Tauschhandel mit dem Tiergartenmörder?

Zwischen den USA und Russland wird wohl über einen Gefangenenaustausch verhandelt. Die USA möchten die in Moskau wegen eines Drogendelikts inhaftierte Basketballerin Brittney Griner und einen weiteren US-Bürger rausholen. Im Gegenzug soll Russland höchstes Interesse haben, einen verurteilten Mörder zurückzubekommen. Der Mann sitzt allerdings in deutscher Strafhaft – so dass Deutschland schnell in ein unerfreuliches Szenario hineingezogen werden könnte.

Bei dem inhaftierten Russen handelt es sich um den sogenannten Tiergartenmörder, der im Jahr 2019 einen Georgier mit einem Kopfschuss getötet hat. Das Urteil gegen ihn ist rechtskräftig. Der Täter soll enge Verbindungen zum russischen Geheimdienst gehabt haben. Von diesem soll er auch falsche Papiere erhalten haben.

Die Problematik ist natürlich erst mal eine der gefühlten Gerechtigkeit. Es ist nicht davon auszugehen, dass die lebenslange Freiheitsstrafe des Tiergartenmörders in Russland weiter vollstreckt wird, zumindest nicht ernsthaft.

Juristisch ist Deutschland natürlich nicht dazu verpflichtet, den USA einen solchen Gefallen zu tun. Der Aufschrei wäre wahrscheinlich auch enorm. Es gäbe sicher vehemente Kritik daran, wie sich Bürger fühlen sollen, wenn ausländische Agenten in Deutschland mehr oder weniger ungestraft morden können. Und natürlich würde sich auch die Frage stellen, wie souverän die Entscheidung der Bundesregierung im Verhältnis zu den USA tatsächlich wäre. Sozusagen Realpolitik at its best. Da wird dann ohnehin aus dem argumentativen Schützengraben argumentiert, ich halte mich da lieber raus.

Damit sind wir beim eigentlichen Punkt, den ich ansprechen wollte. Juristisch ist die Beteiligung an dem Tauschhandel nämlich ziemlich unproblematisch. Das deutsche Strafvollstreckungsrecht ist sehr liberal, wenn es um die „Überstellung“ verurteilter Straftäter ins Ausland geht. Zentrale Norm ist § 456a StPO:

Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe … absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.

Interessant sind hier mehrere Dinge. Zunächst wird mit dem Wörtchen „kann“ ein Spielraum eingeräumt. Alles geht, nichts muss. Dann gibt es keine Regelung, ob und in welchem Umfang eine Strafe bereits vollstreckt sein muss. Konkret ist es also möglich, dass ein Straftäter keinen einzigen Tag seiner Strafe in Deutschland verbüsst, wenn von der Verfolgung abgesehen wird.

Außerdem sind keine Straftatbestände ausgenommen. Das heißt, auch Mörder, Massenmörder und Kriegsverbrecher können von der Regelung profitieren. Es bedarf dann nur einer Ausländerbehörde, welche die Abschiebung anordnet. Da sind die Spielregeln aber ebenso flexibel gefasst. Es gehört ja zu den erklärten Zielen des Aufenthaltsrechts, dass verurteilte Ausländer in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden und nicht wiederkommen können, es sei denn sie nehmen eine erneute Inhaftierung in Kauf (Absatz 2 von § 456a StPO).

Rechtlich gesehen sind die Hürden für den Tauschhandel demnach nicht sonderlich hoch. Der Bundeskanzler ist denn noch nicht zu beneiden, wenn er tatsächlich eine Entscheidung treffen muss.

Bericht im Spiegel