhere Prämien ein.

Im Ergebnis ging die Anmietung des Ferrari California also in Ordnung (Link zum Urteil). Die Revision wurde nicht zugelassen.

Gericht unterbietet den Verteidiger

Es kommt halt immer darauf an, an welchen Richter man gerät. Wirklich Glück hatte jetzt zum Beispiel ein Mandant, der wegen Marihuana-Eigenanbaus angeklagt war. Irgendwie hatte er einen grünen Daumen, jedenfalls wurde bei ihm gut das Doppelte der nicht geringen Menge des Wirkstoffs THC gefunden. So was läuft dann gleich unter Verbrechen, Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

Nun ja, wir haben am Schöffengericht die Hintergründe geschildert. Insbesondere, dass der Mandant schwerbehindert ist. Er leidet Tag für Tag an starken Schmerzen. Diese haben sowohl physische wie psychische Ursachen. Dutzende von Medikamentencocktails hat er über die Jahre schon verschrieben bekommen; nichts half auf Dauer. Mit der Ausnahme von Gras…

Gut war natürlich, dass mittlerweile auch der Antrag läuft, mit dem der Mandant den fraglichen Stoff später als Medikament aus der Apotheke beziehen darf. Zwei Ärzte haben das schon befürwortet. Aber natürlich ändert das – nach heutiger Rechtslage – nichts daran, dass der Mandant sich strafbar gemacht hat. Denn legal ist Cannabis auf Rezept halt erst nach ordnungsgemäßer Verschreibung.

Die Frage war also nur, wie fällt hoch fällt die Strafe aus. Die Staatsanwaltschaft sah immerhin einen minder schweren Fall, plädierte aber dennoch auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, wenn auch auf Bewährung. Die Richter berieten etwas länger, kamen aber zu einem ausgesprochen erfreulichen Ergebnis: eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen.

Das ist, wenn ich mich nicht vertue, juristisch die absolute Untergrenze dessen, was selbst bei einem „minder schweren Fall“ in dieser Konstellation denkbar ist. Nicht mal die Eintragungsgrenze für das Führungszeugnis wird gerissen. Der Mandant behält also eine weiße Weste; er darf sich weiter als nicht vorbestraft bezeichnen.

Es kommt halt immer darauf an, an welchen Richter man gerät. Ich betone das auch deswegen, weil in meinem Plädoyer zwar auf die Möglichkeit einer Geldstrafe hingewiesen habe. Gegebenenfalls auch durch Umwandlung einer niedrigen Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe nach § 47 StGB. Aber den Vorschlag, wirklich an der untersten Grenze des Möglichen zu bleiben, traute selbst ich mich nicht. Zum Glück habe ich konkret nur eine „milde Strafe“ gefordert, so dass es nicht allzu greifbar wurde, dass mich das Gericht tatsächlich unterboten hat.

Das passiert dir als Anwalt auch nicht allzu oft.

Beweismittelverlust

In einem Betrugsfall gibt es neben einem Zeugen zwei Beweismittel, die was taugen:

– die Videoaufnahme vom Tresen des Kiosks, in dem der Verdächtige das mittels Identitätsdiebstahls bestellte Paket abgeholt haben soll;

– einen spanischen Ausweis (möglicherweise gefälscht), den der Verdächtige bei Abholung vorzeigte und den der Besitzer einkassierte.

Die Polizei verzichtete auf Sicherung des Video-Datenträgers. Die Beamten dachten, der Kioskbesitzer würde schon eine Kopie behalten. Der Kioskbesitzer dachte, die Beamten hätten sich eine Kopie auf einen USB-Stick gezogen. Deshalb wurde die Aufnahme bei ihm nach 48 Stunden unwiderbringlich überschrieben.

Den eventuell gefälschten Ausweis schickte die Polizei ans Einwohnermeldeamt (warum auch immer). Auf die Idee, eine Kopie des Ausweises zu machen, kam der zuständige Beamte nicht. Das Einwohnermeldeamt schickte den Ausweis ans spanische Konsulat. Dort ist der Ausweis aber nie angekommen, sagt das Konsulat. Seit über einem Jahr weiß keiner, wo der Ausweis abgeblieben ist.

So was nennt der Jurist Beweismittelverlust. Kommt schon mal vor, aber eher nicht in so geballter Form.

Dann heute die Hauptverhandlung. Der Kioskbesitzer kommt als Zeuge in den Gerichtssaal und sagt nach Angabe seiner Personalien:

Also, wahrscheinlich fragen Sie ja gleich, ob der Herr neben dem Anwalt das Paket abgeholt hat. Den erkenne ich wirklich nicht wieder…

An manchen Tagen tut sich die Arbeit fast von selbst – Freispruch.

Berufswunsch Richter?

Welche Examensnoten reichen derzeit für das Richteramt? Kann man Punktedefizite mit Zusatzqalifikationen ausgleichen? Wo muss man sich eigentlich bewerben? Das Blog schwurgericht.info hat für alle Bundesländer die wichtigsten Informationen zusammengetragen.

Zum Beitrag.

Helferlein beim Autofahren

Habt ihr im Auto auch so eine schöne Funktion, welche euch die aktuell geltende Höchstgeschwindigkeit einblendet – und auf Wunsch das Tempo auch auf diesen Wert begrenzt? Für so betagte Menschen wie mich ist das eine echte Hilfe. Ich schrecke jedenfalls nicht mehr mit dem Gedanken auf: Was gilt jetzt aktuell eigentlich für ein Tempolimit?

Zu sehr darf man sich auf ein Fahrassistenzsystem allerdings nicht verlassen. Eventuelle Fehler des Geräts führen jedenfalls nicht dazu, dass es ein geringeres Verwarnungs- oder gar Bußgeld gibt. Dies hat das Amtsgericht Aachen entschieden.

Ein Autofahrer war mit 92 Stundenkilometern gemessen worden. An der Stelle waren aber nur 70 Stundenkilometer erlaubt. Der Mann machte geltend, er habe sich auf den Assistenten verlassen. Das Gerät sei ja auch nicht gerade billig. Von dieser Argumentation hält das Gericht gar nichts. Fahrassistenzsysteme mit der aktuellen Technik dienten nur zur Unterstützung des Autofahrers, sie nähmen ihm jedoch die Verantwortung für Verkehrsverstöße nicht ab. Das Bußgeld von 100,00 € plus Punkt in der Verkehrssünderkartei sei deshalb in Ordnung (Aktenzeichen 420 OWi-608 Js 1865/18-206/18, Link zur Entscheidung).

Nicht jeder Raub ist ein Raub

Nicht jeder Raub ist ein Raub. So könnte man eine Erkenntnis zusammenfassen, die uns der Bundesgerichtshof in einem etwas kuriosen Fall näherbringt. Es ging um eine Frau, die nach ihrer Haftentlassung lieber wieder ins Gefängnis wollte. Um das zu erreichen, besprühte sie am Augsburger Bahnhof eine Passantin mit Pfefferspray und nahm ihr das Handy weg.

Das Landgericht Augsburg erfüllte den Wunsch der Ex-Gefangenen prompt und verurteilte diese wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten. Doch so simpel ist das juristisch leider nicht. Die Augsburger Richter übersahen nämlich, dass man einen Raub nur begehen kann, wenn man sich das Tatobjekt (hier: Mobiltelefon) auch „aneignen“ will.

Hier ging es der Frau ausweislich des Urteils aber nur darum, wieder in den Knast zu kommen, weil sie mit den Leben in Freiheit nicht zurecht kam und wohl auch ihre Lebenspartnerin inhaftiert ist. An dem Handy hatte sie kein Interesse, was sich auch daran zeigt, dass sie sich nach der Tat ohne Gegenwehr von Zeugen festhalten ließ. Deshalb hob der Bundesgerichtshof das Urteil nun auf; die Sache muss neu verhandelt werden.

Interessant ist natürlich, dass die Angeklagte erfolgreich Revision eingelegt hat. Das lässt an sich nur den Schluss zu, dass sie mittlerweile doch lieber wieder aus der Haft entlassen werden möchte. Möglicherweise würde ihr aber auch (erst mal) die Strafe wegen gefährlicher Körperverletzung reichen, die ja als Minus in der Verurteilung wegen Raubes drinsteckt. Dann könnte man ja immer noch weitersehen (Aktenzeichen 1 StR 37/19).

„Du warst auch gestern gut“

Auch das Arbeitsrecht hat mitunter interessante Fälle zu bieten. Dazu gehört sicherlich ein Konflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin, den kürzlich das Landesarbeitsgericht Hamm aufdröseln musste. Es ging um ein sogenanntes Sugardaddy-Verhältnis, das die Beteiligten allerdings als Stelle für eine Hauswirtschafterin für monatlich 460,00 € deklarierten.

Auch wenn die Arbeitnehmerin später etwas anderes behauptete, sollte ihr der Lohn wohl ganz klar für sexuelle Dienstleistungen gezahlt werden (einvernehmlicher Sex zweimal wöchentlich sowie gemeinsame Essen und Kurzurlaube). Die Richter schöpfen ihre Überzeugung aus Whats-App-Nachrichten, die in dem Urteil sehr ausführlich zitiert werden. („Du warst auch gestern gut, ich fand es schön“ – „Für 1mal nicht schlecht“).

Weil die Beziehung zu einem späteren Zeitpunkt anscheinend eher brüchig wurde und wohl auch der Sex ausblieb, klagte die Arbeitnehmerin, die nebenher noch Sozialleistungen bezog. Sie wollte zum Abschied ihren vertraglichen Lohn, Urlaubsgeld sowie ein wohlwollendes Zeugnis. Das Landesarbeitsgericht seziert das Verhältnis in juristischer Hinsicht messerscharf, und zwar mit folgendem Ergebnis:

– Da es um Sex ging, war der Arbeitsvertrag für eine Hauswirtschafterin ein Scheingeschäft.

– Der Vertrag über Sex ist zwar sittenwidrig, aber wenn eine Person aus freien Stücken Sex gegen Geld anbieten will, gibt es keinen Grund, sie vor sich selbst zu schützen. Grundsätzlich ist so ein Vertrag also wirksam. Allerdings kann der Arbeitgeber die sexuellen Dienstleistungen nicht einklagen oder gar erzwingen.

– Lohn kann die Arbeitnehmerin in diesem Fall schon deshalb nicht verlangen, weil sie im fraglichen Zeitraum unstreitig keine sexuellen Dienstleistungen erbracht hat. Ohne Leistung kein Geld. Dieser Grundsatz gelte auch bei vertraglich vereinartem Sex. Auch als Hauswirtschafterin habe die Klägerin nicht gearbeitet und wollte dies auch nicht. Wenn der Arbeitnehmer aber schon gar nicht „leistungswillig“ sei, könne der Arbeitgeber auch nicht in Annahmeverzug kommen, so das Landesarbeitsgericht.

Ganz leer geht die Klägerin aber nicht aus. Für den (noch offenen) Urlaub, der ihr gemäß Vertrag zustand, muss der Arbeitgeber ihr 320,00 € bezahlen. Außerdem stehe ihr ein Zeugnis zu, denn jeder Arbeitnehmer habe Anspruch auf eine faire Bewertung seiner Tätigkeit. Über den konkreten Inhalt des Zeugnisses musste das Gericht nicht entscheiden. Klingt so, als könnte der Fall in diesem Punkt noch eine interessante Fortsetzung erfahren.

OLG-Senat verbummelt Urteilsfrist

Bei diesen „News“ dürften am Oberlandesgericht Düsseldorf eher nicht die Sektkorken knallen. Zu einer Geldbuße von 30 Millionen Euro hatten die Düsseldorfer Richter die Drogeriekette Rossmann verurteilt. Ob zu Unrecht oder nicht, darauf kam es dem Bundesgerichtshof bei Überprüfung des Urteils gar nicht an. Vielmehr sorgt ein eher peinlicher Formfehler dafür, dass die Angelegenheit komplett neu verhandelt werden muss.

Exakt fünf Wochen haben Richter in einem Strafvefahren Zeit, um das Urteil zu schreiben und es zur Gerichtsakte zu geben. Wann dies geschieht, muss der Beamte der Geschäftsstelle festhalten. Normalerweise ist die Fünf-Wochen-Frist, die sich bei längeren Verhandlungen gemäß § 275 StPO schrittweise verlängert, kein Thema. Die Einhaltung gehört sozusagen zur richterlichen DNA.

In dem Düsseldorfer Verfahren ist es trotzdem schiefgelaufen. Die Fünf-Wochen-Frist wurde gerissen, wesentlich mehr ist aus den Berichten über die BGH-Entscheidung bislang allerdings nicht zu erfahren. Der 30-Millionen-Prozess geht also in die Ehrenrunde, ein anderer Senat in Düsseldorf muss die Angelegenheit jetzt komplett neu verhandeln. Das Versäumnis der zuständigen Richter ist nämlich ein todsicherer Revisionsgrund. Deshalb gehört es zu jeder Anwalts-Checkliste für eine Revision, genau zu schauen, ob die Frist eingehalten wurde.

Die Regelung hat übrigens auch einen tieferen Sinn. Das Gesetz soll nämlich absichern, dass schriftliche Urteilsbegründungen nicht zu lange auf sich warten lassen. Außerdem soll vermieden werden, dass Richter sich aufgrund des Zeitablaufs gar nicht mehr genau an die Einzelheiten des Verfahrens erinnern (Bericht im Handelsblatt).