Manche Anwälte verhalten sich merkwürdig. Auch gegenüber den eigenen Mandanten. Ich erlebe es immer wieder (meist, nachdem ich die Sache zu einem späteren Zeitpunkt übernommen habe), dass Verteidiger ihre eigenen Auftraggeber im Unklaren lassen. Und zwar über den Inhalt der Verfahrensakte, in die sie ja im Auftrag des Mandanten Einsicht genommen haben.
Aber vielleicht geht es den betreffenden Kollegen ja gar nicht darum, die Deutungshoheit über den Tatvorwurf exklusiv für sich zu behalten. Oder einige Cent Euro für die Anfertigung einer Fotokopie oder zumindest eines PDF zu sparen. Vielleicht sind sie auch nur vorsichtig – wie ein aktueller Fall aus Thüringen zeigt.
Da war Folgendes passiert: In einem Ermittlungsverfahren ging es um Drogen, die Wohnung des Beschuldigten wurde durchsucht. Die Verteidigerin beantragte Akteneinsicht, die sie auch erhielt. In Form eines Aktendoppels. In den Unterlagen enthalten war auch der Entwurf auf den Erlass eines Haftbefehls drin. Diesen Haftbefehl sollte das Amtsgericht Erfurt erlassen. Deshalb war die Originalakte dorthin geschickt worden.
Als dann der mittlerweile erlassene Haftbefehl vollstreckt werden sollte, war der Beschuldigte nicht mehr auffindbar. Auf seinem Wohnzimmertisch fanden die Ermittler einen Ausdruck des Haftbefehlsantrags. Was der Anwältin zwei Verfahren einbrachte. Wegen Strafvereiteilung. Außerdem sollte sie als Pflichtverteidigerin vom Verfahren ausgeschlossen werden. Entsprechende Anträge hatten zunächst auch Erfolg.
Erst das Oberlandesgericht Erfurt hat diesem Spuk nun ein Ende bearbeitet. Denn in dem Verhalten der Anwältin können die Richter überhaupt keinen Pflichtverstoß erkennen. Vielmehr weisen sie darauf hin, dass der Verteidiger nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, seinen Mandanten über alle verfahrensrelevanten Umstände zu informieren. Das geschieht eben auch dadurch, dass der Verteidiger dem Mandanten die Verfahrensakten in Kopie geben darf. Und zur Akte gehören nun mal alle Unterlagen, auch der Haftbefehlsentwurf. Wenn dieser geheimgehalten werden sollte, hätte er eben nicht mitgeschickt werden dürfen.
Etwas anderes würde laut dem Oberlandesgericht nur gelten, wenn sich der Anwalt die Unterlagen „unredlich“ verschafft hat. Aber für Trickserei erkennen die Richter keinerlei Anhaltspunkt. Dass der Beschuldigte nur die zwei Seiten des Haftbefehlsantrags auf seinem Wohnzimmertisch hatte, sage nichts aus. Denn diese könnte er sich einfach ausgedruckt haben. Dazu hatte die Verteidigerin erklärt, dass sie ihren Mandanten die Dokumente als Webakte zum Download zur Verfügung stellt.
Im Ergebnis darf / muss der Verteidiger also alle Unterlagen an den Mandanten weiterleiten, die er selbst erhalten hat. Die Verteidigerin musste in dem konkreten Fall auch nicht vorsorglich grübeln, ob die Übersendung des Haftbefehlsantrags vielleicht ein Versehen der Staatsanwaltschaft war.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist hier nachzulesen.