Fundsache

Aus einem Durchsuchungsbericht:

In der linken Schublade (Schreibtisch) wurde eine Zusammenrottung von Kassenbons aufgefunden.

Hätte man damit rechnen müssen?

Das Landgericht Mühlhausen hat die Eröffnung des Hauptverfahrens im Hinblick auf eine fahrlässige Tötung abgelehnt (Aktenzeichen 3 Qs 43/21). Der Beschuldigte war nachts auf einer unbeleuchteten Landstraße mit dem Auto unterwegs und überfuhr einen dunkel gekleideten Mann, der mitten auf der Straße lag. Der Mann erlag seinen Verletzungen.

Das Landgericht argumentiert, es sei für den Beschuldigten nicht vorhersehbar gewesen, dass ein Fußgänger auf der Straße liegt bzw. liegen könnte. Zwar müsse man im Straßenverkehr mit – teilweise auch grober – Unachtsamkeit anderer Verkehrsteilnehmer rechnen. Dies gelte aber nicht für ein solch selbst gefährdendes Verhalten wie das Hinlegen auf eine befahrenen Straße. Hinzu komme, dass sich das Geschehen im Winter abspielte, es geschneit hatte und sehr kalt war. Im Prozess kam raus, dass der Getötete unter Alkoholeinfluss und Einfluss von MDMA stand.

Interessant ist, dass das Oberlandesgericht Hamm in einem ähnlichen Fall entgegengesetzt entschied: Das Liegen einer Person auf der Fahrbahn sei vorhersehbar gewesen. Einer der Unterschiede war jedoch, dass zu diesem Zeitpunkt gutes Wetter war. Der Kollege Burhoff berichtet über beide Fälle.

Bei Fahrlässigkeitsdelikten besteht die Gefahr eines sogenannten Rückschaufehlers. Psychologisch neigen Menschen nämlich dazu, im Nachhinein überhöhte Anforderungen an normgerechtes Verhalten und an die Vorhersehbarkeit des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs zu stellen. Dann war auf einmal Vieles vorhersehbar und sorgfaltspflichtwidrig, obwohl die betroffene Personen die konkrete Situation, die sich häufig in Sekundenbruchteilen abspielt, in dem Moment gar nicht überblicken und danach handeln und erst recht nicht die eingetretenen Folgen vorhersehen konnte.

Diesem Fehler ist das Gericht hier nicht unterlegen. Alles andere wäre wohl auch lebensfremd: Dass bei Dunkelheit, Schneetreiben und kalten Temperaturen ein Mensch mitten auf der Straße liegt, ist alles andere, aber nicht vorhersehbar. Erstaunlich erscheint mir hingegen das die Entscheidung des Oberlandesgericht Hamm; denn allein der Umstand, dass in diesem Fall gutes Wetter war, rechtfertigt meines Erachtens keine andere Betrachtung.

RA Dr. André Bohn

Polizei „vergisst“, Beweisvideo zu sichern

In Idstein wurde ein Mann von der Polizei fixiert. Zuvor war es zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, über deren Ursache gestritten wird. Der Mann hat während der Fixierung gerufen, dass er keine Luft bekomme. Das Ganze spielte sich vor der Polizeiwache in Idstein ab, dieser Bereich wird videoüberwacht. Nun ist nur leider angeblich versäumt worden, dass unstreitig mal vorhandene Überwachungsvideo dauerhaft zu sichern.

Der betroffene Mann wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Er zeigte die für die Sicherung des Videos verantwortlichen Beamten wegen Unterdrückung beweiserheblicher Daten und Strafvereitelung im Amt an. Wegen des Verhaltens der Einsatzkräfte selbst wird wegen Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung ermittelt. Gegen den Betroffenen laufen Ermittlungen wegen Körperverletzung und tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte.

Interessant ist, dass der Anwalt des Betroffenen extra bei der Polizei anrief, um das Video sichern zu lassen. Am Telefon wurde ihm dies zugesichert. Aus der Akte ergibt sich zudem, dass das Video einen Tag nach dem Vorfall angesehen wurde. Es ist kaum zu glauben, dass es dann fahrlässig versäumt wurde, das Video zu sichern. Einer der verantwortlichen Beamten hat sich auf andere Aufgaben berufen, die zu einer Verzögerung geführt hätten. Er sei außerdem irrtümlich davon ausgegangen, die Videos würden sieben bis acht Wochen zur Verfügung stehen – und nicht nur 21 Tage.

Zum Glück waren noch weitere Personen vor Ort, die den Vorfall mit mit ihren Handys aufzeichneten. Auf den Videos ist zu sehen, wie drei Beamte den Betroffenen zu Boden drücken, und man hört auch, dass er ruft, dass er keine Luft mehr bekomme und Panik kriege. Allerdings ist das Vorgeschehen nicht zu sehen. Die Beamten sagen, der Betroffene habe versucht, ihnen das Pfefferspray zu entreißen.

Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen den verantwortlichen Polizeibeamten für die Sicherung wohl bereits abgeschlossen. Der Beamte habe „zweifelsfrei nicht vorsätzlich“ gehandelt; deshalb liege kein strafbares Verhalten vor.

Ohne das Video wird man nun nicht aufklären können, was tatsächlich im Vorfeld passiert ist. Im Zweifel steht dann Aussage gegen Aussage. Gerichte neigen in solchen Situationen dazu, den Polizeibeamten und -beamtinnen zu glauben, deren Aussagen auch häufig nicht voneinander abweichen. Der Vorwurf gegen die Beamten wird sich ohne die Bilder von der Vorgeschichte daher kaum nachweisen lassen. Insgesamt keine schöne Situation für den Betroffenen, aber auch nicht für seinen Verteidiger. Ich hoffe, das Gericht findet wenigstens passende Worte zum wundersamen Verschwinden eines wichtigen Beweismittels.

Bericht in der Frankfurter Rundschau

RA Dr. André Bohn

Vier Jahre statt lebenslänglich

Im Fall des tödlichen Autorennens von Moers bekommt der Hauptangeklagte eine deutlich niedrigere Freiheitsstrafe. Statt dem ursprünglichen Mordurteil (lebenslänglich) sind es nun vier Jahre Freiheitsstrafe. Die Neuverhandlung war notwendig geworden, weil der Bundesgerichtshof die erste Entscheidung aufhob.

Der 22-Jährige war am Ostermontag 2019 mit bis zu 167 Stundenkilometern durch ein Wohngebiet in Moers gefahren. Und zwar mit einem 600 PS starken Auto. Er soll sich mit einem anderen Autofahrer ein Rennen geliefert haben. Als eine unbeteiligte Frau mit ihrem Kleinwagen aus einer Seitenstraße kam, konnte er nicht mehr bremsen. Die Frau erlitt beim Zusammenstoß tödliche Hirnschäden.

Der Angeklagte hatte sich damit verteidigt, er sei auf einer gut einsehbaren Vorfahrtsstraße unterwegs gewesen. Deshalb habe er darauf vertraut, dass es nicht zu einem Unfall kommt. Diese Angabe, die gegen einen Tötungsvorsatz sprechen könnte, hätte laut dem Bundesgerichtshof stärker berücksichtigt werden müssen. Dem ist das Landgericht Kleve nun in der Neuauflage des Prozesses nun gerecht geworden.

Das letzte Wort ist allerdings noch nicht gesprochen. Nun geht die Staatsanwaltschaft in Revision. Das Urteil gegen den anderen Beteiligten am Autorennen ist mittlerweile rechtskräftig. Er bekam drei Jahre und neun Monate Haft.

Niedersachsen muss Prostitution wieder erlauben

In Niedersachsen ist ab sofort Prostitution wieder erlaubt – unter den Hygieneregeln, die auch für andere körpernahe Dienstleistungen gelten. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg setzt auf Antrag eines Bordellbetreibers das Prostitutionsverbot außer Kraft.

Die Richter sehen insbesondere den Gleichheitsgrundsatz verletzt. Es gebe keine nachvollziehbaren Gründe, andere körpernahe Dienstleistungen weitgehend zu ermöglichen, die Prostitution aber weiter komplett zu untersagen. Ein Totalverbot sei angesichts sinkender Infektionszahlen auch „offensichtlich nicht mehr erforderlich“.

Das Gericht erinnert mit dieser Entscheidung daran, dass Prostitution ein legaler Beruf ist. Die Branchenverbände äußern ja schon seit geraumer Zeit den Verdacht, dass die Corona-Pandemie im Bereich der Prostitution dazu dienen könnte, zu alten Moralvorstellungen zurückzukehren (Aktenzeichen 13 MN 298/21).

Prüfungsamt muss Klausuren kostenlos kopieren

Prüfungsämter müssen Examenskandidaten Kopien ihrer Arbeiten und der Bewertungsgutachten zur Verfügung stellen – und zwar kostenlos. Im Fall eines angehenden Volljuristen, der auf die Kopien geklagt hatte, erklärt das Oberverwaltungsgericht Münster die Datenschutz-Grundverordnung auch auf Prüfungsarbeiten für anwendbar.

Nach § 15 DSGVO hat jedermann einen Anspruch auf kostenlose Kopien der personenbezogenen Daten, die ein Dritter über ihn speichert. Dazu gehören, so das Gericht, auch Klausuren und deren Bewertungen. Die Vorschrift sei nicht auf bestimmte Daten beschränkt, es seien auch keine Ausschlussgründe ersichtlich. Das Prüfungsamt war zwar letztlich bereit, die Arbeiten zu kopieren, wollte dafür aber 69,70 € berechnen.

Das Gericht weist weiter darauf hin, dass die Daten entweder in Papierform oder als Dateien in einem allgemein lesbaren Format zur Verfügung gestellt werden müssen (Aktenzeichen 16 A 1582/20).

Summer is coming

Heute mal ein Geständnis, und zwar in einer Bußgeldsache:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie schon telefonisch besprochen, melde ich mich als Verteidiger von Herrn Bernd W. aus G. Eine Vollmacht ist beigefügt.

Mein Mandant räumt den Vorwurf ein. Er hat den Dienstwagen am fraglichen Tag geführt und ist zu schnell gefahren. Sofern die Regelsätze nach der BKatV angewendet werden und die 4-Monats-Frist gewährt wird, ist mein Mandant mit einem Bußgeldbescheid einverstanden.

Mein Mandant möchte das Fahrverbot möglichst schnell „ableisten“. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Bußgeldbescheid kurzfristig auf den Weg bringen. Rechtsmittelverzicht wird nach Eingang erklärt. Bei Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt

Für den Mandanten hoffe ich, dass ihm Corona nicht noch einen Strich durch den Jahresurlaub macht. Damit ist das Geständnissoll aber für heute erfüllt…

Großmütter for Future

Zwei über 70-jährige Frauen haben den Klimaschutz in Schleswig teilweise selbst in die Hand genommen. Sie sprühten nachts farbige Markierungen an mehrere Kreuzungen, um selber Radwege in der Stadt zu implementieren. Das sah dann eigentlich ganz nett aus, wie man dem Foto in der taz entnehmen kann.

Die Stadt fand die Aktion nicht witzig; sie ließ die Markierungen für 768,90 € entfernen. Die beiden Seniorinnen sagten hingegen, dass die Markierungen auch leicht mit einem Besen und Wasser abwaschbar gewesen seien. Sie waren also eher nicht als dauerhafte Wegweiser gedacht, sondern als politische Aktion.

Es folgten Ermittlungen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Außerdem wollte die Stadt das Geld von den beiden Frauen haben. Letztlich erging ein Strafbefehl in Höhe von 50 Tagessätzen, gegen den die beiden Frauen Einspruch einlegten.

Im Gerichtstermin hat das Gericht das Verfahren wohl eingestellt. Die 768,90 € wollen die Frauen der Kommune erstatten, weil diese ohnehin wenig Geld zur Verfügung habe.

Wenn ich mir den Tatbestand den Tatbestand des § 315b Abs. 1 StGB angucke, erschließt sich nicht so ganz, warum das Aufsprühen von Markierungen ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr sein soll. Die Vorschrift lautet:

§ 315b

Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr

(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er
1. Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2. Hindernisse bereitet oder
3. einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Allenfalls wären Nummer 2 oder Nummer 3 einschlägig, aber es fehlt definitiv an einer Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremden Sachen von bedeutendem Wert. Sprich: Der Strafbefehl hätte nicht erlassen werden dürfen, immerhin kam es dann ja auch zu einer Einstellung. Die ist allerdings besonders in einem Punkt weniger Wert als ein Freispruch, denn in der Regel bleiben die Angeklagten zumindest auf den Kosten des eigenen Anwalts sitzen.

Ganz generell zeigt der Fall, dass die Rechtsfolgen eines Strafbefehls nicht in Stein gemeißelt sind und im Gerichtsverfahren oft etwas zu machen ist. Ein Einspruch gegen den Strafbefehl kann übrigens bis zum Beginn der Hauptverhandlung jederzeit zurückgenommen werden, so dass man die Chancen auf jeden Fall immer in Ruhe prüfen sollte.

RA Dr. André Bohn