Komplettes Desinteresse

Derzeit laufen etliche Verfahren, in denen Kommunikation mutmaßlich Krinmineller über den Anbieter EncroChat als Beweismittel eine große Rolle spielt.

Enchrochat war ein Unternehmen, das Crypto-Handys und ein in sich geschlossenes Kommunikationsnetzwerk bereitstellte. Ausführlichere Informationen bei Wikipedia.

Französische Behörden hackten sich in das Netzwerk mit der Folge, dass die gesamte Kommunikation auf einmal für die Behörden sichtbar wurde. Es gab nun schon einige Urteile zu der Verwertbarkeit der durch den behördlichen Hackerangriff erlangten Beweise. Die Chats werden von den zuständigen, möglicherweise auch den unzuständigen Behörden munter weltweit verbreitet.

Nun hat das Oberlandesgericht Hamburg zu der Verwertbarkeit Stellung bezogen. In dem Beschluss heißt es wörtlich:

(ddd) Hiervon unabhängig würden die Voraussetzungen für ein Verwertungsverbot auch dann nicht vorliegen, wenn das Vorgehen der französischen Behörden teilweise als nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatwidrig begriffen werden würde…

Unabhängig davon, dass es als Strafverteidiger mein Job ist, Probleme mit der Verwertbarkeit von Beweismitteln anzusprechen und im Zweifel die Unverwertbarkeit durchzusetzen, finde ich es schon ein starkes Stück, dass das Oberlandesgericht einfach frank und drei behauptet, dass auch die nicht mehr hinnehmbar rechtsstaatswidrige Erlangung von Beweismitteln auf keinen Fall zur Unverwertbarkeit führt.

Wenn man das weiterdenkt, kann man auch generell den Grundsatz aufstellen, dass es gar keine Beweisverwertungsverbote (mehr) in Deutschland gibt. Die Grenzen sind ohnehin schon sehr aufgeweicht, weil die Rechtsprechung im Zweifel die Schwere der vorgeworfenen Taten in die Abwägung hinsichtlich der Verwertbarkeit von Beweismitteln einbezieht. Außerdem gilt in Deutschland, dass die sogenannten Früchte vom verbotenen Baum, also Beweismittel, die nur aufgrund eines nicht verwertbaren Beweismittels gefunden wurden, trotzdem verwertbar sind.

Sprich: Wird ein mutmaßlicher Mörder unter Folter dazu gezwungen zu verraten, wo die Leiche ist, ist zwar die Aussage unverwertbar, alles was man dann am Fundort der Leiche findet, kann aber verwertet werden.

Das komplette Desinteresse des Oberlandesgericht Hamburg an der Frage von Beweisverwertungsverboten geht aber sogar noch darüber hinaus. Zu dem Thema äußert sich auch Rechtsanwalt Detlef Burhoff in seinem Blog. Dort findet sich auch der Link zu dem Beschluss.

RA Dr. André Bohn