Der Wortlaut als Grenze

Ein Gynäkologe wurde vom Landgericht Dortmund wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c Abs. 1 StGB zu einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Er hatte nach den Feststellungen des Gerichts Patientinnen bei Vorsorgeuntersuchungen im Intimbereich gefilmt.

Diese Verurteilung wurde nun vom Bundesgerichtshof bestätigt. Problematisch war eine Auslgeungsfrage, nämlich ob sich die Frauen dem Arzt wegen einer Krankheit anvertraut hatten, wie es § 174c Abs. 1 StGB fordert. Man könnte nämlich auch argumentieren, dass bei einer Vorsorgeuntersuchung gerade (noch) keine Krankheit vorliegt, sodass § 174c StGB nicht einschlägig wäre.

Das Landgericht hatte mit dem Sinn und Zweck des § 174c StGB argumentiert, da auch bei Vorsorgeuntersuchungen ein geschütztes Vertrauensverhältnis bestehe. Eine reine Auslegung nach dem Sinn und Zweck einer Vorschrift verbietet sich aber insbesondere im Strafrecht, weil das über Art. 103 Abs. 2 GG mit Verfassungsrang ausgestattete Analogieverbot gilt. Das heißt, die Grenze des Wortlauts des jeweiligen Straftatbestands darf nicht zuungunsten des Angeklagten überschritten werden, auch nicht wenn der Sinn und Zweck eines Straftatbestands eine solche Auslegung nahelegt.

Der Bundesgerichtshof stellte daher zusätzlich darauf ab, das Wort „wegen“ in § 174c Abs. 1 StGB könne auch so interpretiert werden, dass man im Hinblick auf eine etwaige, also mögliche Erkrankung, die nicht zwangsläufig vorliegen muss, einen Arzt aufsucht. Mit dieser zusätzlichen Argumentation ist die Auslegung dann nicht zu beanstanden.

Bericht in der Legal Tribune Online

RA Dr. André Bohn