Quarantäne statt Plädoyer

In einem ziemlich komplizierten Mordverfahren sollten heute eigentlich die Plädoyers gehalten werden. Ihr könnt euch sicher denken, dass ich und mein Mitverteidiger in den letzten Tagen ordentlich über den Schlussvorträgen gebrütet haben. Immerhin hatten wir unser Plädoyer rechtzeitig fertig, und so konnte ich mich heute morgen mit einigermaßen leichtem Herzen auf den Weg zum Gericht machen.

Das war aber vergebens. Leider gibt’s im persönlichen Umfeld des zuständigen Staatsanwalts einen Corona-Fall. Sein Dienstherr tat das, was er tun muss und schickte den Mitarbeiter nach Hause. Der Staatsanwalt ist nun wohl daheim in Quarantäne.

Stellte sich noch die Frage, ob nicht vielleicht ein anderer Staatsanwalt das Plädoyer vortragen kann. Das war aber keine Option, denn einen vorbereiteten Text konnte der Staatsanwalt seinem Vertreter wohl nicht anbieten. Muss er ja auch nicht, ich arbeite in den meisten Fällen auch nur mit Notizen. Diese sind Grundlage für einen Vortrag in freier Rede. Die Notizen würde neben mir aber auch niemand verstehen.

Ich hätte ohnehin Bauchschmerzen gehabt, wenn ein Staatsanwalt, der den Fall gar nicht kennt, nur das Plädoyer seines Kollegen verliest, aber mangels Ahnung von dem Fall selbst gar nicht hinter den Aussagen stehen kann. Protestiert hätte ich dagegen nicht, denn Staatsanwälte sind Rädchen in einem Behördengegetriebe und somit grundsätzlich austauschbar – wie jeder gerichtlich tätige Jurist weiß. Aber sicher hätte ich es mir als (sehr entfernt) möglichen Revisionsgrund notiert. Ein paar entsprechende Gedanken sind ungewöhnliche Verfahrensabläufe immer wert.

Den nächsten Versuch startet das Gericht am 6. Januar, sofern das Herunterfahren des öffentlichen Lebens dann beendet ist. Oder wenn, wie schon im Frühjahr, die Justiz ihr eigenes Süppchen kocht und mehr oder weniger unbeeindruckt weiter arbeitet. Dem Staatsanwalt geht’s übrigens wohl gut, bislang ist er nicht positiv getestet. Wir haben seine Kollegin, die heute in der sehr kurzen Verhandlung die Stellung hielt, die besten Wünsche ausrichten lassen.